„Debt is a mistake between lender and borrower, and both should suffer.” (Nassim Nicholas Taleb)
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist gut. Es herrscht quasi Vollbeschäftigung, die Inflation ist zum Verdruss der EZB gering, die Ungleichheit der Einkommen ist (international) niedrig. Anhaltend hoch sind nur die Überschüsse in der Leistungsbilanz. Das stört aber mehr das Ausland als die Inländer. Einen Makel gibt es allerdings. Das wirtschaftliche Wachstum ist gering. Darunter leidet aber nicht nur Deutschland. Seit Mitte der 00er Jahre dümpelt es in allen reichen Ländern vor sich hin. Es droht säkulare Stagnation (hier). Vor allem die Produktivität wächst langsamer als früher. Über die Ursachen wird gestritten. Für die einen fehlt es an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, für die anderen „stockt“ es auf der Angebotsseite. Unbestritten ist, es mangelt an Investitionen, privaten und staatlichen. Die ökonomische Zeitenwende hat keynesianisches Gedankengut wieder nach oben gespült. Alles was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage beinträchtigen könnte, ist ökonomisch inzwischen suspekt. Dazu zählt neuerdings auch die Schuldenbremse.
Nationale Schuldenbremse und europäischer Fiskalpakt
Vor etwas über 10 Jahren hat die deutsche Politik mit Zwei-Drittel-Mehrheit entschieden, eine Schuldenbremse in die Verfassung aufzunehmen. Sie folgte dem Vorbild der Schweiz, die sich schon 2001 für eine solche Bremse entschied. Begrenzt werden soll die ausufernde „strukturelle“ Verschuldung. Grundsätzlich sollen die laufenden Ausgaben durch laufende Einnahmen finanziert werden. Eine Kreditfinanzierung ist nicht mehr vorgesehen. Der „strukturelle“ Spielraum der Verschuldung für den Bund ist seit dem Jahr 2016 auf 0,35 % des nominellen BIP begrenzt. Die Bundesländer dürfen sich ab 2020 überhaupt nicht mehr verschulden. Es gibt allerdings Ausnahmen für Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen. Für Kommunen und Systeme der Sozialversicherung gibt es keine Schuldenbremsen. Nach wie vor ist ein negativer „konjunktureller“ Finanzierungssaldo in Rezessionen möglich. Er muss allerdings in Hochkonjunkturen zurückgeführt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die automatischen Stabilisatoren im Konjunkturverlauf wirken können.
Die nationale staatliche Verschuldung wird nicht nur durch die existierende Schuldenbremse eingebremst, auch der europäische Fiskalpakt aus dem Jahr 2013 soll die nationale Verschuldung in Deutschland begrenzen. Das gesamtstaatliche, strukturelle Defizit darf 0,5 % des nominellen BIP nicht übersteigen. Im Gegensatz zur deutschen Schuldenbremse ist darin allerdings auch die Verschuldung der deutschen Kommunen und Sozialversicherungen enthalten. Da die nationale Schuldenbremse die Verschuldung von Bund und Bundesländern auf 0,35 % des nominellen BIP begrenzt, bleibt für die Verschuldung von Kommunen und den Systemen der Sozialen Sicherung noch 0,15 % des nominellen BIP als maximaler Verschuldungsspielraum. Ohne die bestehenden nationale Schuldenbremse müsste man in Deutschland neu darüber nachdenken, wie die maximal zulässige Verschuldung des europäischen Fiskalpakts auf Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen verteilt wird.
Nationale Schuldenbremse und staatliche Investitionen
Die Finanzkrise hat die Welt der Ökonomen auf den Kopf gestellt. Keynesianische Gedanken sind wieder salonfähig, angebotsorientierte Überlegungen stehen in der Kritik. Kein Wunder, dass auch die Schuldbremse unter Druck gerät. Zum Halali auf die Schuldenbremse blasen wetterwendische Ökonomen, opportunistische Politiker, interessengeleitete Arbeitgeberinstitutionen und klassenkämpferische Gewerkschaften. Das Argument ist einfach: Deutschland habe einen gewaltigen Investitionsstau. Der Staat lasse die Infrastruktur verkommen, investiere zu wenig in Bildung, fördere Forschung und Entwicklung unzulänglich und behandle den Klimaschutz stiefmütterlich. Obwohl wir grundsätzlich nicht wissen können, was das optimale Niveau öffentlicher Investitionen ist, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Anlehnung an die KfW die Zahl 450 Mrd. Euro für die nächsten 10 Jahre in die Welt gesetzt (hier). Die Schuldenbremse verhindere, dass Bund, Länder und Gemeinden ausreichend investieren könnten. Aus der Schuldenbremse werde eine Investitionsbremse.
