„Ich bin ein Optimist, der nichts über die Zukunft weiß und der daher keine Voraussagen macht.“ (Karl Popper)
Die ökonomische Welt hat sich verändert. Seit der Finanzkrise ist vieles anders. Die „neue“ Welt der immer zahlreicheren „BRICs“ erlebt einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung. Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand entwickeln sich ausgesprochen positiv. Das ist in der „alten“ Welt beidseits des Atlantiks anders. Dort schleppt sich die wirtschaftliche Erholung dahin, die Beschäftigung lahmt, das Wachstum ist anämisch, die Staatsschulden sind eine drückende Last, der Finanzsektor ist weiter fragil. Überall dominiert Skepsis. Überall? Nein, Deutschland stemmt sich gegen den Trend. Nach langen Jahren der Stagnation hat es die Rote Laterne beim wirtschaftlichen Wachstum abgegeben. Die Lage am Arbeitsmarkt war seit über 20 Jahren nie besser. Trotz Schwächen vor allem staatlicher Institute scheint der Finanzsektor relativ stabil. Die Staatsschulden sind zwar viel zu hoch, sie wachsen aber langsamer als anderswo. Deutschland scheint zu alter Stärke zurückgefunden zu haben. Seine Unternehmen sind international wettbewerbsfähig, erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse pflastern den Weg.
Damit es auch so bleibt, hat sich die Politik etwas Neues ausgedacht. International wettbewerbsfähig bleibt nur, wer innovativer ist als andere. Wo Cluster wachsen und gedeihen, ist es um Forschung und Entwicklung gut bestellt. Kein Wunder, dass Clusterpolitik en vogue ist. In Deutschland herrscht schon seit längerem „Clustermania“. Neben dem finanziell attraktiven Spitzenclusterwettbewerb des Bundes sind auch die Bundesländer hyperaktiv. Die Clusterinitiative Bayern ist ein Beispiel unter vielen. Der Grund für diese Geschäftigkeit der Politik liegt auf der Hand: Cluster gelten als Treiber von Innovation. Wer auf dem Feld der Innovation erfolgreich ist, kann ökonomische Renten abschöpfen. Es winken mehr Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand. Und noch etwas lockt: Mit einem geschickten clusterpolitischen Kurs lassen sich womöglich regionale Ungleichheiten einebnen. Das ist in der solidaritätsschwangeren Diskussion hierzulande kein schlechtes politisches Argument. Mit einer cleveren Clusterpolitik gelingt es möglicherweise, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Globalisierung und Cluster
Die weltwirtschaftlichen Veränderungen machen auch deutschen Unternehmen zu schaffen. Weltweit offenere Güter- und Faktormärkte verschärfen den internationalen Wettbewerb. Stärken und Schwächen von Unternehmen und Standorten werden schneller und schonungsloser als früher aufgedeckt. Komparative Vorteile ändern sich in Zeiten der Globalisierung öfter, oft fast schon kaleidoskopisch. Der strukturelle Wandel läuft nicht mehr in Zeitlupe ab, er nimmt immer schneller Fahrt auf. Wer in diesem hektischen wirtschaftlichen Umfeld überleben will, muss sich schneller und öfter an veränderte Gegebenheiten anpassen. Das gilt für Unternehmen, es trifft aber auch für Standorte zu. Private Unternehmen haben zwei Möglichkeiten, auf die volatile Umwelt zu reagieren. Nur wenn sie besser oder billiger werden, haben sie eine Chance zu überleben. Die Politik kann Hilfe leisten und die Anpassung erleichtern. Der Standort muss für international mobile Faktoren attraktiver werden. Das ist eine ständige Aufgabe der Politik.
Nach der unerbittlichen Logik der Ökonomie müssen immobile Faktoren die Lasten der Anpassung einer veränderten wirtschaftlichen Umwelt tragen. Im schnelleren strukturellen Wandel wird vor allem einfache Arbeit entwertet. Über sinkende reale Löhne und sonstige Arbeitskosten sowie eine größere räumliche und berufliche Mobilität lässt sich Zeit für die unvermeidliche Anpassung kaufen, aber auch nicht mehr. Eine zukunftsträchtige Strategie ist das allerdings nicht, schon gar nicht in hochentwickelten Ländern. Dennoch ist eine nachhaltige Anpassung vor allem für einfache Arbeit unvermeidlich und bleibt eines der größten politischen Probleme der Zukunft. Erfolgversprechender ist allerdings eine Strategie, die darauf setzt, dass immobilere Faktoren besser, also produktiver werden. Mehr Investitionen in Humankapital sind ein Schlüssel zum Erfolg. Aber auch die Kombination mit mehr technischem Wissen ist eine zukunftsträchtige Strategie. Die Kosten der Anpassung an eine veränderte Weltwirtschaft werden so minimiert.
