„Sparen heißt, was man hat nicht auszugeben, nicht das, was man nicht hat, nicht auszugeben.“ (Manfred Rommel)
Die Politik versucht es wieder einmal auf die dummdreiste Art. Schuld an der Krise des Euro hätten die Spekulanten. Dieses Ablenkungsmanöver ist durchsichtig. Nicht die Spekulanten sind schuld an den gigantischen staatlichen Schulden. Die Politik trägt die Verantwortung. Europa lebt seit langem über seine Verhältnisse. Die staatliche Ausgabenpolitik ist verantwortungslos. Nun wird die Rechnung eines langen Lebens auf Kosten der Zukunft präsentiert. Die Schuldenblase droht zu platzen. Die Politik wird die Geister nicht mehr los, die sie rief. Griechenland ist überall. Und die Politik hat nichts dazu gelernt. Sie zockt weiter im alten Stil. Der Schuldendienst wird durch immer neue Schulden finanziert. Feuer wird mit Benzin gelöscht. Das hat noch nie funktioniert. Der Euro schlingert. Die Gefahr, dass er in seiner gegenwärtigen Form scheitert, ist groß. Den Kampf gegen ökonomische Gesetze kann die Politik nicht gewinnen, auch dieses Mal nicht.
Über die Verhältnisse gelebt
Die Krise des Euro ist eine asymmetrische Staatsschuldenkrise. Zwar sind fast alle Mitgliedsländer fiskalische Sünder, die einen mehr, andere weniger. Überall wo heute finanziell der Schuh drückt, wurde auf Kosten künftiger Generationen gelebt. Das ist für demokratische Gesellschaften eher die Regel als die Ausnahme. Der politische Wettbewerb hat eine Schlagseite zugunsten der staatlichen Verschuldung. Staatsverschuldung senkt die aktuellen (Steuer-)Preise der Güter, die Politiker anbieten, damit sie gewählt werden. Ein strategischer Einsatz dieses Instrumentes erhöht die Wahlchancen. Der politische Wettbewerb macht eine dauerhaft solide Finanzpolitik nahezu unmöglich. Das können wir auch in den Ländern der Eurozone beobachten. Die Budgetdefizite im Euroraum lagen im Jahre 2009 durchschnittlich bei 6,3 % des BIP, der Schuldenstand bei 78,7 %. Die Finanzkrise hat alles nur noch schlimmer gemacht.
Schulden in % des BIP
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Quelle: Europäische Kommission, AMECO
Der Versuchung, auf Kosten der Zukunft zu leben, konnte kein Land der Eurozone widerstehen. Allerdings sündigten die Länder fiskalisch unterschiedlich schwer. Mit zu den größten Sünder zählen seit langem Länder der südlichen Peripherie, wie Griechenland und Portugal. Dass sie heute mit zu den Sorgenkindern der Währungsunion zählen, hat aber auch mit dem Euro zu tun. Die Mitgliedschaft in der Eurozone verstärkte ihre Anreize, fiskalisch über die Stränge zu schlagen. Sie konnten es sich nun leisten, sich über beide Ohren zu verschulden. Die Kapitalmärkte gingen – trotz der „No-bail-out-Klausel“ des Vertrags von Maastricht – von der richtigen Vorstellung aus, dass die anderen Mitglieder der Eurozone im Notfall für die Schulden der Peripherie einstehen würden. Die nominellen Zinsen dieser Länder verringerten sich mit deren Beitritt zur Eurozone erheblich. Der Anreiz der Staaten, sich zu verschulden, nahm zu.
Der Euro setzte für einige Mitglieder den Sanktionsmechanismus der Kapitalmärkte außer Kraft. Das hatte fatale Folgen. Die Nominalzinsen waren für alle Euro-Länder fast gleich. Für Länder mit schwächeren Präferenzen für Preisniveaustabilität, wie etwa Spanien oder Griechenland, stieg der Anreiz, eine höhere Inflationsrate zuzulassen, um die Realzinsen weiter zu verringern. Das verstärkte die Fehlallokation in Sektoren, wie etwa den Immobiliensektor, die sensibel auf Kapitalkosten reagieren. Mit dem Bauboom stiegen die Einkommen kräftig. Da Immobilien international nicht handelbar sind, stiegen mit den Einkommen auch die Defizite in der Leistungsbilanz. Das Loch wurde noch tiefer, weil höhere Inflationsraten die internationale Wettbewerbsfähigkeit verschlechterten. Das Wachstum war nicht nachhaltig. Die Länder gerieten unter Druck, als die Kapitalmärkte an ihrer Kreditwürdigkeit zu zweifeln begannen.
