„(Public debt) is one of the most terrible scourges which was ever invented to afflict a nation.“ (David Ricardo, 1820)
Totgesagte leben bekanntlich länger. Das gilt auch für den Keynesianismus. Er gewinnt gegenwärtig wieder an Boden in Politik und Wissenschaft. Eingefleischte Keynesianer erwecken den Eindruck, es mangele immer und überall an Nachfrage. Es ist unbestritten, eine zu geringe gesamtwirtschaftliche Nachfrage führt zu zyklischer Arbeitslosigkeit. Die Kapitalmärkte versagen, zu hohe Realzinsen behindern die notwendige Anpassung an neue wirtschaftliche Gegebenheiten. Arbeit und Kapital werden temporär arbeitslos. Allerdings ist es verwegen, andauerndes anämisches Wachstum zyklisch zu erklären. Die keynesianische Variante der säkularen Stagnation, wie sie vom Harvard-Ökonomen Lawrence Summers medienwirksam in Umlauf gebracht wurde, ist allenfalls „Handelsklasse C“. Wie schnell Länder längerfristig wachsen, hängt von der Menge und der Qualität der Produktionsfaktoren ab. Eine wichtige Rolle spielt allerdings auch die private und staatliche Verschuldung eines Landes. Diese strukturalistische Position wird prominent von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vertreten. Sie war auch schon lange vor der Finanzkrise der Meinung, dass zu niedrige Zinsen das wirtschaftliche Wachstum bremsen.
Verschuldung wächst überall
Die Ölpreiskrisen in der Mitte der 70er Jahre brachten den ersten gravierenden Einbruch des wirtschaftlichen Wachstums in der Nachkriegszeit. Sie waren auch eine Zäsur in der Staatsverschuldung. Nachdem die Politik der reichen Länder seit den 50er Jahren die hohen Schuldenquoten der Kriegszeit signifikant verringert hatte, wächst die staatliche Verschuldung seither wieder stark an. Unterbrochen wurde dieser Anstieg des Lebens auf Kosten künftiger Generationen nur um die Jahrtausendwende. Aber nicht nur der Staat finanzierte steigende Ausgaben immer öfter mit wachsender Verschuldung. Auch private Haushalte, Unternehmen und Finanzinstitutionen standen bald auf den privaten Kapitalmärkten immer stärker in der Kreide. Die nach wie vor nicht ausgestandene Finanzkrise konnte den Trend eines Lebens auf Pump nicht aufhalten. Vor allem die externe Verschuldung von Staaten und Privaten im Ausland wuchs mit rasantem Tempo. Daran hat auch der heftige Schock der Finanzkrise nicht wirklich etwas geändert (Stephanie Lo und Kenneth Rogoff). Es ist bisher weder den Staaten noch den Privaten gelungen, die „Bilanzen“ wieder in Ordnung zu bringen.
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Der keynesianische Virus ist eine treibende Kraft der wachsenden staatlichen Verschuldung. Egal ob es sich um zyklische Schwankungen oder ein schwächeres wirtschaftliches Wachstum handelt, für die Politik scheint es nur eine Medizin zu geben: Mehr schuldenfinanzierte staatliche Nachfrage. Diese Therapie kann bei zyklischen Problemen anschlagen, auch wenn neo-ricardianisches Verhalten die Wirksamkeit der Medizin stark einschränkt. Sicher ist nur eines: Der staatliche Schuldenberg wächst immer weiter. Ein Grund ist, dass die Politik in wirtschaftlich besseren Zeiten die Schulden nicht tilgt. Die keynesianische Medizin ist allerdings wirkungslos, wenn sie eingesetzt wird, das wirtschaftliche Wachstum zu stärken. Dann entfacht Nachfragepolitik allenfalls ein Strohfeuer. Die strukturellen Probleme auf der Angebotsseite bleiben. Das ist in Zeiten eines forcierten strukturellen Wandels fatal. Es spricht einiges dafür, dass der industrielle Sektor in den reichen Ländern im Sterben liegt. Der Dienstleistungssektor wächst zwar. Er ist aber oft (noch) nicht in der Lage, vor allem die Lücke bei der Beschäftigung zu schließen. Mit immer neuen kreditfinanzierten Ausgaben versucht die Politik, den unvermeidlichen Strukturwandel abzufedern.
