Das (falsche) Gegensatzpaar „Markt versus Staat“ polarisiert wie kaum ein anderes, auch in der ökonomischen Debatte. Wenngleich das korrekte Gegensatzpaar „unkontrollierte Machtausübung versus Marktpreismechanismus und Wettbewerb“ lautet und Markt, Staat und Ethik eine höhere Funktionseinheit bilden sollten, gibt es Ökonomen, die den Markt durch den Staat ersetzen möchten. Andere wiederum möchten dem Markt wieder zu mehr Spielraum verhelfen und den Staat zurückdrängen. Dabei sind die Staatsgläubigen gegenüber den Marktfreunden in der Überzahl und ihr Anteil nimmt rapide zu. Die professionellen Marktgegner finden offensichtlich politisches Gehör. Denn weltweit sind starke Staaten und Autokratien im Vormarsch, während strangulierte Märkte auf der Verliererstraße sind. Man hat den Eindruck, dass dieser Trend von der schwarz-roten Koalition in Deutschland fortgesetzt werden wird.
Theorie des Marktversagens hat Hochkonjunktur
Im Zeitalter des Internets schießen die von marktfeindlichen Ökonomen gegründeten Netzwerke oder Labels für neue Forschungszweige wie Pilze aus dem Boden. Zu nennen sind etwa die „plurale Ökonomik“, die „post-autistische Ökonomie“ und die „Real World Economics“. Im Urteil der Neuen Züricher Zeitung NZZ vertreten diese Gruppen das gemeinsame Credo, „…dass der Markt für alles Übel und der Staat für alles Gemeinwohl verantwortlich ist“ (NZZ 2015). Typisch für die neue Bewegung ist die „…Ablehnung freier Märkte und die Überzeugung, dass es eigentlich kein Zuviel an Regulierung geben kann“ (ibid). Hans-Werner Sinn bemerkt dazu: „Wie Spürhunde suchen Volkswirte die Wirtschaft nach Marktfehlern ab und überlegen, wie man diese Fehler durch kluge Staatseingriffe korrigieren kann.“ (Sinn 2014).
Wie es scheint, hat sich die Ökonomie zu einseitig dem Marktversagen und der daraus abgeleiteten Staatskompetenz zugewandt und die Einsicht des amerikanischen Nobelpreisträgers James M. Buchanan vergessen, wonach Politiker letztlich nicht am Gemeinwohl orientiert sind, sondern an der Maximierung von Steuern und Wählerstimmen (James J. Buchanan 1962). Der Finanzwissenschaftler Horst Claus Recktenwald hat vor 45 Jahren zur Focussierung der ökonomischen Wissenschaft auf die market failures bemerkt:
„Die ökonomische Wissenschaft hat sich seit langem intensiv mit einem ihrer zentralen Anliegen befasst: Warum, wo und wie knappe Produktionsfaktoren unwirtschaftlich eingesetzt und Endprodukte verschwenderisch ge- und verbraucht werden können. Sie hat hoch verfeinerte Modelle und Messverfahren entwickelt, mit deren Hilfe man eine suboptimale „Ausbeute“ von Hilfsquellen, wohlfahrtsökonomisch ausgedrückt, ein Abweichen vom Pareto-optimum (wie immer definiert) erklären kann. Eine (fast hybride) Theorie des Versagens oder der Schwächen des Marktes (angelsächsisch market failures genannt) ist eines der Ergebnisse dieser theoretischen Anstrengungen. Sie diente dann gleichsam als Alibi, um staatliche Eingriffe in den Markt oder gar dessen Beseitigung und Ersatz durch das öffentliche Budget zu fordern, ohne dass man eine einsichtige Antwort auf die Frage erhält, ob nämlich der Staat selbst die knappen Ressourcen wirtschaftlicher ausnutzt als Private im Rahmen des Marktes. In der Tat wissen wir wenig darüber, ob und wie effizient und gerecht der Staat (als ein mit Zwangsgewalt und einer Bürokratie ausgestattetes Gemeinwesen) die Bevölkerung mit öffentlichen Leistungen versorgt. Es fehlt eine allgemein akzeptierte Theorie des ökonomischen und politischen Staatsversagens, das Spiegelbild zur erwähnten Lehre vom Marktversagen…. Über Aktualität und Dringlichkeit solcher Forschungen braucht man bei einem Angebot an öffentlichen Gütern in Höhe des halben Sozialprodukts kaum ein Wort zu verlieren “ (Recktenwald 1980).