Euro schwächt Immunsystem
Die Risiken und Nebenwirkungen massiver staatlicher Verschuldung reichen weiter. Sie schwächt das wirtschaftliche Immunsystem der Länder, sich effizient an wirtschaftliche Veränderungen anzupassen. Die Lohnpolitik der Tarifpartner ist oft zu starr, die Arbeitnehmer sind zu wenig mobil. Ein Leben auf Pump führt den Staat in Versuchung, als „employer of last resort“ aufzutreten. Politik und Tarifpartner machen gemeinsame Sache auf Kosten der Steuerzahler. Korporatistische Strukturen wuchern. Die Tarifpartner wälzen beschäftigungspolitische Lasten auf den Staat ab. Löhne und Lohnstrukturen werden inflexibler, Arbeitnehmer räumlich und beruflich immobiler. Ein (Sozial-)Staat, der sich großzügig der Verschuldung bedient, ist eher bereit, eine solche Politik zu Lasten Dritter finanziell zu alimentieren. Die Arbeitsmärkte verkrusten, die Anpassung an exogene Schocks, wie etwa die Finanzkrise, fällt schwer.
Verkrustete Arbeitsmärkte sind eine schwere Hypothek, mit der heute viele Euro-Länder zu kämpfen haben, vor allem im Süden. Notwendige Strukturreformen wurden auf die lange Bank geschoben. Die Hoffnung, der Euro würde für frischen Wind sorgen, hat getrogen, zumindest für die Arbeitsmärkte. Kein Wunder, dass der Schock der Finanzkrise diese Länder auf den Arbeitsmärkten mit voller Wucht traf. Die Arbeitslosigkeit, die durch einen staatlich schuldengetriebenen Boom künstlich gedrückt wurde, stieg stark an, die staatliche Verschuldung erhöhte sich weiter. Deshalb ist der Weg besonders steinig, sich über eine interne Abwertung besser auf internationalen Absatzmärkten zu positionieren. Das erfordert sinkende Reallöhne, flexiblere Arbeitsmärkte und mobilere Arbeitnehmer. An alledem mangelt es den südlichen Wackelkandidaten der Eurozone.
Länder, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, müssen den Gürtel enger schnallen. Die staatliche Verschuldung muss verringert, die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. Das erste Problem lässt sich nur durch rigoroses Sparen lösen. Am meisten lässt sich beim Sozialstaat sparen. Das zweite Problem macht eine länderinterne Abwertung notwendig. Die Reallöhne müssen sinken. Scheitert die Politik an diesen beiden Problemen, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Restrukturierung der Schulden und Austritt aus der Währungsunion. Beide Wege sind mit Turbulenzen im Finanzsektor verbunden. Ob dies für den Steuerzahler teurer wird als der neu aufgespannte Rettungsschirm, ist zweifelhaft. Die geplante Rettung ist wenig zielgenau und damit kostspielig. Effizienter wäre es, wirklich notleidende, allerdings nur systemrelevante Banken mit Steuergeldern zu retten.
Politische Union: Falsche Medizin
Die gegenwärtige Krise des Euro scheint allen Recht zu geben, die schon immer der Meinung waren, dass eine Währungsunion ohne politische Union nicht stabil sei. Auch die Deutsche Bundesbank nutzte einst dieses Argument, als es um die Einführung des Euro ging, allerdings eher strategisch. Verhindern konnte sie ihn trotzdem nicht. Im Kern geht es darum, dass eine einheitliche Währung auch ein zentrales Budget brauche. Die Gründe liegen auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Einerseits soll Euro-Ländern, die von negativen Schocks getroffen werden, von den anderen automatisch geholfen werden. Das zentrale Budget agiert als Versicherung. Andererseits soll der Prozess der wirtschaftlichen Konvergenz der Mitgliedsländer der Währungsunion beschleunigt werden. Das verringere asymmetrische Schocks und stabilisiere den Euro. In beiden Fällen sei eine Umverteilung über ein zentrales Budget notwendig und sinnvoll.
Das eigentliche Problem der Eurozone sind nicht asymmetrische Schocks, sondern asymmetrische Trends. Nicht unterschiedliche nationale Konjunkturverläufe bringen den Euro in Schwierigkeiten. Es sind die divergierenden Strukturen der Mitgliedsländer. Das gilt für die Inflationsraten, das wirtschaftliche Wachstum, die Haushaltslage und die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Der Hinweis auf das US-Modell des „fiscal federalism“, das die US-Staaten partiell gegen asymmetrische Konjunkturverläufe versichert, ist damit eher ungeeignet. Die Hilfe aus Washington bei strukturellen Divergenzen der Bundesstaaten ist gering. In den meisten Bundesstaaten existieren in der Verfassung verankerte Schuldengrenzen. Wichtiger ist, dass kein institutionalisierter „bail out“ existiert. Amerikanische Bundesstaaten können pleite gehen. Der Sanktionsmechanismus der Kapitalmärkte stabilisiert die US-Währungsunion.
