Pleiten, Pech und Pannen
Hat der Euro eine Zukunft?

„Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben.“ (Alan Greenspan)

Es gibt auch 2011 keine Krise des Euro. Der Euro ist stabil, sein Binnen- und Außenwert ist erstklassig. Diese Meinung ist unter Ökonomen weit verbreitet. Dennoch ist sie falsch. Staatliche Verschuldung und die Stabilität des Euro hängen eng miteinander zusammen. Eine hohe Verschuldung der Mitglieder der Europäischen Währungsunion setzt die Europäische Zentralbank massiv unter Druck, Staatsschulden zu monetisieren. Inflation und Abwertung sind über kurz oder lang unausweichlich. Die Gründungsväter der EWU wollten die Staaten deshalb mit dem Verbot der Notenbankfinanzierung der Staatsschulden, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und der „No Bail Out-„Regel fiskalisch an die Kette legen. Gelungen ist das nicht. Die Politik hat sich nicht nur selbst Absolution für fiskalische Regelverletzungen erteilt. Sie hat auch nicht bedacht, dass Staaten von „systemrelevanten“ Finanzinstituten in fiskalische Geiselhaft genommen werden können. Die Krise in Europa ist eine Staatsschuldenkrise. Der Euro hat nur eine Zukunft, wenn es gelingt, diese fiskalischen Schwachstellen zu beseitigen.

Die Vergangenheit

Der Euro war und ist ein politisches Projekt. Das Urteil der Ökonomen ist auch nach zwölf Jahren durchwachsen. Eine Währungsunion ist nur erfolgreich, wenn sie eine solide realwirtschaftliche Basis hat. Das erfordert zumindest zweierlei: Flexible Güter- und Faktormärkte und eine konvergente wirtschaftliche Entwicklung. Die marktfreundlichen währungspolitischen Optimisten sahen eine Chance, dass der Euro beide Bedingungen erfüllt. Niemand hat diese Hoffnung so prägnant formuliert wie Olaf Sievert: Der Euro ist ein Geld, das man nicht selbst schaffen könne. Damit müssten sich die Mitglieder exogenen Schocks stellen. Es bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als sich über flexible Löhne, bewegliche Lohnstrukturen und mobile Produktionsfaktoren anzupassen. Nachhaltige Strukturreformen seien unausweichlich. Der alte Weg, reale Probleme durch Gelddrucken zu verschleiern und sich über Inflation und Abwertung vor der realen Anpassung zu drücken, würde endgültig versperrt. Hohes Wachstum, Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität seien der Lohn.

Die Kritik der marktfreundlichen währungspolitischen Skeptiker verwies dagegen auf sklerotische Arbeitsmärkte in Europa und die fiskalische Achillesferse einer Währungsunion. Anfang der 90er Jahre waren die europäischen Arbeitsmärkte in einem desolaten Zustand. Es fiel den Ländern schwer, sich über flexible Löhne und mobile Arbeit an neue wirtschaftliche Gegebenheiten anzupassen. Die Hoffnung auf fundamentale Strukturreformen auf den Arbeitsmärkten und im Bereich des Sozialen war bescheiden. Massenhafte Arbeitslosigkeit war die Regel. In Europa stieg der inter-regionale Transferbedarf. Die währungspolitischen Skeptiker waren dezidiert der Meinung, dass einheitliches Geld den Transferbedarf verstärke. Die Gefahr sei real, dass auf das Geld der Anderen zurückgegriffen werde. Dass man Geld nicht mehr selbst schaffen könne, reiche für den Erfolg einer Währungsunion nicht aus. Es müsse auch garantiert werden, dass man das Geld der Anderen nicht ausgeben könne. Daran bestünden allerdings erhebliche Zweifel.

Marktfreundliche währungspolitische Optimisten und Skeptiker unterschieden sich zwar bei der monetären Integration. Einig waren sie sich allerdings, dass eine weitere (fiskal)politische Integration in Europa nicht auf der Tagesordnung stehen sollte. Eine Währungsunion, die ihren Mitgliedern die geldpolitische Autonomie entzieht, bräuchte finanzpolitisch autonome Mitglieder, damit diese vor ihren nationalen Wählern bestehen könnten. Das sahen die marktskeptischen währungspolitischen Optimisten ganz anders. Ihnen war das marktliche Treiben eher suspekt, das mit dem „Binnenmarktprojekt 92“ auf den europäischen Güter- und Kapitalmärkten eingezogen war. Sie vermuteten distributive Fehlentwicklungen. Eine Währungsunion würde die Marktkräfte weiter entfesseln. Dem sollten staatliche Leitplanken entgegen wirken. Eine Fiskalunion würde kurzfristig, eine stärkere politische Integration langfristig für eine stabilere und gerechtere Währungsunion in Europa sorgen.

