Kippt Donald Trump das „Geschäftsmodell Deutschland“?
Leistungsbilanz, Protektionismus, Transferunion und Populisten

„So now we will also impose import tariffs. This is basically a stupid process, the fact that we have to do this. But we have to do it. We will now impose tariffs on motorcycles, Harley Davidson, on blue jeans, Levis, on Bourbon. We can also do stupid. We also have to be this stupid.“ (Jean-Claude Juncker)

Deutschland ist gegenwärtig wirtschaftlich sehr erfolgreich. Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften der meisten Qualifikationen. Die EZB ist verzweifelt, weil die Inflation einfach nicht richtig steigen will. Substantiell höhere (Real)Löhne beteiligen die Arbeitnehmer am Aufschwung. An der im internationalen Vergleich relativ geringen Ungleichheit der verfügbaren Einkommen mäkelt nur noch das DIW. Seit Mitte der 00er Jahre geht es aufwärts. Weder die Finanz- noch die Euro-Krise konnten bisher den Trend brechen. Das ist im internationalen Vergleich einmalig. Einen wichtigen Impuls für diese positive Entwicklung setzt der industrielle Sektor. Er ist auf den Weltmärkten sehr erfolgreich, schafft gut bezahlte Arbeitsplätze, ist ausgesprochen innovativ, treibt das wirtschaftliche Wachstum und ist eine wichtige Quelle des Wohlstandes für alle. Damit könnte es aber bald ein Ende haben. Der Aufschwung ist ein Boom auf Messers Schneide. Über allem schwebt das Damoklesschwert des strukturellen Wandels. Deutschland hinkt strukturell erheblich hinterher. Schon der „Flügelschlag eines Schmetterlings“ könnte chaotische Zustände im Strukturwandel auslösen. Weltweite protektionistische Tendenzen sind vielleicht der Anlass. Donald Trump könnte das „Geschäftsmodell D“ kippen. Das hätte weitrechende Konsequenzen für die deutsche wirtschaftliche Entwicklung.

Pfeiler des „Geschäftsmodells D“

Das deutsche Geschäftsmodell ist eine Erfolgsgeschichte. Es trug mit dazu bei, dass dem industriellen Sektor hierzulande der Niedergang anderer reicher Länder erspart blieb, zumindest bisher (hier). Nach den ehernen Gesetzen des Strukturwandels steht Deutschland die weniger schöne Seite des Prozesses der „schöpferischen Zerstörung“ erst noch bevor. Der Automobilbau ist eine Schlüsselbranche. Er macht fast 15 % der Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes aus und beschäftigt 11 % der Arbeitnehmer. Der weiter schwelende Dieselskandal und höhere amerikanische Zölle auf Autos, mit den Donald Trump immer wieder droht, könnten den Abwärtsprozess auslösen. Damit würde auch der Ärger über die Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz verrauchen. Der weltweite Erfolg des deutschen industriellen Sektors und (wachsende) Überschüsse in der Leistungsbilanz gehen seit langem Hand in Hand. Sektorstrukturen und Leistungsbilanzen sind zwei Seiten ein und derselben Medaille (hier). Länder mit einem starken Industrieanteil sind meist auch Länder mit Überschüssen in der Leistungsbilanz. Dagegen weisen Länder mit einem schwachen industriellen Sektor oft Defizite in der Leistungsbilanz auf. Die „magische“ Schwelle scheint bei 15 % Industrieanteil zu liegen.

Der Erfolg des industriellen Sektors hat viele Väter. Ein dynamisches Unternehmertum ist ein wichtiger Anker. Deutschland hat eine relativ erfolgreiche Unternehmensstruktur. Mittelständische und große Unternehmen sind gut gemischt. Mit der dualen Ausbildung wird eine breite Basis für eine gute berufliche Ausbildung gelegt. Das ist neben den Investitionen in den MINT-Fächern eine wichtige Voraussetzung für qualifizierte Arbeitnehmer. Aber auch die Forschungsstruktur ist intakt. Mit den Universitäten, privaten und staatlichen Forschungseinrichtungen und einem regional breit gefächerten Netz von Fachhochschulen wird eine wichtige Grundlage gelegt. In Deutschland hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Vielzahl von wettbewerbsfähigen Clustern entwickelt. Nicht die staatliche Industriepolitik war der entscheidende Impulsgeber. Es waren vor allem private Unternehmen, die auf diesem Feld aktiv waren. Das Problem der Anmaßung von Wissen wurde so minimiert. Viele „hidden champions“ sind das Ergebnis dieses erfolgreichen institutionellen Arrangements. Aber auch die Tarifpartner tragen ihren Teil zum Erfolg bei. Vor allem eigentümerorientierte Mittelständler haben für eine stärkere Verbetrieblichung der Lohn- und Tarifpolitik gekämpft. Betriebliche Bündnisse für Arbeit prägen den Sektor, in mittelständischen Unternehmen mehr als in Großbetrieben. Flexibilität und Innovation sind das Ergebnis.