Eklatantes Staatsversagen evident
Die mahnenden Worte von Horst Claus Recktenwald an die Wirtschaftswissenschaft sind heute aktueller denn je. Denn die Indizienbeweise für Staatsversagen sind mittlerweile drückend hoch und der Konkurs der kollektiven Planwirtschaften des Ostens hat offensichtlich noch nicht ausgereicht, um den längst überfälligen Paradigmenwechsel innerhalb der ökonomischen Wissenschaft herbeizuführen: Lautstarkes Knirschen im finanziellen Gebälk der Renten-, Pflege- und Gesetzlichen Krankenversicherung, wuchernde Bürokratie, ausufernde Gesetzgebung und Normendickicht, Defizite bei der inneren und äußeren Sicherheit, Mängel im Bildungs- und Gesundheitswesen, Vernachlässigung der Grundlagenforschung, marode Infrastruktur und unzuverlässige Bahn bei gleichzeitig hohen Sozialausgaben, Subventionen, Abgabelasten, ein voraussichtlicher Anstieg der Schuldenquote und eine zunehmende Politikverdrossenheit der Bürger charakterisieren den Zustand unseres staatlichen Sektors.
Unser Staat ist fett geworden. Die Staatsquote liegt derzeit wieder bei rund 50 Prozent und ein weiterer Anstieg ist programmiert. Zumindest in der Epoche, in der wir leben, scheint das Wagner`sche Gesetz eines programmierten Anstiegs der Staatsquote zu gelten, was historisch nicht immer der Fall war (siehe Horst Claus Recktenwald 1985a). Man fragt sich, ob wir den Marsch in Richtung auf eine Staatsquote von 100 Prozent angetreten haben, zumal der weltweite säkulare Anstieg der staatlichen Schuldenquoten ungebrochen ist. Gleichzeitig mit der relativen Ausdehnung des Staatssektors erlahmen die Wachstumskräfte und in Deutschland stottert gar der Wirtschaftsmotor, so dass man wohl einen kausalen Zusammenhang vermuten muss. Das war zumindest in der Vergangenheit oft der Fall (Bernhard Heitger 1989)
Vom Niedergang des politischen Systems
Mit den Indizienbeweisen für Staatsversagen geht ein Niedergang der politischen Kultur einher. Demokratische Entscheidungsprozesse degenerieren verstärkt zu einer „Ein-Mann- oder Ein-Frau-Show“. Parallel dazu findet eine Ausweitung des Parteienspektrums, ein Wachstum der extremistischen Parteien und ein Farbwechsel sowie Wesenswandel der Alt-Parteien statt, zumal Koalitionsbildungen immer schwerer werden und vermehrt Kompromisse eingegangen werden müssen, die den heutigen und morgigen Steuer- und Beitragszahlern teuer zu stehen kommen. So ist im säkularen Prozess aus schwarz rot geworden. Und die sozialdemokratische Partei begeht mittlerweile Verrat an ihrer ehemaligen Wählerklientel, weil sie sich akribisch um jene kümmert, die nicht oder nicht mehr arbeiten (Peer Steinbrück, Spiegelinterview vom 2.3.2018).
Die Politik verteilt über die Köpfe der arbeitenden Bevölkerung hinweg und zu deren Lasten nach Gutsherrenart Subventionen an wenige lautstarke Günstlinge und überschüttet die alte Generation und Mütter mit sozialen Wohltaten. Wen verwundert es da noch, dass die Benachteiligten der Nation, also die arbeitenden und steuerzahlenden Bürger, in ihrem Frust der Wahlurne fernbleiben oder ins Ausland flüchten oder aus Protest zur AfD überlaufen, obwohl gerade deren Wahlprogramm der Wirtschaft gravierende Nachteile bringt (siehe Matthias Diermeiner, Knut Bergmann, Betina Zink und Natalie Päßler 2025). Derzeit sehen die belasteten Bürger offenbar keine anderen Alternativen, um sich gegen politische Raubzüge seitens der „Altparteien“ zu wehren. Ihre Lage ist „alternativlos“ (Angela Merkel). Man wirft ihnen dann auch noch antidemokratische Gesinnung, Vernachlässigung ihrer Wahlpflichten und fehlende nationale Verantwortlichkeit vor und appelliert mit erhobenem Zeigefinger an ihr Gewissen.
