Was ist des Marktes, was des Staates?
Wuchernde Staatswirtschaften, gezinkte Märkte und ratlose Ordnungspolitiker

„The nine most terrifying words in the English language are: ‘I’m from the government and i’m here to help‘.“ (Ronald Reagan)

Ordnungspolitisch ist nichts mehr, wie es einmal war. Das Vertrauen in effiziente und gerechte Märkte erodiert. Die Kritik an marktlichen Lösungen ist en vogue. Diskretionäre staatliche Eingriffe haben Hochkonjunktur. Die Finanzkrise war eine ordnungspolitische Zäsur. Die Welt stand am Abgrund einer finanziellen Kernschmelze. Mit der Pandemie traf die Welt ein harter Angebotsschock. Der Staat wird zum Retter in der Not. Wirtschaftliche Not kennt kein ordnungspolitisches Gebot. Die Staatswirtschaft rückt noch einen Schritt näher. Die Politik setzt das bewährte Regelwerk der Marktwirtschaft ohne viel Federlesens außer Kraft. Es herrscht ordnungspolitischer Ausnahmezustand. Der Staat beherrscht das Feld. Die Staatsquote steigt nachhaltig, die staatliche Verschuldung explodiert, der Staat reguliert zunehmend flächendeckend, monetäre Staatsfinanzierung wird salonfähig. Der Widerstand gegen die ordnungspolitische Verwahrlosung ist gering. Den Wählern scheint es egal, die Politik nutzt die Gunst der Stunde, die Wissenschaft wechselt die Seiten. Globalisierte Märkte scheinen überfordert, den Leviathan zu zähmen. Allerdings: Für ordnungspolitische Optimisten gibt es einen Silberstreif am Horizont. In der Pandemie hat der Markt seine vakzinen Hausaufgaben gemacht. Die Politik hingegen macht keine gute Figur.

Empirie der Staatswirtschaft

Oft wird ein Gegensatz zwischen Markt und Staat konstruiert. Das muss nicht so sein. Wenn es darum geht, die Regeln zu setzen, nach denen auf Märkten gespielt wird, braucht der Markt den Staat. Nur der Staat kann den Ordnungsrahmen setzen, der funktionierende Märkte ermöglicht. Anders sieht es aus, wenn der Staat versucht, unvollkommene Märkte zu korrigieren. Dabei gerät er oft in die Falle des eigenen Unvermögens. Er mischt sich in viele Dinge ein, die der Markt trotz aller Unvollkommenheiten besser erledigt. Die letzten 150 Jahre haben allerdings gezeigt, dass der Staat nach und nach Aufgaben an sich gezogen hat, die eigentlich Sache der Märkte sind. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gingen international nur etwas mehr als 10 % des Sozialproduktes durch die Hände des Staates[1]. Der Staat gab sich mit der Rolle eines Minimalstaates zufrieden. Schon Anfang der 1960er Jahre änderte sich aber die Lage. Nun beanspruchte der Staat schon zwischen 25 – 30 %. Mit der Keynesianischen Revolution in der Zeit zwischen 1960 – 1980 wuchs der Hunger des Staates auf 50 – 60 % des Sozialproduktes. Bis Ende des letzten Jahrhunderts dämpfte die angebotspolitische Gegenrevolution den staatlichen Appetit. Der kehrte allerdings mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wieder zurück. Die Staatsquote stieg auf Größenordnungen von 40 – 50 % an.

Die Staatsquoten wachsen überall. Sie nehmen aber nicht überall gleich stark zu. Es existieren offensichtlich unterschiedliche Welten der Staatswirtschaft. Vor allem in angelsächsischen Ländern greift der Staat traditionell weniger stark auf das Sozialprodukt zu. Das ist aber auch in der Schweiz so. In diesen Ländern war die Staatsquote fast immer niedriger als anderswo. Ein Verlust an ökonomischer Effizienz, gemessen an Wachstum und Arbeitslosigkeit, war nicht zu beobachten. Dagegen gehen in den nordischen Ländern meist über die Hälfte des Sozialproduktes durch die Hände des Staates. Nur in Schweden bildete sich die Staatsquote seit der Jahrhundertwende nachhaltig zurück. Der ökonomischen Effizienz hat dies allerdings keinen Abbruch getan. Auch in den kontinentalen Ländern reißt sich der Staat oft mehr als die Hälfte des Sozialproduktes unter den Nagel. Nur die Niederlande haben die Kehrtwende geschafft. Die ökonomische Effizienz ist durchwachsen. Das Wachstum ist anämisch, die Arbeitslosigkeit hoch. In den südlichen Ländern ist die Staatsquote traditionell hoch. Spanien war lange eine Ausnahme, holt allerdings stetig auf. Die ökonomische Effizienz ist seit langem durch die Bank schlechter als anderswo.

