„Abenomics“ für die Eurozone?
Chance und Risiken einer „aggressiven“ Geldpolitik durch die EZB

Weil die Inflationsrate in der Eurozone seit einiger Zeit schwächelt und inzwischen auf 0,3 % gesunken ist, wächst der Druck auf das Eurosystem, eine expansivere, wenn nicht sogar „aggressive“ Geldpolitik zu betreiben. Dies forderte bereits im Frühjahr der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Banken, der sich für ein Aufkaufprogramm von marktgängigen Wertpapieren seitens der EZB aussprach, sollten die Preise sich weiter in Richtung Deflation bewegen (FAZ, 2014). Ähnlich äußerte sich IMF Direktorin LAGARDE (2014), die ebenfalls eine expansivere Geldpolitik durch die EZB verlangte. Tatsächlich hat auch der EZB-Rat im April 2014 die Möglichkeit einer weiteren geldpolitischen Lockerung diskutiert und einstimmig beschlossen, innerhalb seines Mandats notfalls auch unkonventionelle Instrumente zu nutzen, um die Risiken einer anhaltenden Periode mit niedrigen Inflationsraten wirksam zu vermeiden.

Vorbild Japan?

Als Prototyp aggressiver Geldpolitik fungiert Japan, wo die Bank of Japan (BOJ) seit Anfang 2013 im Zuge der Abenomics ein geldpolitisches Experiment durchführt, das weltweit Beachtung findet. Sie hat angekündigt, die Basisgeldmenge in jedem Jahr um 60 bis 70 Trillionen Yen auszuweiten, so lange bis die Inflationsrate in Japan auf 2 % p.a. angestiegen ist. Dazu kauft sie monatlich am offenen Markt japanische Staatsanleihen (Japan Government Bonds, JGBs) an, vor allem solche mit längeren Laufzeiten. In Konsequenz ist die Geldbasis inzwischen drastisch angestiegen und hat sich innerhalb von zwei Jahren verdoppelt (siehe Abbildung 1). Auf diese Weise soll die gesamtwirtschaftliche Aktivität angekurbelt und Japan aus der Deflationsfalle herausgeholt werden, in der sich das Land seit Beginn der 1990er Jahre befindet.

Damit unterscheidet sich die BOJ vom Eurosystem, das die Geldbasis seit 2007 nur unwesentlich ausgeweitet hat, worauf NEUMANN (2014) kürzlich in diesem Blog hingewiesen hat. Zwar war die Basisgeldmenge auch im Euroraum seit Mitte 2011 zunächst angestiegen, ist danach aber wieder abgefallen und liegt inzwischen nur noch wenig über dem Niveau von 2007. Verantwortlich hierfür ist der geldpolitische Instrumenteneinsatz durch das Eurosystem, das Geldpolitik vor allem über Refinanzierungsgeschäfte mit den Geschäftsbanken betreibt und kaum Offenmarktoperationen durchführt. Anders als die BOJ hat das Eurosystem bislang nur wenige Staatsschuldtitel angekauft und zudem die Auswirkungen dieses Ankaufs auf die Geldbasis sterilisiert. Vor allem hat sie ihre Refinanzierungsgeschäfte mit den Geschäftsbanken im Mengentender bei Vollzuteilung durchgeführt und somit das Volumen der Inanspruchnahme den Geschäftspartnern überlassen. Das gilt auch für die beiden Anfang 2012 durchgeführten LTROs mit Laufzeiten von bis zu drei Jahren, die von den Geschäftspartnern zudem vorzeitigt getilgt werden konnten.

Anders Formuliert: Das Eurosystem betreibt daher eine eher „defensive“ Geldpolitik und überlässt das Volumen der Basisgeldschöpfung seinen Geschäftspartnern, deren Liquiditätsbedarf inzwischen wieder gesunken ist. Demgegenüber verfolgt die BOJ seit Anfang 2013 eine „aggressive“ Geldpolitik und weitet die Basisgeldmenge durch definitive Anleihekäufe aktiv aus. Gleiches wird angesichts der niedrigen Inflation jetzt auch vom Eurosystem gefordert.

Geldbasis
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Warum „aggressive“ Geldpolitik in Japan?

Wie das Eurosystem hat auch die BOJ das Mandat, für Preisstabilität zu sorgen, und verfolgt deshalb ein Inflationsziel, das Anfang 2013 auf 2 % p.a. (von zuvor 1 % p.a.) angehoben wurde. Dies entspricht der gängigen Einschätzung, wegen Erfassungsproblemen bei der Inflation auch bei niedrigen gemessenen Preissteigerungsraten von Preisstabilität zu sprechen. Im Unterschied zum Eurosystem nähert dich die BOJ diesem Zielwert jedoch „von unten“ an, weil die in Japan gemessenen Preissteigerungsraten in der Vergangenheit null oder sogar negativ waren. Frühere Versuche der BOJ, die Preissteigerungsrate wieder in „positives Territorium“ zu überführen, scheiterten und wurden abgebrochen. Dadurch haben sich im privaten Sektor Deflationserwartungen gebildet, wodurch für private Haushalte und Unternehmen Anreize geschaffen werden, ihre Ausgaben in die Zukunft verlagern.

