Austerität und Strukturreformen
Wirtschaftspolitisches Teufelszeug oder bittere Medizin?

„Wer jetzt für das Ende der Austerität eintritt, versucht entweder, es sich auf Kosten künftiger Generationen weiter gutgehen zu lassen. Oder aber er will das geliehene Geld sowieso nie ganz zurückzahlen. Doch beides ist letztlich Diebstahl – im ersten Fall an künftigen Generationen, im zweiten an Sparern.“ (Peter A. Fischer)

Die Worte „Austerität“ und „Strukturreform“ haben beste Chancen von einer feuilletonistisch dominierten Jury zu Unwörtern des Jahres 2013 in Europa gewählt zu werden. Eine Politik des aggressiven „Kaputtsparens“ und überzogener Strukturreformen seien schuld an der wachsenden Misere auf den europäischen Arbeitsmärkten. Tatsächlich steigt die Arbeitslosigkeit weiter unvermindert an. Eurostat schätzt, dass im März 2013 im Euroraum über 19,2 Mio. Menschen ohne Arbeit waren. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Datenreihe im Jahre 1995. Prekär ist die Lage vor allem in Griechenland (27,2 %), Spanien (26,7 %) und Portugal (17,5 %), besser ist sie in Österreich (4,7 %), Deutschland (5,4 %) und Luxemburg (5,7 %). Die FAZ plappert zwar von unvermeidbarer künftiger Vollbeschäftigung in Deutschland. Tatsächlich sind aber auch hierzulande noch über 3 Mio. Menschen arbeitslos. Von ökonomischer und gesellschaftlicher Brisanz in der EWU ist die hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen. Hier reichen die Werte in Griechenland schon knapp an die 60 %. In Spanien ist es kaum besser, Italien und Portugal folgen mit einem Abstand von 20 %-Punkten. Diese Entwicklung ist politischer Sprengstoff.

„Gute“ und „schlechte“ Austerität

Eine Politik der Konsolidierung der staatlichen Haushalte hat einen schlechten Ruf. Die Keynesianer feuern aus allen Rohren. Das Übel sei die „überzogene“ Sparpolitik. Sie schrumpfe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, schwäche das Wachstum und erhöhe die Arbeitslosigkeit. So werde das Ziel solider staatlicher Haushalte nie erreicht. Unbestritten ist, die staatlichen Haushalte sind in einem desolaten Zustand. Die Zahl der Länder steigt, deren Schuldenstände nicht mehr tragfähig und deren Defizite unfinanzierbar sind. An einer Konsolidierung der staatlichen Haushalte führt kein Weg vorbei. Nur Phantasten und politische Rosstäuscher sind der Meinung, dass diese Anpassung schmerzlos sei. Austerität ist keine Frage des „Ob“, sondern nur noch eine Frage des „Wie“. Die Erfahrung zeigt, es gibt „schlechte“ und „gute“ Austerität. Bei der ersten Variante wird versucht, die Defizite primär durch höhere Steuern auszugleichen. Das verschlechtert die Bedingungen auf der Angebotsseite, erhöht den Schmerz der Anpassung und verfehlt die Konsolidierung. Wachstumseinbußen und Beschäftigungsrückgänge sind die Folge. Bei der zweiten Variante liegt das Schwergewicht der Konsolidierung auf Ausgabenkürzungen. Die Chancen steigen, dass diese Strategie erfolgreich ist, wenn sie mit Strukturreformen und einer Abwertung der Währung einhergeht.