Eine weitere Antwort auf offenere Märkte sind Cluster. Mit der Globalisierung erleben sie eine Renaissance. Unternehmen, die regional enger kooperieren und intensiver mit Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten, sind wettbewerbsfähiger als lokal isolierte Unternehmen. Lange Zeit sah es so aus, als ob hierzulande gegen den „Tod der Distanz“ kein Kraut gewachsen sei. Sinkende Informations- und Kommunikationskosten setzen hiesige Standorte gnadenlos unter Druck. Unternehmen zerlegen Produktionsprozesse immer kleinteiliger und stellen die einzelnen Komponenten dort her, wo es weltweit am günstigsten ist. Aus der starken deutschen Wirtschaft wird eine volatile Basarökonomie. Tatsächlich hält das „stille Wissen“ (tacit knowledge) den „Tod der Distanz“ auf (Audretsch u.a. 2012). Dieses Wissen ist – noch – stark regional gebunden. Gelingt es Unternehmen und Forschungsinstituten mit regionaler Kooperation, Verbundwissen vor Ort zu schaffen und es dort zu halten, strahlen die positiven Wohlfahrtseffekte primär auf die Region ab.
Standorte mit wirtschaftlichen Konzentrationen haben spürbare wettbewerbliche Vorteile. Die drei wichtigsten Treiber der Agglomeration sind Urbanisierung, Ausgründungen und Lokalisation. Dabei sind Urbanisierung und Ausgründungen die treibenden Kräfte, Lokalisationsvorteile verstärken diese Entwicklung. Diversifizierte sektorale Strukturen fördern Urbanisierung und innovative Unternehmer. Damit wird die Basis für erfolgreiche Ausgründungen und radikal neue Produkte gelegt. Der Motor, „stilles Wissen“ regional zu verbreiten, sind junge KMUs. Die für Cluster typischen Lokalisationsvorteile spezialisierter sektoraler Strukturen sind die Sahne auf der agglomerativen Entwicklung. Enger verflochtene Produzenten, Zulieferer und Konsumenten, größere und ergiebigere Märkte für spezialisierte Arbeitskräfte und regional begrenzte Spillovers von Wissen begründen Lokalisationsvorteile. Neue Produkte und Prozesse sind das positive Ergebnis. Die Globalisierung verschärft den Standortwettbewerb. Der Dreiklang von Wissen, Regionen und Unternehmer gewinnt an Bedeutung.
Markt und Cluster
Cluster sind seit langem ein Erfolgsmodell. Sie steigern die Produktivität, erhöhen die Beschäftigung und stärken das wirtschaftliche Wachstum. Der steigende Wohlstand kommt lokalen Unternehmen und Arbeitnehmern zugute und sorgt für prosperierende Regionen. Cluster sind keine Erfindung der Politik. Unternehmen haben schon in der Vergangenheit regional eng miteinander und mit Bildungs- und Forschungseinrichtungen kooperiert. Cluster sind älter als die Clusterpolitik. Davon zeugen etwa die Porzellanherstellung im Bayerischen Wald, Kohle und Stahl an der Ruhr, die Tuchherstellung auf der Schwäbischen Alb, der Maschinen- und Fahrzeugbau rund um Stuttgart, die Chemie im Rhein-Main-Gebiet oder der Schiffbau an der Küste. Allerdings existieren neben den Spezialisierungs- und Lokalisationsvorteilen der Ballung auch Nachteile wie höhere Umweltbelastungen, ausgelastete Infrastrukturen und steigende Grundstückspreise. Es existiert also eine optimale Clustergröße. Die spannende Frage ist, ob es dem Markt gelingt, sie ohne staatliche Hilfe zu verwirklichen.