Die Gegenwart

Das Experiment der Europäischen Währungsunion konnte so nicht gutgehen. Der politisch bestimmte währungspolitische Fahrplan versuchte das Unmögliche. Die Positionen der marktfreundlichen und die  Vorstellungen der marktskeptischen währungspolitischen Optimisten sind wie Feuer und Wasser. Es ist eine „mission impossible“, beide unter einen Hut zu bringen. Bei einer solchen Konstellation, in der Unvereinbares in ein Prokrustesbett gezwängt wird, besteht die reale Gefahr, dass die disziplinierende Kraft der neuen Währungsordnung ausgehebelt wird. Nicht nur nationale Fiskalpolitiken, auch nationale Lohn- und Tarifpolitiken laufen aus dem Ruder. Genau das ist passiert. Kommt aber der notwendige ordnungspolitische Regimewechsel hin zu mehr Markt und Wettbewerb nicht zustande, wird das realwirtschaftliche Fundament der Währungsunion noch brüchiger, als es ohnehin schon ist. Eine Währungsunion vertieft dann die ökonomischen Gräben, sät politischen Unfrieden und spaltet Europa politisch wie ökonomisch.

Den Mitgliedern der Europäischen Währungsunion ist es bis heute nicht gelungen, die europäischen (Arbeits-)Märkte nachhaltig funktionsfähiger zu machen. Es gibt natürlich auch Erfolge auf nationalen Arbeitsmärkten in Europa. Einige, wie in Irland und Spanien, erwiesen sich aber als ein Strohfeuer. Andere, wie in Dänemark und Schweden, kamen ohne den Euro zustande. Und wieder andere, wie in Deutschland, brauchten erst den Schock der Wiedervereinigung, um in Gang gesetzt zu werden. Der Euro hat die Lohn- und Tarifpolitik nicht diszipliniert, in der europäischen Peripherie war sogar das Gegenteil der Fall. Mit dem Euro verschwanden die Risikoprämien auf den europäischen Kapitalmärkten fast gänzlich. Davon profitierten vor allem Länder der europäischen Peripherie. Dort wurde ein exzessiver, kreditfinanzierter Bauboom ausgelöst. Die private und staatliche (Auslands-)Verschuldung nahm zu, die Einkommen stiegen, die Leistungsbilanzen gerieten ins Ungleichgewicht, die Löhne und Preise explodierten, die internationale Wettbewerbsfähigkeit kam unter die Räder.

In der Europäischen Währungsunion haben aber auch die fiskalischen Bremsen versagt. Es ist nicht gelungen zu verhindern, dass Mitglieder das Geld der Anderen ausgeben. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde von Anfang an nicht ernst genommen. Spätestens nachdem Deutschland und Frankreich ihm die restlichen Zähne zogen, war er nicht mehr glaubwürdig. Die EWU wurde zu einer Haftungsgemeinschaft. Viele Mitglieder lebten fiskalisch über ihre Verhältnisse, allen voran Griechenland und Portugal. Und doch hat nicht die direkte staatliche Verschuldung zur Panik geführt. Es ist, wie in Irland und Spanien, die exzessive private Verschuldung im Ausland, die Probleme bereitet. Systemrelevante Finanzinstitute wackeln bei Kreditausfällen, Staaten werden zu Geiseln, die staatliche Verschuldung explodiert, das Prinzip des „No Bail Out“ gilt nicht mehr. Die EZB wird genötigt, Staatsanleihen mit zweifelhafter Bonität auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen. Die Väter des Euro sahen zwar die Gefahr übermäßiger direkter staatlicher Verschuldung. Das noch größere Risiko überschuldeter systemrelevanter Banken hatten sie allerdings nicht auf dem währungspolitischen Radar.