Der Staat greift den Bürger nicht nur immer tiefer in die Tasche, um sie dann mit höheren Ausgaben zu beglücken. Wie Ludger Schuknecht zeigt, hat der Staat auch sein Ausgabenverhalten in den letzten 150 Jahren geändert. In den Zeiten der Industrialisierung konzentrierte er seine Ausgaben noch auf die öffentliche Verwaltung, staatliche Investitionen, den Schuldendienst und das Militär. Das hat sich bis in die 1960er Jahre verändert. Nun gab er das Geld der Bürger vor allem für öffentliche Dienstleistungen und die Systeme der Sozialen Sicherung aus. Die Tendenz, immer mehr für Soziales auszugeben hat sich bis heute fortgesetzt. Vor allem die staatlichen Ausgaben für die Alterssicherung, die Gesundheit und die Pflege explodierten. Heute werden in den OECD-Ländern schon über 50 % der gesamten Staatsausgaben für Soziales verwendet, mit stark steigender Tendenz. Der Verlierer dieser Entwicklung sind die öffentlichen Investitionen. Sie gehen seit über 150 Jahren stetig zurück. Betrugen sie im späten 19. Jahrhundert noch 20 %, lagen sie 2017 bei etwas mehr als 7%. Relativ haben aber auch die Ausgaben für Bildung verloren. Sie stagnieren seit den 60er Jahren bei etwas mehr als 10 % der gesamten staatlichen Ausgaben.

Staatswirtschaft auf dem Vormarsch

Getrieben wird die Staatswirtschaft von Angebot und Nachfrage. Die Welt wird komplexer, volatiler und unsicherer. Die Globalisierung öffnet weltweit die Märkte. Der Strukturwandel nimmt Fahrt auf. Ein Prozess der schöpferischen Zerstörung kommt in Gang. Der Wandel erhöht zwar den Wohlstand weltweit, geht aber nicht ohne Friktionen ab. Die Verlierer fragen mehr (soziale) Sicherheit nach. Der Staat agiert vor allem mit aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik. Aber nicht nur Arbeitnehmer fordern staatliche Hilfe. Auch Unternehmen auf der Schattenseite des Strukturwandels wollen unterstützt werden. Subventionen sollen entschädigen, Regulierungen den Strukturwandel verlangsamen. Die Globalisierung verteilt zwar Einkommen weltweit gleichmäßiger. In den Ländern nehmen allerdings die marktbedingten Ungleichheiten zu. Technischer Fortschritt verstärkt diese Entwicklung. Die Nachfrage nach sozialer Gerechtigkeit steigt an. Der Kampf gegen die Armut kostet Geld. Staatliche Ausgaben steigen, wenn ungleich verteilte Einkommen weiter eingeebnet werden. Der gesellschaftliche Deal der sozialen Marktwirtschaft lautet: Weltweit offenere Märkte gegen mehr staatliche Hilfe. Es scheint, als erhöhe Offenheit die Staatsquote.

Auch das staatliche Angebot treibt die Staatsquote. Das wird bei den Systemen der sozialen Sicherheit offensichtlich. Gegen die materiellen Folgen des Risikos der Arbeitslosigkeit können sich die Bürger nur staatlich effizient versichern. Das ist bei Krankheit, Alter und Pflege anders. Hier bieten auch private Versicherungsmärkte einen Schutz. Aber in diesen Bereichen hat der Staat ein Angebot unterbreitet, das die meisten Bürger nicht ablehnen können. Das bleibt nicht ohne Folgen für den Staatshaushalt. Vor allem zwei Entwicklungen werden den umlagefinanzierten Sparten der sozialen Sicherung zusetzen. Die wichtigste ist die Demographie. Sie treibt die Sozialversicherungssysteme finanziell ins Defizit. Das gilt für die Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Weitere steuerfinanzierte staatliche Zuschüsse sind unvermeidlich. Und noch etwas treibt die sozialen Ausgaben des Staates in die Höhe: Die wachsende Umverteilung in den Systemen der sozialen Sicherung und außerhalb. Die bedingungslose Grundrente, die Rente mit 63 und die doppelte Haltelinie sind nur die Spitze des umverteilungspolitischen Eisberges in der Rentenversicherung. Auch außerhalb der Sozialversicherung verbreitet sich das umverteilungspolitische Virus. In seiner ausgabenträchtigsten Ausprägung würde es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen an Boden gewinnen.