Die Kritiker sagen nein. Asymmetrisch verteilte Informationen, Unteilbarkeiten und externe Effekte verhindern eine optimale Clustergröße (Berthold/Rieger, 2010b). Informationsasymmetrien zwischen den Teilnehmern sind unvermeidlich. Vor dem Eintritt in ein Cluster können Unternehmen irreführende Angaben über ihre Unternehmenspolitik machen, speziell ihre FuE-Abteilung aufblasen. Nach dem Eintritt besteht die Gefahr, dass Unternehmen versuchen, Trittbrett zu fahren. Sie verringern stillschweigend ihre FuE-Aktivitäten und bedienen sich des Wissens der Konkurrenz. Das ist denkbar, weil abweichendes Verhalten nur kostenintensiv nachprüfbar ist. Dennoch dürften asymmetrische Informationen eher ein geringes Problem sein. Es ist möglich, Informationsasymmetrien zu verringern, etwa durch den Einsatz unabhängiger Gutachter. Zudem ist der Beitritt zu einem Cluster nur möglich, wenn sich die kooperierenden Unternehmen der Konkurrenz öffnen. Der Anreiz für opportunes Verhalten ist somit eher gering.
Auch Unteilbarkeiten können optimale Clustergrößen verhindern. Unternehmen organisieren sich auch in einem Cluster, um gemeinsame Investitionen zu tätigen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine hohe Fixkostendegression bei kostenträchtigen F&E-Aktivitäten, gemeinsame Aktivitäten technologieverwandter Unternehmen und abnehmende Clustervorteile mit räumlicher Entfernung zählen dazu. Eine solche Politik gemeinsamer Investitionen im Cluster funktioniert nur, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Zum einen muss eine gemeinsame Nutzung möglich sein, ohne dass andere eingeschränkt werden (Nichtrivalität). Zum anderen muss garantiert werden, dass Mitglieder, die sich nicht an der Investition beteiligen, von der Nutzung ausgeschlossen werden können (Ausschlussprinzip). Probleme sind unvermeidlich, wenn Eigentumsrechte, Finanzierung und Nutzungsrechte nicht effizient geregelt sind. Eine optimale Clustergröße kommt nur zustande, wenn diese Rahmenbedingungen sinnvoll gestaltet werden. Das ist möglich.
Die größte Gefahr für optimale Cluster, die aus dem Marktprozess heraus entstehen, sind technologische externe Effekte. Oft treten sie in Gestalt von Wissensspillovers auf. In einem Cluster sind es Ideen und Innovationen, die von der Konkurrenz in der Nachbarschaft angewandt werden können, ohne den Erfinder oder dessen Unternehmen zu entschädigen. Wissensspillovers entstehen auch, wenn spezialisierte Arbeitskräfte von einem Unternehmen abgeworben werden. Dass Fluktuationen in einem Cluster besonders hoch sind, liegt auf der Hand. Zum einen fragen (technologieverwandte) Unternehmen häufig Arbeitnehmer mit vergleichbaren Qualifikationen nach. Zum anderen sind Arbeitskräfte ein Stück weit immobil und haben daher eine Präferenz zu Arbeitgebern in räumlicher Nähe zum sozialen Umfeld. Wissensspillovers können dazu führen, dass die Unternehmen zu wenig in F&E und die Fähigkeiten ihrer Beschäftigten investieren. Das Cluster bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Eine optimale Größe wird nicht erreicht.
Staat und Cluster
Weder asymmetrische Informationen noch Unteilbarkeiten, sondern Wissenspillovers stehen am ehesten optimalen Clustern im Wege. Es spricht aus theoretischer Sicht einiges dafür, dass Cluster nicht ihre optimale Größe erreichen, wenn man Märkte sich selbst überlässt. Tatsächlich scheinen allerdings die Marktergebnisse so schlecht nicht. Empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass Unternehmen mögliche Lokalisationsvorteile bei ihrer Standortwahl berücksichtigen (Martin u.a. 2008). Sie internalisieren durch F&E-Kooperationen die externen Effekte zu einem großen Teil. Aber selbst wenn Märkte nur suboptimale Clustergrößen produzieren sollten, ist dies noch kein Grund, diese Aufgabe in die Hände des Staates zu legen. Nicht nur der Markt ist unvollkommen, auch der Staat ist es. Mit einer ineffizienten Clusterpolitik setzt er knappe Ressourcen oft falsch ein, verzerrt den Wettbewerb auf vielfältige Weise und verursacht mit der Finanzierung negative Effekte. Staatliche Clusteraktivitäten sind dann sinnvoll, wenn sie weniger unvollkommen als marktliche Lösungen sind.
