Absturz eines Superstars
Was kommt nach dem Euro?

„Es ist noch nie gelungen, mit schlechter Ökonomie gute Politik zu machen.“ (Alfred Schüller)

Vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren, zur Feier des 10. Geburtstages des Euros, war die Welt der Euromantiker noch in Ordnung. Die Festredner überschlugen sich ob des exzellenten Binnenwertes und der internationalen Stärke der neuen Währung. Spannend war nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann der Euro weltweit die Nummer 1 wird. Spätestens seit Mai 2010 ist alles anders. Von einer Erfolgsgeschichte des Euro sprechen nur noch ganz Mutige. Das halsbrecherische Wagnis der EWU steht auf der Kippe. Immer mehr Mitgliedsländer müssen vor dem akuten Schuldeninfarkt gerettet werden. Die Basis des währungspolitischen Experiments wird ausgehöhlt. Verträge werden von der Politik reihenweise und ohne viel Federlesens gebrochen. Die vielbeschworene Reputation der EZB ist nachhaltig beschädigt. Es wird von den Steuerzahlern auf die Finanzindustrie umverteilt. Der Euro als Motor der wirtschaftlichen Integration in Europa hat einen Kolbenfresser. Doch was kommt nach dem Euro? Welchem Vorbild wird die EWU folgen?

Effizienz und Solidarität

Der Konflikt zwischen Effizienz und Solidarität ist das Dilemma der Wirtschaftspolitik. Das ist auch in einer Währungsunion nicht anders. Wirtschaftlich ändert sich die Welt unaufhörlich. Haushalte, Unternehmen und Politik müssen sich ständig mit exogenen Schocks auf der Angebots- und der Nachfrageseite herumschlagen. Die Ökonomie verändert sich, weil etwa Haushalte ihre Präferenzen ändern, Unternehmen neue Produktionstechnologien verwenden oder die Politik ihre wirtschaftspolitischen Strategien ändert. Viel wäre gewonnen, wenn die Politik öfter mal die Füße still halten oder wenigstens regelgebunden agieren würde. Die effizienteste Anpassung an Schocks ist die über den marktlichen Preismechanismus. Flexible Löhne, anpassungsfähige Lohnstrukturen und mobile Arbeit spielen dabei eine herausragende Rolle. Länder, die über eine eigene Währung verfügen, können sich auch über flexible Wechselkurse an neue wirtschaftliche Gegebenheiten anpassen.

Tatsächlich wird der marktliche Preismechanismus in Europa oft ausgehebelt. Mängel des Marktes und verteilungspolitische Eingriffe behindern die Anpassung über die Preise. Die Politik blockiert die notwendige Anpassung, wenn sie eingetretene Ungleichgewichte finanziert. Das ist bei Subventionen für notleidende Branchen, marode Unternehmen und anpassungsunwillige Haushalte offensichtlich. Es gilt aber auch bei inter-regionalen Transfers in einem Land oder einer Währungsunion. Der Länderfinanzausgleich in Deutschland oder die Rettungsschirme in der EWU sind solche Mechanismen. Sie behindern unter dem Deckmantel der Solidarität den notwendigen Wandel. Der Preismechanismus wird außer Kraft gesetzt, die Anpassung an neue wirtschaftliche Gegebenheiten wird verzögert, die internationale Wettbewerbsfähigkeit leidet. Solidarität staut den strukturellen Wandel auf. Die Entwicklung in den PIIGS-Ländern zeigt, über kurz oder lang entlädt er sich explosionsartig.

Der amerikanische Weg

Wirtschaftlich erfolgreich ist eine Währungsunion nur, wenn die Anpassung über Preise und nicht über Mengen erfolgt. Die Lasten aus wirtschaftlichen Veränderungen müssen individuell getragen, nicht über staatliche Transfers finanziert werden. Das erfordert maximal offene Güter- und Faktormärkte und minimale Umverteilung. In der amerikanischen Währungsunion ist der Zielkonflikt zwischen Effizienz und Solidarität zugunsten der Effizienz gelöst. Gütermärkte sind grenzenlos offen, die Arbeitsmärkte sind flexibel, Kapitalmärkte sind stark integriert. Die Bundesstaaten müssen für ihr Verhalten fiskalisch selbst einstehen. Auf Hilfe der anderen oder des Bundes können sie nicht zählen. Trotzdem halten sich regionale Ungleichheiten seit langem in engen Grenzen. Vor allem mobile Arbeit sorgt für eine konvergente wirtschaftliche Entwicklung zwischen den Regionen. Eine zentrale Arbeitslosenversicherung verringert allenfalls konjunkturelle Asymmetrien.