Arroganz der Macht
Fakt ist, dass die verantwortlichen Politiker auf die Interessen breiter Bevölkerungsschichten wenig Rücksicht nehmen. Man muss vielen unter ihnen vielmehr Immunität gegenüber Expertenrat, „Anmassung von Wissen“(Hayek) oder „Arroganz der Macht“ attestieren. Wenn sie auf jemanden hören und sich von jemanden lenken lassen, dann sind es ein engerer Zirkel an Lobbyisten, Verbandsfunktionären und Meinungsmachern oder die Rentnergeneration und nicht die breite Masse der erwerbstätigen Bevölkerung. Der Korporativismus und das Kartell der Mächtigen und Einflussreichen in Deutschland lassen grüßen. Von Markt- und Wettbewerbswirtschaft, die in der Nachkriegszeit – zusammen mit der dazu komplementären und notwendigen staatlichen Ordnungspolitik – ein „deutsches Wirtschaftswunder“ erzeugt hat, ist heute nicht mehr viel übrig geblieben, weil der Staat laufend Sand ins Getriebe der Wirtschaft streut und Privatleuten Gier, Unmoral und mangelnde Weitsicht unterstellt, während er sich selbst zum monopolitischen Gralshüter des Gemeinwohls erklärt. Und es verwundert angesichts der Dominanz von elitären „Bestimmern“, Etablierten und organisierten Gerechtigkeitspredigern nicht, dass die von ihnen stark geprägte reale Wirtschaft und ihre Verteilungsergebnisse bei vielen Zeitgenossen einen so schlechten Ruf haben.
Das irdische Diktat der Knappheit impliziert Schranken
Ein Ewigkeitsproblem der Menschheit besteht darin, dass die Wünsche der Menschen stets größer sind als die zu ihrer Realisierung verfügbaren Mittel. Während die Ressourcen beschränkt sind, sind der Phantasie der Menschen nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Die Ökonomie lehrt, wie der frei auf Märkten agierende wirtschaftende Mensch trotz oder wegen der Schranken für sein Handeln das Beste daraus macht, wie er also die Knappheitsbarriere möglichst gut überwindet. Schranken sorgen gewissermaßen dafür, dass der Mensch rational handelt und dass es aufwärts geht. Die Kreativität, der Fleiß und der Konsumaufschub der Menschen sind kausal dafür, dass die Knappheitsbarrieren übersprungen, also die natürlichen Schranken hinausgeschoben werden. So kommt es zu Fortschritt und das Wohlfahrtsniveau nimmt zu. Die eigentliche Triebkraft ist das Eigeninteresse des auf Märkten frei agierenden Menschen, der nach Horst Claus Recktenwald bestrebt ist, a) seine Existenz zu sichern, b) seine Wohlfahrt zu steigern und c) seine Stellung und Anerkennung in der Gesellschaft zu verbessern.
Schranken oder constraints oder Grenzen spielen nicht nur bei der Produktion und dem Konsum von Gütern eine Rolle. Auch Personen, Institutionen oder Systeme müssen Kontrollmechanismen unterworfen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass sie entarten. So muss etwa verhindert werden, dass Menschen ihren Mitmenschen Schaden zufügen oder dass Institutionen ihre Kompetenzen überschreiten. Nicht nur Staatswirtschaften und politische Systeme können entarten, wie wir oben festgestellt haben, sondern auch die Marktwirtschaft, wenn zu viel Macht und zu wenig Kontrolle herrscht und die Akteure nicht diszipliniert werden. Eine funktionierende Marktwirtschaft braucht den Staat, und zwar einen, der als unabhängiger Schiedsrichter dafür sorgt, dass sich auf Märkten und im Privatleben nicht eine unkontrollierte Macht ausbreitet.
