Ordnungspolitischer Unfug (6)
Mindestpreise für Lebensmittel
Robert Habeck irrlichtert (auch) agrarpolitisch*

„Seit dem Abschluß des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 hat die Gemeinsame Agrarpolitik im Prozeß der europäischen Integration eine zentrale Rolle gespielt und immer wieder für Krisen gesorgt.“ (Winfried von Urff)

Die Bauern protestieren in Deutschland seit Wochen. Öffentlichkeitswirksam setzen sie auf Demonstrationen auch ihre Traktoren ein. Ihre Wut richtet sich gegen die Agrarpolitik aus Berlin und Brüssel. Die Preise, die sie für ihre Produkte erhalten, seien zu niedrig. Der Verbraucher stehe nur auf „billig“, weiterverarbeitende Betriebe, wie die Molkereien, zahlten nur Dumpingpreise, auch der Handel nutze seine Verhandlungsmacht gnadenlos aus. Die Kosten der Produktion liefen schon seit Jahren aus dem Ruder. Neue umweltpolitische Verordnungen ließen sie weiter steigen. Ein auskömmlicher Verdienst sei für viele Landwirte nicht mehr möglich. Das Höfesterben gehe unvermindert weiter. Die Politik müsse endlich dagegen was tun. Die Landwirtschaftsministerin gelobte Hilfe, die Bundeskanzlerin rief zu einem Agrargipfel und einer der Vorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, forderte Mindestpreise für Lebensmittel, um den Einkommensverfall zu stoppen.

Strukturwandel

Der Agrarsektor ist in einem heftigen Strukturwandel. Die Zahl der Höfe geht schon seit längerem drastisch zurück. Waren es Anfang der 60er Jahre noch 768.000 Betriebe mit mehr als 5 Hektar, sind es heute nur noch 245.000 (hier). Dazu kommen noch 27.000 Kleinbetriebe mit weniger als 5 Hektar. Und der Trend zeigt weiter nach unten. Vor allem kleine bäuerliche Betriebe blieben auf der Strecke. Mit dem Höfesterben hat auch die durchschnittliche Betriebsgröße zugenommen. Sie stieg von 15 Hektar auf 68 Hektar. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche hat sich kaum verändert, die Produktivität ist durch den Einsatz von Maschinen und Technologie signifikant gestiegen. Dennoch hat der Agrarsektor wirtschaftlich an Bedeutung verloren. Seine Bruttowertschöpfung hat nur noch einen Anteil von 0,6 % am BIP. Noch gravierender ist der Rückgang der landwirtschaftlich Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung. Er liegt gegenwärtig bei 1,4 %.

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Auch der intra-sektorale Strukturwandel verändert das Gesicht der Landwirtschaft. Das durchschnittliche Einkommen liegt gegenwärtig bei fast 36.000 Euro (hier). Es differiert zwischen Betriebsformen, Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben aber auch zwischen „öko“ und „konventionell“. Wer „ökologisch“ wirtschaftet verdient etwas mehr als „konventionelle“ Betriebe. Der Unterschied in den Einkommen zwischen Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben ist nach wie vor erheblich. Die Betriebsform (Ackerbau-, Milchvieh-, Veredelungs-, oder Gemischtbetrieb) dagegen schafft keine systematischen Einkommensunterschiede. Mal sind die einen vorne, mal andere. Über 46 % der Einkommen der Landwirte stammen aus staatlichen Fördermittel. Am stärksten sahnen die Nebenerwerbsbetriebe ab. Ihr Einkommen besteht zu 92,5 % aus staatlichen Transfers. Bei juristischen Personen sind es 55,2 % bei den Haupterwerbsbetrieben 40,5 %. International liegt Deutschland mit diesen Werten mit an der Spitze der Nicht-Markteinkommen.

