Genossenschaftlicher MemberValue als sympathischer ShareholderValue

Über 600 neue Genossenschaften wurden in den vergangenen drei Jahren in Deutschland gegründet, eine bemerkenswerte Entwicklung nach vielen Jahren einer kontinuierlichen Abnahme der Anzahl bestehender Genossenschaften. Was unterscheidet eigentlich den ShareholderValue von Genossenschaften, ihr Wert für die Eigentümer, von jenem für börsennotierte Aktiengesellschaften?

Genossenschaftliche Gründungen

Zahlreiche Neugründungen fanden nicht in den traditionell genossenschaftlich organisierten Branchen statt, wie dem Wohnungswesen, der Finanzwirtschaft, dem Handel sowie der Landwirtschaft. Eine Klammer besteht vielmehr darin, dass es sich um expandierende und zukunftsorientierte Wirtschaftssektoren handelt. Genossenschaften werden heute in der Energiewirtschaft, der Gesundheitswirtschaft, für IT und Technologieprojekte, für die Produktion unternehmensnaher und persönlicher Dienstleistungen, für Aktivitäten von Freiberuflern, aber auch im Handwerk und zur Erfüllung ehemals kommunal oder staatlich organisierter Aufgaben gegründet. Es ist also zu einer stärkeren Ausdifferenzierung der genossenschaftlichen Ökonomie gekommen.

Gemeinsame Organisation von Wertschöpfungsketten

Für Genossenschaften entscheiden sich Gründer heute, um neue Märkte und Wertschöpfungsketten zu organisieren und zu strukturieren. Dies gilt vor allem in Bereichen, aus denen sich der Staat, oft die Kommunen, zurückzieht und die neu zu organisieren sind (z. B. Infrastruktur, Entsorgung, Postdienste, Sport- und Freizeiteinrichtungen) sowie für völlig neue Problemlösungen, wie z. B. die Organisation und Verwaltung von Internet-Adressen durch Provider.

Zweitens geht es um die Organisation und Abwicklung von Projekten, die wirtschaftliche Größe und den Zugang zu komplementären Kernkompetenzen erfordern. Wenn Unternehmen dabei ihre Selbständigkeit sowie Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten keinesfalls zur Disposition stellen, jedoch Zugang zu größeren und komplexeren Projektaufträgen bekommen wollen, bietet sich die genossenschaftliche Kooperation an. Beispiele dafür sind Handwerker- oder Beratergenossenschaften. So wurde kürzlich in Hannover eine neue Kommunikationsgenossenschaft gegründet und im Rahmen eines StartUp-Impuls-Wettbewerbes ausgezeichnet. Ihre Zielsetzung besteht darin, ihren Kunden umfassende und konsistente Kommunikationskonzepte aus einer Hand anzubieten, die diesen eine stimmige Corporate Identity ermöglicht. Die Eigentümer der Genossenschaft sind Unternehmen, die sich auf einzelne – für die Aufgabenstellung komplementäre – Dienstleistungen spezialisiert haben, z. B. Corporate Design, Webentwicklung, Film, Interior Design, Marketing, Public Relations, Eventmanagement, Coaching, Persönlichkeitsentwicklung etc.

Kooperatives Outsourcing

Drittens bewerkstelligen Genossenschaften die Auslagerung und gemeinsame Organisation von Dienstleistungen und Produkten im Sinne eines kooperativen Outsourcings. Dabei kann es um den Einkauf oder die Vermarktung von Produkten, den Aufbau einer Marke, die Organisation von Beratungs- und Ausbildungsdienstleistungen, die Interessenvertretung in der Politik, aber auch die Entwicklung und Erstellung von IT-Dienstleistungen gehen. So sind in den vergangenen Jahren zahlreiche IT-Genossenschaften entstanden. Es geht aber auch um Aktivitäten in anderen Bereichen. So ist in Berlin seit 2007 die Berlin Music Commission eG tätig, die für ihre Eigentümer – u.a. Veranstalter, Tonträgerunternehmen, Musikverlage, Agenturen, Softwarehersteller – ein umfangreiches Bündel an Leistungen anbietet, die sich bei weitem nicht in der Organisation von Musikevents erschöpft. Eine wichtige Zielsetzung besteht vielmehr darin, die Musik aus Berlin als Marke effektiv nach außen zu positionieren.