Eine adäquate Clusterpolitik kann grundsätzlich helfen, positive externe Effekte zu internalisieren, mehr Investitionen in F&E und Ausbildung anzustoßen sowie Cluster auf den Weg zu einer optimalen Größe zu schubsen. Was die Politik auch immer finanziell fördert, sie hat ein schier unlösbares Wissensproblem. Sie muss Antworten auf drei Fragen finden: Welchen relevanten Technologien gehört die Zukunft? Welche Regionen haben das größte Potential für erfolgreiche Cluster? Welche Unternehmen sind als Treiber von Innovationen am besten geeignet? Wie immer sich die Politik auch entscheidet, sie maßt sich Wissen an, das sie nicht haben kann. Sie schlüpft in die Rolle des Propheten, wenn sie einem Cluster unter die Arme greift, anderen aber nicht. Sie gibt sich als Experte regionaler Potentiale, wenn sie sich für einen Standort und damit gegen andere entscheidet. Und schließlich spielt sie sich als Sachverständiger über betriebsinterne Abläufe auf, wenn sie ein Unternehmen finanziell unterstützt, andere aber nicht.
Kritiker staatlicher Clusterpolitik behaupten, sie leide unter dem „MITI-Syndrom“: Sie sei entweder irrelevant oder kontraproduktiv. Setzt die Politik auf Technologien, Regionen und Unternehmen, die sich auch ohne staatliche Förderung durchgesetzt hätten, kommt es zu Mitnahmeeffekten. Die Allokation der Ressourcen wird verzerrt. Damit nicht genug. Weitere Fehlanreize sind vorprogrammiert. Werden bestimmte Regionen gefördert, wird der Wettbewerb der Standorte verzerrt. Der Aufholprozess rückständiger Regionen wird weiter verlangsamt, Strukturen werden konserviert, regionale Ungleichheiten verstärkt. Werden bestimmte Unternehmen gefördert, wird der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren für die besten Technologien, Produkte und Prozesse empfindlich beeinträchtigt. Das dürfte allerdings nur die Spitze des Eisberges sein. Der Kampf um die Fleischtöpfe der Clusterförderung verstärkt „rent seeking“. Die Gefahr ist groß, dass die Politik zu Ausgaben neigt, die keinen volkswirtschaftlichen Nutzen stiften.
Staatliche Clusterpolitik hat mit einem weiteren Problem zu kämpfen. Sie gerät in einen Zielkonflikt mit dem inter-regionalen Ausgleich. Auf der politischen Agenda in Deutschland und Europa steht das Ziel, inter-regionale Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen einzuebnen, ziemlich weit vorne. Eine erfolgreiche Clusterpolitik steht zumeist im Widerspruch zu diesem Ziel. Aus Gründen der Effizienz muss sich die Förderung auf erfolgreiche Cluster konzentrieren. Das Motto der Clusterpolitik sollte lauten: „Stärken stärken“. Erfolgreiche Cluster existieren aber zumeist in besser entwickelten Regionen. Die Konzentration auf besser funktionierende Cluster in reicheren Regionen schwächt aber die Position weniger effizienter Konkurrenten und Standorte. Damit wird es schwieriger, den Rückstand wirtschaftlich weniger entwickelter Regionen zu verkürzen. Dieser Zielkonflikt lässt sich auf direktem Weg nicht lösen. Es macht Sinn, erst die allokative Effizienz zu stärken und das inter-regionale Verteilungsziel über Umverteilung zu verwirklichen.
Empirie und Cluster
Es ist eine empirische Frage, ob ineffiziente Märkte oder schlechte Politik verhindern, dass Cluster eine optimale Größe erreichen. Einen ersten Anhaltspunkt liefert eine Umfrage unter den im VDMA organisierten Maschinen- und Anlagebauern für die Zeit zwischen 2004 und 2008 (Berthold/Rieger, 2010a). Die Studie bestätigt, dass Mitglieder in Clustern wirtschaftlich erfolgreicher sind als Unternehmen außerhalb. Ein Hinweis auf Marktversagen könnte ein suboptimaler Einsatz von Schlüsseltechnologien sein. Tatsächlich sind sich die Unternehmen aber dieser Technologien bewusst und wenden sie überwiegend längst an. Das gilt für Unternehmen in Clustern aber auch außerhalb. Einen Hinweis auf marktliches Versagen liefert eher der hohe Bedarf der Unternehmen, mit anderen gemeinsam intensiver zu forschen und zu entwickeln. Das gilt auch für die Kooperation rund um die Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften. Die Unternehmen wollen sowohl bei F&E als auch bei der Qualifizierung nicht nur einen engeren Austausch mit bisherigen Partnern, sie wünschen auch mehr Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen.
