„Zuerst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.“ (Jürgen Wegmann)
Die Energiemärkte laufen Amok. Weltweit explodieren die Preise. Öl, Kohle und Gas verteuern sich rasant. Die Nachfrage nach Energie übersteigt das Angebot. Schuld daran ist die Weltwirtschaft, die sich nach der Corona-Krise erholte. Die steigende Nachfrage nach Energie treibt die Preise für Energie bis heute. Der Ukraine-Krieg verschärft die Lage. Das Angebot an (russischer) Energie wird verknappt. Die Preise steigen sprunghaft. Das alles erinnert stark an die beiden Ölpreis-Schocks der 70er Jahre. Deutschland hatte damals Glück, weil die DM aufwertete. Das ist heute nicht der Fall. Der Euro wertet nicht auf, er verliert an Wert, vor allem gegenüber dem Dollar, der „Leitwährung“ für Energielieferungen. Er verschärft den Schock importierter Energie. Und Deutschland hat dieses Mal auch Pech, weil es stark von russischer Energie abhängt, vor allem von Gas. Wie beim Ölpreis-Schock der 70er kommen auf Deutschland besondere Lasten zu. Wer trägt diese Lasten? Wie reagiert die Politik auf den Schock? Wird es sozial und politisch unruhig in Deutschland (Gelbwesten-Effekte)?
Schocks und Lasten
Die Preise für Güter und Dienste, die Deutschland importiert, steigen schon seit einiger Zeit stärker als die Preise für exportierte Produkte. Ein wichtiger Grund sind spürbar höhere Preise für importierte Energie. Unsere „terms of trade“ verschlechtern sich. Für eine Einheit importierter Energie müssen wir mehr heimische Güter und Dienste als zuvor aufbringen. Damit steht nur noch weniger der im Inland produzierten Güter und Dienste hierzulande zur Verfügung. Der inländische Wohlstand sinkt. Wir werden ärmer, einige mehr, andere weniger. Längerfristig bleibt das aber nicht so. Hohe (relative) Preise für bestimmte Energien, wie etwa Öl oder Gas, lösen Substitutionsprozesse aus, wie Julian Simon gezeigt hat. Seine Wette mit dem Etomologen und Wachstumskritiker Paul R. Ehrlich wurde legendär. Andere Arten der Energiegewinnung und Energien werden wettbewerbsfähig, wie etwa Fracking oder erneuerbare Energien. Die inländischen Wohlstandsverluste, die durch hohe Preise etwa für importiertes Gas entstehen, erodieren.
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Der Energiepreis-Schock schrumpft unseren Wohlstand. Der zu verteilende Kuchen wird kleiner, der Verteilungskampf intensiver. Auf den Märkten entscheiden die Machtverhältnisse, wer wieviel Lasten tragen muss. Grundsätzlich haben weniger mobile Faktoren die schlechteren Karten. Im Verteilungskampf ist Arbeit gegenüber Kapital strukturell benachteiligt. Aber auch „Boden“ (Grundstücke, Immobilien, natürliche Ressourcen) hat diesen Nachteil. Kapital ist dagegen mobiler, es kann leichter abwandern. Das ist bei Arbeit schwerer. Es ist regional stärker gebunden. Einfache Arbeit hat gegenüber qualifizierter und noch mehr gegenüber hochqualifizierter einen Nachteil. Die Tendenzen zur De-Globalisierung, das Ende des Angebotsschocks auf den (Welt)Arbeitsmärkten und der Fachkräftemangel haben zwar die Position der qualifizierteren Varianten der Arbeit gegenüber dem (Real)Kapital verbessert. Nach wie vor besteht aber ein signifikantes Machtgefälle. Es spricht vieles dafür, dass ein Großteil der Lasten des Energiepreis-Schocks von der Gruppe der Arbeitnehmer getragen werden muss. Auch mittlere Qualifikationen, die Facharbeiter, werden leiden.