Die Zukunft

Der Euro befindet sich an einer Weggabelung. Entweder die Mitgliedsländer setzen wieder auf Markt und Wettbewerb. Dann hat der Euro eine Zukunft. Oder sie vertrauen auf noch mehr Staat und Korporatismus. Dann ist das Ende des Euro nur eine Frage der Zeit. Weder Schuldengrenzen noch „No Bail-Out“-Regeln disziplinieren fiskalisches Fehlverhalten. Am wirksamsten disziplinieren immer noch die Kapitalmärkte, allerdings nur, wenn gilt: Wer handelt, der haftet, ohne wenn und aber. Privaten Gläubigern darf es nicht gelingen, Risiken auf die Steuerzahler abzuwälzen. Es muss darüber hinaus auch möglich sein, dass Banken und Staaten pleitegehen können. Das ist nur denkbar, wenn Banken und Staaten nicht „zu groß“ sind. Vorschläge gegen ein exzessives Größenwachstum der Banken liegen auf dem Tisch. Ihre Aktivitäten müssen abhängig von den eingegangenen Risiken stärker mit Eigenkapital unterlegt werden. Auch eine Bankenabgabe als „Pigou-Steuer“, die mit dem Wachstum der Banken steigt, kann negative makroökonomische externe Effekte internalisieren. Schließlich muss es den Kartellbehörden möglich sein, „zu große“ Finanzinstitute zu entflechten.

Aber auch Staaten dürfen nicht „zu groß“ werden, um pleitegehen zu können. Die Gefahr eines finanziellen Flächenbrandes in Europa ist bei kleinen Ländern geringer als bei großen, wenn sie sich finanziell übernommen haben. Empirisch geht wirtschaftliche Integration mit politischer Desintegration einher. Eine Vielzahl von Sezessionen hat in der jüngeren Vergangenheit weltweit die Zahl der Länder erhöht. Diese Entwicklung löst allerdings das Problem des „too big to fail“ in der EWU nicht, zumindest nicht auf absehbare Zeit. Es gibt aber noch eine zweite Entwicklung, die hilft, das systemische Risiko von Ländern zu verringern. Mit steigendem Wohlstand werden die Präferenzen der Bürger heterogener. Das ist ein guter Nährboden für weniger Zentralismus und mehr regionale Eigenständigkeit. Mehr wettbewerblicher Föderalismus, weniger inter-regionale Umverteilung und Hilfe nur in Notfällen stärken die institutionelle Kongruenz auch in großen Ländern. Die Anreize, auf Kosten der Anderen zu leben, verringern sich, die Währungsunion wird stabilisiert.

Das systemische Risiko von Ländern würde sinken, Pleiten wären eher möglich, die Risikoprämien der Länder kämen wieder zum Vorschein, fiskalisches „moral hazard“ ginge zurück. Die Kapitalströme in Europa orientierten sich wieder stärker an den „wahren“ risikogewichteten Renditen. Der exzessive Zustrom in die Peripherie und der übermäßige Abfluss aus dem (deutschen) Zentrum würden verringert. Die Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen in Europa bildeten sich zurück. Das alles tritt allerdings nicht ein, wenn sich die EWU endgültig zu einer Haftungsgemeinschaft entwickelt, die kein Land im Regen stehen lässt. Euro-Bonds, ein Europäischer Währungsfonds und eine Politische Union sind Irrwege. Europa wird zentralistischer, die inter-regionale Umverteilung wächst, fiskalisches „moral hazard“ ist an der Tagesordnung. Ein solcher kooporativer Föderalismus schwächt die Marktdisziplin. Europa versinkt endgültig im Schuldensumpf. Der Druck auf die EZB nimmt zu, staatliche Schulden zu monetisieren. Das wäre das Ende der EWU als einer Stabilitätsgemeinschaft in Europa.

Fazit

Die EWU meistert die gegenwärtige Krise nur, wenn sich die Politik wieder auf die Faktoren besinnt, die Europa einst wirtschaftlich groß gemacht haben: Markt, Wettbewerb und Nichtdiskriminierung. Notwendig ist deshalb dreierlei: 1) Ein neues „Binnenmarktprojekt 2020“, das die Güter- und Faktormärkte weiter öffnet, stärkt die reale ökonomische Basis der Währungsunion, die wirtschaftliche Entwicklung konvergiert. 2) Ein ordnungspolitischer Rahmen, der sicherstellt, dass Staaten und Finanzinstitute pleitegehen können, erhöht die fiskalische Marktdisziplin in Europa und verringert den Druck auf die EZB. 3) Mehr wettbewerblicher Föderalismus, weniger inter-regionale Umverteilung und gegenseitige finanzielle Hilfe nur in Notfällen verringert „moral hazard“ und trifft die heterogenen Präferenzen der Bürger besser. Lässt sich die EU allerdings auf den Irrweg von noch mehr (zentralem) Staat, mehr Korporatismus und mehr Politische Union ein, sind die Tage des Euro und der Europäischen Union gezählt. Europa würde im Chaos versinken, die Bürger der nördlichen Zahlerländer würden sich endgültig gegen die EU wenden. Europa würde auseinander fallen, wirtschaftlich und politisch. Das wäre verheerend.

2 Antworten auf „Pleiten, Pech und Pannen
Hat der Euro eine Zukunft?

  1. Sehr geehrter Herr Berthold,

    nehmen wir mal an, daß unsere Politiker nicht ganz so gut wie Sie denken, aber doch ebenso gut wie ich und andere Ihre Analysen lesen und verstehen können. Nehmen wir weiter an, daß unsere Politiker nicht dümmer als z.B. ich sind und verstandene Analysen durchaus umsetzen können. Warum tun sie es seit vielen Jahren mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit dennoch nicht?

    Aber bertachten wir Ihre drei Forderungen mal näher:
    Die erste ist doch schon weitgehend realisiert: Güter- und Faktormärkte sind innerhalb der EU weit geöffnet.
    Bei Punkt 2 und 3 liegt allerdings der Hund begraben: Über diese Forderungen wird in der Öffentlichkeit nicht „fair“ diskutiert und in den inneren Zirkeln nicht „fair“ verhandelt. Die EU-Länder verstehen hier „fair“ sehr unterschiedlich und leider besteht schon wieder die difizile Konstellation „Deutschland und zwei Verbündete gegen den Rest“. Jeder politsch Verantwortliche weiß, daß die Europäische Union so aufgebaut ist, daß Deutschland innerhalb der EU viel zahlt und wenig bestimmt. Wer anderes verlautet vertritt Partikulärinteressen und betreibt Propaganda, statt redlich zu dirkutieren. Und jeder ökonomisch Sachkundige weiß, daß Deutschland den gleichen ökonomischen Nutzen auch innerhalb einer europäischen Freihandelszone ohne gemeinsame Währung hätte. wer anderes verlautet, betreibt Propaganda und verteilt Opium an das Volk.

    Wenn Sie also jetzt Ihre Punkte 2 und 3 zum langfristigen Wohle ganz Europas redlich suchen wollen, kommen Sie an einer Anerkennung der deutschen wirtschaftlichen (und damit nolens volens auch politischen) Dominanz Deutschlands in Europa nicht vorbei. An diesem Kloß würgen sowohl die Gegner als auch die Freunde Deutschlands und – da sie ihn weder schlucken noch ausspucken können – drohen daran zu ersticken. Was aber wäre denn so schlimm an einer Dominanz Deutschlands? Des heutigen und des zukünftigen (muslimischen?) Deutschlands? Darüber sollten wir alle mal laut nachdenken, statt den Kloß weiter hoch und runter zu würgen…

    Abschließend noch meine Lieblingsstelle bei dem so oft „mißbrauchten“ Keynes, der 1919 die vor dem I. Weltkrieg bestehende europäische Wirtschaftsordnung analysiert und so beschrieben hat:

    “ Die Pflicht zu “sparen“ machte neunzehntel aller Tugenden aus und das Wachstum des Kuchens wurde zum Gegenstand wahrer Religiösität. … Man sparte für das Alter oder für die Kinder. Aber das war nur die Theorie. Das Geheimnis des Kuchens bestand darin, daß er niemals verzehrt werden durfte, weder von dem Einzelnen noch von seinen Kindern nach ihm.“

    Und zu Deutschland schieb Keynes: “Deutschland versorgte nicht allein diese Länder durch seinen Handel, sondern lieferte einigen unter ihnen auch einen großen Teil des Kapitals, das es zu seiner eigenen Entwicklung nicht brauchte. … Durch das System der “friedlichen Durchdringung“ gab es diesen Ländern nicht nur Kapital, sondern auch, was sie kaum weniger brauchten, Organisation. Ganz Europa östich des Rheins fiel so in das deutsche Industriegebiet und sein Wirtschaftsleben richtete sich entsprechend ein.

    Die Frage nach der Rolle Deutschlands in Europa ist heute wieder so brennend aktuell wie damals. Ich kann uns allen die Lektüre dieses zu unrecht verschollenen (bzw. verschlossenen) Werkes nur empfehlen: “Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“, J.M. Keynes, Duncker und Humblot, 1921

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