Die Nachfrage nach staatlichen Leistungen und das staatliche Angebot sind nicht unabhängig voneinander. Mit dem staatlichen Angebot an sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit steigt auch die Nachfrage der Bürger nach diesen Leistungen. Bietet der Staat soziale Sicherheit an, bleibt meist das Äquivalenzprinzip auf der Strecke. Die individuelle Versicherungsprämie einer Mehrheit ist zu gering. Damit ist moral hazard unvermeidlich. Die Nachfrage der meisten Bürger ist überzogen. Sorgt der Staat für ein großzügiges Angebot an sozialer Gerechtigkeit ohne individuelle Gegenleistung, geschieht dasselbe. Die Nachfrage vieler Bürger nach „Gerechtigkeit“ ist zu groß. Die Politik hat einen Anreiz, auf das Äquivalenzprinzip zu pfeifen und den „gerechten“ Sozialstaat bedingungslos anzubieten, wenn sie die Finanzierung auf künftige Generationen abwälzen kann. Das ist in den umlagefinanzierten Systemen der sozialen Sicherung durch implizite Verschuldung und außerhalb der Sozialversicherung durch explizite Verschuldung des Staates gang und gäbe. Für die Politik existiert keine harte Budgetbeschränkung. Damit fallen Handlung und Haftung auseinander. Die Nachfrage nach staatlichen Leistungen fällt zu groß aus. Die Politik befriedigt diese Nachfrage durch ein zu großes staatliches Angebot. Weiche Budgetbeschränkungen treiben die Staatsquote.

Was ist des Marktes, was des Staates?

Der Einfluss des Staates auf die Ökonomie wächst. Staatsquoten wachsen stetig, Staaten regulieren zunehmend flächendeckend, sie versuchen sich immer öfter als Unternehmer. Die Vermutung liegt nahe, dass sich der Staat zu breit macht. Er wird übergriffig und mischt sich in Dinge ein, die Sache des Marktes sind. Trotzdem: Ein grundsätzlicher  Gegensatz von Markt und Staat existiert nicht. Wenn es um das Eingemachte geht, brauchen beide einander. Märkte funktionieren nicht ohne Staat, Staaten scheitern ohne Märkte. Märkte liefern nur effiziente Ergebnisse, wenn ein adäquater Ordnungsrahmen existiert. Die Garantie von privatem Eigentum, die private Vertragsfreiheit und der freie Zu- und Abgang zu und von den Märkten sind die wichtigsten Elemente einer effizienten Ordnung. Einen solchen Rahmen kann der Markt in der Breite nicht auf die Beine stellen. Das kann nur der Staat. Der Markt wiederum sorgt mit seiner Dynamik für den materiellen Wohlstand, ohne den der Staat seine wichtigsten Aufgaben nicht erfüllen kann. Die eigentliche Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass die Politik über den Ordnungsrahmen entscheidet. Wie er letztlich aussieht, wird auf unvollkommenen politischen Märkten entschieden. Die Gefahr ist deshalb groß, dass eine Ordnung installiert wird, die effiziente Marktergebnisse gar nicht zulässt. Die Märkte sind gezinkt. Das postulierte Marktversagen ist meist Politikversagen.

Unvollkommene politische Märkte haben das Potential, zusätzliche Interessenkonflikte zwischen Markt und Staat zu verursachen. Wie alle Institutionen sind auch ökonomische Märkte nicht vollkommen. Die Unvollkommenheiten können, wie externe Effekte, Marktmacht oder Informationsdefizite, allokativer Natur sein. Sie haben aber oft auch distributiven Charakter, wie ungleich verteilte Einkommen, Vermögen und Handlungsrechte. Es liegt nahe, vom Staat zu fordern, Marktunvollkommenheiten zu korrigieren. Das Problem ist aber, auch der Staat ist unvollkommen. Es gelingt ihm nicht, Kosten und Erträge einer Maßnahme einigermaßen verlässlich zu kalkulieren. Stuttgart 21 und der Berlin-Brandenburg-Flughafen sind nur zwei Beispiele. Es mangelt ihm an Wissen über Raum und Zeit. Die industriepolitischen Fehlschläge, wie die Förderung von Solarunternehmen in Ostdeutschland oder der Aufbau europäischer Champions in der Computer-Industrie, sind Legion. Er ist versuchten Manipulationen durch spezifische Interessengruppen ausgesetzt. Die Förderpolitik der Windindustrie oder die „kostenlose“ Maskenabgabe durch Apotheken zählen dazu. Das alles trägt mit dazu bei, dass viele staatliche Aktivitäten, die marktliche Unvollkommenheiten korrigieren sollen, nicht besser, ja oft schlechter als die Marktlösungen ausfallen.