Insbesondere Unternehmen halten einen großen Teil ihrer Aktiva in Kasse oder geldnahen Forderungen, anstatt zu investieren. Die gilt beispielsweise für börsennotierte japanische Unternehmen, die mehr als 40% ihrer Marktkapitalisierung in Form liquider Aktiva halten, im Vergleich zu lediglich 15% bis 27% für Unternehmen in den anderen G-7 Ländern (AOYAGI und GANELLI, 2014). Deshalb ist die BOJ bestrebt, die Inflationserwartungen des Publikums anzuheben, und hat angekündigt, die Basisgeldmenge solange auszuweiten, bis die Inflationsrate 2 % oder mehr erreicht hat. Durch den Anstieg der Inflationserwartungen erhofft sie sich einen expansiven Impuls, der die japanische Volkswirtschaft zurück auf einen positiven Wachstumspfad führt. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

Tatsächlich waren 2013 erste Erfolge zu vermelden, weil die Outputlücke gesunken ist und die Preissteigerungserwartungen in „positives Terrain“ übergewechselt sind. Dennoch liegen sie derzeit nur bei etwa 1 % p.a. und damit noch unter dem Inflationsziel, das die BOJ jetzt unbedingt erreichen will (HAUSSMAN und WIELANDT, 2014). Ein Grund für diese Trägheit ist ein Mangel an Glaubwürdigkeit, ob die BOJ ihre aggressive Geldpolitik tatsächlich durchziehen wird. Schließlich war der jüngste Strategiewechsel der BOJ im Frühjahr 2013 nur auf Druck der Regierung erfolgt, das Zentralbankgesetz abzuändern und die formelle Unabhängigkeit der BOJ einzuschränken. Dies wirkt heute nach und nährt Befürchtungen, die BOJ könnte bei einem erneuten Regierungswechsel wieder einen geldpolitischen Richtungswechsel vollziehen.

Was ist anders in der Eurozone?

Im Unterschied zu Japan sind die Inflationserwartungen in der Eurozone bislang positiv und mittel- bis langfristig weiterhin bei etwa 2 % „fest verankert“, wie der EZB Präsident auf seinen Pressekonferenzen stets betont. Dies zeigen auch die Daten aus Tabelle 1, die für die Eurozone die Inflationsprognosen bis 2019 wiedergibt; diese folgen aus Umfragen unter den Teilnehmern des „Surveys of Professional Forecasters“, welche die EZB in jeden Quartal durchführt. Danach rechnet die Mehrzahl der Respondenten für 2014 zwar eher mit niedrigen Inflationsraten im Bereich zwischen 0,5% und 0,9 %, erwartet aber danach einen Wiederanstieg und für 2019 eine Rückkehr der Inflation auf Werte nahe bei, aber unter 2%.

Stabile Inflationserwartungen signalisieren, dass der aktuelle Rückgang in der Inflation transitorisch ist und die Gefahren einer sich fortsetzenden Disinflation eher niedrig sind. Aktuell ist die niedrige Inflationsrate vor allem Folge sinkender Rohstoffpreise, die noch vor kurzem auf Höchstständen waren. Bei transitorisch sinkenden Inflationsraten besteht ein eher geringes Risiko einer abwärts gerichteten Lohn-Preis-Spirale, und deshalb befürchtet auch die EZB derzeit keine Deflationsspirale, auf die sie ihrem Mandat entsprechend reagieren müsste.

Inflationsprognosen
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Hinzu kommen verschiedene Nebenwirkungen einer geldpolitischen Lockerung, auf die auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihrem letzten Jahresbericht hingewiesen hat (BIZ, 2014): Sie bestehen in Spillover-Effekten auf die Emerging Market Economies, die mit den Konsequenzen eines erhöhten Liquiditätszuflusses aus den entwickelten Ländern und starken Wechselkursschwankungen zu kämpfen haben. Binnenwirtschaftlich reduziert ein Liquiditätsschub den Zwang für Banken und Unternehmen, ihre Bilanzen zu reparieren und fördert deren Risikoübernahme. Vor allem aber fördert eine expansive Geldpolitik nicht gerade den Reformeifer, sondern verringert die Anreize, notwenige strukturelle Reformen durchzuführen.

Kleckern statt Klotzen!

Bislang dürfte die EZB gut daran getan haben, auf eine aggressive Geldpolitik zu verzichten und sich eher defensiv zu verhalten. Man wird sehen, ob das japanische Experiment erfolgreich sein wird. In jedem Fall ist die Situation in Europa derzeit noch anders als in Japan, und es besteht für die EZB bislang kein Grund, sich geldpolitisch in ähnlicher Weise wie die BOJ zu verhalten.