An Marktmängeln ist nicht der Markt schuld
Der reale Markt hat nicht umsonst bei vielen Zeitgenossen einen schlechten Ruf, weil er weniger gut funktioniert als dies die Marktpreistheorie unter Wettbewerbsbedingungen und bei vollständig abgegrenzten Eigentumsrechten nahelegt. In diesem theoretischen System wird das Pareto-optimum erreicht, wie die Ökonomen Kenneth Arrow und Gerard Debreu im Jahr 1954 in ihrer Nobelpreisarbeit nachgewiesen haben. Anders ist das auf realen Märkten, wo nicht alles Gold ist was glänzt. Die hohe Vermögenskonzentration in den Händen weniger, die aufgrund von Marktmacht auch astronomisch hohe Einkommen erzielen wie etwa Jeff Bezos, Bill Gates, Marc Zuckerberg, George Soros oder Mukesh Ambani, stimmt in der Tat bedenklich. Man fragt sich, wie gerecht der Markt ist, wenn breite Massen an Menschen kaum Ersparnisse bilden und akkumulieren können, während andere in Luxus schwelgen, durch Protzkonsum und Prunkhochzeiten oder mehrtägige Verlobungszeremonien auffallen und sich ein großer Teil des Weltvermögens in den Händen von wenigen Oligarchen befindet. Angesichts des Reichtums von äußerst dubiosen Unternehmerfiguren wie Elon Musk und Donald Trump muss man sogar fragen, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist und geht.
Doch: Es ist Aufgabe des Staates, private Macht einzudämmen und Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen. Wenn es an diesbezüglichen Schranken mangelt, wenn es Quasi-Monopole wie etwa bestimmte Online-Händler und Social Media Plattformen oder wenn es allgemein zu wenig Wettbewerb gibt, dann liegt das vordergründig zu beobachtende Marktversagen oder Gerechtigkeitsdefizit also letztlich am Versagen des Staates. Dabei sind nicht nur Unterlassungssünden zu diagnostizieren, sondern sogar aktives Klüngeln zwischen Staats“dienern“ und schwarzen Markt-Schafen. Die Justizskandale um Unternehmer und ehemalige Politiker zeigen, wie eng die Verwicklungen und Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik sein können. Und dass sich hierzulande lautstarke Lobbyisten gegen die Masse der Steuerzahler verbünden können, spricht auch für sich.
Es muss in diesem Kontext darauf verwiesen werden, dass die ungleiche Vermögensverteilung durch die lange betriebene expansive Geldpolitik der EZB und den dadurch ausgelösten Cantillon-Effekt verstärkt worden ist. (Thomas Mayer 2014): Dieser Effekt geht auf den französisch-irischen Ökonomen Richard Cantillion (1680 – 1734) zurück. Nach Cantillon verteilt sich eine Erhöhung der (Giral-)Geldmenge (Nettokreditvergabe) nicht gleichmäßig auf die wirtschaftlichen Akteure. Das frische Geld fließt zuerst in den Banksektor, staatsnahe Firmen und politisch begünstigte Unternehmen. Andere Sektoren der Volkswirtschaft und Privatpersonen können erst mit stärkerer Verzögerung neue Kredite aufnehmen. Die erst genannten Marktteilnehmer können billig Anlageobjekte kaufen, bevor sich die gestiegene Geldmenge voll auf die Preise auswirkt. Jene, die gar nicht oder nur unterproportional von der Geldschöpfung profitieren, weil sie kein Vermögen haben oder nur einen Sparstrumpf unter dem Kopfkissen und Lebensversicherungen etc., sind die Verlierer. Sie müssen höhere Preise vor allem für Lebensmittel, Energie und Wohnen zahlen, ohne dass sie (nennenswerte) Wertsteigerungen für sich verbuchen können. Wenn die Transfers und Löhne schwächer steigen als die Preise, erleiden diese Bürger reale Verluste.
