Ordnungsruf
Mehr Prävention – nein, mehr Bail-outs – ja
Die Beschlüsse des Europäischen Rats in der Kritik

Wenn man Moral Hazard bekämpfen will, muss man entweder Anreize für eine stärkere Schadensprävention schaffen oder die Bail-outs beenden. Der Europäische Rat hat das Gegenteil beschlossen: auf eine wirksame Härtung des „Stabilitäts- und Wachstumspakts“ wird verzichtet, und den „Rettungsschirm“ wird es – wenn auch modifiziert – auf Dauer geben. Damit hat die Bundesregierung beide Ziele aufgegeben, die sie noch im Mai verkündet hatte. Eine wirksame Härtung des Pakts hätte automatische Sanktionen vorausgesetzt, denn wenn Sünder über Sünder urteilen, kommen zumindest die großen Sünder ungestraft davon (wie die Erfahrung gezeigt hat). Um eine Automatik einzuführen, hätte aber Art. 126 Abs. 6-9 AEUV geändert werden müssen. Dazu waren weder die französische noch die meisten anderen Regierungen bereit.

Dass die Bundesregierung auch bei dem Versuch gescheitert ist, eine zusätzliche Sanktion – den Verlust des Stimmrechts im Rat – durchzusetzen, fällt demgegenüber kaum ins Gewicht. Denn ohne Automatik ist auch diese Sanktion nichts wert. Von dem großartigen Plan, den Pakt zu härten, ist nichts geblieben als eine Verkürzung der Entscheidungsfristen von 16 Monaten auf sechs. Aber ohne Sanktionsautomatik ist dies wirkungslos. Da die Bundesregierung bei der Schadensprävention nichts erreicht hat, gibt sie gleich auch noch beim Bail-out nach. Der Rettungsschirm wird nicht – wie ursprünglich angekündigt – nach drei Jahren auslaufen, sondern zur Dauereinrichtung werden. Die Währungsunion wird zur Transferunion ausgebaut. Sowohl vor als auch nach dem Schadenseintritt werden falsche Anreize gesetzt.

Finanzminister Schäuble erhält den „Europäischen Währungsfonds“, den er von Anfang an wollte. Der Europäische Währungsfonds wird allerdings nicht – wie ursprünglich der Internationale Währungsfonds (IWF) – bei „Zahlungsbilanzbedarf“ einspringen. Er zahlt bei Haushaltsbedarf. Darauf hat sich inzwischen auch der IWF – unter seinem Direktor Strauss-Kahn – eingelassen: die Kreditlinien des IWF für die Ukraine, Rumänien und Pakistan (2009) sowie Griechenland (2010) waren alle zumindest teilweise direkte Haushaltshilfen. Das Statut des IWF (Art. V.3.b.ii) erlaubt keine Haushaltshilfen, aber wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.

Der Europäische Währungsfonds soll – wie der IWF nach der lateinamerikanischen Schuldenkrise von 1982 – darauf bestehen, dass die privaten Gläubiger der überschuldeten Staaten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Anders als im Fall des Griechenland-Bailouts soll es gemeinschaftliche Bürgschaften und Kredite erst geben, wenn die Banken einen „hair cut“ akzeptiert haben. Ein „hair cut“ ändert aber nichts daran, dass die verbilligten Kredite des Europäischen Währungsfonds Moral Hazard auslösen werden – sowohl bei der Schuldnerregierung als auch bei ihren privaten Gläubigern, die überhöhte Risiken eingehen, weil ja zur Not auch der Europäische Währungsfonds einen Teil der Lasten übernimmt.

Das Moral-Hazard-Problem ist desto größer, je stärker die Kredite des Europäischen Währungsfonds subventioniert werden. Wenn man sich überhaupt auf einen dauerhaften „Rettungsschirm“ einlässt, wovon dringend abzuraten ist, wäre es wichtig, dass er seine Kredite – wie jeder Lender of Last Resort – nur zu einem Strafzins vergeben darf. Auf den letzten Zins, den der Schuldnerstaat am Markt akzeptieren musste, sollte ein fester, einheitlicher Prozentsatz aufgeschlagen werden. Der Zins, den der griechische Staat unter dem EU-„Rettungsschirm“ zahlen muss, ist viel niedriger als der letzte Marktzins. Wenn ein Schuldnerland den Strafzins kurzfristig nicht aufbringen kann, sollte ein späterer Zahlungstermin vereinbart werden.

Anders als der IWF sollte der Europäische Währungsfonds nur solchen Ländern Kredite oder Bürgschaften geben dürfen, die am Markt nachweislich kein Geld mehr erhalten. Die Auktion staatlicher Schuldverschreibungen muss mangels Nachfrage gescheitert sein. Im Falle Griechenlands war diese Bedingung nicht erfüllt.

Die Verlängerung des Rettungsschirms ist – genau wie seine Errichtung – mit dem Bail-out-Verbot des Art. 125 AEUV unvereinbar. Nach dem Willen des Europäischen Rats soll der neue wie der alte Rettungsschirm auf Art. 122 AEUV gestützt werden. Danach kann die Union einem Mitgliedstaat finanziellen Beistand gewähren, wenn er „aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht“ ist. Es besteht Einigkeit, dass die Finanzkrise ein außergewöhnliches Ereignis war, das sich der Kontrolle Griechenlands entzog. Aber der griechische Staat hatte schon vor der Krise übermäßige Defizite und verlor deshalb als einziger in der Finanzkrise seine Zahlungsfähigkeit. Seiner Kontrolle entzog sich dies nicht. Art. 122 AEUV in seiner bisherigen Form scheidet deshalb als Rechtsgrundlage aus.

Der Europäische Rat hat nun beschlossen, Art. 122 zu ergänzen. Finanzieller Beistand soll auch immer dann gewährt werden können, wenn die Stabilität der Währungsunion gefährdet ist. Der Artikel soll nicht nach dem ordentlichen Änderungsverfahren (Art. 48, Abs. 2-5 EUV) von einer Regierungskonferenz ergänzt werden, sondern nach dem vereinfachten Änderungsverfahren (Art. 48, Abs. 6) vom Rat. Jedoch tritt die Änderung nach Absatz 6 „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ und „darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen“. Es ist offensichtlich, dass die Zuständigkeiten der Union erweitert würden, wenn sie in Zukunft auch bei Gefahren für die Stabilität der Währungsunion finanziellen Beistand gewähren dürfte. Das vereinfachte Änderungsverfahren scheidet daher aus. Der nächste Rechtsbruch ist vorprogrammiert.

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