„It’s the spending, stupid – not the deficit“. (Robert Barro)
Die Weltwirtschaftskrise hat ein wüstes fiskalisches Schlachtfeld hinterlassen. Es gibt nur ganz wenige Länder, in denen die staatlichen Schulden nicht sprunghaft in die Höhe geschnellt sind. Fast überall erreichten die Schuldenstände neue Nachkriegsrekorde. Eine wirkliche Besserung ist auch im Jahr 2010 nicht in Sicht. Das schon vor der Krise imposante Schuldengebirge wurde weiter massiv aufgestockt. Ein Ende ist nicht absehbar. Bevölkerung und Politik bekommen es so langsam mit der Angst zu tun. Die Menschen fürchten massive Wohlstandseinbußen, die Politik bangt um ihre Handlungsfähigkeit, die Welt sorgt sich um finanzielle Stabilität. Griechenland scheint überall. Kein Wunder, dass nun über Exit-Strategien nachgedacht wird. Drei Wege aus dem Schuldenstaat werden als gangbar angesehen: Ein höheres wirtschaftliches Wachstum, geringere staatliche Ausgaben und höhere Steuern und Abgaben.
Verschuldungs-Einmaleins
Es scheint, alle Welt fürchtet sich vor einer überbordenden Verschuldung des Staates, nur nicht die Ökonomen. Die einen, wie der Nobelpreisträger Paul Krugman, sind nach wie vor die Meinung, dass sich die Staaten noch stärker verschulden müssten, um die Konjunktur vor dem Absturz zu bewahren. Andere, wie der Harvard-Ökonom Robert Barro, weisen seit langem darauf hin, dass es egal sei, ob staatliche Ausgaben über Steuern oder Verschuldung finanziert werden. Trotz des Krugman’schen Trommelfeuers ist der konjunkturpolitische Nutzen staatlicher Verschuldung heftig umstritten, die strukturellen Schäden sind evident. Kein Wunder, dass die Ökonomen in der Krise wieder einmal heftig über Zyklus und Struktur gestritten haben. Dieser Streit ist nicht entschieden, er ist nun allerdings müßig. Die Weltwirtschaft erholt sich rasch. Weitere stützende Maßnahmen des Staates schaden mehr als sie nützen.
Die These von Robert Barro, wonach Staatsverschuldung und höhere Steuern unter bestimmten Umständen äquivalente Instrumente der Finanzierung sind, bedeutet nicht, dass Verschuldung langfristig kein Problem ist. Es führt kein Weg daran vorbei, dass letztlich alle staatlichen Ausgaben früher oder später über Steuern finanziert werden müssen. Die staatliche Verschuldung ändert daran nichts. Sie verschiebt nur die Steuerzahlungen in die Zukunft, senkt aber die Lasten der Bürger nicht. Das eigentliche Problem ist nicht, wie die staatlichen Aktivitäten finanziert werden, sondern deren Ausmaß und Struktur. Robert Barro bringt es auf den Punkt: „It’s the spending, stupid – not the deficit“. Es geht um die eminent wichtige ordnungspolitische Frage, was ist des Staates, was des Marktes. Damit stehen nicht nur die Aufgaben des Staates auf dem Prüfstand. Gesucht wird auch ein Steuersystem mit minimalen allokativen Risiken und Nebenwirkungen.
Fastenzeit für den Staat
Die realen Probleme verbergen sich also hinter der fiskalischen Fassade der Staatsverschuldung. Es sind die staatlichen Aktivitäten, die oft ihr Geld nicht wert sind. Die Schuldenquote ist ein Thermometer, das anzeigt, wie hoch das Fieber eines Staates ist, der zu viele Aufgaben an sich reißt und sie über ein allokationsverzerrendes Steuersystem finanziert. Die Empirie zeigt allerdings, dass hohe Staatsanteile und ein angemessenes wirtschaftliches Wachstum keine Gegensätze sein müssen. Vor allem die skandinavischen Länder zeigen seit langem, dass eine hohe Staatsquote kombiniert mit einem relativ effizienten Steuersystem und ansehnliche Wachstumsraten vereinbar ist. Es führen also viele Wege nach Rom. Allerdings gibt es auch Irrwege. Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben in ihrem neuesten Buch „This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly“ gezeigt, dass Schuldenquoten von über 90 % das wirtschaftliche Wachstum negativ beeinflussen.