Doch damit nicht genug der Wirkungen: Durch eine Politik des billigen Geldes und der Schuldenblasen werden ferner Kredithaie und Glücksritter auf den Plan gerufen. Es werden also fragwürdige Unternehmertypen und ihre Zombieunternehmen (siehe dazu David Herok und Gunther Schnabl 2018) angelockt. Sie tummeln sich auf realen Märkten, obwohl sie auf einem politisch unverfälschten Markt, der sich bei stabilitätsorientierter Geldversorgung einstellen würde, nichts zu suchen haben. Freilich ist hier neben Staatsversagen ein Defizit an Ethik und somit ein Erziehungsversagen zu diagnostizieren.
Auch bei den Umweltschäden, die immer dem Markt in die Schuhe geschoben werden, wird in der Diskussion die Täter-Opfer-Rolle verdreht. Hier liegen die wahren Ursachen darin, dass es der Staat versäumt hat, den Bürgern Eigentumsrechte an der Umwelt einzuräumen und die Schädiger entsprechend zur Kasse zu bitten. Die Einräumung von Eigentumsrechten ist eine klassische Aufgabe des Staates. In Deutschland sind die Potentiale für eine umfassende CO2 Bepreisung, wie sie der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium in einem Gutachten im Jahr 2023 als bessere Alternative zu den ausufernden Umweltsubventionen vorgeschlagen hat, längst nicht ausgeschöpft.
Auch wird dem Markt vorgeworfen, dass er zu plattem Materialismus verführt und eine sozialethisch und kulturell minderwertige Güterpalette hervorbringt. Es mag zwar sein, dass in einer Marktwirtschaft viele Dinge produziert werden, die aus der Sicht der Gebildeten unter den Zeitgenossen oder eines griechischen Philosophen unsinnig, kitschig oder vulgär sind. Doch liegt das am Geschmack der breiten Bevölkerung und nicht am marktwirtschaftlichen System. Wenn man dieses kritisiert, ist das im Grunde nichts anderes, als wenn man die Ober im Restaurant für die eigene Fettleibigkeit tadeln wollte (George J. Stigler 1962). Ob der Staat mit Kultursubventionen gegen den Massengeschmack ankommt, ist fraglich.
Harmonie zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl im privaten Sektor
Im privaten Sektor gibt es ein wirksames Kontrollsystem, das dazu führt, dass der einzelne automatisch dem Gemeinwohl dient, wenn er seine eigenen Interessen verfolgt, sofern der Staat seine Pflichten erfüllt. Das hat der Smith-Interpret Horst Claus Recktenwald aus der Analyse des „Wohlstand der Nationen“ und der „Theorie der ethischen Gefühle“ von Adam Smith, die man als eine Einheit sehen muss, klar herausgefiltert (Horst Claus Recktenwald 1985). Die Autorin hat in ihrem Blog-Beitrag „Eigeninteresse und Gemeinwohl. Adam Smith`s vier Schranken für das Individuum im privaten Sektor der Wirtschaft“ ausführlich gezeigt, wie a) das Mitgefühl, b) freiwillige Regeln, c) positive Gesetze und d) Konkurrenz disziplinierend wirken, so dass sich eine ausführliche Darstellung hier erübrigt.
Der Staat als natürlicher Macht-Monopolist
Im klassischen Ordnungsmodell von Adam Smith ist der Staat ein wichtiger Mitspieler in einem dreigeteilten Gesamtsystem, das sich aus Markt, Staat und Ethik zusammensetzt (Recktenwald 1985, Rosenschon 2024a und b). Es handelt sich dabei um natürliche, miteinander harmonierende und sich gegenseitig bedingende und befruchtende Komplementaritäten oder Subsysteme im Rahmen einer höheren Funktionseinheit.