In dieser strukturell prekären Situation setzt die Politik auch die Notenbanken unter Druck. Sie drängt sie, die Zinsen zu senken, um so die Kreditvergabe an Private zu stimulieren. Eine Politik des extrem leichten Geldes wurde weltweit allerdings schon vor der Finanzkrise von den Zentralbanken gefahren. Und sie ist auch heute wieder en vogue. Mit der Politik des „quantitative easing“ wurden neue Varianten einer ultra-expansiven Geldpolitik installiert. Niedrige Zinsen verstärken für Staaten, private Haushalte und Unternehmen die Anreize, sich zu verschulden. Das ist nicht ohne Gefahren. Die staatlichen Schuldenquoten steigen an, die externe Verschuldung nimmt zu. Aber auch private Haushalte und Unternehmen stehen immer tiefer in der Kreide. Die Leverage-Ratio steigt an (BIZ, 2015). Überall steigen die Belastungen durch den Schuldendienst (Zinsen und Tilgung). Das ist solange kein großes Problem, wie die Wirtschaft floriert. Gefährlich wird es allerdings bei negativen exogenen Schocks. Dann sind die Schulden von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen oft schnell nicht mehr tragfähig. Nur ein „deleveraging“ kann dann helfen. Das stürzt die Länder aber kurzfristig noch tiefer in die Krise und verlangsamt den Aufschwung.
Schulden bremsen Wachstum
Es ist nach wie vor strittig, was die niedrigen Zinsen im Vorfeld der Finanzkrise verursacht hat. Die einen, wie Ben Bernanke, schwören auf reale Faktoren, wie etwa eine Sparschwemme. Andere, wie die BIZ, sind fest davon überzeugt, dass die Notenbanken mit ihrer expansiven Geldpolitik ein Niedrigzinsumfeld schufen. Unstrittig ist, extrem niedrige Zinsen haben die exzessive Verschuldung von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen befeuert. In der Zeit nach der Finanzkrise ist die Ursache niedriger Zinsen weniger kontrovers. Es sind die Notenbanken weltweit, die mit einer ultra-expansiven Geldpolitik die Zinsen seither nahe der Null-Zins-Grenze halten. Es nimmt nicht wunder, dass sich an der hohen Verschuldung seit der Finanzkrise nicht viel geändert hat. Die staatliche Verschuldung hat fast überall sogar weiter zugenommen. Nur in den USA sind heute die privaten Haushalte und der Finanzsektor signifikant weniger verschuldet als vor der Finanzkrise. Die Verschuldung der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist nur in Großbritannien spürbar zurückgegangen. In den USA ist sie weiter gestiegen.
Der steigende Verschuldungsgrad von Staat, privaten Haushalten und Unternehmen bleibt nicht ohne Folgen für das wirtschaftliche Wachstum. Er wirkt allerdings nicht, wie Neo-Keynesianer vermuten, über die Nachfrage-, sondern über die Angebotsseite. Der wichtigste Treiber des Wachstums der Pro-Kopf-Einkommen ist die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität. Eine Politik extrem niedriger Zinsen leitet die Ressourcen in weniger produktive Verwendungen. Sie wandern in Bereiche, die von sinkenden Zinsen besonders profitieren. Der Bausektor zählt dazu. Er ist besonders zinsreagibel. Auch der Finanzsektor profitiert stark. Seine Geschäfte expandieren. Beide Sektoren sind aber in reichen Ländern langfristig relativ wenig produktiv (Jan Weitzel). Die Folgen der Fehlallokation zeigen sich im Schulden-Zyklus sowohl vor als auch nach der Krise. Vor allem nach Finanzkrisen sind die allokativen Verluste besonders hoch. Arbeitsproduktivität und Pro-Kopf-Einkommen wachsen deutlich langsamer. Die BIZ zeigt, dass die Fehlallokationen etwa Irland 1 Prozentpunkt vor der Finanzkrise und 1,8 Prozentpunkte nach der Finanzkrise an Wachstum der Arbeitsproduktivität gekostet haben.