Unterbleibt die unternehmerische Zusammenarbeit, weil informatorische Defizite oder organisatorische Mängel vorliegen, ist das ein Indiz für wenig effiziente Märkte. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die kritische Einstellung der Unternehmen gegenüber staatlichen Clusteraktivitäten. Eine Mehrheit lehnt es ab, dass Schlüsseltechnologien staatlich gefördert werden. Das ist wohl auch deshalb der Fall, weil sie meist längst in den Unternehmen angewandt werden. Es kann aber auch ein Indiz dafür sein, dass es die Unternehmen nicht schätzen, wenn sich der Staat in ihre spezifische F&E-Politik einmischt. Die kritische Haltung gegenüber Clustern kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass die VDMA-Mitglieder den Clusterprogrammen generell nur eine durchschnittliche Note geben. Ein Teil der Clusteraktivitäten ist nach Meinung der Unternehmen sogar weitgehend wirkungslos. In diesen Fällen werden Steuergelder verteilt, ohne dass sich merkliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte einstellen. Das wäre Staatsversagen pur.
Einen weiteren Hinweis, wie effizient Cluster sind, liefert eine bisher noch rare ökonometrische Studie (Rodríguez-Pose/Comptour, 2011), die 152 Regionen in Europa unter die Lupe nimmt. Es wird untersucht, welche Faktoren regionale Innovation und Wachstum am besten erklären können. Die Ergebnisse sind nicht wirklich überraschend. Ganz vorne auf der Liste steht das gesamte sozio-ökonomische Design einer Region. Innovativ und wirtschaftlich erfolgreich sind Regionen, die ein gutes Bildungsniveau, große Fähigkeiten der Bevölkerung und Arbeitnehmer mit High-Tech-Kenntnissen haben. Aber auch eine gute Balance von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit beschleunigt Innovation und Wachstum. Hilfreich sind auch fiskalische Anreize, mit denen es Regionen gelingt, attraktive Unternehmen mit einem hohen innovativen Potential anzulocken. Diese Ergebnisse bestätigen die These, wonach Regionen erfolgreich sind, wenn es ihnen gelingt, vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen und für mobile Faktoren attraktiv zu werden.
Ein zweites Ergebnis dämpft die politische Euphorie für Cluster. Erfolgreich sind Cluster nämlich nicht per se, sondern nur in einem bestimmten institutionellen Umfeld. Sie beeinflussen Innovation, Beschäftigung und Wachstum nur nachhaltig positiv, wenn sie das Herzstück eines regionalen Innovationsverbundes sind. Für sich allein, bewirken sie wenig. Cluster sind erfolgreich, wenn sie in ein innovationsfreundliches Umfeld eingebettet sind. Das ist gegeben, wenn ein hohes und breites Bildungsniveau existiert, vielfältige Möglichkeiten lebenslangen Lernens vorhanden sind, menschliche Ressourcen besser und effizienter genutzt werden, Ausbildung und Innovation mit den lokalen Produktionsbedingungen besser abgestimmt sowie Wissenschaft und Technologie stärker verzahnt werden. Das alles macht aber auch noch etwas notwendig, was in der Studie übersehen wird. Der Erfolg einer Region erfordert ein unternehmerfreundliches Umfeld. Unternehmer sind die Treiber, die Forschung und Entwicklung in innovative Produkte und Prozesse umsetzen.
