„Wir werden in Österreich und in Deutschland durch dieses Virus ärmer werden. Da hilft nichts.“ (Gabriel Felbermayr)
Das Jahr 2020 wird als schreckliches Jahr in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Noch nie nach dem 2. Weltkrieg brachen die wirtschaftlichen Aktivitäten weltweit stärker ein. Schuld war dieses Mal nicht, wie in der Finanzkrise vor fast einem Jahrzehnt, wirtschaftliches Fehlverhalten, schuld war ein bisher unbekanntes Virus. Covid-19 löste fast überall eine gesundheitspolitische Panik aus. Allein Schweden behielt die Nerven, zumindest bisher. Die Menschen veränderten ihr Verhalten. Sie verringerten die individuellen Kontakte. Das war der Politik aber meist nicht genug. Fast überall schickte sie deshalb die Ökonomie in den Lockdown. Das tat den wirtschaftlichen Aktivitäten nicht gut. Noch sind die wirtschaftlichen Schäden nicht absehbar. Und es ist noch nicht vorbei. Eine zweite Welle des Virus versetzt die Welt erneut in Angst und Schrecken. Wieder reagiert die Politik mit den Instrumenten des Lockdowns, wenn auch etwas differenzierter.
Corona-Schock ist ein Angebotsschock
Die Politik versucht, die materiellen Schäden, die durch gesundheitspolitische Regulierungen entstehen, fiskalpolitisch zu kompensieren. Und sie kleckert nicht, sie klotzt. Als Blaupause dient die „Große Rezession“. Der deutsche Staat verschuldet sich in einer für Friedenszeiten bisher nicht gekannten Höhe. Mit dem Wiederaufbaufonds gibt auch die EU fiskalpolitisch richtig Gas. Die europäische Geldpolitik assistiert. Auf die seit der Finanzkrise sehr expansive Geldpolitik legt die EZB noch eine Schippe drauf. Tatsächlich sind aber die Ursachen von Finanz- und Corona-Krise grundverschieden. Die Finanzkrise wurde durch einen Nachfrageschock ausgelöst. Das ist bei der gegenwärtigen Corona-Krise anders. Der Auslöser ist ein originärer Angebotsschock, teils durch tiefe Risse in den internationalen Lieferketten, teils spürbare Veränderungen im individuellen Verhalten, vor allem aber durch staatliche gesundheitspolitische Maßnahmen verursacht.
Das Corona-Virus wirkt wie ein negativer Produktivitätsschock. Beschädigte weltweite Lieferketten behindern den internationalen Strom von Vorleistungen. Kindergärten und Schulen, die wegen Corona-bedingter Vorgaben nur eingeschränkt funktionieren, verringern das (weibliche) Arbeitsangebot. Gravierende regulierende gesundheitspolitische Eingriffe beeinträchtigen das Angebot an (personenbezogenen) Dienstleistungen. Das alles trägt dazu bei, dass das gesamtwirtschaftliche Angebot an privaten Gütern, vor allem aber an konsumnahen Diensten schrumpft. Wir werden ärmer, die einen mehr, andere weniger. Insofern ähnelt die Corona-Krise den Ölpreis-Krisen zur Mitte der 70er Jahre, nicht aber der nachfragedominierten Finanzkrise. Die leidvolle Erfahrung dieser (stagflationären) Zeit war: Angebotsprobleme lassen sich nur durch Angebotspolitik lösen. Wer sich nicht daran hält, riskiert persistent hohe Arbeitslosigkeit und anhaltend hohe Inflation.
Wumms-Politik hat nachfragepolitische Schlagseite
Diese Lehre aus den Ölpreis-Krisen hat die Politik nur bedingt beherzigt. Die wirtschaftspolitischen Aktivitäten der „Wumms-Politik“ haben eine nachfragepolitische Schlagseite. Damit kuriert sie allenfalls an Symptomen („kicking the can down the road“). Die Reparatur der Angebotsseite kommt zu kurz. Das wäre aber notwendig, um ursachenadäquat zu agieren. Die meisten Politiker und viele Ökonomen sehen nur die Einbrüche in der Nachfrage, die sektoral ganz unterschiedlich ausfallen. Es gibt viele Verlierer und nur wenig Gewinner. Die Nachfragerückgänge sind aber nicht originär, sondern abgeleitet. Mit der Schwäche des Angebots infiziert sich auch die Nachfrage. Sie ist aber nicht die Ursache des Problems. Verschwindet die angebotsseitige Störung, löst sich auch das Nachfrageproblem auf. Es muss also vorrangig darum gehen, daran zu arbeiten, die Schocks, die durch das Virus auf die Angebotsseite wirken, möglichst gering zu halten.
Die Wirtschaftspolitik kann wenig tun, den Corona-Schock zu verringern. Die Ökonomie hängt am Tropf der Medizin. Das gefällt den Ökonomen nicht. Ohne medizinischen Fortschritt im Kampf gegen das Virus (Medikamente; Impfstoffe) lässt sich das ökonomische Angebotsproblem nicht beseitigen. Solange der auf sich warten lässt, können medizinische Verhaltensregeln (AHA-Regeln) hoffentlich helfen, die weitere Ausbreitung des Virus in Grenzen zu halten. Das macht es allerdings notwendig, dass die Menschen bereit sind, sich an die Regeln zu halten. Einfach ist das aber nicht. Die Kenntnisse der Medizin sind diffus, das Virus ist altersabhängig unterschiedlich gefährlich. Das sind keine guten Voraussetzungen für regelgerechtes Verhalten der Individuen. Auch der staatliche Hammer immer neuer großflächiger Lockdowns kann dieses Problem nicht nachhaltig lösen. Die angebotsseitigen Probleme bleiben. Der wirtschaftliche Flurschaden eines Herunterbremsens der Ökonomie wächst exponentiell. Eine ständige „Wumms“-Politik ist über kurz oder lang überfordert. Sie kann das gesundheitspolitisch induzierte angebotsseitige Problem nicht ständig mit Geld zukleistern. Die explodierende Verschuldung überfordert die staatliche Handlungsfähigkeit.
Angebotspolitik in Zeiten von Corona
Und dennoch kann die Politik einiges tun, die Corona-bedingten Probleme auf der Angebotsseite zu mildern. Die Produktivitätsschocks müssen zurückgeschockt werden. Höhere Faktorproduktivitäten, sinkende Faktorkosten und geringere Steuerlasten sind Stellschrauben. Sie verhindern den Verfall der Gewinne, erhalten Arbeitsplätze und sichern Einkommen. Eine dezentrale Lohn- und Tarifpolitik, die sich an den betrieblichen Gegebenheiten orientiert, wäre ein erster Schritt auf der Lohnkostenseite. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände scheinen, trotz organisationspolitischer Bedenken, inzwischen dazu bereit. Das gilt zumindest für den industriellen Sektor. Eine Reform der Arbeitsmarktpolitik und der Systeme der Sozialen Sicherung würden Unternehmen bei den Lohnnebenkosten entlasten. Gefragt sind ein flexiblerer Kündigungsschutz und nicht noch stärker regulierte Leiharbeit. Verlängerte, an die gestiegene Lebenserwartung angepasste Lebensarbeitszeiten und nicht steuerfinanzierte „gedopte“ Grundrenten sind das Gebot der Stunde.
Die Politik kann noch mehr tun, Arbeitsplätze zu erhalten und Einkommen zu stabilisieren. Die von Nordrhein-Westfalen initiierte Bundesratsinitiative zum Abbau der Bürokratie ist ein richtiger Schritt, die Wirtschaft etwas zu entfesseln und Produktivitätspotentiale zu erschließen. Das wäre sinnvoller als das geplante Lieferkettengesetz und der geforderte Rechtsanspruch auf Homeoffice. Ebenfalls unabdingbar ist eine Reform des EEG. Die EEG-Abgaben sind ein Kostentreiber ersten Ranges. Dabei macht der europäische Emissionshandel das EEG weitgehend wirkungslos. Ein ausgeweiteter Emissionshandel in der EU wäre treffsicherer und kostengünstiger. Auch eine Unternehmenssteuerreform würde dem Corona-bedingten Produktivitätsschock entgegenwirken. Die Steuerlast muss verringert werden, um im internationalen Standortwettbewerb zu bestehen. Ein Puffer in wirtschaftlich schweren Zeiten wäre auch ein zeitlich ausgeweiteter Verlustrücktrag. Die Anreize für private Investitionen würden steigen. Das täte Beschäftigung und Wohlstand gut.
Fazit
Der wirtschaftliche Absturz nach dem ersten staatlich verordneten Lockdown ließ keine andere Wahl. Politik und EZB mussten handeln. Und sie taten es, oft unkonventionell. Not kennt kein Gebot. Die Zeit nachfrageorientierter „Wumms“-Politik ist aber vorbei. Sie kuriert an Symptomen. Das lindert zwar kurzfristig den größten Schmerz. Die Risiken und Nebenwirkungen sind aber beträchtlich. Mit der Politik des großzügigen Geldausgebens sediert die Nachfragepolitik die Volkswirtschaft. Verlängertes Kurzarbeitergeld, aufgeschobene Insolvenzanmeldungen, erweiterte Überbrückungsgelder und staatliche Entschädigungen für ausgefallenen Umsatz sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie bereiten den Weg in die Staatswirtschaft. Notwendig ist eine Politik, die stärker an den angebotsseitigen Folgen der medizinisch noch nicht beherrschbaren Corona-Misere ansetzt. Mit einer effizienten Angebotspolitik kann der negative Produktivitätsschock zumindest teilweise zurückgeschockt werden. Wenn die Politik das nicht schafft, sollte sie wenigstens aufhören, mit marktwidrigen (sozialpolitischen) Eingriffen weiter Öl ins Feuer zu gießen.
- De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik - 12. September 2024 - Ordnungspolitischer Unfug (13)
So was kommt von sowas
Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen - 17. August 2024 - Europa in Zeiten des Populismus
Bewährungsprobe für die Europäische (Währungs)Union?! - 27. Juli 2024
6 Antworten auf „Angebotspolitik in Zeiten von Corona
Wenn nicht jetzt, wann dann? “