Negativzinsen unterwandern die marktwirtschaftliche Ordnung und das Vertrauen in den Staat

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Am 12. September 2019 gab die Europäischen Zentralbank (EZB) eine weitere Lockerung der Geldpolitik bekannt. Der Negativzins auf Einlagen der Banken bei der EZB wird auf -0,5% abgesenkt. Die Anleihekäufe werden mit einem monatlichen Volumen von 20 Milliarden Euro wieder aufgenommen. Bei den langfristigen Refinanzierungsgeschäften für Banken werden die Anreize zur Kreditvergabe an Unternehmen verstärkt.

Noch keine Entscheidung der EZB war so umstritten. Die deutliche geldpolitische Lockerung kam, obwohl sich im Euroraum konkret noch keine Rezession abzeichnet. Im Vorfeld hatten sich Banken und Versicherungen kritisch geäußert. Eine wachsende Anzahl von Politikern hat sich gegen die Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der EZB positioniert. Aus den USA kam beißende Kritik von Präsident Trump, der mit der Abwertung des Euro die Spielregeln im internationalen Handel verletzt sieht. Selbst im EZB-Rat stimmten nach Pressemeldungen 10 Vertreter gegen die Entscheidung.

Befürworter der Negativzinspolitik hoffen, dass die Bürger weniger sparen und mehr konsumieren. Unternehmen sollen dank sehr günstiger oder sogar negativer Finanzierungskosten mehr investieren. Die bereits hoch verschuldeten Staaten könnten noch mehr Kredite aufnehmen und die Infrastruktur ausbauen. Große staatliche Investitionsprogramme würden bei Minuszinsen auf Staatsanleihen den Staaten sogar Geld bringen. Der Euro dürfte weiter abwerten, was das deutsche Exportwunder weiter beflügeln würde. Der Ausweg aus der langen Stagnation wäre quasi zum Nulltarif geschafft!

Ob der von Mario Draghi eingeschlagene, und von Christine Largarde mit großer Wahrscheinlichkeit fortgesetzte Kurs erfolgreich sein wird, ist jedoch fraglich. In Japan, wo Null- und Negativzinsen schon länger als in Europa bestehen, wurde die Konjunktur so nicht nachhaltig belebt. Statt Investitionen in den Kapitalstock fließt viel Kapital ins Ausland ab. Es haben vor allem die großen Exportunternehmen von der Yenabwertung profitiert. Die Binnenwirtschaft stagniert, die Banken wanken und prekäre Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu. Trotz des Aufblähens der Zentralbankbilanz fällt das durchschnittliche Lohnniveau fällt seit 20 Jahren (siehe Abbildung). Oder sollte man eher sagen wegen der aufgeblähten Zentralbankbilanz?

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Die negativen Nebeneffekte der ultra-lockeren Geldpolitik sind vielfältig (Schnabl 2017), weil sie die marktwirtschaftliche Ordnung unterwandern. Wie in Japan wird der Bankensektor noch mehr beschädigt werden. Schon jetzt hat die EZB die Margen im traditionellen Bankgeschäft – z.B. zwischen Kredit- und Einlagenzinsen – schmerzlich gedrückt. Die hohe Strafzinsen, die Banken auf ihre Einlagen bei der EZB bezahlen, dürften – trotz neuer Ausnahmeregelungen – weiter ansteigen. Der Kollaps und die Verstaatlichung großer Banken ist nicht mehr auszuschließen. Die Fusionen unter kleinen und mittleren Banken dürften weiter zunehmen.

Auch Lebensversicherungen, Pensionsfonds und Stiftungen dürften weiter in Bedrängnis geraten, weil diese auf Erträge aus ihren Anlagen angewiesen sind. Sie werden gezwungen sein die Alterssicherung und das private gesellschaftliche Engagement weiter einzuschränken. Die zukünftigen Rentner sollten besorgt sein.

Die Banken, die aufgrund der hohen Anleihekäufe der EZB große Überschussreserven auf ihren Konten bei der Zentralbank halten, könnten diese fortan in großen Tresoren lagern, um Kosten zu sparen. Zudem könnten sie die Negativzinsen an alle Kunden weitergeben. In diesem Fall würden die Sparer vor die Wahl gestellt, ob sie das Abschmelzen der Ersparnisse hinnehmen oder ihr Geld aus den Banken abziehen. Die Geldbündel und Goldstücke unter den Matratzen der Bürger dürften mehr werden.

Das könnte die EZB zu weiteren Gegenmaßnahmen verleiten. Die jüngste Entscheidung zeigt, dass die geldpolitischen Entscheidungsträger gewillt sind, den negativen Wachstumseffekten bisheriger Entscheidungen immer noch größere geldpolitische Interventionen entgegenzustellen. Beflügelt von großen Fortschritten beim elektronischen Bezahlen hat der IWF, noch unter der zukünftigen EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die Abschaffung des Bargelds in die Diskussion gebracht. Als Vorteile werden die geringeren Kosten von elektronischem Bezahlen und die Verwendung von Bargeld bei kriminellen Geschäften genannt.

Die Bürger könnten sich dann der systematischen Entwertung der Ersparnisse durch Negativzinsen nicht mehr entziehen. Mit der Entscheidung, eingezogene 500-Euro-Scheine nicht mehr zu ersetzen, hat die EZB bereits einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht. Denn kleinere Scheine erhöhen die Lagerkosten für Bürger und Banken.

Im Ergebnis haben Minuszinsen und Bargeldabschaffung politische Risiken. Werden die Ersparnisse entwertet und wird den Bürgern die Freiheit genommen, zwischen Bankeinlagen und Bargeld frei zu wählen, dann wird das Vertrauen in die Währung geschädigt. Die Flucht in Sachwerte wie Gold, Immobilien und Aktien dürfte sich weiter beschleunigen, was weiter ungerechte Verteilungseffekte nach sich ziehen wird (Schnabl 2017). Auch die Kapitalflucht in die Schweiz oder die USA dürfte weiter zunehmen.

Mit dem Verlust des Vertrauens in die Währung würde auch das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat Schaden nehmen. Schon aus diesem Grund, ist von Minuszinsen auf Bankeinlagen und Staatsanleihen dringend abzuraten. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich bei den nächsten geldpolitischen Entscheidungen die Mehrheitsverhältnisse im EZB-Rat weiter zugunsten einer Rückkehr zu einer stabilitätsorientierten Geldpolitik verändern werden.

Literatur:

Schnabl, Gunther (2017): The Failure of ECB Monetary Policy from a Mises/Hayek Perspective. CESifo Working Paper 6388.

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