Die Macht des Geldes?

Über die Macht des Geldes wird viel gesprochen. Weniger klar ist, was mit den vielen Worten gesagt wird. Denn bereits der Ausdruck „Macht des Geldes“ lässt vielerlei (Be-)Deutungen zu. Im Weiteren werde ich auf der Basis von einem weiten und einem engen Machbegriff zwei Deutungen des Slogans von der “Macht des Geldes“ vorschlagen und diskutieren.

1. Macht

Zum einen besteht Macht generell in dem Potential, beliebige eigene Ziele erreichen zu können, zum anderen darin, zur Erreichung eigener Ziele die Zielerreichung anderer einzuschränken. Im ersten Fall könnte man von “Macht zu“, im zweiten von “Macht über“ sprechen. Beim Ersten handelt es sich darum, ganz allgemein etwas in der Zukunft verwirklichen zu können, beim Zweiten darum, etwas durch Ausübung von Zwang auf andere realisieren zu können. Der erste Begriff ist allgemeiner, der zweite Begriff spezieller.

Es ist für jeden von uns erstrebenswert, das Potential zu besitzen, etwas in der Zukunft erreichen zu können. Macht im ersten Sinne muss von dem, der sie besitzt, daher grundsätzlich als etwas „gutes“ und erstrebenswertes angesehen werden. Wenn die Mittel zur Erreichung des Zieles allerdings die Anwendung von Macht im zweiten Sinne beinhalten, kann dies zu einer anderen Bewertung führen – insbesondere durch andere Personen als den Machtbesitzer. Denn der Zweck heiligt natürlich nicht jegliche Anwendung von „Macht über“ andere. Das gilt vor allem dann, wenn Geld und Politik ihre Macht verbinden.

2. Geld

Soweit Geld dazu benutzt werden kann, Macht in dem zweiten hier angedeuteten Sinne auszuüben, ist es mit Misstrauen zu betrachten. Vor allem dann, wenn sich „Geld“ (jene, die über Geld verfügen) Zugang zu politischer Macht verschaffen will, müssen wir ihm dann im Rechtsstaat mit dem gleichen Misstrauen wie allen Arten von politischer Macht begegnen.

Solange Geld von anderen natürlichen oder juristischen Personen – “Zug um Zug, Ware gegen Geld“ – entgegengenommen und gegen Waren oder Dienste freiwillig eingetauscht wird, ist es das bevorzugte Mittel, „Macht zu“ ohne „Macht über“ auszuüben. Geld verleiht dem Geber Macht nur, weil es dem Empfänger das Potential verleiht, selber Macht auszuüben usw.

Jeder, der den vorangehenden Mechanismus verstanden hat, wird dazu neigen, den endemischen Unfug der Verteufelung der Geldwirtschaft und des Tausches abzulehnen. Der Beißreflex gegen die Geldwirtschaft, der viele Religionen – einschließlich der marxistischen Säkular-Religion – kennzeichnet, ist vollkommen unberechtigt. So wie der Markt – insbesondere auch nach richtiger Auffassung der deutschen Ordnungstheorie – das größte Entmachtungsinstrument (hinsichtlich der Macht über andere) überhaupt darstellt, so bildet das Geld das größte Ermächtigungsinstrument (im Sinne der Macht zu) auf Märkten.

Beides die Entmachtung wie die Ermächtigung stehen allerdings unter der Voraussetzung, dass es eine funktionierende Konkurrenz auf Märkten gibt. Das ist typischerweise der Fall, solange nicht der Staat mit seiner Zwangsgewalt eingreift, um bestimmte Marktparteien gegenüber anderen zu bevorzugen. Die Macht des Geldes im ersten Sinne verliert allerdings ihre Unschuld, wenn sie sich in Macht im zweiten Sinne verwandelt.

3. „Geldmacht“ und politische Macht

In der Geldwirtschaft ist auch die „Ware Arbeitskraft“ der monetären Bewertung durch andere zugänglich. „(D)ie Geltung oder der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis. … Und wie bei anderen Dingen, so bestimmt auch bei den Menschen nicht der Verkäufer den Preis, sondern der Käufer. Denn mag jemand, wie es die meisten Leute tun, sich selbst den höchsten Wert beimessen, so ist doch sein wahrer Wert nicht höher, als er von den anderen geschätzt wird“ (vgl. Hobbes, Thomas, Leviathan, Ullstein/Suhrkamp-Ausgabe, 1976, § 10, 67).

Vielen erscheint Hobbes als Zyniker. Doch es ist keineswegs weit hergeholt, dass die wirtschaftlichen Erfolge der letzten 30 Jahre insbesondere in Schwellenländern auch auf die Deregulierung von Arbeitsmärkten zurückgehen. In den entwickelten Ländern muss man die Bereitschaft, die Arbeit auch der Preisbewertung zu unterwerfen, erkauft werden. Da offene Zahlungen in der Regel weit weniger Schaden anrichten als versteckte, die durch Regulierungen erfolgen, ist es vielleicht kein Zufall, dass gerade jene Staaten, die am besten in Indizes zur Messung der ökonomischen Freiheit abschneiden, typischerweise auch von ziemlich hohen Transfers gekennzeichnet sind.