Nur bei einer Politik der „guten“ Austerität wird ernsthaft gespart. Davon kann in Europa kaum die Rede sein. Meist wird die Strategie der „schlechten“ Austerität eingeschlagen. Die europäischen Länder sparen unterschiedlich stark. Das gilt selbst für die Krisenländer der EWU. Griechenland, Irland und Portugal wurden von der Troika aus EU, IMF und EZB angehalten, ihre Ausgaben zu senken. Die „Noch-nicht-Programmländer“ Italien und Spanien verhielten sich anders. Ihre Ausgaben stagnierten bestenfalls. Höhere Steuern in Italien reduzierten temporär das Defizit, eine höhere staatliche Verschuldung in Spanien schloss die Lücke zwischen staatlichen Ausgaben und Steuereinnahmen. Das ist eine Politik der „schlechten“ Austerität. Von der kontroversen Diskussion um Austerität völlig unbeeindruckt zeigt sich bisher Frankreich, der nächste Pflegefall in der EWU. Dort stiegen die staatlichen Ausgaben munter weiter, die Haushaltsdefizite blieben hoch. Der Versuch, die Löcher über steigende (Reichen-)Steuern zu schließen, stößt auf erbitterten Widerstand. Die blutige Nase, die sich Francois Hollande mit dieser wachstums- und beschäftigungsfeindlichen Art der Austerität holt, erzwingt ein Umdenken. Mitterand, der andere rote Francois, scheint sich zu wiederholen.

Staatsausgaben und -einnahmen
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Von einer nachhaltigen Sparpolitik kann in Europa keine Rede sein. Der Staat erhöht die Steuern und verschuldet sich weiter. Wenn die Politik von Sparen redet, fühlt man sich an die Aussage von Manfred Rommel, dem ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister, erinnert: „Sparen heißt, was man hat, nicht auszugeben, nicht das, was man nicht hat, nicht auszugeben.“ Eine Politik der „schlechten“ Austerität verschlechtert die Angebotsbedingungen, verringert das wirtschaftliche Wachstum und erhöht die Arbeitslosigkeit in Europa. Die keynesianischen Elemente der Arbeitslosigkeit verlieren an Bedeutung, strukturelle Faktoren gewinnen die Oberhand. Trotz der medialen Kampagne gegen die Studie der beiden Harvard-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff ist unbestritten, dass staatliche Verschuldung und wirtschaftliches Wachstum negativ korreliert sind. Umstritten ist nur, ab welcher Höhe die Verschuldung realwirtschaftlich „beißt“. Eine Politik der „guten“ Austerität ist alternativlos. Wer weiter auf Pump lebt, bestiehlt künftige Generationen. Wer die Schulden nicht zurückzahlt, übt Diebstahl an den Sparern. Wer solidere Staaten nötigt, für fremde Schulden einzustehen, beklaut deren Steuerzahler.

Strukturelle Arbeitslosigkeit auf dem Vormarsch

An einer Politik der Konsolidierung staatlicher Haushalte führt kein Weg vorbei. Die Krisenländer können die Haushaltsdefizite immer weniger über private Kredite finanzieren. Das Risiko staatlicher Insolvenz ist hoch. Private Kapitalgeber leihen ihnen das Geld nicht mehr oder nur noch zu horrend hohen Zinsen. Eine konsequente Sparpolitik ist unvermeidlich, um wieder auf die Füße zu kommen. Die historische Erfahrung zeigt allerdings, dass eine solche Politik umso erfolgreicher ist, desto eher es den Ländern gelingt, ihre Währung abzuwerten. Diese Option steht den krisengeschüttelten Euro-Ländern aber nicht mehr zur Verfügung. Was bleibt ist eine schmerzhafte interne Abwertung über die Löhne oder das Steuersystem. Der wichtigste Weg über sinkende Löhne und Güterpreise macht es notwendig, die überkommenen Strukturen auf Arbeits- und Gütermärkten zu korrigieren. Da hilft es nur, dass die Länder entweder besser oder billiger werden. Die Krisenländer in der EWU leiden allesamt unter international nicht wettbewerbsfähigen Lohnstückkosten. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass der Anteil der strukturellen Arbeitslosigkeit an der gesamten Arbeitslosigkeit im Verlauf der Krise stetig gewachsen ist.

Mit der Arbeitslosigkeit stieg in der gesamten EU und der EWU seit der Finanzkrise auch die strukturelle Arbeitslosigkeit. Deutschland und Österreich entwickeln sich gegen den Trend. In beiden Ländern sank mit der gesamten Arbeitslosigkeit auch die strukturelle. Die konjunkturelle Komponente verlor an Bedeutung. Heute ist der größte Teil der Arbeitslosigkeit in Europa strukturell. Ein erster Indikator ist die Beveridge-Kurve. Sie zeigt die Kombination von Arbeitslosenquote und Quote der offenen Stellen. Mit Ausnahme von Deutschland und Österreich hat sie sich nach außen verschoben. Das deutet auf wachsende strukturelle Probleme hin. Ein zweiter Indikator ist die NAIRU bzw. die NAWRU. Diese „natürlichen“ Arbeitslosenquoten zeigen die Arbeitslosigkeit, die sich nicht durch expansive Nachfragepolitik verringern lässt. Es ist offensichtlich, dass sich die strukturelle Komponente der Arbeitslosigkeit mit der Dauer der Arbeitslosigkeit nach oben bewegt. Damit ist aber nicht nur die Verschuldungspolitik der europäischen Länder, sondern auch die extrem expansive Geldpolitik der EZB im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zum Scheitern verurteilt.

NAWRU

Warum die strukturelle Komponente der Arbeitslosigkeit in Europa seit der Finanzkrise wächst und mit dem Ausbruch der Eurokrise galoppiert, liegt vor allem an dreierlei: Am ineffizienten institutionellen Design auf den europäischen Arbeitsmärkten, einem wachsenden Mismatch von Arbeitslosen und Arbeitsplätzen und dem Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit. Wer trotz wachsender wirtschaftlicher Heterogenität immer noch auf zentraler oder sektoraler und nicht auf dezentraler betrieblicher Ebene über Löhne und Tarife verhandelt, wer bei der staatlich organisierten Arbeitslosenversicherung mehr auf Fördern als auf Fordern setzt, wer die Steuer- und Abgabenschere weit öffnet und hohe gesetzliche Mindestlöhne installiert, der hat suboptimale Institutionen am Arbeitsmarkt. Wem es daneben nicht gelingt, Arbeitslose und Arbeitsplätze möglichst schnell zusammenzubringen, weil Lohnstrukturen inflexibel und Arbeitnehmer räumlich und beruflich immobil sind, begünstigt Mismatch am Arbeitsmarkt. Wer schließlich Arbeitslosigkeit verschleppt, transformiert auch konjunkturelle in persistente strukturelle (Langzeit-)Arbeitslosigkeit. Der Wiener Ökonom Erich Streissler lag mit seiner frühen Vermutung richtig, dass strukturelle Arbeitslosigkeit auch fossile konjunkturelle sei.

Alternativlose Strukturreformen

Die steigende strukturelle Arbeitslosigkeit droht die EWU zu sprengen. Der Süden geht wirtschaftlich vor die Hunde, der Norden prosperiert weiter. Die Gefahr ist allerdings groß, dass sich der Norden ansteckt. Eine dauerhafte Transferunion würde auch den Norden in die Tiefe reißen. Würde ökonomisch entschieden, wäre eine Scheidung der sinnvollste Weg. Ein Abwertung im Süden und eine Aufwertung im Norden könnten die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa verringern. Mit einer Abwertung könnte es den Krisenländern leichter fallen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es ist allerdings eine Mär zu glauben, diese Anpassung sei schmerzlos. Die Lasten der Anpassung der Krisenländer werden nicht geringer. Allerdings scheint es den Arbeitnehmern leichter zu fallen, auf reale Lohneinkommen zu verzichten, wenn der Verzicht über steigende Güterpreise und nicht über sinkende Nominallöhne erfolgt. Ist allerdings der Wille nicht da, die Lasten zu tragen, mündet die Abwertung über eine Lohn-Preis-Lohn-Spirale in der Stagflation. Tatsächlich ist aber ein Ausstieg aus dem Euro politisch noch ein Tabu. Die Anpassung auf den Arbeitsmärkten muss deshalb intern erfolgen.

Es ist nun allerdings nicht so, dass die Krisenländer untätig waren. Sie haben sich in den Jahren seit der Finanz- und dem Ausbruch der Eurokrise bemüht, ihre verrotteten wirtschaftlichen Strukturen zu reformieren. Das gilt für den gesamten ineffizienten staatlichen Sektor. Es trifft aber auch auf die Güter- und Dienstleistungs-, vor allem aber auf die Arbeitsmärkte zu. Die OECD hat versucht, diese länderspezifischen Reformanstrengungen mit einem „Responsiveness-Rate-Indikator“ zu erfassen. Dabei wird geschaut, wie gut es den Ländern gelungen ist, die Reformen in die Tat umzusetzen, die von der OECD vorgeschlagen wurden, um mehr wirtschaftliches Wachstum zu initiieren. Von den Krisenländern haben Griechenland, Spanien und Portugal in der Zeit 2011/2012 die meisten Veränderungen vorgenommen. Irland, ein weiteres Krisenland, fiel gegen diese Troika zurück. Allerdings war Irland mit seinen Reformen den drei anderen Krisenländern zeitlich voraus. Das kann man erkennen, wenn man die Reformaktivitäten der Jahre 2011/2012 mit denen der Jahre 2009/2010 vergleicht. Wenig ausgeprägt waren die Reformanstrengungen in Italien und Frankreich. In Frankreich wurden Reformen sogar zurückgedreht.

Reformen und Wettbewerbsfähigkeit

Unterschiedliche Anstrengungen, wirtschaftliche Strukturen zu reformieren, sollten sich in den Lohnstückkosten der Länder niederschlagen. Tatsächlich sind die stärksten Rückgänge in Irland zu verzeichnen. Auch in Griechenland, Spanien und Portugal wirken sich die Strukturreformen auf die Lohnstückkosten aus. Der typische J-Kurven-Effekt verhindert noch, dass sich die Reformen positiv auf die Arbeitsmärkte auswirken. Die Erfahrungen mit den Hartz-Reformen belegen den erheblichen Zeitbedarf bis sich Reformen in sinkender Arbeitslosigkeit niederschlagen. Allerdings haben sich die sinkenden Lohnstückkosten – mit Ausnahme von Irland – noch kaum in sinkenden Preisen für international handelbare Güter niedergeschlagen. Der mit den Lohnstückkosten deflationierte reale effektive Wechselkurs zeigt Stillstand. In Italien und Frankreich bestätigt sich die Analyse der OECD zu den Reformanstrengungen. Die Lohnstückkosten in beiden Ländern bewegten sich kaum vom Fleck. Das ist kein gutes Zeichen. Es besteht die Gefahr, dass sich die Krise in Italien wieder beschleunigt und Frankreich über kurz oder lang ebenfalls zu einem Problemfall in der EWU wird. Das wäre das Ende des Euro.

Strukturreformen beschleunigen Wachstum

In Europa drängt die strukturelle Komponente der Arbeitslosigkeit die zyklische immer mehr an den Rand. Vielfältige Prozesse, die Human- und Realkapital entwerten, wandeln zyklische Elemente der Arbeitslosigkeit in strukturelle um. Steigende Güterpreise und ein höherer qualifikatorischer Mismatch deuten darauf hin. Eine hohe staatliche Verschuldung zementiert die überkommenen Strukturen auf den Arbeitsmärkten, erhöht das Risiko staatlicher Pleiten und künftig höherer Inflation. Die persistent hohe Arbeitslosigkeit ist ein Sprengsatz für die EWU. Er kann nur durch eine Kombination aus umfassenden Strukturreformen und einem Abbau staatlicher Defizite entschärft werden. Kurzfristig sinkt die Arbeitslosigkeit nur, wenn Arbeit billiger wird. Flexible Löhne und Lohnstrukturen sind der Schlüssel zum Erfolg. Mittelfristig ist ein Abbau möglich, wenn Arbeit besser wird. Verstärkte Investitionen in Humankapital erhöhen die Produktivität. Längerfristig lässt sich Arbeitslosigkeit nur erfolgreich bekämpfen, wenn die Quellen des wirtschaftlichen Wachstums sprudeln. Das gelingt nicht ohne höheres Humankapital und mehr Innovationen. Die Treiber dieser Entwicklung sind private Unternehmer.

Die wichtigste Komponente des institutionellen Arrangement auf den Arbeitsmärkten ist die Organisation des Prozesses der Lohn- und Tariffindung. Mit der Globalisierung nahm die inter- und intra-sektorale Heterogenität zu. Die adäquate Antwort ist eine stärker dezentrale, betriebliche Lohn- und Tarifpolitik. Am sinnvollsten sind gesetzliche Öffnungsklauseln in sektoralen Flächentarifverträgen. Dann ist eine adäquate betriebliche Anpassung an exogene Schocks möglich. Die wachsende Heterogenität in den Unternehmen trägt allerdings dazu bei, dass die Tarifeinheit erodiert. Die so mögliche größere berufliche Lohnflexibilität wird allerdings mit höheren Konflikten in den Unternehmen erkauft. Von großer Bedeutung für die Flexibilität der Löhne ist daneben aber auch die Steuer- und Abgabenschere. Steigt die Differenz zwischen Brutto- und Nettolöhnen, werden Löhne inflexibler. Die Arbeitslosigkeit steigt signifikant an. Zwei Lösungen sind denkbar: Zum einen eine Umfinanzierung staatlicher Leistungen. Das bedeutet: Runter mit den direkten Steuern, rauf mit der Mehrwertsteuer. Zum anderen eine geringere Steuerlast insgesamt. Das macht es allerdings erforderlich, die Ausgaben des Staates auf den Prüfstand zu stellen. Ein erstes Opfer wäre sicher der Sozialstaat.

Ein adäquates institutionelles Design der Arbeitsmärkte hilft nicht nur adäquat auf exogene Schocks zu reagieren, es garantiert auch, Arbeit möglichst effizient einzusetzen. Es verringert die Arbeitslosigkeit und erhöht das wirtschaftliche Wachstum. Ein wichtiges Element ist die Organisation des Schutzes der Arbeitnehmer vor materiellen Verlusten bei Arbeitslosigkeit. Mit der Arbeitslosenversicherung und dem Kündigungsschutz stehen zwei Instrumente zur Verfügung. Eine Kombination aus weniger Kündigungsschutz, einer großzügigeren Arbeitslosenversicherung (Flexicurity) und einer stärker fordernden aktiven Arbeitsmarktpolitik ist wachstumsfreundlicher. Der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ist Wachstum. Dafür sind Staat und Unternehmer zuständig. Die Aufgabe des Staates besteht darin, die notwendigen Bedingungen für verstärkte Investitionen in Humankapital zu schaffen. Er muss von konsumtiven auf investive (Bildungs-)Ausgaben umsteuern und für mehr Wettbewerb in der Bildung sorgen. Ohne private Unternehmer läuft allerdings nichts. Ein unternehmerfreundliches Klima ist eine notwendige Bedingung für mehr Innovation, Wachstum und Arbeitsplätze. Prohibitive steuerliche Belastungen und Diffamierung privater Unternehmer bewirken das Gegenteil.

Fazit

Die Arbeitslosigkeit in der EWU nimmt Fahrt auf. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Sprengsatz für den Euro gezündet wird. Die Hauptschuld wird der Politik der „Austerität“ zugeschrieben. Allerdings führt die öffentliche Kampagne gegen eine Politik des „Nicht-über-die-Verhältnisse-lebens“ in die Irre. In Europa gibt es keine nachhaltige Sparpolitik der öffentlichen Haushalte. Höhere Steuern und staatliche Defizite sprechen eine klare Sprache. Der größte Teil der Arbeitslosigkeit ist strukturell. Das zyklische Element ist auf dem Rückzug. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik ist wirkungslos. Die Geldpolitik der EZB treibt zwar die Aktienkurse, baut aber die Arbeitslosigkeit nicht ab und erhöht das inflationäre Gefahrenpotential. Das Tempo der Strukturreformen in den aktuellen und potentiellen Krisenländern ist zu gering. Noch reicht der Rückgang der Lohnstückkosten nicht aus, um die Arbeitslosigkeit spürbar abzubauen. Auch die preisliche internationale Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer hat sich bisher noch nicht spürbar verbessert. Der Weg aus der Krise führt nur über weitere Strukturreformen. Das halten die Gesellschaften des Südens politisch und sozial nicht aus. Ein Austritt aus der EWU ist die bessere, allerdings nicht schmerzfreie Lösung für alle.

15 Antworten auf „Austerität und Strukturreformen
Wirtschaftspolitisches Teufelszeug oder bittere Medizin?

  1. Sparpolitik ist ein Problem, jedenfalls kurzfristig. Überzogen dosiert zerstört sie auch die Akzeptanz nötiger Strukturreformen. Daher bedarf es einer geschickten Balance von Angebots- und Nachfragepolitik, die kurzfristig nicht destabilisierend und langfristig konsolidierend wirkt.

    Der Euro steht auch einer solchen Strategie im Weg, denn er verkürzt das Instrumentarium um ein entscheidendes Scharnier: den flexiblen Wechselkurs, der vor allem Differenzen in Produktivität und Nominallöhnen ausgleicht.

  2. Also ich sehe hier überhaupt keine Austerität. Irgendjemand anders vielleicht ? Ab ins Mittelalter mit uns !

  3. „Austerity has certainly caused low growth but may itself be the result of the poor and unbalanced growth performance before the crisis, which was due to the lack of reform. The postponement of reforms to improve growth potential has left countries with only one solution, austerity. Austerity is thus the result of policy makers’ past inability to take timely decisions, in other words it’s the result of their short sightedness – and stupidity.

    The way out of austerity is more fundamental structural reforms which increase growth potential and create the room for manoeuvre for a more gradual fiscal adjustment.“ Lorenzo Bini Smaghi (2013), Austerity and stupidity

  4. Ja, also das ist schon interessant was der Herr Smaghi da schreibt. Allerdings betone ich nochmals, dass wir keine Austerität haben. Schauen wir uns doch mal Griechenland an. Was hat sich seit der Zeit der „Austerität“ getan ? Wir haben heute sogar einen HÖHEREN Staatsschuldenstand. Austerität bedeutet für mich, dass sich das Verhältnis von Staatsverschuldung zu BIP verringert. Da allerdings die Struktur der südlichen Länder eben nicht so sehr auf dem Aufbau von privaten Kapitalstock beruht sondern in den Mechanismen der EU „gefangen“ ist, kann man da natürlich keine Besserung erwarten. Der einzigst logische Weg aus dem Schlamassel ist eine Rückführung zu nationalen Varianten – das ist keineswegs mit Nationalismus gleichzusetzen, nur eine notwendige Bedingung, dass sich die Ungleichgewichte auf Grund der demokratischen Entscheidungen vor Ort wieder entladen. Das es dazu selbstverständlich nicht kommen wird ist wohl auch klar, sodass man hier nüchten feststellen muss : doomed.

  5. „Austerität wird oft die Schuld für Produktionseinbrüche und hohe Arbeitslosigkeit in mehreren europäischen Staaten zugewiesen. Dieser Beitrag zeigt, dass Austerität nicht für die Rezession verantwortlich gemacht werden kann, auch wenn sie dazu beigetragen hat. Die Wiederanpassung der relativen Preisniveaus und die Reallokation von Arbeitnehmern braucht Zeit.“
    Hans-Werner Sinn und Akos Valininyi: Austerität, in: Ökonomenstimme vom 11. April 2014

  6. „Just as France’s and Italy’s poor economic results prompt the leaders of the euro area’s second and third biggest economies to step up their fight against fiscal austerity, it might be appropriate to ask whether they even know what that is. Government spending in the European Union, and in the euro zone in particular, is now significantly higher than before the 2008 financial crisis.“
    Leonid Bershidsky in: European Austerity Is a Myth in: BloombergView vom 19. August 2014

  7. „Unfortunately, the more that central banks give the impression that that they are on the case, and the more that markets cheer them on, the less pressure there is on politically gridlocked governments to deploy fiscal policy and push through structural reforms. Moreover, the fixation on monetary accommodation leaves slow-growth, balance-sheet-constrained economies stuck at stall speed, increasing the risk of yet another global growth relapse.“
    Stephen S. Roach: The Stall-Speed Syndrome, in: Project Syndicate vom 27. August 2014

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