Umverteilung und Übergewinnsteuer
Die ökonomische Binsenweisheit, wonach es weniger mobilen Faktoren schlechter gelingt, der Belastung ausweichen als mobileren, lässt sich zwar nicht aus der Welt schaffen. In einer sozialen Marktwirtschaft wird aber versucht, diese Entwicklung zu korrigieren. Das ist die Aufgabe der Politik. Dabei steht sie vor einem Dilemma. Einerseits muss sie die Lasten der teurer gewordenen Energie umverteilen. Wirtschaftlich Schwächeren sollen entlastet, ökonomisch Stärkeren belastet werden. Dafür spricht die in unserer Gesellschaft tief verankerte Vorstellung von „Gerechtigkeit“. Aber auch die politische Vernunft gebietet eine solche Umverteilung. Zumindest dann, wenn man Gelbwesten-Effekte verhindern will. Andererseits muss die Politik verhindern, dass die Umverteilung die Preissignale der Mangellage an Energie verschüttet. Höhere Preise erhöhen das Angebot an Energie und verstärken die Prozesse, teurere durch billigere Energie zu ersetzen. Gleichzeitig verringern sie auch die Nachfrage von Haushalten und Unternehmen nach Energie. Solche Einsparungen sind aber notwendig, um die energiebedingten Lasten zu verringern.
Dieser Zielkonflikt bricht umso stärker auf, je größer der Kreis der von der Umverteilung der Lasten begünstigten Personen ist. Konzentriert sich die Politik darauf, nur die wirtschaftlich Schwächsten zu entlasten, bleibt der gesamtwirtschaftliche Einspareffekt hoher Energiepreise weitgehend erhalten. Der Einspareffekt der Armen wäre auch ohne staatliche Transfers minimal. Wer nur das Existenzminimum nachfragt, kann auch seine Nachfrage nach Energie nicht spürbar verringern. Dehnt die Politik allerdings die (Netto)Entlastungen auf immer weitere Kreise der mittleren Einkommen aus, schwindet nicht nur der Einspareffekt immer mehr. Die Umverteilung der Lasten lässt sich auch immer schwerer finanzieren. Als Ausweg wird neuerdings eine „Übergewinnsteuer“ ins Spiel gebracht. Diese Hoffnung wird sich allerdings nicht erfüllen. Es sind nicht nur die Ausweichreaktionen der Unternehmen, die mit dazu beitragen, die Steuerbasis zu verkleinern. Auch die wirtschaftlichen Anreize der Unternehmen, die Mangelsituation zu verringern, gehen zurück. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat in einer aktuellen Stellungnahme weitere Gründe aufgeführt, weshalb eine „Übergewinnsteuer“ nicht zu empfehlen sei (hier). Es bleibt dabei, es ist die Mittelschicht, die vor allem herangezogen werden muss, die (umverteilungspolitischen) Lasten der Energiekrise zu schultern.
Hilfe mit der Gießkanne
Die Bundesregierung hat auf die steigenden Energiepreise mit Entlastungspaketen reagiert. In einem Steuer-Entlastungspaket erhöhte sie den Arbeitnehmer-Pauschbetrag, den Grundfreibetrag und die Pendler-Pauschale für Fernpendler. Mit einem Energie-Entlastungspaket gewährte sie einen Tankrabatt, führte ein 9-Euro-Ticket ein, zahlte einen Kinderbonus, einen Hartz-4-Zuschuss und eine Energiepreispauschale. Beide Pakete schlagen mit etwa 30 Mrd. Euro zu Buche. Viele der Maßnahmen sind oft weder effizient noch gerecht. Sie geraten, wie etwa die Pendler-Pauschale, in Konflikt mit dem Ziel, Energie einzusparen. Und Umverteilungspolitik wird wieder mit der Gießkanne betrieben. Dabei wäre es sinnvoll, die Hilfen auf einkommensschwache Haushalte zu konzentrieren. Der Tankrabatt ist das beste Beispiel. Über ein drittes Entlastungspaket wird diskutiert. An schlechten Ideen herrscht kein Mangel. Sie reichen von Gaspreis-Deckeln, Energiepreis-Bremsen, einer neuen Energiepreispauschale, einer Nachfolge-Regelung für das 9-Euro-Ticket und anderes Dummes mehr. Der Trend der Vorschläge geht dahin, die Bevölkerung in der Breite spürbar von explodierenden Energiepreisen und allgemein höherer Inflation zu entlasten („You’ll never walk alone“).