Gegen asymmetrische Trends ist die Umverteilung über zentrale Budgets ein riskantes Manöver. Die Mitgliedsländer unterscheiden sich wirtschaftlich, ihre Präferenzen sind heterogen. Eine einheitliche Geldpolitik kommt für einige zu früh. Ein zentrales Budget, über das umverteilt wird, weicht die Budgetrestriktion der Mitgliedsländer auf. Das Virus des „moral hazard“ breitet sich aus. Es ist kein Zufall, dass in Ländern mit üppigem Finanzausgleich, die Nehmerländer die höchste Verschuldung aufweisen. Daneben lässt das Popitz’sche Gesetz das zentrale Budget expandieren. Das Druckpotential der Politik auf die Europäische Zentralbank wächst, Staatsschulden zu monetisieren. Schließlich breitet sich die fiskalische Zentralisierung wie ein Ölfleck aus. Auch Lohn-, Tarif- und Sozialpolitik geraten in diesen Sog. Güter- und Faktormärkte erstarren, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Länder der Eurozone leidet.
Geordnete Insolvenz
Eine politische Union ist eine Sackgasse, sie destabilisiert die Währungsunion. Stabil ist die Währungsunion nur, wenn sie die asymmetrische Schuldenkrise in den Griff bekommt. Ein sanktionsbewehrter Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte verhindern, dass Länder auf Kosten der Zukunft leben. Mit einer glaubwürdigen „No-bail-out-Klausel“ sollte der Sanktionsmechanismus der Kapitalmärkte genutzt werden, um fiskalische Versuchungen unattraktiv zu machen. Beide institutionellen Neuerungen sollten den Verlust der Sanktion über Abwertungen kompensieren, die intern bei einer einheitlichen Währung wegfällt. Die Politik hat sich beider Instrumente beraubt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist spätestens tot, seit die fälligen Sanktionen gegen Deutschland und Frankreich ausgesetzt wurden. Die „No-bail-out-Klausel“ ist seit dem griechischen Sündenfall das Papier nicht mehr wert, auf dem sie vereinbart wurde. Nicht die Spekulanten zerstören den Euro, das erledigt die Politik.
Es mangelt nicht an Vorschlägen, die staatliche Verschuldung der Euro-Länder zu begrenzen. Mit einer stärkeren, transparenteren und lückenlosen Überwachung der Maastrichter Schuldengrenzen fängt es an. Mit der Einführung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild für alle Mitgliedsländer der Eurozone fährt man schon schwereres Geschütz auf. Wer diese fiskalischen Regeln verletzt, soll zukünftig härter, tatsächlich aber auch überhaupt bestraft werden. Im Gespräch sind der Stopp finanzieller Mitteln aus den europäischen Strukturfonds und der temporäre Verlust des Stimmrechts im Europäischen Rat. Wirklich hart wird es, wenn der Vorschlag umgesetzt wird, der vorsieht, die EU-Kommission als fiskalischen Staatskommissar für die Euro-Länder einzusetzen. Eine Reihe von Ländern hat schon ihr Veto gegen einen Teil dieser Vorschläge angedroht.
Die Erfahrung zeigt, alle Schuldenregeln, die staatliche Verschuldung begrenzen sollen, funktionieren nicht, wenn sie auf sich allein gestellt sind. Sie kurieren allenfalls an Symptomen. Das ist auch in den Bundesstaaten der USA und den Kantonen der Schweiz nicht anders. Gehärtet werden die Schuldengrenzen erst, wenn es gelingt, Handlung und Haftung in Einklang zu bringen. Das macht es aber erforderlich, dass Mitgliedsländer der Eurozone auch wirklich pleite gehen können. Was Not tut, um die staatliche Verschuldung wirksam zu begrenzen, ist ein glaubwürdiges Verfahren einer geordneten Insolvenz für die Länder des Euroraumes. Das würde den Sanktionsmechanismus der Kapitalmärkte wieder in Kraft setzen, eine Haftungsgemeinschaft verhindern, dauerhafte finanzielle Transfers überflüssig machen und „moral hazard“ der Mitgliedsländer minimieren. Die Europäische Währungsunion würde stabilisiert, der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa würde das gut tun.
Fazit
Die historische Erfahrung zeigt, eine politische Union stabilisiert eine Währungsunion nicht. Trotz Identität von Staat und Geld ist der Ruin von Währungen eher die Regel als die Ausnahme. Stabil bleiben Währungen nur, wenn Staaten nicht über ihre Verhältnisse leben. Die Achillesferse stabiler Währungen sind die Staatshaushalte. Sind sie solide, ist die Währung stabil. Das erfordert strikte Grenzen für das Wachstum der Ausgaben. Die Gefahr ist geringer, dass staatliche Schulden monetisiert werden. Die Krise ist der richtige Zeitpunkt zur fiskalischen Umkehr. Gelingt die Wende nicht, sieht es düster aus für Europa. Aus der Währungsunion wird eine Transferunion, effizienzverschlingende Verteilungskämpfe toben, das wirtschaftliche Wachstum bricht ein. Die Europesimisten würden doch noch Recht bekommen, der Friede in Europa stünde auf dem Spiel.
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