Erfolgreich kann der industrielle Sektor allerdings nur sein, wenn die Güter- und Faktormärkte international offen sind. Das gilt europa- und weltweit. Dafür haben in den vergangenen Jahrzehnten der europäische Binnenmarkt und die Globalisierung gesorgt. Das hat nicht nur dem Handel mit Gütern gut getan. Es hat auch geholfen, die Produktion selbst mittelständischer Unternehmen weltweit zu strukturieren. Die Globalisierung ist nicht mehr nur ein Handel mit Gütern. Sie umfasst die Produktion von Produkten in fernen Ländern. Das erfordert internationale Kapitalströme. Es werden aber immer öfter auch Teile der Wertschöpfungskette internationalisiert.  Das erhöht die Effizienz der Produktion, macht aber den Produktionsprozess anfälliger gegen Störungen, auch protektionistische. Den deutschen Unternehmen hat auch der Euro geholfen. Mit der EWU wurden die Kosten der Kurssicherung sozialisiert, zumindest im Handel und Kapitalverkehr in der EWU. Im internationalen Geschäft mit Drittländern hat die unkonventionelle Geldpolitik der EZB geholfen. Sie sorgte mit dafür, dass der Euro aus deutscher Sicht zeitweise gegenüber anderen Währungen unterbewertet war. Die Fußkranken in der EWU drückten den Wert des Euro. Davon haben vor allem deutsche Unternehmen des industriellen Sektors profitiert. Martin Wolf, der Herausgeber der FT, sprach von „strukturellem Merkantilismus“.

Wackelt das „Geschäftsmodell D“?

Der große industrielle Sektor macht Deutschland verwundbar. Mittel- und längerfristig kann er dem strukturellen Wandel nicht entkommen. Der industrielle Sektor wird schrumpfen. Wenn alles gut läuft, ist der Strukturwandel aber beherrschbar. Der Verlust an Arbeitsplätzen im Industriesektor wird mehr als aufgewogen durch neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Allerdings entsteht auf den Arbeitsmärkten ein Mismatch-Problem. Von der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist dabei nicht viel Hilfe zu erwarten. Dagegen hilft bei einem allmählichen Wandel vor allem der Generationenwechsel. Wirklich schwierig wird es allerdings, wenn der Strukturwandel relativ abrupt erfolgt. Dafür spricht leider einiges. Ein Grund sind die hohen Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz, die auch aus einem starken industriellen Sektor heraus entstehen. Der Ärger der internationalen Handelspartner, allen voran der USA aber auch europäischer Defizit-Länder, über diese Entwicklung ist schon gegenwärtig beträchtlich. Sollte der amerikanische Präsident tatsächlich ernst machen und auch Zölle auf den Import deutscher Autos erheben, kann es weltweit zum protektionistischen Dammbruch kommen. Der wäre bei einem Handelskrieg unausweichlich. Darunter würde vor allem der deutsche Industriesektor leiden. Mit der deutschen wirtschaftlichen Stärke wäre es dann relativ schnell vorbei.