Selbst die vereinigten Staaten von Amerika, in denen es ja vorgeblich keinen Wohlfahrtsstaat gibt, kennen große Transferzahlungen im Bereich der Kranken- und Rentenversicherung etwa für die älteren Gesellschaftsglieder. Länder wie Schweden sind vermutlich noch bessere Beispiele für das angesprochene Phänomen, weil sie ziemlich unregulierte Märkte mit hohen Transfersummen für die Bürger verbinden. Es ist eines der Ziele des schwedischen Wohlfahrtsstaates, den einzelnen Bürger durch Transfers in die Lage zu versetzen, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Die in Deutschland in den letzten Jahren so populären Vorstellungen von einem unbedingten Grundeinkommen gehen in die gleiche Richtung. Ohne an dieser Stelle für diese Arten von Sozialpolitik einzutreten oder deren Kosten im einzelnen zu bestimmen, kann man festhalten, dass die unbedingten Geldtransfers vielen von uns als so anziehend erscheinen, weil sie eine Bevormundung des Empfängers aus- und zugleich dessen Ermächtigung zur Teilnahme am Wirtschaftsverkehr durch Geldmittel einschließen. Derjenige, der über ein Mindestmaß an Geld verfügt, hat die Macht, seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Ob ein solches System nicht auch eine Abhängigkeitskultur bei den Empfängern induziert und sie damit zunehmend unfähig machen könnte, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen, ist eine interessante Frage. Es scheint, dass die Abhängigkeitskultur womöglich dadurch entsteht, dass man seine eigene Arbeitskraft der Preisbewertung durch andere nicht mehr unterwerfen bzw. kein gesuchter Anbieter von Arbeitsleistungen mehr sein muss. Salopp gesprochen: Wenn die Macht des Geldes jemanden zwingt, seinen Hintern von der Couch zu rollen, kann das womöglich für den Betroffenen und auch für seinen Hintern gute Konsequenzen haben. Zugleich ist ein garantiertes Geldeinkommen gewiss der Unabhängigkeit des einzelnen Individuums von Zwängen förderlich. Es verleiht ihm die Macht, seine Minimalziele zu erreichen, ohne sich der Bewertung durch andere zu unterwerfen.

4. Die Macht der Banken und des Großkapitals

Diejenigen, die von der „Macht des Geldes“ sprechen, denken gern an die Macht von Banken und Großunternehmen, die anscheinend über geradezu unbeschränkte Ressourcen und Mittel verfügen. Dass es mit der Macht des Bankensektors nicht allzu weit her ist, wenn nicht die Zentralbanken Liquidität  und Währungsstabilität garantieren, kann man in der aktuellen Finanzkrise recht gut beobachten. Jene scheinbare „Macht des Geldes“, die letztlich aus der Ohnmacht der Banken erwächst, sich gegen das Fehlverhalten anderer Banken zu schützen, ist tatsächlich zu beschränken. Solange Banken durch immer neue Tricks ihren Multiplikator (leverage) erhöhen können, müssen sie letztlich in der Konkurrenz mit anderen Banken gewagte Strategien fahren, um ihre Profitabilität zu erhöhen. Da sie in Exekution dieser Strategien zugleich davon abhängen, dass andere Banken und die Kapitalmärkte insgesamt liquide bleiben, haben sie immer ein plötzliches Herdenverhalten, eine sich selbst bestätigende Untergangsprognose und Ähnliches in Rechnung zu stellen.

Eine vernünftige Regulierung des Bankensektors ist daher sowohl im Interesse der Banken als auch aller anderen Betroffenen. Was „vernünftig“ in diesem Zusammenhang heißt, ist allerdings eine im Einzelnen offene Frage. Unvernünftig ist es in jedem Falle, irgendwelchen Verschwörungstheorien anzuhängen und die Regulierung des Geldsektors dem Ziel zu unterstellen, die „Macht des Geldes zu brechen“. Eine Geldwirtschaft bleibt nach wie vor die beste aller möglichen wirtschaftlichen Welten samt Banken und deren Krisen. Denn es gibt keine Finanzwelt ohne Krisen aber eben auch keine entwickelte wirtschaftliche Welt ohne Finanzwelt, in der sich die reale Welt spiegelt.

Wie die meisten Dinge in unserer Welt hat auch die Macht des Geldes zwei Seiten: eine Licht- und eine Schattenseite je nachdem, welche Art der Macht involviert ist. Soweit es um politische „Macht über“ geht, ist die alte Apo-Maxime „keine Macht für niemanden“ auch mit Bezug auf das Geld nicht verfehlt. Soweit es um „Macht zu“ in einem nicht politischen Sinne geht, ist die Macht des Geldes für jeden von uns erstrebenswert und es ist auch erstrebenswert, in einer Welt zu leben, in der andere über diese Macht verfügen. Gerade deshalb haben wir alle ein Interesse an einer stabilen Währung und einer stabilen Geldpolitik.

Wir sollten auch sehr sensibel für die Tatsache sein, dass eine Politik, die sich daran gewöhnt hat, immer mehr Lebensbereiche zu durchdringen und dabei ihre eigene Ohnmacht zu beklagen, die Finanzkrise nutzen könnte, um noch mehr „Macht über“ zu gewinnen. Was als wohlmeinende Regulierungsbemühung beginnt, wird vielleicht böse enden in Regulierungen zur Bevorzugung von Spezialinteressen, die wir ähnlich wie etwa die abstrusen Agrarregelungen nicht mehr loswerden. Denn neben Marktversagen gibt es auch Politikversagen. Am Ende ist das letztere gefährlicher und sehr häufig die Ursache für das hinterher Märkten schlecht-geschriebene Versagen.

Literatur:
Hobbes, Thomas: Leviathan. Ullstein/Suhrkamp 1976 ff.
Brennan, Geoffrey und Kliemt, Hartmut (2007): The Power to regulate, in: Ordnungspolitik für den öffentlichen Sektor; B. Neumärker und C. Schnabel (eds.); Marburg: Metropolis-Verlag, 41-61
Kliemt, Hartmut (1993): On Justifying A Minimum Welfare State, in: Journal of Constitutional Political Economy, Vol. 4(2), 159-172

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