Antworten

Der Agrarsektor ist mit seinen wirtschaftlichen Problemen nicht allein. Auch der industrielle Sektor steckt hierzulande in Schwierigkeiten (hier). Die Antwort auf den sektoralen Wandel ist in allen Branchen dieselbe: Notleidende Unternehmen müssen profitabler werden. Wer es nicht schafft, scheidet aus dem Markt aus. Das gilt auch für landwirtschaftliche Betriebe. Wettbewerbsfähiger wird nur, wer billiger, besser und schneller wird. Bäuerliche Unternehmer müssen effizienter produzieren. Nur wenn sie die Kosten der Produktion senken, können sie im preislichen Wettbewerb mithalten. Gelingt ihnen das nicht, ziehen sie den Kürzeren. Das gilt vor allem, wenn sie auf den Weltmärkten bestehen wollen. Aber selbst auf dem gegenüber Drittländern abgeschotteten europäischen Agrarmarkt ist die Konkurrenz groß. Mehr ökonomische Effizienz ist unabdingbar.

Allein „billiger“ ist aber keine nachhaltige Strategie. Wer auf den Agrarmärkten erfolgreich sein will, muss nicht nur qualitativ „besser“ werden. Er muss auch mit neuen Produkten auf den Markt kommen. Dabei muss er „schneller“ sein als die Konkurrenz. Es steht allerdings zu befürchten, dass die jahrzehntelange (Gemeinsame) Agrarpolitik den unternehmerischen Elan der Landwirte narkotisiert hat. Die Subventionspolitik hat die Bauern träge gemacht. Engmaschige Regulierungen haben ihre wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten dezimiert. Der Drang zu effizienterer Produktion, zu neuen Produkten, zu neuen Märkten und neuen Organisationsformen wurde jahrzehntelang systematisch verschüttet. Sektorstrukturen wurden konserviert, Zombi-Unternehmen entstanden. Auch neue Geschäftsfelder, wie regenerative Energien, sind subventionsverseucht. Eine Landwirtschaft ohne Subventionen ist heute kaum vorstellbar.

Mindestpreise

Der Strukturwandel im Agrarsektor wird weitergehen. Im Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ wird es auch künftig neben Gewinnern auch Verlierer geben. Können Mindestpreise für Lebensmittel helfen, die Zahl der Verlierer zu verringern? Einige Politiker, wie Robert Habeck von den Grünen, bejahen diese Frage. Mindestpreise wären eine Rückkehr zur „alten“ (Gemeinsamen) Agrarpolitik, wie sie vor 2003 in der EU praktiziert wurde. Das wäre gesamtwirtschaftlich fatal (Abb. 2). Ein Anstieg der Preise für Agrarprodukte auf PMP  ohne weitere Interventionen würde zu einem Angebotsüberschuss von BC führen. Der Preis würde unter Druck geraten und sich im Ausgangspunkt A einpendeln. Erst ein staatlicher Aufkauf der überschüssigen Menge BC stabilisiert den Preis auf PMP. Die Konsumentenrente würde um die Fläche PMP P0 AB verringert, die Produzentenrente um die Fläche  PMPCAP0 erhöht. Der positive Nettoeffekt entspricht der Fläche ABC.

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Auf den ersten Blick scheint es, als ob Mindestpreise für Lebensmittel bei einer Ankaufpflicht des Staates wohlfahrtssteigernd wirken. Dem ist aber nicht so. Die Kosten des Aufkaufs – ohne Lagerkosten, Transportkosten etc. – entsprechen der Fläche BCED. Dabei wird angenommen, dass der Staat die aufgekauften Agrarprodukte zum niedrigeren Weltmarktpreis PW absetzen kann. Alles in allem entsteht einer Volkswirtschaft durch Mindestpreise für Lebensmittel ein Wohlfahrtsverlust in Höhe der Fläche BCEDAB. Dabei sind noch gar nicht alle Kosten einer solchen interventionistischen Agrarpolitik berücksichtigt. Höhere Mindestpreise führen zu einer intensiveren Landwirtschaft. Der Boden wird intensiver genutzt. Dünger, Pestizide und Fungizide werden verstärkt eingesetzt. Der Umwelt bekommt das nicht gut. Aber auch die Länder mit komparativen Vorteilen bei der Agrarproduktion leiden weltweit. Der Angebotsüberschuss hierzulande drückt auf die Weltmarktpreise.