Eine andere Gefahrenquelle für das deutsche Modell lauert in der künftigen Entwicklung der EWU. Die Geldpolitik der EZB ist seit der Euro-Krise nominell extrem expansiv. Das war bei Ausbruch der Krise wohl unvermeidlich, um den Euro zu retten. Nach der Krise ging diese Politik aber unvermindert weiter. Begründet wurde sie von der EZB mit der Angst vor einer nahenden Deflation in der EWU. Dieses Argument war vorgeschoben. Tatsächlich ging es vor allem darum, die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf den Weltmärkten zu verbessern. Mit der expansiven Geldpolitik verringerte sich der Außenwert des Euro wieder. Von diesen währungspolitischen Vorteilen profitierten vor allem deutsche Unternehmen des industriellen Sektors. Das ist auch ein Grund für die wachsenden Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in Europa ist es höchste Zeit, geldpolitisch umzukehren. Zinserhöhungen der EZB sind eine Frage der Zeit. Die künstlichen Währungs- und Preisvorteile werden verschwinden. Darunter wird der industrielle Sektor hierzulande mehr leiden als anderswo. Einen wirklichen Nackenschlag erhielte der deutsche Industriesektor allerdings, wenn die EWU zerbrechen würde. Die Aufwertungseffekte einer „harten“ Kern-EWU oder der neuen DM wären erheblich. Sie würden den strukturellen Transformationsprozess stark beschleunigen.

Dem deutschen industriellen Sektor droht nicht nur Ungemach von außen. Die Politik hierzulande tut einiges, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen zu beschädigen. Eine erste Gefahr kommt von einem expandierenden Sozialstaat. In den Systemen der sozialen Sicherung wird das Versicherungselement zurückgedrängt, die Umverteilungskomponente gewinnt an Gewicht. Die Rente mit 63 und die Mütterrente sind nur die Spitze des umverteilungspolitischen Eisberges. Unter der sich weiter öffnenden Steuer- und Abgabenschere leidet die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das ist aber noch nicht alles. Sozialpolitisch motivierte regulierende Eingriffe in die Arbeitsmärkte sind Legion. Vor allem die Mindestlöhne sind ein Problem. Das gilt für tarifliche, gesetzliche und soziale. Problematisch ist aber auch das Gesetz zur Tarifeinheit. Es nimmt dem industriellen Sektor einen wichtigen komparativen Vorteil in einer Welt wachsender unternehmerischer und beruflicher Heterogenitäten. Die Politik plant weitere standort- und wettbewerbsfeindliche Aktivitäten. Die Atomindustrie hat sie schon vertrieben, die Gentechnik wurde aus Deutschland verbannt, die Chemieindustrie wird madig gemacht, die IT-Technologie ist für viele Teufelszeug. In der Umweltpolitik folgt sie dem um sich greifenden „Hass auf die Verbrenner“. Das bekommt der Automobilindustrie nicht gut.

Deutschland in der industriellen Falle

Die Angst um den wichtigen industriellen Sektor prägt die deutsche Politik welt- und europaweit. International offene Märkte sind für Deutschland lebenswichtig. Nur dann kann der Industriesektor seine Stärken ausspielen. Ein Handelskrieg würde vor allem Deutschland sehr schaden. Es wird deshalb in der EU darauf hinwirken, auf die zollpolitischen Nadelstiche von Donald Trump verhalten zu reagieren. Einen eskalierenden Handelskrieg der EU mit den USA wird Deutschland auf alle Fälle zu verhindern suchen. Das gilt selbst dann, wenn die USA tatsächlich Zölle auf europäische Autos erheben sollte. Die deutschen Autobauer werden ihren Einfluss geltend machen, dass die EU den USA entgegenkommt und die europäischen Zölle auf amerikanische Autos dem niedrigeren Zollniveau der USA annähert. Vor allem die deutschen Autobauer glauben sich, trotz Dieselskandal, wettbewerbsfähig genug, mit den amerikanischen Hersteller in Europa locker mithalten zu können. Es dürfte allerdings nicht ganz einfach sein, alle EU-Länder auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Italienische und französische Autobauer sind eher skeptisch, was ihre Wettbewerbsstärke gegen amerikanische Hersteller angeht. Es ist trotzdem unwahrscheinlich, dass die EU handelspolitisch ernsthaft auf eine „Tit for Tat“-Strategie setzt. Eher ist mit einer Abrüstung in der Zollpolitik zu rechnen. Ökonomisch wäre das sinnvoll (hier).

Die Schwierigkeiten sind damit für Deutschland nicht zu Ende. Lässt sich die EU auf eine solche handelspolitische Abrüstungsstrategie ein, werden vor allem die Südländer dafür eine Gegenleistung verlangen. Frankreich hat schon einmal verlauten lassen, dass es mehr deutsche „Solidarität“ einfordere. Worin diese Solidarität besteht liegt auf der Hand: Die Europapolitik soll den im letzten Herbst geäußerten europapolitischen Vorschlägen von Emmanuel Macron folgen. Und die neue italienische Regierung wünscht „flexiblere“ Fiskalregeln und einen spürbaren Schuldenschnitt der EZB. Damit stehen wieder die Punkte einer Weiterentwicklung der EWU auf der Agenda, die Angela Merkel in ihrer Antwort auf Emmanuel Macron bisher verbal nur widerwillig anpackt: Ein europäischer Finanzminister, ein großes EWU-Budget, „flexiblere“ fiskalische Regeln, eine europäische Einlagensicherung, die Emission gemeinsamer Anleihen (Eurobonds) und eine europaweite Arbeitslosenversicherung. Der Preis, den Deutschland für weltweit offene Märkte zahlen muss, wäre das Zugeständnis zu weiteren Schritten in eine europäische Haftungsunion. Es wäre ein Treppenwitz der Weltgeschichte, wenn es Donald Trump mit seinen handelspolitischen Dummheiten gelingen würde, den Weg der EWU zu einer Wirtschaftsregierung zu ebnen, weil Deutschland den notwendigen strukturellen Wandel verpasst hat.

Weitere Schritte in eine Transferunion sind für Deutschland riskant. Es mag sein, dass man damit die Populisten des Südens befriedet. Die Hoffnung ist, dass sie sich ihren Widerstand gegen die EWU mit deutschem Geld abkaufen lassen. Das verringert allerdings die hausgemachten Probleme in diesen Ländern nicht. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Die Anreize steigen, mit dem staatlichen Schlendrian fortzufahren. Das tut aber der langfristigen Stabilität der EWU nicht gut. Mit dem Weg in eine europäische Transferunion verschafft man sich allerdings in der EWU nicht einmal kurzfristig eine Atempause. Was die Populisten im Süden möglicherweise in Schach hält, ist Wasser auf die Mühlen der Populisten im Norden. Weitere Schritte in die europäische Haftungsunion stoßen auf den erbittern Widerstand rechtspopulistischer Parteien, wie der AfD in Deutschland, den Rechtspopulisten in den Niederlanden und den starken Rechtsparteien in Skandinavien. Sie werden ihren europafeindlichen Kurs noch härter am politischen Wind fahren. Es spricht vieles dafür, dass sie damit bei Wahlen weiter erfolgreich sein werden. Die deutsche Politik würde sich mit einem solchen Manöver – noch mehr Geld für Europa gegen handelspolitische Abrüstung der EU – nicht einmal kurzfristig Luft verschaffen. Deutschland käme vom handelspolitischen Regen in die (rechts)populistische Traufe.

Fazit

Mit seiner handelspolitischen Obsession manövriert Donald Trump vor allem Deutschland in eine verzwickte Lage. Riskiert er einen Handelskrieg, kommt der deutsche industrielle Sektor, eine Schlüsselbranche hierzulande, unter die Räder. Deutschland wird deshalb alles tun, die europäischen Partner von einem eskalierenden konfrontativen handelspolitischen Kurs gegen die USA abzubringen. Das kann nur gelingen, wenn es eine Gegenleistung anbietet. Nach der europapolitischen Initiative von Emmanuel Macron wird das die Zustimmung zu einer „neuen“ E(W)U sein. Den Weg für eine europäische Wirtschaftsregierung zu ebnen, ist allerdings riskant. Mit einer weiter ausgebauten Transferunion kann man vielleicht die Populisten des Südens besänftigen und sie ein Stück weit von ihrem europafeindlichen Kurs abbringen. Allerdings stärkt man mit einer solchen Strategie die Populisten im Norden der EU. Die Wähler werden deren Europafeindlichkeit noch mehr als bisher schon honorieren. Es scheint als habe Deutschland nur die Wahl zwischen Pest (Protektionismus) und Cholera (Populismus). Wenn es schlecht läuft, bekommt es beides. Das schadet der wirtschaftlichen Entwicklung und untergräbt die politische Stabilität. Auf Deutschland und Europa kommen so oder so schwere Zeiten zu.

Blog-Beiträge zum Thema:

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