F&E-Offshoring und Cluster
Die Zukunft der Cluster hierzulande ist unsicher. Globalisierte Märkte stellen die Unternehmen tagtäglich auf den Prüfstand. Wer nicht mehr wettbewerbsfähig ist, scheidet aus. Effiziente Cluster können Unternehmen eine Atempause verschaffen. Trotzdem reichen auch solche Netzwerkaktivitäten nicht immer, den inländischen Standort zu retten. Unternehmen verlagern nicht mehr nur wettbewerbsunfähige Produktionsstätten ins Ausland, um Kosten zu sparen und neue Märkte zu erschließen. Sie praktizieren Offshoring immer öfter auch im Bereich von Forschung und Entwicklung. Das geschieht innerhalb des Unternehmens (offshore insourcing) oder durch Auslagerung an externe F&E-Einrichtungen (offshore outsourcing). Neu ist dieses Phänomen allerdings nicht. Schon 1937 hat der Nobelpreisträger Ronald Coase auf die Probleme von „make or buy“ hingewiesen. Heute ist es nicht nur möglich, Produktionsketten fast beliebig zu zerkleinern und weltweit auf verschiedene Standorte zu verteilen. Es trifft auch immer öfter auf die Forschung und Entwicklung zu.
Tatsächlich ist F&E-Outsourcing längst gang und gäbe. Es findet allerdings bisher noch häufig innerhalb von Clustern und außerhalb mit inländischen Unternehmen statt. Eine Tendenz zu F&E-Offshoring ist allerdings unübersehbar. Mit der Verlagerung von Produktionen werden auch F&E-Tätigkeiten ausgelagert. Das trifft vor allem Entwicklungsaktivitäten, wenn Unternehmen im Ausland für den lokalen Markt produzieren und die Produkte den lokalen Präferenzen angepasst werden müssen. Es werden aber auch eigentliche Forschungsaktivitäten ins Ausland verlagert, wenn damit Kosten gespart werden können und es möglich ist, auf Wissen und Forschungseinrichtungen vor Ort zuzugreifen. Allerdings ist der Umfang von F&E-Offshoring, gemessen an den gesamten F&E-Ausgaben noch gering. Die Quote der F&E-Ausgaben deutscher Unternehmen im Ausland betrug 2009 etwas mehr als 27 % der Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (EFI, 2012). Die Zielgebiete sind die USA und die Alt-EU, immer öfter aber auch Asien und die neuen Mitglieder der EU.
Diese Entwicklung wird sich beschleunigen. Der Anteil der F&E-Ausgaben an ausländischen Standorten wird steigen. Die Zukunftsmärkte liegen in weniger entwickelten Regionen der Welt. Das zwingt die Unternehmen zu reagieren. Erst werden Produktionsstätten verlagert, dann F&E-Abteilungen. Das gilt zunächst für einfachere Technologien. Aber die Entwicklungsländer werden wirtschaftlich aufholen. Mit wachsendem Wohlstand werden auch Bereiche der Hochtechnologie in diese Länder verlagert. Die F&E-Kompetenz flieht aus den gesättigten alten Märkten in die hungrigen neuen. Da bleibt es nicht aus, dass sich immer mehr Produktionsstätten im Ausland und nicht mehr nur im Inland zu Unternehmensnetzwerken zusammenschließen. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, wann die F&E-Abteilungen nachziehen. Ein F&E-Offshoring ist vorprogrammiert. Es besteht die Gefahr, dass die inländischen Netzwerke ausbluten. Regionale Wertschöpfungsketten werden brüchig, positive Spillover-Effekte versiegen.
Aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Das gilt auch für den deutschen F&E-Standort. Der unvermeidliche F&E-Doomsday lässt sich hinauszögern, wenn es gelingt, einzigartige Kompetenzen auf nationaler Ebene zu erhalten, wie in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Chemieindustrie oder sie zu schaffen, wie in der Informations- und Kommunikationsindustrie, der Pharmaindustrie und der Biotechnologie (EFI, 2012). Der inländische F&E-Standort bleibt attraktiv, wenn er für international mobile Faktoren interessant ist. Hoch qualifizierte Arbeitnehmer und Unternehmen müssen Anreize haben, sich hierzulande nieder zu lassen. Die F&E-Cluster müssen internationale Alleinstellungsmerkmale haben. Wirtschaft, Forschung und Bildung müssen effizienter und vernetzter werden. Der Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte muss offener und internationaler werden. Deutschland kann aber auch gewinnen, wenn deutsche Unternehmen ihre F&E auch an internationalen Standorten umsetzen. Die Agglomerationsvorteile im Ausland können auch hierzulande nutzen.
Industriepolitik mit Clustern?
