„Von jetzt an werde ich nur so viel ausgeben, wie ich einnehme, selbst wenn ich mir dafür Geld borgen muss.“ (Mark Twain)
Die EWU ist noch lange nicht über den Berg. Sie ist weiter im Reformstau. Der Kaiser hat keine neuen Kleider. Die EWU ist fiskalisch weiter nackt. Das zeigt der Konflikt um den italienischen Haushaltsentwurf. Die Geisterfahrer aus Rom sind nicht bereit, die fiskalischen Regeln der EWU zu akzeptieren. Für sie sind sie nur „dämlich“. „Prima gli italiani“ ist das Motto. Das ist eine Herausforderung für die E(W)U. Sie steht auf der Kippe. Viele glauben, die EU-Kommission könne nur zwischen Pest und Cholera wählen. Komme sie den italienischen „Rotzlöffeln“ (Werner Mussler) fiskalisch entgegen, sei der „Fiskalpakt“ endgültig tot. Auf dem Weg zu einer Transferunion wäre ein weiterer Stolperstein beiseite geräumt. Lasse sie die italienische Regelverletzung nicht durchgehen, laufe sie Gefahr, dass Italien aus dem Euro ausscheide. Das stelle die E(W)U vor eine Zerreißprobe, die sie möglicherweise nicht überlebe. Der Konflikt zwischen Brüssel, Rom und den europäischen Hauptstädten offenbart die fiskalische Achillesferse der EWU.
Italienische „Rotzlöffel“
Die neue italienische Regierung will fiskalisch ihre Wahlkampfversprechen einlösen. Mit einer expansiveren Ausgabenpolitik soll das Wachstum angeregt, die Arbeitslosigkeit gesenkt und die Wahlversprechen eingelöst werden. Dabei wird der Bruch der europäischen Fiskalregeln in Kauf genommen. Die für 2019 mit der Vorgängerregierung vereinbarte Neuverschuldung von 0,8 % des BIP kann nicht gehalten werden. Das Defizit soll für das nächste Jahr dreimal so hoch liegen, bei 2,4 % des BIP. Danach soll es schrittweise verringert werden. Diese Werte liegen zwar alle unter der 3%-Schuldenschwelle des Vertrages von Maastricht. Allerdings verletzt Italien das Schuldenstandkriterium von 60 %. Das ist nicht neu, es war in der EWU nie anders. Wenn Italien nicht in das Fadenkreuz der Kapitalmärkte geraten will und die Zinsen steigen sollen, muss es den übermäßigen Schuldenstand von 132 % des BIP verringern, möglichst schnell und nachhaltig.
In Italien mangelt es nicht an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Das niedrige Wachstum und die hohe Arbeitslosigkeit hat mit Stockungen des Angebots zu tun. Die italienische Output-Lücke ist weitgehend geschlossen. Darauf weist auch die EU-Kommission hin. Nachfragepolitik ist in dieser Situation die falsche Medizin. Olivier Blanchard und Jerome Zettelmeyer vom Peterson-Institute haben jüngst darauf hingewiesen, dass die geplante fiskalpolitische Expansion kontraktiv wirke (hier). Und noch etwas anderes sollte zu denken geben. Mehr staatliche Nachfrage hat noch nie nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum geschaffen. Mangelndes Wachstum ist ein Angebots- kein Nachfrageproblem. Die teilweise Rücknahme der Arbeitsmarktreformen („Decreto Dignita“), der Rückbau der Rentenreform von 2011 und die Einführung eines voraussetzungslosen Bürgereinkommens („Reddito di Cittadinanza“) sind Gift für das Wachstum. Daran kann auch eine (deutlich verwässerte) Steuerreform mit dem Ziel einer Flat Tax wenig ändern.
Das alles scheint Luigi Di Maio und Matteo Salvini wenig zu kümmern. Sie wollen ihre Wahlversprechen einlösen. Dafür brauchen sie Geld. Über eine höhere staatliche Verschuldung soll es beschafft werden. Der Bruch der „dämlichen“ europäischen Fiskalregeln störe sie nicht, lassen sie immer wieder verlauten. Es sei das gute Recht jeder italienischen Regierung, eine eigenständige Fiskalpolitik zu verfolgen. Das ablehnende Votum der EU-Kommission kümmere sie heute nicht und sei ihnen auch künftig egal. Damit gehen sie auf Konfrontationskurs zur EU. Die Verträge von Maastricht räumen zwar den Mitgliedsländern der EWU eine gewisse fiskalische Autonomie ein. Allerdings muss Handlung mit Haftung korrespondieren. Nationales fiskalisches Trittbrettfahrer-Verhalten ist nicht erlaubt. Es geht nicht, dass Länder verstärkt staatliche Ausgaben tätigen, die Lasten der Finanzierung aber auf Dritte abgewälzt werden. Der installierte fiskalische „cordon sanitaire“ (Fiskalregeln und Haftungsausschluss) der EWU soll dies verhindern.
Mediterranes Fingerhakeln
Alle Kritiker der europäischen Fiskalregeln wollen zweierlei: Sie wollen ihre Ausgabenprogramme möglichst kostengünstig finanzieren und einen Teil der Altschulden auf Dritte abwälzen. Es spricht nichts dafür, dass sich das Ausgabenprogramm der Regierung Guiseppe Conte selbst finanziert. Positive Wachstumswirkungen sind davon nicht zu erwarten, im Gegenteil. Die Schulden werden weiter steigen. Auf den Kapitalmärkten werden sie nur zu höheren Zinsen zu finanzieren sein. Das Loch in der Staatskasse wird größer. Da die italienischen Banken mit gegenwärtig 375 Mrd. Euro einen großen Teil der italienischen Staatspapiere halten, werden vor allem sie Verluste erleiden. Ein Teil ihres Eigenkapitals löst sich in Luft auf. Einige Zombiebanken, die jetzt schon auf vielen faulen Krediten sitzen, werden zahlungsunfähig. Auch andere europäische Banken kommen nicht ungeschoren davon. Am meisten verlieren allerdings italienische. Die Kreditvergabe an Unternehmen in Italien wird eingeschränkt, die Konjunktur beschädigt.
Das größte Problem für Italien sind aber die hohen Altschulden. Sie wurden größtenteils schon vor Eintritt in die EWU aufgetürmt. Vor allem diese Schulden will jede italienische Regierung loswerden. Sie sind für jede (Wirtschafts-)Politik ein Klotz am Bein. Der wichtigste Helfer könnte die EZB sein. Es ist kein Zufall, dass der italienische Europaminister Paolo Savona immer wieder fordert, dass die EZB die italienische Staatsschuld monetarisieren sollte. Die bisher schon aufgekauften Papiere sollten nicht fällig gestellt und erst zu einem späteren Zeitpunkt getilgt werden. Es ist aber auch denkbar, dass sich die Mitglieder der EWU doch noch dazu durchringen, über die Ausgabe von Eurobonds die Schulden oder einen Teil davon zu vergemeinschaften. Einige träumen davon. Wie man es auch dreht und wendet, Italien hat ein großes Interesse daran, auch weiter in der EWU zu bleiben. Nur mit dem Euro hat es überhaupt eine Chance, die Folgen seiner liederlichen Fiskalpolitik anderen aufzubürden. Steigt es aus, bleibt es auf den Schulden sitzen.
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Die italienische Verhandlungsposition ändert sich auch nicht, wenn die Target 2-Salden berücksichtigt werden. Italien hat hohe Verbindlichkeiten gegenüber der EZB in Höhe von fast einer halben Billion Euro aufgetürmt. Spanien folgt mit fast 400 Mrd. Euro. Hauptgläubiger ist die Deutsche Bundesbank. Ihre ungesicherten Target 2-Forderungen an das Euro-System belaufen sich auf fast eine Billion. Es wird befürchtet, dass Deutschland auf einem Großteil der Forderungen sitzenbleibt, sollte Italien die EWU verlassen. Damit habe Italien auch in den Haushaltsverhandlungen eine starke Position. Wollen die Gläubigerländer ihre Verluste nicht realisieren, müssen sie Italien entgegenkommen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es gibt auch eine Zeit nach dem QuItaly. In Verhandlungen wird entschieden, wieviel die Schuldner zahlen und die Gläubiger abschreiben müssen. Das zeigen die vielen Schuldenabkommen der Vergangenheit. Der Austritt aus dem Euro und wohl auch aus der EU schwächt die italienische Verhandlungsposition erheblich.
Fünfte Kolonne
Für die EWU und die EU-Kommission gilt es, die Nerven zu behalten. Sie haben in den anstehenden Verhandlungen über den italienischen Haushaltsentwurf die besseren Karten. Das wissen auch Di Maio, Salvini, Savona und Konsorten. Die Verhandlungsposition der Nicht-Italiener könnte allerdings durch nicht-italienische Finanzinstitute geschwächt werden, die stark in italienischen Staatspapieren investiert sind. Sie werden, wie schon in der Griechenland-Krise, darauf drängen, den „bail-in“ zu verhindern und den Wünschen der italienischen Regierung nach monetärer und fiskalischer Hilfe durch EZB und Mitgliedsländern für die italienischen Banken nachzugeben. Damit wären allerdings die europäischen Fiskalregeln endgültig tot. Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg in eine Transferunion wäre beiseite geräumt. Das kann vor allem Deutschland, der Hauptzahler für fiskalisches Fehlverhalten der italienischen Regierung, nicht wirklich wollen.
Es steht allerdings zu befürchten, dass die EU-Kommission gegenüber den italienischen Geisterfahrern einknicken wird. Ihre polit-ökonomischen Interessen sind andere. Das gilt auch für viele Mitgliedsländer der EWU. Die E(W)U ist längst auf dem Weg, die (fiskalische) Verantwortung zu vergemeinschaften. Der Bruch der europäischen Fiskalregeln, aber auch fiskalische und monetäre Rettungsschirme zeugen davon. Die fiskalischen Leitplanken werden demontiert. Handlung und Haftung fallen auseinander, Subsidiarität ist ein leeres Wort. Die jüngste Attacke für eine noch stärkere Risikoteilung reitet Olaf Scholz, der deutsche Finanzminister. Mit seinem französischen Kollegen forciert er eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung. Andrea Nahles, die Vorsitzende der SPD, fordert seit langem eine europäische aktive Arbeitsmarktpolitik. Auch Emanuel Macron, der französische Präsident, hat sein Ziel eines „Euro-Zonen-Budgets“ noch nicht aufgegeben. Das alles ist Wasser auf die Mühlen der Di Maios und Salvinis der EWU.
Italien wird in der EWU bleiben. Das hat Luigi Di Maio noch einmal bekräftigt. Über den Berg ist der Euro damit aber nicht. Stabil ist die EWU nur, wenn Handlung und Haftung korrespondieren. Das erfordert dreierlei: 1) Die Budgetrestriktion der Akteure auf den Arbeitsmärkten muss gehärtet werden. Das ist nur durch umfassende Strukturreformen und mehr Haushaltsdisziplin möglich. 2) Die Systemrelevanz der Banken muss verringert werden. Wirksamstes Mittel sind höhere Eigenkapitalquoten der Banken. Roland Vaubel und Martin Hellwig denken an 25 – 30 %. 3) Mehr nationale Autonomie in der Fiskalpolitik ist möglich. Die Länder können fiskalisch vieles machen. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass sie dafür einstehen. Das gilt auch für Italien. Die italienische Ökonomen Lucrezia Reichlin hat vorgeschlagen, dass nur Italiener italienische Staatspapiere halten dürfen. Das würde „moral hazard“ eindämmen. Die Bundesbank hat einen interessanten Vorschlag gemacht, den Streit um den Haushaltsentwurf zu entschärfen. Reichere italienische Bürger sollten mit einer nationalen Zwangsabgabe für die eigenen Schulden haften (hier).
Fazit
Die links- und rechtspopulistischen Geisterfahrer in Rom haben einen Streit mit der EU-Kommission angezettelt. Um ihre großspurigen Wahlversprechen zu finanzieren, brauchen sie Geld, viel Geld. Das wollen sie sich auf den Kapitalmärkten besorgen. Im Weg sind allerdings die „dämlichen“ europäischen Fiskalregeln. Noch beharrt die EU-Kommission darauf, dass Italien diese Regeln einhält. Die Angst in der EWU ist allerdings groß, dass Italien einen Flächenbrand auslöst. Sie hat es noch immer nicht geschafft, eine sichere Brandmauer zwischen Staaten und Banken hochzuziehen. Noch mehr italienische Schulden könnten bei einem fiskalischen Funkenflug wie ein Brandbeschleuniger wirken, der Europa in Brand setzt. Eigentlich kann Italien diesen Streit ums liebe Geld nicht gewinnen. Bleiben die Populisten hart, werden die Märkte sie zur Ordnung rufen. Die immer wieder zu hörende offene und verdeckte Drohung aus Italien, aus der EWU auszusteigen, ist wenig glaubwürdig. Dennoch wird die EU-Kommission nach einigem Hin und Her fiskalischen Dispens erteilen. Die EU-Kommission und einige nationale Regierungen agieren fiskalisch als 5. Kolonne der italienischen Populisten. Sie arbeiten schon länger intensiv daran, die fiskalische Verantwortung in der EWU weiter zu vergemeinschaften.
Blog-Beiträge zu Italien:
Norbert Berthold: Ohne Worte. Wie steht es um Italien?
Theresia Theurl: Italien nach dem Referendum. Ohne Reformen wird’s nicht gehen
Norbert Berthold: Was wird aus Italien? Vetternwirtschaft, Populismus und QuItaly
Theresia Theurl: Italien wieder in den Schlagzeilen. Neue Akteure, alte Probleme
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