Die gegenwärtige Pandemie hat wie schon die Flüchtlingskrise zuvor eine weitere staatliche Schwäche offengelegt. Bei der föderalen Ordnung liegt hierzulande einiges im Argen. Die vertikale Kompetenzverteilung ist ineffizient. Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen auf den staatlichen Ebenen fallen auseinander. Das begünstigt organisierte Verantwortungslosigkeit. Das Chaos bei den Schnelltests, wo der Bund finanziert, die Länder aber beschaffen ist ein Beispiel. Die geplante bundeseinheitliche Steuerung bei Infrastrukturlösungen und überforderte lokale Gesundheitsämter, die andere technische Lösungen favorisieren, ist ein anderes. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass der Versuch, marktliche Unvollkommenheiten durch staatliche Aktivitäten zu korrigieren, zu besseren Ergebnissen führt. Vieles spricht dafür, dass der Staat nur in Kernbereichen aktiv wird. Unbestritten ist, er soll die Spielregeln setzen nach denen auf Märkten gespielt werden kann und als Schiedsrichter fungieren, der Fehlverhalten der Akteure sanktioniert. Grundsätzlich spricht auch vieles dafür, öffentliche Güter staatlich anzubieten. Was dazu zählt, ist allerdings umstritten. Was des Marktes und was des Staates ist, ist nicht leicht zu entscheiden. Viel wäre aber schon gewonnen, wenn bei staatlichen Eingriffen in marktliche Prozesse immer sorgfältig zwischen irrenden Unternehmern (Markt) und schusseligen Politikern und Bürokraten (Staat) abgewogen würde.

Ordnungspolitik in der Sackgasse?

Die Empirie lässt keine Zweifel zu. Weltweit gehen immer größere Teile des Sozialproduktes durch staatliche Hände, in manchen Ländern weniger, in anderen mehr. Der Löwenanteil der Ausgaben ist konsumtiv, staatliche Investitionen werden verdrängt. Der Wohlstand fließt in soziale Wohltaten, kaum in die Zukunftsfähigkeit der Länder. Und die Politik reguliert die Ökonomie zunehmend flächendeckend. Neue und höhere Barrieren behindern den Zugang zu den Märkten. Die Bürokratie wuchert ungehemmt. Beides lähmt die wirtschaftliche Dynamik. Wirtschaftliche Entscheidungen werden immer öfter auf politischen Märkten getroffen. Politische Märkte funktionieren aber anders als ökonomische. Ökonomische Effizienz ist nebensächlich, Wiederwahlchancen dominieren. Gedacht wird in Legislaturperioden, nicht in Generationen. Rationales Unwissen der Wähler ist an der Tagesordnung. Abgestimmt wird über politische Paketlösungen. „Rent seeking“ der Interessengruppen dominiert. Die Budgetrestriktionen der Politiker sind weich. Staatliche Verschuldung, explizit oder implizit, fördert ineffiziente Entscheidungen. Die bringen zwar kurzfristig Wählerstimmen, sind aber längerfristig ökonomisch bisweilen fatal. Die Chancen, dass sich Politiker für einen effizienten Ordnungsrahmen entscheiden, sind eher gering.

Eine Reform der unvollkommenen politischen Märkte ist schwierig. Viel wäre gewonnen, wenn es gelänge, die gegenwärtige Kluft zwischen Handlung und Haftung der politischen Entscheidungsträger zu verringern. Der Einbau von mehr Elementen der direkten Demokratie in den Prozess der politischen Entscheidungsfindung wäre ein Anfang. Als Vorbild könnte, trotz aller Vorbehalte, die föderale Schweiz dienen. Die Macht der Interessengruppen zu beschränken, wäre ein weiterer sinnvoller Ansatz. Mehr Transparenz auf den politischen Märkten wäre ein geeignetes Mittel. Das gerade umgesetzte Lobbyregister hierzulande ist ein erster Schritt. Auch weniger Trittbrettfahrerverhalten rational ignoranter Wähler wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Eine „Stiftung Warentest der Politik“ wäre ein kleiner erster Schritt. Sie könnte die Informationskosten der Wähler verringern. Das Langfristdenken in der Politik würde gestärkt. Alle diese marginalen Reformelemente könnten helfen, unvollkommene politische Märkte funktionsfähiger zu machen. Die Abstrahleffekte auf die ökonomischen Märkte wären positiv. Tatsächlich dürfte der Weg einer wirksamen Reform der politischen Märkte aber steinig sein. Schließlich müssen die Profiteure der gegenwärtigen Verhältnisse auf den politischen Märkten möglichen Veränderungen zustimmen. Das ist nicht zu erwarten.