„Anarchokapitalismus“ à la Murray Rothbard (1962/2001) und Javier Milei lehnt Adam Smith ab. Der Staat muss nach ihm Macht besitzen, um Regeln zu setzen und wirksam strafen zu können. Die Rolle des neutralen und unbestechlichen Schiedsrichters, Regelsetzers, Bereitstellers des nötigen ordnungspolitischen Rahmens und Beschützers vor inneren und äußeren Gefahren ist nach Adam Smith am besten in den Händen des Staates aufgehoben. Oder sollten Organisationen wie die Mafia oder private Milizen das Sagen haben? Entsprechen private Lynchjustiz und „Ehrenmorde“ tatsächlich dem höchsten Gerechtigkeitsideal? Der zweite „player“ in Smith´s dreigeteiltem Ordnungsmodell ist der Markt, dem die Aufgabe der optimalen Versorgung der Bürger mit privaten Gütern zukommt. Um Kriminalität zu minimieren und für Sozialharmonie zu sorgen, muss sich drittens die zur dualen Wirtschaft komplementäre Ethik hinzugesellen. Adam Smith war religiös und glaubte an die segensreiche Wirkung einer Unsichtbaren Hand, die alle Abläufe im Universum steuert. Die Smith´sche „Trilogie“ (Horst Claus Recktenwald) fußt also auf der Idee einer Arbeitsteilung, die sich aus den komparativen Kostenvorteilen von Ricardo herleiten lässt (David Ricardo 1817).
Demokratische Kontrollmechanismen für den Staat wichtig, aber nicht ausreichend
Prägend für unsere Demokratie sind a) Grundrechte als wesentliche Rechte, die Mitgliedern der Gesellschaft gegenüber Staaten als beständig, dauerhaft und einklagbar garantiert werden und die auch vor Zugriffen anderer Mitbürger schützen sollen, b) freie Meinungsäußerung samt Pressefreiheit, c) Eigentumsschutz, d) Aufteilung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung auf voneinander unabhängige Organe (Gewaltenteilung), e) allgemeine, freie und geheime Wahlen, f) Mehrheitsherrschaft und g) Minderheitenschutz.
Diese Grundpfeiler eines demokratischen Systems sind äußerst wichtig, um vor Willkür seitens des Staates und der Mitbürger zu schützen und freie Entfaltung von Individuen zu gewährleisten. Sie reichen jedoch nicht aus, um für Effizienz in der Staatswirtschaft zu sorgen und den Staat dazu zu zwingen, sorgsam mit knappen Hilfsquellen umzugehen.
Hypertrophierte Nachfrage, übersteigertes Angebot, überhöhte Kosten
Anders als am Markt, wo beim Kauf eines Gutes das Ausschlussprinzip über Preise gilt, und das Gut dann einer Person gehört, wird in der Staatswirtschaft kollektiv über ganze Güterbündel oder Programmpakete mit mehr oder weniger großem Nutzenradius abgestimmt. Dabei wird der Anschein erweckt, dass die Angebote kostenlos zu haben sind. Die politischen Anbieter müssen nicht Rechenschaft über die Herkunft der Mittel ablegen. Der finanzwirtschaftliche Grundsatz der Nonaffektation verbietet sogar die Zweckbindung von Steuern, um die Flexibilität bei politischen Entscheidungen zu sichern. Weil die Mittelherkunft unbekannt ist oder verschwiegen werden kann, neigt der politische Sektor inhärent zu einer Übernachfrage, die von einem entsprechenden Überangebot begleitet wird. Denn es wird die Illusion von einem Nulltarif, einer Geschenkwirtschaft und einem staatlichen Paradies erzeugt, in der/dem allenfalls „die anderen“ oder „die Reichen“ zahlen. Preissignale als deus-ex-machina bei der bestmöglichen Knappheitsbewältigung, wie sie für das Marktsystem typisch sind, fehlen in der Staatswirtschaft.
Auch bei den um die Wähler konkurrierenden Polit-Anbietern und bei den Budgetverhandlungen der gewählten Regierungen sind die Weichen in Richtung auf eine Ausgabenflut gestellt. Denn im Politikgeschäft sind die omnipotenten Förderer und Magnaten in der Überzahl, die sich bei den Wählern durch Geldgeschenke wie Sozialausgaben und Subventionen beliebt machen wollen, während die Rolle des Sparkommissars auf den Finanzminister beschränkt ist. Dieser ist der Buhmann und wird im Extrem seines Amtes enthoben, wenn er die Geldschleusen nicht öffnet. Die Haushaltsverhandlungen sind ein konzertiertes Hochpokern einzelner Ministerien um Forderungen und Förderungen. Dies ist auch im Interesse der angegliederten Bürokratien, deren Macht und Ansehen mit der Höhe des von ihnen verwalteten Budgets steigt (William A. Niskanen 1971).