Reformen

Mindestpreise für Lebensmittel sind eine Schnapsidee. Es wäre ein weiterer Schritt zu noch mehr Politikversagen. Der Weg aus der anhaltenden Agrarmisere führt nur über mehr Markt im Agrarsektor. Die irrlichternde staatliche Politik muss ein Ende haben. Aus „administrierten“ Bauern müssen wieder landwirtschaftliche Unternehmer werden. Ein funktionierender Agrarmarkt braucht allerdings einen ordnungspolitischen Rahmen. Den muss der Staat setzen. Die schweizer Denkfabrik „Avenir Suisse“ hat kürzlich aufgeschrieben (hier), wie der schweizer Agrarmarkt aussehen sollte. Die Überlegungen gelten auch für den Agrarmarkt der EU. Alle strukturerhaltenden Transfers zugunsten der Agrarwirtschaft werden abgeschafft. Darunter fallen auch die Direktzahlungen. Neben dem Abbau der Subventionen muss das Regulierungsdickicht rigoros gelichtet werden. Auf regionaler Ebene soll ein „agrarpolitisches Laboratorium“ für regulierende Eingriffe entstehen.

Ein adäquater Ordnungsrahmen muss allerdings noch mehr enthalten. Staatliche Wettbewerbsbehörden müssen dafür sorgen, dass auf allen Ebenen der agrarischen Wertschöpfungsstufen wettbewerbliche Verhältnisse herrschen. Das gilt auch für die problematische Konzentration von Unternehmen auf der Handelsstufe. Gefragt sind staatliche Eingriffe auch, wenn es darum geht, von der Landwirtschaft verursachte Umweltkosten zu verringern. Das kann durch einen weniger stark verzerrten Strukturwandel, eine standortgerechtere Landwirtschaft, technische Innovationen und Lenkungsabgaben auf umweltschädliche Hilfsstoffe erfolgen. Und noch etwas muss der Staat leisten. Er muss dafür sorgen, dass gemeinwirtschaftliche Leistungen der Landwirtschaft, wie etwa die Pflege der Kulturlandschaft, der Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen und die Förderung naturnaher, umwelt- und tierfreundlicher Produktionsformen, finanziell abgegolten werden.

Fazit

Die Bauern sind in Wut. Bei vielen laufen die Geschäfte schlecht. Der wenige Regen und die große Hitze der letzten Jahre zerren an den Nerven. Schuldige sind schnell ausgemacht. Die Konsumenten kauften nur „billig“, die Molkereien beuteten die Bauern aus, das Handelskartell betreibe Dumping und die Politik lasse die Bauern im Stich. Kein Wunder, dass Schnapsideen wie gesetzliche Mindestpreise für Lebensmittel auf fruchtbaren Boden fallen. Das ist aber Unsinn. Es ist als ob man Feuer mit Benzin bekämpfe. Schlimmer als Marktversagen wütet auf den Agrarmärkten seit langem das Politikversagen. Der deutsche Agrarsektor liegt wie der Riese Gulliver gefesselt am Boden. Der Marktmechanismus ist weitgehend ausgeschaltet, Subventionen verzerren ihn, Regulierungen blockieren ihn. Den Bauern wird es erst besser gehen, wenn wieder mehr Markt am Agrarmarkt herrscht. Aus „administrierten“ Bauern müssen wieder landwirtschaftliche Unternehmer werden.

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* Der Beitrag wurde Mitte Februar abgeschlossen. Er erschien bisher nicht, weil andere aktuelle Entwicklungen im Blog interessanter waren. Die Diskussion um miserable Zustände auf Schlachthöfen hat allerdings den Streit um die Höhe der Fleischpreise neu entfacht. Robert Habeck ist wieder in vorderster Front dabei, Mindestpreise für Fleisch zu fordern. Nichts Neues also an der Front der Preisinterventionisten.

Blog-Beitrag zum Thema:

Gordon J. Klein: Mindestpreise für Lebensmittel

Blog-Beiträge der Serie “Ordnungspolitischer Unfug”

Norbert Berthold: Wenn’s dem Esel zu wohl wird. Mindestlöhne mit Subventionen

Norbert Berthold: Peterchens (industriepolitische) Mondfahrt. Wettbewerbsfähig wird man im Wettbewerb

Norbert Berthold: Deutschland wird leiden. Leistungsbilanzsalden und Strukturwandel

Norbert Berthold: Mietpreisbremse und “Sozialer Wohnungsbau”. Irrwege in der Wohnungspolitik

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6 Antworten auf „Ordnungspolitischer Unfug (6)
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