Wie man es nicht machen sollte, zeigt die Gas-Umlage. Einige systemrelevante Gasversorger sind in Schwierigkeiten. Sie können bisher die steigenden Kosten für Gas nicht an die Verbraucher weitergeben. Erhalten sie keine Hilfe vom Staat, gehen sie Pleite. Das gilt vor allem für Uniper. Die Konsequenzen für die gesamte Volkswirtschaft wären erheblich. Die Bundesregierung will die Energiebranche stützen. Dafür hat sie eine Gas-Umlage beschlossen. Die Mittel aus dieser Umlage, immerhin etwa 34 Mrd. Euro, gehen an 12 Unternehmen dieser Branche (hier), wobei RWE zunächst einmal auf staatliche Mittel verzichtet. Verteilt wird auch hier mit der Gießkanne. Die Gefahr von Mitnahmeeffekten ist groß. Nicht alle Versorger leiden. Alle Gaskunden, Haushalte und Unternehmen, die Finanziers der Gas-Umlage, werden über niedrigere Sätze der Mehrwertsteuer entschädigt. Die Kritik an der „Entlasteritis“ liegt auf der Hand: Es wird nicht nur mit der Gießkanne entlastet. Auch der Konflikt mit dem Ziel, Energie einzusparen, ist offenkundig. Bei Licht betrachtet wird die Gas-Umlage bei maximaler Bürokratie aus dem Bundeshaushalt finanziert. Das hätte man einfacher und billiger haben können. Direkte steuerfinanzierte staatliche Hilfen für von der Pleite bedrohte systemrelevante Energieunternehmen, analog zu den Banken in der Finanzkrise, wären effizienter und gerechter.
Fazit
Der Energiepreis-Schock macht uns ärmer, heute und morgen. Die Lasten, die durch ihn entstehen, sind erheblich. Wer sie trägt, hängt von der Marktmacht der Produktionsfaktoren ab. Das meiste wird an der eher immobilen Arbeit, weniger am mobileren Kapital hängen bleiben. Gesellschaftlicher Konsens ist aber auch, dass einkommensschwache Haushalte besonders hilfsbedürftig sind. Ihnen muss vorrangig geholfen werden. Noch verspricht die Politik allerdings mehr. Sie will mit den Hilfspakten weiter in die Breite gehen. Diese Politik („You‘ll never walk alone“) wird aber schnell an Grenzen stoßen. Wenn Arbeit die Hauptlast trägt, einfache Arbeit aber solidarisch unterstützt wird, bleibt als Zahler der Lasten des Energiepreis-Schocks vor allem die breite Mittelschicht. Dann gilt: Rechte Tasche, linke Tasche. Nicht ganz Reiche werden allerdings stärker zur Kasse gebeten als nicht ganz Arme. Der politische Unmut in der größten Wählergruppe – der Mittelschicht – wird wachsen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu vorherzusagen, dass die Politik auf den Ausweg noch höherer staatlicher Verschuldung verfallen wird. Das ist keine gute Nachricht für den liberalen Finanzminister. Er wird spätestens im nächsten Jahr seine (undurchsichtigen) Pläne, die Schuldenbremse wieder einzuhalten, beerdigen müssen.
Podcast zum Thema:
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Ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Marcel Thum (Technische Universität Dresden, ifo Institut), Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Finanzen, und Dr. Jörn Quitzau (Berenberg).
Blog-Beiträge zum Thema:
Jörn Quitzau: Eine „Übergewinnsteuer“ ist ein sehr zweifelhaftes Instrument
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