Trotzdem ist das amerikanische Modell für die EWU keine ernsthafte Option. Die fiskalische Solidarität ist in Europa ausgeprägter, inter-personell und inter-regional. Der Sozialstaat, ein Triumph westlicher Zivilisation (Assar Lindbeck), ist stärker ausgebaut als anderswo in der Welt. Inter-personelle Umverteilung ist ein tragendes Element. Diese Solidarität gilt auch auf inter-regionaler Ebene. Das bündische Prinzip wird durch die Philosophie verstärkt, dass Arbeitsplätze zu den Arbeitnehmern kommen müssen, nicht umgekehrt wie in den USA. Kein Wunder, dass inter-regionale Umverteilung in Europa eine wichtige Rolle spielt. Diese beiden Arten von Solidarität hebeln den Preismechanismus aus. Am deutlichsten wird das auf den Arbeitsmärkten, die noch immer stark verkrustet sind. Die Löhne und Lohnstrukturen sind nicht flexibel genug, die Arbeitnehmer regional und beruflich zu wenig mobil. Europa ist noch Lichtjahre von einem optimalen Währungsraum entfernt.

Der deutsche Weg

Die hilflosen Versuche, den Euro zu retten, stehen ganz in der europäischen Tradition der inter-regionalen Solidarität. Mit einer Orgie von Rettungspaketen vergemeinschaftet die Politik länderspezifische Lasten. Das ist gerade für Deutschland nicht neu. Der horizontale und vertikale Länderfinanzausgleich garantieren das bündische Prinzip: Alle für einen, einer für alle. Mit dem Länderfinanzausgleich werden nicht nur die unterschiedlichen Finanzausstattungen der Länder einander angeglichen. Bund und Länder stehen auch für die Schulden anderer Länder ein. Geraten Bundesländer in Haushaltsnotlagen, haben sie Anspruch auf finanzielle Hilfe des Bundes und der anderen Länder. Berlin, Bremen und das Saarland geben über diesen Mechanismus das Geld der Anderen seit langem mit vollen Händen aus. An der prekären Finanzlage dieser Länder hat sich allerdings nichts geändert. Die Haushaltslöcher werden nicht kleiner, sie wachsen weiter an, die staatliche Verschuldung galoppiert.

Eine solche Haftungsgemeinschaft ist kein sinnvoller Weg für die EWU. Er ist ökonomisch teuer und politisch riskant. Moral hazard prägt das Verhalten aller. Empfängerländer haben starke Anreize, auf Kosten der anderen zu leben. Geberländer verspüren wenig Interesse, sich noch mehr anzustrengen. Die geringere Leistungsbereitschaft aller hemmt das wirtschaftliche Wachstum. Vor allem die kleineren Länder haben starke Anreize, ihre Verschuldung weiter auszudehnen. Auch politisch ist dieser Weg ein Holzweg. Der politische Widerstand in den Geberländern wächst. Auf nationaler Ebene ist eine Sezession kein Thema, noch nicht. Allerdings gilt weltweit, dass mit der wirtschaftlichen Integration die politische Desintegration steigt. Auf europäischer Ebene würde ein solcher Weg auf den erbitterten Widerstand der wenigen nördlichen Geberländer stoßen. Die Angst der etablierten politischen Parteien um ihre Pfründe macht es sehr unwahrscheinlich, dass dieser Weg eingeschlagen wird.