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Spürbare Wachstumsverluste entstehen nicht nur durch zinsinduzierte allokationsverzerrende Entscheidungen privater Haushalte und Unternehmen. Sie treten auch durch die exzessive Verschuldung des Staates ein. Wie schuldenfinanzierte staatliche Ausgaben auf das wirtschaftliche Wachstum wirken, hängt mit davon ab, ob der Staat die finanziellen Mittel konsumtiv oder investiv verwendet. Kreditfinanzierte staatliche Investitionen leisten eher einen positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum. Auf Pump finanzierter staatlicher Konsum schwächt dagegen das wirtschaftliche Wachstum. Daneben wirkt der wachsende staatliche Schuldendienst wie eine Steuer auf Arbeit und Kapital. Das tut dem Wachstum der Arbeitsproduktivität und dem wirtschaftlichen Wachstum nicht gut. Die empirischen Ergebnisse sind eindeutig. Eine wachsende staatliche Verschuldung behindert das wirtschaftliche Wachstum (Erthle, 2015). Das gilt für arme wie reiche Länder. Besonders ausgeprägt sind die Wachstumsverluste, wenn der Schuldenstand bestimmte Grenzen übersteigt. Der heftige Streit um die Ergebnisse von Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff zeigte allerdings, dass diese Grenzen nicht eindeutig zu bestimmen sind.
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Fazit
Die Finanzkrise war eine Zäsur für die wirtschaftliche Entwicklung weltweit. In Europa verstärkte die Euro-Krise die Probleme noch. Der wirtschaftliche Aufschwung ist auch acht Jahre nach der Lehman-Pleite schwach und fragil. Das wirtschaftliche Wachstum war allerdings schon vor der Finanzkrise blutleer. Daran sind auch Politik und Notenbanken schuld. Eine sehr expansive Geldpolitik hemmt das wirtschaftliche Wachstum und produziert (finanzielle) Krisen. Zu niedrige Zinsen verzerren die Allokation. Arbeit und Kapital werden weniger produktiv eingesetzt. Das galt schon vor der Finanzkrise und es trifft weiter zu. Mit ultra-niedrigen Zinsen schaffen die Notenbanken aber auch immer neue Anreize für die Politik, sich exzessiv zu verschulden. Die Politik setzt diese Mittel massiv ein, um den immer schnelleren strukturellen Wandel von der Nachfrageseite her zu bekämpfen. Das ist falsch. Klar ist: Der industrielle Sektor hat in den reichen Ländern die Zukunft schon hinter sich. Es macht keinen Sinn, ihn mit immer neuer staatlicher Nachfrage künstlich am Leben zu erhalten. Strukturelle Probleme lassen sich nicht wirksam mit staatlicher Nachfrage bekämpfen. Die Notenbanken weltweit leisten aktive Beihilfe zur strukturellen Konkursverschleppung der Politik. Das ist eine Ursache für das enttäuschende Wachstum.
Beiträge der Serie „Säkulare Stagnation“
Norbert Berthold: Angebotsdefizite bremsen Wachstum. Ist die „Eurosklerose“ bald überall?
Norbert Berthold: Nachfragemangel schwächt langfristiges Wachstum. Gute Idee oder heiße Luft?
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4 Antworten auf „Säkulare Stagnation (2)
(Staats-)Verschuldung bremst Wachstum
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