Ferner ist dort, wo der Staat nicht nur als Anbieter, sondern auch als Produzent auftritt, mit Verschwendung in Form überhöhter Kosten zu rechnen, etwa bei der Landesverteidigung. Da eine Monopolsituation besteht und auch die kameralistischen Rechnungsgrundlagen unzureichend für rationale Entscheidungen sind, kann ökonomischer Schlendrian einziehen. Der amerikanische Ökonom hat für diese Art der Ressourcenvergeudung den Begriff der X-Ineffizienz geprägt (Harvey Leibenstein 1966)
Alles in allem liegt auf der Hand, dass im öffentlichen Sektor fremdes Geld leichtfertig verausgabt wird und dass es an der nötigen Sorgfalt und an Wirtschaftlichkeitsprüfungen fehlt (Näheres bei Horst Claus Recktenwald 1983). Zwar gibt es die Institution des Bundesrechnungshofes. Doch lehrt die Erfahrung, dass die Politik dessen Mahnungen wenig beachtet.
Der Staat braucht Schranken, die für Wirtschaftlichkeit sorgen
Wie wir gesehen haben, sorgt der Wahlmechanismus nicht für Effizienz, die in einer Welt der Knappheit aber unabdingbar ist. Deshalb müssen unsere verantwortlichen Politiker erkennen, dass angesichts der in Krisenzeiten zunehmenden Verwendungskonkurrenz um knappe Mittel, der wachsenden Finanzklemme in den öffentlichen Kassen und des stotternden Wirtschaftsmotors Selbstbeschränkung des Staates auf breiter Front geboten ist. Der Staat muss sich jetzt selbst Schranken auferlegen und seinen Ausgabeappetit zügeln.
Was ist zu tun, damit die Ausübung von Macht nicht aus dem Ruder läuft und sich Deutschlands Talfahrt beschleunigt? Erforderlich ist jetzt ein kräftiger Tritt auf die Ausgabenbremse und eine langfristige Rückführung des überhöhten Ausgabeniveaus auf einen Konvergenzwert, bis zu dem ein positiver Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Steuern und Staatsausgaben empirisch nachweisbar ist (siehe Heitger 1989) – freilich ohne Verteidigungsausgaben gerechnet. Nach Bernd Heitger erreicht der Beitrag zum Wirtschaftswachstum bei einem Steuer- und Staatsausgabenanteil von rund 25 vH. sein Maximum. Höhere Anteile führen zu abnehmenden Wachstumsimpulsen und schließlich sogar zu Wachstumsverlusten, wie wir sie heute sicher haben.
Angesagt sind jetzt verbindliche und nachhaltige Reformprogramme und Regelbindungen wie die (mittlerweile aufgeweichte) Schuldenbremse. Darüber hinaus bieten sich an: a) wie schon gesagt eine Staatsquotenbremse bzw. ein Staatsquotensenkungsprogramm, versehen mit einer Notfallklausel b) ein Ministerial-Soli, (siehe dazu Astrid Rosenschon 2025), c), ein kombiniertes Subventionsabbau- und Steuersenkungsprogramm (siehe etwa Alfred Boss und Astrid Rosenschon 2011), d) ein Bürokratieabbauprogramm, e) eine echte Föderalismusreform nach dem Verbundprinzip (Horst Claus Recktenwald 1983), bei der Nutzer-, Zahler- und Entscheider-Kollektive deckungsgleich werden , f) ein Verbot für den Staat, zu diskriminieren und zu bevorzugen, sei es nun normativ oder finanzpolitisch, und g) ein Gebot für Politiker, jeden neuen Ausgabewunsch mit einer Auskunft über die Mittelherkunft verknüpfen zu müssen. Es ist Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft, die Politik hierbei zu unterstützen und detaillierte Reformkonzepte vorzulegen.
Fazit: Das Staatsversagen ist erheblich. Wenn Marktmängel zu diagnostizieren sind, hat meist der Staat seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht.
LITERATUR
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- Gastbeitrag
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