Die Empirie sagt allerdings etwas anderes. Noch Anfang der 90er Jahre lag die (Brutto)Investitionsquote des Staates bei über 3 % des BIP. Sie ging danach bis Anfang des neuen Jahrtausends kontinuierlich auf 2,3 % zurück. Den niedrigsten Wert erreichte sie mit 1,9 % zwischen 2004 und 2007, also vor der Einführung der Schuldenbremse. Danach erholte sie sich wieder leicht. Als die Schuldenbremse 2011 eingeführt wurde, investierte der Staat 2,3 % des BIP. Diesen Wert erreicht die staatliche (Brutto)Investitionsquote auch heute wieder. Und noch etwas deutet darauf hin, dass die Schuldenbremse bisher keine Investitionsbremse war. Es ist nicht festzustellen, dass die Bundesländer, wie etwa die Haushaltsnotlagenländer und einige Flächenländer, die wegen der Schuldenbremse in ihrer Finanzpolitik beschränkt waren und sind, durch die Bank niedrigere staatliche Investitionsquoten aufweisen (hier). Es gibt also bisher keine Hinweise, dass die Schuldenbremse staatliche Investitionen verhindert. Das gilt im übrigen auch für die schweizerische Schuldenbremse (hier).
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Die seit langem rückläufigen staatlichen Investitionsquoten haben wenig mit der Schuldenbremse zu tun. Sie beruhen oft darauf, dass der Nutzen staatlicher Investitionen eher gering, der von (Sozial)Konsum aber höher eingeschätzt wird. Diese Präferenz ist aber für die Politik der Kompass. Negativ auf die staatliche Investitionstätigkeit wirkt sich auch aus, dass die Einwände von Bürgern stetig zunehmen. Das gilt vor allem für größere Investitionsvorhaben. Kommt es trotzdem zu Investitionen, verzögern sie sich oft um viele Jahre. Vor allem im kommunalen Bereich fehlen auch die notwendigen Planungskapazitäten. Staatliche Investitionen der Kommunen erfolgen oft nach Kassenlage. Die ist aber unstet, auch deshalb, weil die Gemeinden nicht über namhafte, eigenständig zu bewirtschaftende Einnahmequellen verfügen. Kommt es zu unvorhergesehenen Einnahmeausfällen, weil Bund und Länder sich anders entscheiden, werden geplante Investitionen zuerst geopfert. Die ineffiziente vertikale Kompetenzverteilung ist eine staatliche Investitionsbremse.
Politische Märkte, Staatsverschuldung und öffentliche Investitionen
Die Schuldenbremse ist keine Investitionsbremse. Sie ist nicht der Grund, weshalb die staatliche Investitionsquote schon seit Anfang der 90er Jahre rückläufig ist. Obwohl wir nicht genau wissen, wie hoch die optimale Investitionsquote ist, spricht vieles dafür, dass der Staat zu wenig investiert. Die Erfahrung zeigt, eine überbordende staatliche Verschuldung ist in Demokratien an der Tagesordnung. Eine wichtige Ursache ist der politische Wettbewerb um Wählerstimmen. Ein Politiker kann seine Chance erhöhen, wiedergewählt zu werden, wenn er öffentliche (oft auch private) Güter preisgünstiger als die Konkurrenz anbietet. Der Steuerpreis, den heutige Wähler entrichten müssen, sinkt mit der staatlichen Verschuldung. Die Kandidaten aller Parteien überbieten sich in den Wohltaten, sie versprechen Leistungen und verschieben Kosten. Erst spätere Generationen müssen für die wahren Kosten dieser Politik aufkommen. Kein Wunder, dass die staatliche Verschuldung (explizit und implizit) in Demokratien mit alternder Bevölkerung unaufhörlich wächst.
Der unvollkommene Wettbewerb auf den politischen Märkten hat aber nicht nur einen Bias zugunsten übermäßiger Verschuldung. Er verzerrt die politischen Entscheidungen auch zu Lasten staatlicher Investitionen. Der Grund liegt in den Ungleichzeitigkeiten von Kosten und Erträgen. Verausgabt der Staat die Einnahmen für investive Zwecke, fallen die Kosten sofort, die Erträge aber erst später an. Bei zeitlich begrenzten Legislaturperioden ist es für die Politik wenig lukrativ, staatliche Investitionen zu tätigen. Ganz anders sieht es bei konsumtiven Ausgaben des Staates aus. Kosten und Erträge fallen mehr oder weniger gleichzeitig an. Es ist deshalb kein Wunder, dass staatliche Investitionen oft hinten runter fallen und staatlicher (Sozial)Konsum dominiert. Dieses Muster gilt auch, wenn Haushaltsnotlagen auftreten und die Politik sparen muss. Auch in dieser Situation stehen investive Ausgaben vorne auf der Streichliste. Konsumtive Ausgaben werden so gut es geht geschont.