Der italienische Weg

In der Vergangenheit haben Länder immer wieder versucht, die Lasten exogener Schocks inflationär zu mildern. Für die mediterranen Länder, aber auch für Großbritannien und Schweden war das eine jahrzehntelang geübte Praxis. Mit einer expansiven Geldpolitik und einer inflationären Abwertung der eigenen Währung versuchte man die schmerzhafte Anpassung über realen Lohnverzicht und  Strukturreformen zu begrenzen. Die Erfahrungen sind fast immer negativ. International wettbewerbsfähiger werden Länder nur, wenn es ihnen gelingt, den realen Wechselkurs abzuwerten. Das setzt aber voraus, dass die interne reale Absorption sinkt. Ohne Konsumverzicht geht es nicht. Tatsächlich löste die höhere Inflationsrate steigende nominelle Löhne aus. Eine Entlastung auf der Seite der realen Arbeitskosten trat nicht ein. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbesserte sich nicht. Die wirtschaftliche Malaise blieb bestehen, allein die Inflation war höher als zuvor. Milton Friedman läßt grüßen.

Der Versuch, die PIIGS-Länder über eine höhere Inflationsrate wettbewerbsfähiger zu machen, ist zum Scheitern verurteilt. Eine einheitliche Geldpolitik der EZB ist nicht in der Lage, auf länderspezifische Besonderheiten einzugehen. Das gilt vor allem für kleinere Mitgliedsländer. Aber auch der Vorschlag, die EZB solle eine höhere Zielinflationsrate wählen, würde das Wettbewerbsproblem der PIIGS nicht lindern, im Gegenteil. Verfolgt die EZB eine expansivere Geldpolitik als etwa die FED, führt dies zwar zu einer Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar. Die Euro-Länder würden aber nur preislich wettbewerbsfähiger, wenn lohnpolitische Zweitrunden-Effekte ausblieben. Das führt zu zwei Problemen: Zum einen wachsen die Leistungsbilanzsalden in der EWU. Deutschland gewinnt wegen des höheren Offenheitsgrades stärker als die Länder der Peripherie. Zum anderen lässt die Reaktion der FED nicht lange auf sich warten. Ein Abwertungswettlauf erhöht die Inflation weltweit.

Der argentinische Weg

Der Weg der Peripherie der EWU über eine reale Anpassung ist lang und steinig. Er führt nur über eine interne Abwertung. Das macht eine grundlegende Reform der Arbeitsmärkte, des (Sozial-)Staates und des Ordnungsrahmens unabdingbar.  Auf die Bürger dieser Länder warten harte Zeiten, sehr harte sogar. Es ist ökonomisch schwer vorstellbar, dass eine solche Reform gelingen könnte. Die Abhängigkeit breiter Schichten von staatlichen Leistungen ist groß, der Widerstand der Gewerkschaften heftig. Es ist aber auch politisch unwahrscheinlich, dass Regierungen ein so hartes Sanierungsprogramm überleben werden. Eine Politik der Austerität lässt sich nicht sehr lange durchhalten. Es ist der Bevölkerung nur schwer vermittelbar, dass die Früchte der eigenen Anstrengungen für den Schuldendienst an ausländische Gläubiger draufgehen. Im Schnitt wendet sich die Bevölkerung spätestens nach drei Jahren endgültig davon ab (Kenneth Rogoff) und jagt die Regierung aus dem Amt.

Spätestens dann ist die Zeit gekommen, die staatlichen Schulden zu restrukturieren. Die Länder sind pleite, ein Schuldenschnitt ist unumgänglich. Damit sind die Länder zwar einen Teil ihrer Schulden los. Sie sind aber längere Zeit vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten. Die Strukturreformen müssen allein, ohne die Hilfe des ausländischen Kapitals gestemmt werden. Gesund sind die Länder damit aber noch lange nicht. Aufwärts geht es erst wieder, wenn sie wettbewerbsfähiger werden. Ohne eine Abwertung der eigenen Währung geht zumeist nichts. Argentinien hat es schon früher erfolgreich vorgemacht, wie es geht, Island in der Finanzkrise auch. Es verwundert allerdings, dass Individuen eher bereit sind, über eine nominelle Abwertung als über Lohnverzicht auf einen Teil ihres Lebensstandards zu verzichten. Die Peripherieländer der EWU mit Schlagseite müssten die Eurozone zumindest temporär verlassen, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen.