Nachhaltig geringere Schulden- und Staatsquoten sind nur möglich, wenn sich der Staat wieder auf das konzentriert, was er besser kann als der Markt. Das gilt schon lange nicht mehr für weite Teile der Systeme der sozialen Sicherung. Die größten Potentiale, staatliche Ausgaben in private zu transformieren, liegen in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Erhebliche Effizienzreserven ließen sich auch mit einer Reform der Arbeitslosenversicherung hin zu mehr Äquivalenz heben. Das gilt auch für die ineffiziente Umverteilung von den nicht ganz Reichen zu den nicht ganz Armen. Der Staatshaushalt ließe sich ebenfalls beträchtlich entlasten, wenn es endlich gelänge, den Staat bei den Subventionen finanziell an die Kette zu legen. Die Politik sollte endlich erkennen, dass sie noch nie der bessere Unternehmer war. Deshalb sollte sie die Finger davon lassen, Unternehmen, Branchen und Regionen finanziell zu dopen.
Die Zwänge des politischen Wettbewerbs verhindern eine staatliche Aufgabenkritik ohne Tabus. Die Politik geht lieber den scheinbar leichteren Weg und setzt auf höhere Steuern. Das lindert zwar kurzfristig das Defizitproblem, eine nachhaltige Entlastung tritt aber nicht ein. Kurzfristig höhere Einnahmen verringern den Druck, das eigentliche Problem anzugehen, die zu hohen Ausgaben. Notwendig ist ein Doppelpack aus ungeschminkter Aufgabenkritik und einem effizienteren Steuersystem. Das Steuersystem krankt vor allem an seiner Struktur. Notwendig ist zweierlei: Einerseits niedrige Grenzsteuern für alle, für Einkommensbezieher und Transferempfänger, gekoppelt mit einer breiteren Bemessungsgrundlage. Andererseits ist eine stärkere Konsumbesteuerung ökonomisch geboten. Das Gewicht der direkten Steuern muss sinken. Nur mit solchen Reformen lässt sich der wohlstandssteigernde Dreiklang von arbeiten, sparen und investieren weiter aufrechtzuerhalten.
Wundermittel Wachstum?
Wer sich vor dieser Arbeit drückt, die staatlichen Aufgaben einer kritischen Prüfung zu unterziehen und das Steuersystem auf mehr Effizienz zu trimmen, kann nur auf das Prinzip Hoffnung setzen. Genau das tut die Politik bisher noch; griechische Verhältnisse also. Sie vertraut darauf, dass der Staat ohne große eigene Anstrengungen aus der hohen Staats- und Schuldenquote herauswächst. Wirtschaftliches Wachstum fällt aber nicht wie Manna vom Himmel. Es muss hart erarbeitet werden. Ein wichtiger Wachstumstreiber ist die wirtschaftliche Freiheit. Es sind private Unternehmer, die diese Freiheit in zählbares Wachstum transformieren. Eine wichtige ordnungspolitische Aufgabe der Politik ist es, Barrieren aus dem Weg zu räumen, um Unternehmer unternehmen zu lassen, ihnen zu helfen, dass sie unternehmen können und sie zu motivieren, dass sie auch unternehmen wollen. Der produktive Dreiklang lautet: privatisieren, deregulieren und entbürokratisieren.
Für ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum muss die politische Agenda allerdings länger sein. Es ist nicht nur die Menge an Produktionsfaktoren, es ist auch deren Qualität, die das Wachstum treibt. Wo die Zahl der Arbeitsstunden und die Produktion pro Arbeitsstunde zunehmen, steigt auch das Wachstum des Sozialproduktes pro Kopf. Die Ansatzpunkte für mehr Wachstum liegen auf der Hand. Wachsendes Real- und Humankapital aber auch mehr technologisches Know How erhöhen die Arbeitsproduktivität. Auf diesem Feld ist die Politik erfolgreich, wenn sie Anreize schafft, Investitionen zu stimulieren, Humankapital zu bilden und technisches Wissen zu fördern. Ein adäquates steuerliches Umfeld, eine vernünftige Lohn- und Tarifpolitik, gute Bildungs- und Ausbildungsstätten, mehr staatliche Investitionen in die Forschung, ein innovationsfreundliches Klima sind Ansatzpunkte.
Dem wirtschaftlichen Wachstum tut es auch gut, wenn es gelingt, mehr Erwerbsfähige zur Erwerbstätigkeit zu animieren, mehr Erwerbstätige in Arbeit zu bringen und die Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem zu erhöhen. Die Erwerbsquote steigt, wenn etwa Frauen verstärkt arbeiten, die Rente später gezahlt wird oder der Berufseintritt früher erfolgt. Wer im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit erfolgreich ist, erhöht die wachstumswirksame Beschäftigungsquote. Umstritten ist, was die Wachstumsraten der Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem beeinflusst. Das ist interessant, weil sich die USA und Europa in diesem Punkt unterscheiden. Der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard erklärt es mit kulturellen Unterschieden, der Harvard-Ökonom Alberto Alesina mit unterschiedlich starken Gewerkschaften, für den Nobelpreisträger Edward Prescott schließlich sind es die Unterschiede in der steuerlichen Belastung.
Was sagt die Empirie?
Wirtschaftliches Wachstum ist kein Selbstläufer, der gegenwärtigen Staatsschuldenkrise zu entkommen. Es entfaltet überhaupt nur dann seine Dynamik, wenn die Politik ihre Hausaufgaben auf der Ausgaben- und Einnahmeseite des staatlichen Haushaltes macht. Der Weg zu gesunden Staatsfinanzen führt nur über eine geringere Ausgabenquote und ein effizienteres Steuersystem. Wer diese politisch gefährliche Kärrnerarbeit auf sich nimmt, hat die Chance mit einem höheren wirtschaftlichen Wachstum belohnt zu werden. Es fällt dann auch leichter, die Schuldenquote zu senken. Empirische Untersuchungen bestätigen diese Überlegungen. Alberto Alesina und Silvia Ardagna zeigen für die Zeit von 1970 bis 2007, dass in OECD-Ländern eine erfolgreiche Konsolidierung der Staatshaushalte ohne rezessive Einbrüche am ehesten gelingt, wenn staatliche Ausgaben verringert, nicht aber wenn Steuern erhöht werden.
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Die beiden Autoren teilen die Varianten der Haushaltskonsolidierung in Zeiten mit positivem und in solche mit negativem wirtschaftlichem Wachstum ein. In der einen Variante der Konsolidierung werden die Primärausgaben stark gekürzt, die Steuern nur leicht. In der anderen Variante, erfolgt die Haushaltskonsolidierung vor allem über steigende Steuern und weniger über geringere Primärausgaben. Wenn die Politik auf Ausgabenkürzung und leicht niedrigere Steuern setzte, um die Haushalte zu konsolidieren, wurde sie mit einem positiven wirtschaftlichen Wachstum belohnt. Das war anders, wenn sie die Steuern stärker erhöhte, als sie die Ausgaben kürzte. In diesem Falle wurde das wirtschaftliche Wachstum negativ beeinflusst. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung der FDP nach Steuersenkungen in einem neuen Licht. Erfolgreich ist eine solche Strategie niedrigerer Steuerlasten aber nur, wenn sie um ein kraftvolles Sparpaket ergänzt wird.
Fazit
Staatsschuldenkrisen sind Krisen eines überbordenden (Sozial-)Staates. Hinter einer hohen Schuldenquote steht immer eine hohe Staatsquote, oft auch ein ineffizientes Steuersystem. Aus diesem Schlamassel gibt es kein leichtes Entkommen. Der Weg über Inflation ist ein Irrweg. Er löst das eigentliche Problem eines ineffizienten Staatssektors nicht und schafft neue Schwierigkeiten. Die Hände in den Schoß zu legen und auf ein höheres wirtschaftliches Wachstum zu hoffen, ist unverantwortlich. Die Wurzel des Übels sind die staatlichen Ausgaben und mehr oder weniger anreizschädliche Steuern. Dort muss angesetzt, gestutzt und umstrukturiert werden. Wer diese politisch schwierige Aufgabe löst, erzielt eine doppelte Dividende. Er konsolidiert den Haushalt und wird durch ein höheres Wachstum belohnt. Das fiskalische Fieber sinkt, die Welt wird finanziell stabiler, die Gefahr von Staatsschuldenkrisen sinkt.
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