Diese Verzerrungen sind demokratischen Ordnungen inhärent. Sie treten in repräsentativen Demokratien allerdings häufiger und intensiver als in politischen Ordnungen mit direktdemokratischen Elementen auf. Verhindert werden sie trotzdem nicht. Einen signifikanten Einfluss auf das Ausmaß der Verzerrungen staatlicher Ausgaben hat auch die Art, wie die föderale Ordnung organisiert ist. In zentralistisch aufgebauten Demokratien ist der Anreiz besonders groß, auf staatlichen (Sozial)Konsum und noch weniger auf produktive staatliche Investitionen zu setzen. Die politischen Kosten und Erträge staatlicher Investitionen fallen besonders stark auseinander, investive Mittel werden ineffizienter eingesetzt. In wettbewerblich organisierten föderalen Ordnungen entsprechen sich Handlung und Haftung eher. Die Aufgaben sind besser subsidiär auf die Gebietskörperschaften verteilt. Ausgaben und Einnahmen sind auf derselben staatlichen Ebene angesiedelt. Bei einem solchen institutionellen Rahmen ist der Bias zu Lasten staatlicher Investitionen geringer.
Nationale Schuldenbremse und institutionelle Kongruenz
Die Dosis macht das Gift. Das gilt auch für die Staatsverschuldung. Es gibt gute Gründe, nachfragebedingte Konjunkturen über Defizite und Überschüsse symmetrisch abzufedern. Auch gegen eine Finanzierung staatlicher Investitionen über Kredite spricht wenig, immer vorausgesetzt die Erträge übersteigen die Kosten. Problematisch wird es, wenn staatlicher (Sozial)Konsum mit Krediten finanziert wird. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, trennscharf zwischen staatlichen Investitionen und staatlichem Konsum zu unterscheiden. Dem Missbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet. Eklatante Missbräuche waren der Grund, die Schuldenbremse einzuführen. Mit der Kritik an der Schuldenbremse wird vorgeschlagen, das Problem, Investitionen vom Konsum abzugrenzen, über einen „Deutschlandfonds“ zu lösen. Diese Institution soll berechtigt werden, Investitionen über Kredite zu finanzieren. Solche Neben- oder Schattenhaushalte sind allerdings altbekannte Taschenspielertricks der Politik. Mit ihnen soll die Schuldenbremse umgangen werden. Dass sich der BDI für solche Manöver hergibt, ist ein ordnungspolitisches Trauerspiel.
Bekommt man das Abgrenzungsproblem nicht in den Griff, werden politische Märkte immer einen Bias zugunsten staatlichen Konsums und zu Lasten staatlicher Investitionen produzieren. Um den politischen Unfug zu minimieren und künftige Generationen vor der heutigen Generation zu schützen, ist eine Schuldenbremse unvermeidlich, die „strukturelle“ Defizite möglichst klein hält. Der Ansatz, grundsätzlich alle laufenden Ausgaben über laufende Einnahmen zu finanzieren, ist deshalb als Notbremse richtig. Die Politik kann allerdings noch mehr tun. Eine Schuldenbremse funktioniert besser, wenn sie einen soliden föderalen Unterbau hat (hier). Die Anreize zur Verschuldung halten sich in Grenzen, wenn zweierlei beachtet wird: Zum einen muss geklärt werden, was des Marktes und was des Staates ist; zum anderen muss festgelegt werden, auf welcher staatlichen Ebene öffentliche Güter angeboten werden. Die Regel dafür ist einfach: Nutzer, Entscheider und Zahler sollen möglichst übereinstimmen. Auf dem Fundament eines wettbewerblichen Föderalismus kann die Schuldenbremse politischen Unfug noch wirksamer begrenzen.
Fazit
Niedrige Zinsen setzen falsche Anreize. Der „free lunch“ ist für viele Linke kein Märchen aus „Tausendundeine Nacht“. Er scheint ihnen real. Die Hoffnung greift um sich, alles haben zu können, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Es gebe keine Knappheit mehr. Der öffentliche Investitionsstau könne über staatliche Verschuldung finanziert werden, kostenlos. Staatlicher (Sozial)Konsum müsse nicht gekürzt werden, die Subventionitis könne weiter wuchern. An Euros mangele es nicht. Sie lägen auf der Straße. Man müsse sie nur aufheben. Verteilungskämpfe der Interessengruppen um knappe staatliche Mittel seien Geschichte. Eine kostenlose Staatsverschuldung mache es möglich. Nur die Schuldenbremse hindere langfristig denkende Politiker, hellsichtige Ökonomen und gemeinwohlorientierte Interessenvertreter von BDI und DGB daran, ins ökonomische Wunderland aufzubrechen. Deshalb müsse sie weg. Seit der Finanzkrise scheinen selbst gestandene Ökonomen immer öfter den Kopf zu verlieren. Der Unfug hat Methode. Eine lockerere, „flexiblere“ Schuldenbremse, die nicht mehr bremst, ist interessengeleiteter Kokolores.
Blog-Beiträge zum Thema:
Jan Schnellenbach: Eine Investitionsoffensive unter Einhaltung der Schuldenbremse
Norbert Berthold: Schuldenbremsen sind Populismusbremsen. “Neue” Schuldenpolitik ist Wasser auf die Mühlen der Populisten
:Jan Schnellenbach: Ist die Schuldenbremse sinnvoll?
Norbert Berthold: Verschuldung, Demokratie und Föderalismus
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Eine Antwort auf „Die Ermächtigung zum Unfug führt zu Unfug
Warum eine „flexiblere“ Schuldenbremse keine gute Idee ist“