Es ist unbestritten, wirtschaftliche Agglomerationen haben positive wirtschaftliche Effekte. Das gilt für Innovation, Beschäftigung und Wachstum. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine regionale Spezialisierung einer Diversifizierung meist unterlegen ist. Die Chance, wirklich neue Produkte zu schaffen, ist größer, wenn Unternehmen in Regionen sektorübergreifend kooperieren. Bei der Politik gerät leicht in Vergessenheit, dass die Kraftzentren aller regionalen Konzentrationen die privaten Unternehmen sind. Es spricht vieles dafür, dass sie selbst in der Lage sind, die Vorteile wirtschaftlicher Agglomeration zu nutzen. Staatlich initiierter Cluster bedarf es zumeist nicht. Oft ist auch ein staatliches oder staatlich initiiertes Cluster-Management überflüssig. Gut organisierte Verbände, wie etwa der VDMA, sind in der Lage, diese Aufgabe wirksam zu erfüllen. Der Staat sollte sich darauf konzentrieren, adäquate Rahmenbedingungen zu schaffen, die unternehmerisches Handeln erleichtern und regionale Konzentrationen fördern.
Wenn der Staat adäquate Rahmenbedingungen schaffen will, muss er zumindest an drei Punkten ansetzen: 1) Er muss das private Unternehmertum stärken. Die Unternehmen, oft gerade die eigentümerorientierten kleinen und mittleren, sind die eigentlichen Treiber von Innovation und Clustern. Empirische Untersuchungen – national und international – zeigen, dass es hilfreich ist, sich am „LKW-Modell“ zu konzentrieren (Berthold u.a., 2007). 2). Es sollte alles getan werden, Unternehmer unternehmen zu lassen, sie sollten unternehmen können und auch wollen. Der Staat muss aktiv mithelfen, Investitionen in Humankapital zu stärken. Ist diese Politik in Kindergärten, Schulen und Hochschulen erfolgreich, setzt sie einen Tugendkreis aus mehr Unternehmern, mehr Innovationen und mehr Wohlstand in Gang. 3) Eine wichtige staatliche Aufgabe besteht darin, Grundlagen für Forschung und Entwicklung zu legen. Adäquat ausgestattete Hochschulen sind ein wichtiger und richtiger Ansatzpunkt. Ob man sich eher an der bayerischen Politik der „Leuchttürme“ oder der baden-württembergischen Stärkung der „Grasswurzeln“ orientieren sollte, ist umstritten.
Mit einem effizienten ordnungspolitischen Rahmen kann der Staat die Auslagerung von F&E-Aktivitäten bremsen. Ein häufig genanntes Motiv für F&E-Offshoring sind Kapazitätsengpässe im Inland. In der Forschung und Entwicklung mangelt es an Fachkräften (Ingenieure, Biochemiker etc.). Vor allem forschungsintensive Industrien beklagen diese Lücke. Hier ist neben den Unternehmen auch die Politik gefordert. Ein besseres Klima für Wissenschaft und Technologie, die Förderung von MINT-Studiengängen und die leichtere Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland sind nur einige wenige Beispiele. Aber auch adäquate Rahmenbedingungen, wie eine gut ausgebaute Infrastruktur für die Grundlagenforschung, eine steuerliche F&E-Förderung und ein Abbau bürokratischer Hemmnisse bei Existenzgründungen können Wunder bewirken. Verlagern sich allerdings die Märkte immer stärker ins ferne Ausland, lässt sich die Tendenz, dass die F&E-Abteilungen folgen, allenfalls verzögern aber nicht aufhalten.
Die Politik wird sich nicht davon abhalten lassen, Clusterpolitik als eine Strategie des „picking the winner“ zu betreiben. Der Anreiz, die wirtschaftliche Landschaft umzugestalten, ist einfach zu groß, die industriepolitische Gefahr allerdings auch. Es muss deshalb immer wieder klar gestellt werden, was in der Industriepolitik des Marktes und was des Staates ist. Staatliche Aktivitäten sind auf den vor-wettbewerblichen Bereich der Forschung zu beschränken. Um die Schäden interventionistischer Cluster-Politik in Grenzen zu halten, müssen regionale Handlungsspielräume gestärkt werden. Das erhöht die Chancen, dass die Themen „bottom up“ gefunden und nicht „top down“ oktroyiert werden. Mehr wettbewerblicher Föderalismus ist auch auf dem Feld der Clusterpolitik sinnvoll. Um die Gefahren eines Subventionswettlaufs der Regionen wirksam einzudämmen, ist allerdings ein adäquater nationaler Ordnungsrahmen für den regionalen Clusterwettbewerb notwendig. Nur er zieht Grenzen für den staatlichen Unsinn.