Vertrauensgüter

Viertens werden Genossenschaften gegründet, um die Produktion von Vertrauensgütern und wissensbasierten Leistungen zu organisieren. In diesen Bereich sind Genossenschaften einzuordnen, die Gesundheits- und Pflegedienstleistungen sowie Aus- und Weiterbildungsangebote organisieren. Auch die genossenschaftliche Institutionalisierung integrierter Versorgungsnetzwerke, die zunehmend Bedeutung in der Gesundheitswirtschaft gewinnen, ist hier zu nennen.

Fünftens hat sich herausgestellt, dass genossenschaftliche Kooperationen vereinbart werden, um Unabhängigkeit von dominanten Anbietern zu erzielen, um mehr Transparenz über Konditionen und Wertschöpfungsprozesse zu erhalten sowie um Kontrollmöglichkeiten zu gewinnen oder zu erhalten. Als Beispiele dafür können viele der neu gegründeten Genossenschaften zur Energieerzeugung und -versorgung angeführt werden, z. B. Bioenergie- oder Photovoltaikgenossenschaften. Sechstens sind Gründungen zu nennen, die das Fehlen eines lokalen Angebots kompensieren sollen, z. B. in der Nahversorgung. So sind in den vergangenen Jahren mehrere genossenschaftlich organisierte Dorfläden entstanden. In diese Kategorie fallen auch Genossenschaftsgründungen, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von mittelständischen Unternehmen oder einzelnen Teilen davon durch Mitarbeiter oder Manager erfolgen.

Genossenschaftliche Governance

Die Aufgabe dieses Beitrags besteht nicht darin, alle Elemente der genossenschaftlichen Governance aufzuzeigen und Vergleiche mit anderen Unternehmens- und Kooperationsformen anzustellen. Es geht vielmehr darum, die Besonderheit der strategischen Orientierung herauszuarbeiten, die ein wesentliches Governancemerkmal darstellt. Weshalb gründen Unternehmen, manche von ihnen Einzelunternehmen, oder Personen Genossenschaften? Was haben sie davon? Was steht hinter dem gesetzlich normierten Zweck von Genossenschaften, ihre Mitglieder zu fördern? Dies ist die Frage nach dem MemberValue, dem Wert der Genossenschaft für ihre Eigentümer, also einem ShareholderValue.

Genossenschaftlicher MemberValue

Eine Genossenschaft ist das gemeinsame Unternehmen ihrer Mitglieder/Eigentümer, also ein Joint Venture mit genau definiertem Geschäftszweck. Die Besonderheit besteht darin, dass die Eigentümer auch die Kunden oder Lieferanten der Genossenschaft sind. Dies gilt es zu betonen. Nicht ein Investment von Eigentümern steht im Vordergrund, sonder eine Leistungsbeziehung. Entscheidungen und Aktivitäten der Genossenschaft haben daran ausgerichtet zu werden, ob sie Werte für ihre Eigentümer schaffen. Solche Werte entstehen über mehrere Kanäle.

Leistungen, Dividenden, Investitionen

Erstens und im Kern bilden sich Werte für die Mitglieder aus den Leistungsbeziehungen mit der Genossenschaft heraus, die einen gesicherten Bezug, wettbewerbsfähige Konditionen und festgelegte Qualitätsstandards enthalten. Die gemeinsame Organisation dieser Leistungen ist sowohl der eigenen Produktion als auch Markttransaktionen überlegen. Diese Kooperationsvorteile bringt der „unmittelbare MemberValue“ zum Ausdruck. Zweitens entstehen Werte für die Mitglieder aus ihrer Eigentümer- und Unternehmerfunktion. Diese entsprechen vor allem der Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals, können also als Rendite interpretiert werden. Spürbar werden sie vor allem über Dividenden, aber auch durch die Nutzung von Entscheidungs- und Verfügungsrechten. Es handelt sich dabei um den „mittelbaren MemberValue“. Drittens entstehen Werte aus Investitionen, die zukünftige Kooperationsrenten sicherstellen sollen. Dies sind etwa Rücklagen für Modernisierungsinvestitionen oder für Markterschließungen. Dazu zählt aber auch der Aufbau von Sozialkapital sowie Qualitätsverbesserungen von Humankapital. Die Klammer für den „nachhaltigen MemberValue“ sind Investitionen in Infrastrukturen, Strategien und Prozesse. Er kann daher als Optionsnutzen der genossenschaftlichen Zusammenarbeit verstanden werden.