Literatur

AOYAGI, C., GANELLI, G. (2014), Unstash the Cash! Corporate Governance Reform in Japan, International Monetary Fund, WP/14/140, Washington.

BANK FOR INTERNATIONAL SETTLEMENTS – BIS (2014), 84th Annual Report, Basel.

FAZ (2014), Deflationsdebatte. Fitschen: EZB sollte notfalls Staatsanleihen kaufen, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deflationsdebatte-fitschen-ezb-sollte-notfalls-staatsanleihen-kaufen-12881731.html

HAUSMAN, J.K., WIELAND, J.F. (2014), Abenomics: Preliminary Analysis and Outlook, Brookings Panel on Economic Activity, March 20–21, 2014.

LAGARDE, C. (2014), The Road to Sustainable Global Growth““the Policy Agenda, Speech at the School of Advanced International Studies, Washington, DC, April 2, 2014, http://www.imf.org/external /np/speeches/2014/040214.htm

NEUMANN, M.J.M. (2014), Die große Illusion von Expansion. Zur Geldpolitik der EZB

4 Antworten auf „„Abenomics“ für die Eurozone?
Chance und Risiken einer „aggressiven“ Geldpolitik durch die EZB

  1. Als ökonomischer Laie wage ich es trotzdem, die folgende Frage zu stellen:
    Off topic? Sicherlich nicht!

    Ausgangsthese:

    Es scheint der einheitliche Wille der europäischen und vor allen Dingen der deutschen Politik zu sein (das gilt für alle im BT vertretene Parteien):

    a) den Euro zu erhalten und
    b) alle Staaten im Euro zu halten.

    Jede deutsche Regierung – wie immer sie parteipolitisch zusammengesetzt sein mag, die auch nur andeutet, sie verweigere weitere Hilfszahlungen oder Hilfsmaßnahmen z.B. die der EZB, was dann zur Zahlungsunfähigkeit eines der Krisenländer führte, käme unter massivsten Druck der anderen Schuldner- und Krisenländer; besonders von Frankreich und Italien. Deutschland ist gefangen im Euro! Diesen Sachverhalt gilt es zu begreifen, zu akzeptieren und dann zu reflektieren.

    Die Frage, die sich angesichts der katastrophalen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Situation in den Südländern aufdrängt, lautet:

    Warum hält die deutsche und die europäische Politik auch in dieser verzweifelten Lage am Euro fest?

    Mein persönlicher Eindruck nach Lektüre hunderter von Artikeln, Berichten, Texten, Büchern, Blogs über die Eurokrise und die Situation in den südlichen Euroländern – nur Stichworte:

    * anhaltend hohe Arbeitslosigkeit; ca. 20% bis 30% und höher
    * eine noch dramatischere Jugendarbeitslosigkeit; von 50% bis weit darüber
    * unkontrollierte Schattenwirtschaft
    * Verarmung weiter Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Mittelschichten
    * ein unumkehrbarer Prozeß der Deindustrialisierung
    * höhere Staatsverschuldung als bei Ausbruch der Eurokrise vor fast 5 Jahren
    * ungezählte Banken der Südländer sind eigentlich pleite
    * die Handels- und Zahlungsbilanzen der Südländer mit Deutschland sind anhaltend tiefrot negativ

    Das sind die vielfältigen Verheerungen, die der Euro in Südeuropa angerichtet hat! Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung lebt an oder unter der Armutsgrenze. Große Teile der Mittelschichten lösen sich auf. Das sind die Auswirkungen des Euro.

    !!! Eine durchgreifende Besserung ist nicht in Sicht !!!

    ??? Warum diese unverbrüchliche Treue zum Euro ???
    Wie lange machen das die Bevölkerungen im Süden noch mit?

    Bakwahn
    ehemals PC-Support und Netzwerkadministration
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

  2. Schade, daß niemand auf meine Frage antwortet. Aber warum bekomme ich keine Antwort?

    Sind meine 8 Grundannahmen über die soziale, wirtschaftliche und finanzielle Situation der Südländer nicht richtig, sind sie gar falsch? Sind sie zu negativ, zu pessimistisch? Ist die Frage vielleicht ganz einfach nur dumm?

    Unabhängig davon, ist die Frage möglicherweise so schwierig, so komplex? Die Beantwortung könnte langes Nachdenken und, daraus resultierend, eine umfangreiche, vielschichtige Antwort erforderlich machen.

    Ich sehe das Projekt Euro – in seiner jetzigen Form – als gescheitert an. Alle bisherigen Stützungs- und Rettungsmaßnahmen der Politik wie der EZB, haben nicht wirklich durchgreifend geholfen, oder irre ich mich? Ist die Eurozone doch „auf einem guten Weg“, wie Schäuble immer wieder betont?

    ? Warum hält die europäische Politik an einem gescheiterten Projekt fest ?

    Bakwahn
    ehemals PC-Support und Netzwerkadministration
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

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