Fazit
Die Globalisierung krempelt die Welt um. Alte ökonomische Glaubenssätze werden obsolet. Die Distanz ist tot, die Welt ist flach. Arbeit und Kapital sind international mobil. Nur große Unternehmen können überleben. Von Standorttreue kann keine Rede mehr sein. Die nationale Politik ist impotent. Die Märkte haben endgültig das Kommando übernommen. Tatsächlich sind das alles nur Sprüche. Die Realität ist eine andere. Weltweit offenere Güter- und Faktormärkte haben neue Chancen eröffnet. Der Wohlstand weltweit steigt. Ärmere Länder profitieren stärker als reichere. Allerdings hat alles seinen Preis. Ein intensiverer Wettbewerb hinterlässt Spuren. Arbeitnehmer und Unternehmen stehen gewaltig unter Druck. Die Märkte überprüfen tagtäglich, wie wettbewerbsfähig sie sind. Das gilt auch für die Regionen. Der internationale Standortwettbewerb ist ruppiger geworden. Erfolg haben nur Regionen, die für international mobile Faktoren attraktiv sind. Es liegt an Arbeitnehmer, Unternehmen und Politik, was sie daraus machen.
Ohne Innovationen läuft nichts. Sie entscheiden darüber, wie wettbewerbsfähig Standorte sind. Wem es gelingt, Innovationen zu initiieren, wird mit Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand belohnt. Das alles geht nicht ohne exzellente Forschung und Entwicklung. Begnadete Forscher und hoch qualifizierte Arbeitnehmer sind aber nicht alles. Ohne findige Unternehmer ist alles nichts. Manfred Wittenstein ist einer von ihnen. Erst sie machen aus bahnbrechenden Erfindungen marktverwertbare Innovationen. Oft sind es nicht große Unternehmen, sondern KMUs, in denen sie radikale Innovationen umsetzen. Einzelne Unternehmer können zwar viel bewirken. Viel erfolgreicher sind sie allerdings in effizienten regionalen Netzwerken (Wittenstein, 2010). Die Globalisierung hat den Wettbewerb intensiviert und Totgeglaubte wieder zu vitalem Leben erweckt. Der Unternehmer feiert seine Wiederauferstehung. Er wird zum Agenten des Wandels. Die Regionen sind wieder die Kraftzentren der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Zentralstaat spielt nur noch die zweite Geige.
Literatur:
Audretsch, D., I. Grilo und A. Thurik (2012), Globalization, entrepreneurship and the region. EIM Research Report. January 2012
Berthold, N., M. Kullas und M. Neumann (2007), Motivatoren und Demotivatoren für Unternehmer im deutschen Maschinen- und Anlagenbau, in Schriftenreihe der Impuls-Stiftung. Frankfurt, Stuttgart 2007
Berthold, N. und J. Rieger (2010a), Clusteraktivitäten der Unternehmen im deutschen Maschinen- und Anlagenbau, in: Schriftenreihe der Impuls-Stiftung, Frankfurt, Stuttgart, 2010.
Berthold, N. und J. Rieger (2010b), Industriepolitik im neuen Gewand? in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 2 (2010), 79-84
EFI (2012), Gutachten zur Forschung, Innovation und Technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands. Berlin 2012
Martin, P., T. Mayer und F. Mayneris (2008), Spatial concentration and firm-level productivity in France. CEPR Discussion Papers (6858)
RodrÃguez-Pose, A. und F. Comptour (2011), Do Clusters Generate Greater Innovation and Growth? An Analysis of European Regions. Bruges European Economic Research Papers 21/2011
Wittenstein, M. (2010), Geschäftsmodell Deutschland. Warum die Globalisierung gut für uns ist. Hamburg
Hinweis: Der Beitrag ist in der Festschrift „Hochleistungsnetzwerk Deutschland. Wertschöpfung und Wohlstand für die Zukunft.“ Hamburg 2012 zum 70. Geburtstag von Manfred Wittenstein erschienen.
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