Rendite: Nur ein Element

Die drei Wertkomponenten ergeben insgesamt den genossen-schaftlichen Eigentümerwert, also den genossenschaftlichen ShareholderValue. Die Verwendung seiner Komponenten ist in statischer und dynamischer Hinsicht interdependent. Es kann also von den Mitgliedern nicht mehr in Anspruch genommen werden als gemeinsam erwirtschaftet wurde. Werden die Wertkomponenten etwa mit jenen bei börsennotierten Aktiengesellschaften verglichen, steht bei diesen der mittelbare Wert (Dividende, Rendite) im Vordergrund, während der unmittelbare Wert, der aus der Leistungsbeziehung stammt, und der nachhaltige Wert, der mit den Investitionen korrespondiert, nur insofern Bedeutung gewinnen, als sie die Rendite beeinflussen. In kurzfristiger Hinsicht ist die Wirkungsrichtung meist eine negative. Die grundlegend unterschiedliche Bedeutung bringt die Leistungsbeziehung in der Genossenschaft und die Kapitalbeziehung in der Aktiengesellschaft zum Ausdruck.

Langfristige Orientierung

Die genossenschaftliche MemberValue-Orientierung entspricht einer ShareholderValue-Strategie, also einer Eigentümerorientierung, unterliegt jedoch nicht deren Gefahren einer Kurzfristigkeit und Kurzsichtigkeit. Dies gelingt, weil Genossenschaftsanteile nicht auf dem Finanzmarkt gehandelt werden. So werden Überreaktionen, verzerrte Bewertungen, Informationsasymmetrien und eine kurzfristige Orientierung auf dem Markt für Eigenkapital nicht in die unternehmerischen Entscheidungen übertragen. Vor diesem Hintergrund kann der genossenschaftliche MemberValue als ein „sympathischer ShareholderValue“ eingeschätzt werden. Allerdings steht der Finanzmarkt auch nicht für die Beschaffung von Eigenkapital zur Verfügung, was häufig als Schwäche von Genossenschaften eingeschätzt wird.

Diese Einschätzung gilt es hingegen ebenso zu relativieren wie die wohlfeile Behauptung, dass sich Genossenschaften und ihre Vorstände strukturell einer Disziplinierung durch Marktkräfte entziehen könnten. Immer dann wenn die Gewinne nicht ausreichen und die Mitglieder nicht in der Lage oder nicht willens sind, ausreichend Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, ist auch für Genossenschaften die Finanzierungsfrage zu stellen. Selbstverständlich bewerten auch Fremdkapitalgeber, etwa die Banken, die Unternehmensperformance, worin ein Disziplinierungsmechanismus besteht. Zusätzlich erfolgt eine Disziplinierung über den Wettbewerb mit ShareholderValue-orientierten Unternehmen auf den Beschaffungs-, Absatz- und Arbeitsmärkten.

Perspektiven

Die Orientierung genossenschaftlicher Unternehmen am MemberValue ermöglicht also die Verfolgung langfristiger Unternehmensstrategien und nachhaltiger Konzepte. Die Disziplinierung des Managements erfolgt durch eine spezielle Eigentümerkontrolle. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die Eigentümer in ihren Entscheidungen primär an den Leistungen des gemeinsamen Unternehmens interessiert sind und nicht isoliert an der Rendite, die den Ertrag eines Investments zum Ausdruck bringt. Dazu kommt, dass sich der wirtschaftliche Erfolg bei den Nutzern und nicht bei anonymen Investoren niederschlägt. Es mag damit zusammen hängen, dass gerade in und nach der Finanzmarktkrise das Interesse von Unternehmen und Unternehmensgründern an Genossenschaften stark angestiegen ist. Das Interesse ist ungebrochen und zeigt deutlich ansteigende Tendenz.

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