Euro der Zukunft

Der Euro in der gegenwärtigen Form hat die Zukunft schon hinter sich. Eine Rückkehr zu nationalen Währungen auf breiter Front wird es trotzdem nicht geben. Nur, wie organisieren sich die Überlebenden des „alten Euros“? Für die Visionäre ist die Sache wieder einmal klar. Der neue Euro brauche eine politische Union. Das ist aber weder ökonomisch sinnvoll noch politisch realisierbar. Eine politische Union würde das „europäische Sozialmodell“ endgültig installieren. Die Wirtschaftspolitik würde zentralistischer, der Sozialstaat weiter wuchern, die Umverteilung an Gewicht gewinnen. Das alles schwächt den Preismechanismus. Die Seuche der Eurosklerosis breitet sich weiter aus. Aber auch politisch ist eine solche Union ein Rohrkrepierer. Europa ist keine Nation und wird es auf absehbare Zeit auch nicht werden. Die Bürger sind nicht bereit, auf noch mehr nationale Souveränität zu verzichten. Sie wollen im Gegenteil mehr Mitspracherechte auf regionaler Ebene. Der heftige Widerstand gegen die Lissabon-Verträge gibt einen Fingerzeig, wohin in Europa die Reise gehen wird.

Auch eine künftige EWU wird also mit einer „Währung ohne Staat“ leben müssen. Notwendig sind eine neue Statik und solide handwerkliche Arbeit. Die Aussichten sind aber nicht besonders gut. Dazu müssten die Regierungen glaubwürdig versprechen, dass sie sich künftig bei der Verschuldung nicht mehr gegenseitig helfen. Das ist das „A und O“ eines stabilen währungspolitischen Arrangements. Denkbar ist das allerdings nur, wenn die Finanzindustrie die Staaten nicht mehr in Geiselhaft nehmen kann. Das macht es notwendig, Staaten fiskalisch und Banken finanziell an die Kette zu legen. Und es muss klar sein, dass die Politik die EZB nicht weiter fiskalisch missbrauchen darf. Von alledem wollen die Regierungschefs gegenwärtig aber nichts wissen. Die Politik will ihre haarsträubenden Fehler, die zur Krise der EWU geführt haben, durch noch mehr schlechte Politik bekämpfen. Die Aussichten auf ein stabiles währungspolitisches Arrangement in Europa stehen nicht besonders gut.

Fazit

Was kommt nach dem Euro? Zunächst ein „neuer“ Euro. Allerdings wird sich das Gesicht der EWU verändern. Die Wähler der Geberländer des Nordens werden nicht bereit sein, währungspolitischen Illusionen nachzujagen und die Kosten der Anpassung der Peripherie zu tragen. Einer Haftungsgemeinschaft werden sie ebenso eine Absage erteilen wie einer Inflationsunion. Das europäische Modell mit einer spezifischen Kombination von Effizienz und Solidarität werden sie nicht aufgeben. Den amerikanischen Weg hin zu mehr Effizienz und weniger Solidarität werden sie nicht gehen. Sie werden sich allerdings von den Mitgliedern trennen, die ökonomisch nicht zu ihnen passen. Währungspolitisch werden sie eher den Gedanken eines Kerneuropas verfolgen. Wirtschaftlich homogenere Länder können den Nukleus einer Währungsunion bilden und zum Motor einer weiteren wirtschaftlichen Integration in Europa werden. Aber vielleicht ist der Euro auch nur ein Roter Riese auf dem Weg zur währungspolitischen Supernova.

4 Antworten auf „Absturz eines Superstars
Was kommt nach dem Euro?

  1. Messerscharf argumentiert.
    Der beste und schlüssigste Artikel den ich zum Euro gelesen habe.
    Ob uns der Euro um die Ohren fliegt oder ob es einen Hart- und Weichwährungsblock geben wird? Das wird spannend.

    Die Märkte haben jetzt Italien und Spanien im Visier. Sozusagen Schach gesagt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert