„Wichtig war mir eine soziale Balance zu wahren und wichtige Entlastungen abzusichern. Zum Beispiel, dass wir als Staat die EEG-Umlage bezahlen und nicht die Bürgerinnen und Bürger.“ (Robert Habeck)
Die Zeiten sind unruhig, wirtschaftlich, (geo)politisch und militärisch. Das wirtschaftliche Wachstum lahmt. Der gesamtwirtschaftliche Kuchen, der verteilt werden kann, wächst kaum noch. Ein aufgestauter Strukturwandel kommt in Gang. Prozesse der schöpferischen Zerstörung nehmen Fahrt auf. Die Politik verstärkt die zerstörerischen Elemente und schwächt die schöpferischen. Ein immer dichteres Geflecht von Regulierungen, höhere Steuern und Abgaben, aber auch die „weltweit dümmste“ (Energie)Politik setzen den „Altindustrien“ zu. Die De-Industrialisierung kostet Wachstum und Wohlstand. Gleichzeitig nehmen die Ansprüche der Interessengruppen an das Sozialprodukt zu. Eine wachsende militärische Bedrohung für Deutschland und Europa kommt hinzu. Die „Friedensdividende“ ist verfrühstückt. Mehr eigene Wehrfähigkeit kostet Geld, viel Geld. Das alles und noch viel mehr befeuert Verteilungskämpfe. Alles in allem: Exogene Schocks, originäre und politische, und wachsende Ansprüche der Interessengruppen treffen auf ein stagnierendes Sozialprodukt. Verteilungskämpfe, inter-personelle und inter-generative, werden intensiver. Die Politik versucht, sie mit Geld zu camouflieren. Mit einer expansiven, kreditfinanzierten Fiskalpolitik beschafft sie die notwendigen Mittel. Aber auch Staaten kommen an fiskalische Grenzen. Das Finanzsystem droht, instabil zu werden. Die Notenbanken halten mit massivem Aufkauf staatlicher Papiere dagegen. Steigende Inflation ist unvermeidlich. Inflation ist immer und überall (auch) das Ergebnis von Verteilungskämpfen.
Strukturwandel
Verteilungskämpfe sind nichts Neues. Manche sprechen auch von Klassenkämpfen, vor allem Soziologen (Steffen Mau). Auf Arbeitsmärkten haben sie eine lange Tradition. Arbeit und Kapital kämpfen um höhere Anteile am Sozialprodukt. Der Klassenkampf wurde tarifpolitisch institutionalisiert und damit gezähmt. Lange Zeit waren die Gewerkschaften recht erfolgreich. Die Lohnquote stieg. Das änderte sich mit der Globalisierung. Das weltweite Arbeitsangebot nahm zu. Die Macht der Gewerkschaften erodierte. Dieser Prozess scheint zu Ende, vorerst. Die Lohnquote stabilisiert sich auf einem niedrigeren Niveau (hier). Der „alte“ Klassenkampf scheint passé. Trotz hoher Inflationsraten bleiben die Tarifabschlüsse in den „Altindustrien“ moderat. Den Industriegewerkschaften fehlt die Macht. Es könnte für sie noch schlimmer kommen. Ein starker inter-sektoraler Strukturwandel schwächt die Gewerkschaften. Der Industriesektor, die Herzkammer der Einheitsgewerkschaften, erodiert weiter. Arbeitsplätze gehen massenhaft verloren. Darunter leidet der gewerkschaftliche Organisationsgrad. Der wachsende Dienstleistungssektor kann die Verluste nicht ausgleichen. Mehr Frauenerwerbstätigkeit und kleinere (Dienstleistungs-)Unternehmen sind wichtige Gründe. Erwerbstätige Frauen, oft in Teilzeit, lassen sich schlechter gewerkschaftlich organisieren. Kleinere Unternehmen sind weniger tarifgebunden. Die Zeiten klassenkämpferischer Tarifkonflikte scheinen vorbei.
Diese Hoffnung könnte verfrüht sein. Die Tarifkonflikte ändern sich. Der „alte“ Verteilungskampf verliert an Bedeutung, ein „neuer“ wird wichtiger. Arbeit kämpft nicht nur gegen Kapital, Arbeit kämpft auch gegen Arbeit. Auf den Arbeitsmärkten verändern sich die Machtverhältnisse. Die Arbeitswelt wird heterogener. Gesucht sind vor allem Arbeitnehmer mit spezifischem Humankapital. In den Unternehmen nehmen sie Schlüsselpositionen ein. Das stärkt ihre Macht in Tarifverhandlungen. Die setzen sie in Verhandlungen mit der Geschäftsleitung ein. Wenn es sein muss, erkämpfen sie sich ein größeres Stück des Kuchens auch gegen einfachere Arbeit. Dabei sind ihnen die Einheitsgewerkschaften im Weg. Ihre Flächentarife haben eine Umverteilungskomponente. Sie verteilen Lohnzuwächse von qualifizierter zu einfacherer Arbeit um. Diese Umverteilung lässt sich in Spartengewerkschaften verringern. Ein tarifpolitischer Verteilungskampf der „neuen“ Art entbrennt: Lokführer gegen Schaffner und Zugbegleiter, Krankenhausärzte gegen das Pflegepersonal, Piloten gegen Flugbegleiter und Bodenpersonal. Die „neuen“ Verteilungskämpfe ließen sich entschärfen. Ein wichtiger Baustein ist mehr Wettbewerb auf den Absatzmärkten (hier). Er verringert nicht nur das tarifpolitische (Fehl)Verhalten von Spartengewerkschaften. Mehr Wettbewerb stärkt auch die Anreize aller Beschäftigten, an einem Strang zu ziehen. Der Kampf gegen die Konkurrenz steht im Mittelpunkt, nicht der Kampf gegeneinander. Der beste Weg sind „betriebliche Bündnisse für Arbeit“ (hier). Dagegen stehen aber die Organisationsinteressen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.
Demographie
Auch die Demographie treibt Verteilungskämpfe an. Schrumpft die Bevölkerung, können weniger Güter produziert werden. Das Sozialprodukt sinkt. Der Kuchen wird kleiner, der Verteilungskampf härter. Und eine schrumpfende Bevölkerung produziert demographische Lasten. Sie entstehen in umlagefinanzierten Systemen der Sozialen Sicherung, vor allem in der Alters- und Pflege- aber auch in der Krankenversicherung. Es kommt zum Streit, wer die Lasten tragen muss. Demographischen Lasten entstehen heute und morgen, weil die Boomer gestern ihr generatives Verhalten geändert haben. Sie kommen aber auch zustande, weil die Lebenserwartung gestiegen ist und weiter steigt, bei Frauen noch stärker als bei Männern. Das bringt vor allem in der Gesetzlichen Rentenversicherung finanziell aus der Balance. Erwerbstätigen und Rentnern streiten, wer die Lasten tragen soll (hier). Beim inter-generativen Streit geht es um die Höhe des Nachhaltigkeitsfaktors (generatives Verhalten) und die Länge der Lebensarbeitszeit (Lebenserwartung). Bisher hat die Politik diesen Streit mit Geld (Bundeszuschüsse) camoufliert. Diese Möglichkeit kommt zu einem Ende. Ein immer größerer Teil des Haushaltes geht für die Zuschüsse zur Rentenversicherung drauf. Die Steuerzahler meutern, die staatliche Verschuldung stößt an Grenzen, die hohe Inflation begrenzt den Handlungsspielraum der EZB zur monetären Staatsfinanzierung, die Budgetrestriktion des Staates wird härter.
Eine (wirkliche) Lösung ist notwendig. Erwerbstätige und Rentner müssen sich auf eine „gerechte“ Verteilung der Lasten verständigen. Der Kompromiss ist vorgezeichnet, eigentlich: Die Beitragssätze werden weiter steigen, das Rentenniveau wird noch stärker sinken, die Lebensarbeitszeit wird spürbar verlängert. Politische Haltelinien werden zur Makulatur. Mit einem geringeren Sicherungsniveau erhöht sich aber die Gefahr von Altersarmut. Ein neuer inter-personeller Verteilungskonflikt entzündet sich. Wer soll die distributiven Lasten tragen? Der Kampf gegen Armut ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das ist gesellschaftlicher Konsens, bisher zumindest. Die distributiven Lasten müssen von allen Bürgern nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit finanziert werden, nicht nur von Erwerbstätigen und Rentnern. Auch Beamte und Selbständige müssen einen Beitrag leisten. Am besten wäre es, versicherungsfremden Leistungen in das Steuer-Transfer-System auszulagern. Es werden aber auch immer wieder Stimmen laut, für die distributiven Lasten eine interne Lösung in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu finden. Der Sachverständigenrat hat vorgeschlagen, ein Teil der Ansprüche „reicherer“ Rentner an „ärmere“ Rentner umzuverteilen. Das wäre nicht nur distributiv ungerecht und demographisch ineffizient. Es stünde auch im Widerspruch zum Lebensleistungs-Prinzip in der Gesetzlichen Rentenversicherung (hier). Im Übrigen: Wer versucht, den inter-generativen Verteilungskonflikt mit intra-generativer Umverteilung zu entschärfen, hat am Ende den inter-generativen nicht gelöst und einen intra-generativen verschärft.
Klimawandel
Der Kampf gegen den Klimawandel ist nicht kostenlos. Nichts zu tun, wäre allerdings auch nicht umsonst. Wird irgendwo auf der Welt C02 emittiert, entstehen klimapolitische Lasten. Wer soll sie tragen? Inter-generative und inter-personelle Verteilungskonflikte sind vorprogrammiert. Welche Generationen die Lasten tragen müssen, hängt davon ab, für welche klimapolitische Strategie sich die (Welt-)Gesellschaft entscheidet. Wenn sie alles tut, jetzt möglichst wenig C02 zu emittieren, tragen gegenwärtige Generationen einen Großteil der Lasten. Entscheidet sich die Welt dagegen dafür, jetzt nichts oder wenig zu tun, müssen vor allem künftige Generationen die (Anpassungs-)Lasten schultern. Der inter-generative Verteilungskonflikt des weltweiten Klimawandels lässt sich nicht im Alleingang auf nationaler Ebene lösen. Die Welt steht vor einem „gigantischen internationalen Kooperationsproblem“ (Axel Ockenfels). Machen die wichtigsten, emissionsintensivsten Länder nicht mit, kostet die nationale Entscheidung, jetzt weniger C02 zu emittieren, zwar heimischen Wohlstand, hilft aber dem (Welt-)Klima nichts oder nur wenig. Sie ist auch inter-generativ ein Muster ohne Wert. Außer „Spesen“ (Freiheits- und Wohlfahrtsverluste) nichts gewesen. Die Anreize einzelner Länder, klimapolitisch Trittbrett zu fahren, sind erheblich. Damit steigt die Gefahr, dass zu wenige Länder mitmachen, C02-Emissionen jetzt stark zu verringern. Der inter-generative Verteilungskonflikt des Klimawandels wird zu Lasten künftiger Generationen gelöst.
Das internationale Kooperations-Problem ist ungelöst. Viele Länder, wie etwa Deutschland, betreiben dennoch nationale Klimapolitiken. Das ist kostspielig. Wer hierzulande die Lasten trägt, hängt auch davon ab, welche klimapolitischen Instrumente eingesetzt werden: C02-Preise, Subventionen oder Verbote. Über mögliche inter-personelle Verteilungswirkungen von klimapolitischen Verboten und Subventionen wissen wir noch wenig. Das gilt etwa für das umstrittene Heizungsgesetz, die abrupt gestoppte Förderung von E-Autos oder die milliardenschweren Subventionen für Unternehmen, die etwa versprechen, klimaneutralen Stahl zu produzieren. Etwas klarer ist die Lage beim Emissions-Handelssystem der EU und dem 2. Handelssystem in Deutschland. Ein C02-Preis trifft ärmere Haushalte stärker als reichere. Der C02-Anteil an den Konsumausgaben ist bei den ärmsten Haushalten am höchsten (hier). Wer die Lasten steigender C02-Preise trägt, hängt auch davon ab, ob und wie die ärmsten Haushalte kompensiert werden. Setzte man etwa auf ein Pro-Kopf-Klimageld, das vielfach propagiert wird, würden sich trotzdem 70 % der Bürger in Deutschland schlechter stellen (Rick van der Ploeg). Der politische Widerstand gegen das Gesamtpaket von C02-Preis und Klimageld wäre erheblich. Noch größer wäre er allerdings, wenn die Politik die Einnahmen aus dem C02-Preis einsackt, auf die Rückgabe durch ein (wie auch immer ausgestaltetes) Klimageld aber verzichtete. Und darauf läuft vieles auch wegen der angespannten Haushaltslage hinaus. Allerdings: Kippt die Klimapolitik, wäre die inter-generative Verteilungsfrage geklärt. Künftige Generationen wären die Dummen.
Fazit
Erleben Verteilungskonflikte eine Renaissance? Das Wirtschaftswachstum stagniert, die Ansprüche an das Sozialprodukt steigen. Verteilungskonflikte brechen auf, inter-personelle und inter-generative. Die Politik versucht, sie mit Geld zuzuschütten. Damit stößt sie an fiskalische und monetäre Grenzen. Die Verschuldung steigt, die Inflation explodiert. Verteilungskonflikte zu entschärfen, ist schwierig. Auf den Arbeitsmärkten können dezentralere Lohn- und Tarifverhandlungen (betriebliche Bündnisse für Arbeit) „alte“ und „neue“ Klassenkämpfe entschärfen. Der Druck der Betriebe erodiert die Organisationsinteressen der Tarifpartner an Kollektivverhandlungen. Verteilungskonflikte in der Alterssicherung lassen sich entschärfen, wenn demographische Lasten verursacheradäquat angelastet und distributive Lasten in das Steuer-Transfer-System ausgelagert werden. Rentenpolitische Regeln, die nur mit qualifizierten Mehrheiten änderbar sind, können helfen, den Widerstand der „Alten“ gegen adäquate Reformen zu verringern (hier). Die Verteilungskonflikte in der Klimapolitik sind auf absehbare Zeit schwer lösbar. Mit dem Emissionshandelssystem steht zwar ein mächtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel zur Verfügung. Die hohen finanziellen Belastungen verstärken aber den Widerstand der Bürger gegen jede Art von Klimapolitik. Da hilft auch ein Klimageld nur wenig. Das „internationale Kooperationsproblem“ ist ein fast unüberwindbares Hindernis. Wirklich helfen kann nur technischer Fortschritt, der nicht-fossile Energien wettbewerbsfähiger macht und fossile vom Markt verdrängt. Alles andere ist Augenwischerei. Aber bisher hat die Marktwirtschaft noch immer geliefert, wenn es um Innovationen ging, wenn auch nicht immer sofort.
Blog-Beiträge zum Thema:
Norbert Berthold (JMU, 2017): Der Klassenkampf ist abgesagt!? Gewerkschaften im Umbruch
Norbert Berthold (JMU, 2019): Kampf der Generationen? Demographie und Klima sind nicht generationenneutral
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