Die Realität ist: Politische Märkte sind unvollkommen und werden es auch bleiben. Damit sind die Chancen für bessere ordnungspolitische Spielregeln gering. Auch ein Rückzug des Staates auf seine Kernbereiche, in denen er dem Markt eindeutig überlegen ist, erscheint illusorisch. Vielleicht gelingt es an der einen oder anderen Stelle, offenkundig ineffiziente staatliche Aktivitäten zu privatisieren. Möglicherweise erzwingt auch die heterogene wirtschaftliche Entwicklung hin und wieder etwas mehr wettbewerblichen Föderalismus. Sicher ist das aber nicht. Die Politik strebt eher an, den „Flickenteppich“ einfarbiger zu gestalten. Sie weiß eine Mehrheit der Wähler hinter sich. Die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes spricht eine klare Sprache. Machen wir uns nichts vor: Eine ordnungspolitische „Feinsteuerung“ ist nicht in Sicht. Umso mehr gilt es, regelbasiertes Verhalten, wo es noch existiert, zu erhalten und zu stärken. Die Schuldenbremse, das Verbot monetärer Staatsfinanzierung und eine äquivalenzorientierte Rente zählen dazu. Wenn es gelingt, der Politik die Hände zu binden, auf Kosten künftiger Generationen zu leben, fällt es ihr schwerer, Handlung und Haftung zu entkoppeln. Die Chancen steigen, dass die unsinnigsten Aktionen unterbleiben. Alle Versuche, die Schuldenbremse zu flexibilisieren, monetäre Staatsfinanzierung zu erleichtern und das Äquivalenzprinzip in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu schleifen, sind kontraproduktiv.

Fazit

Der Staat expandiert, der Markt stagniert. Die Staatsquoten wachsen, die Regulierungen nehmen überhand, die Bürokratie wuchert. Es dominiert organisierte Verantwortungslosigkeit. Der Anteil des Sozialen an den staatlichen Ausgaben nimmt zu. Die Qualität der staatlichen Leistungen ist oft dürftig. Eine wuchernde Bürokratie erstickt wirtschaftliche Dynamik. Steuer- und Abgabenquoten steigen. Die staatliche Verschuldung überbordet. Das wirtschaftliche Wachstum ist anämisch, die Inflation zu hoch, Armut weiter ein Thema. Die Vermutung liegt nahe, der Staat sei zu groß und oft wenig effizient. Staatliche Aufgaben, Ausgaben, Einnahmen und Administrationen müssen auf den Prüfstand. Auf die Wähler sollte man nicht setzen. Sie wollen mehr staatliche Leistungen, ohne dafür zu bezahlen. Der öffentliche Konsum wird hoch bleiben. Staatliche Investitionen kommen weiter unter die Räder. Die Politiker sind keine wirkliche Hilfe. Sie erfüllen die kurzfristig orientierten Wünsche der Wähler und spezifischer Interessengruppen. Schließlich wollen sie wieder gewählt werden. Dabei helfen ihnen weiche Budgetrestriktionen. Lasten werden über staatliche Verschuldung, explizite und implizite, auf künftige Generationen verlagert. Es ist grob fahrlässig, bestehende Fiskal- und Äquivalenzregeln aufzuweichen, die Bürger von morgen vor den Lasten des hemmungslosen öffentlichen Konsums von heute schützen sollen. Das Gegenteil ist angesagt: Wir müssen sie schärfen. Die Chancen stehen allerdings nicht wirklich gut.

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[1] Die Zahlen stammen aus dem neusten Buch von Ludger Schuknecht, Public Spending and the Role of the State. Cambridge University Press 2021

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  1. Hallo Herr Berthold,
    ein schöner Artikel! Vielen Dank, dass Sie mich zitieren!
    Ludger Schuknecht

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