Nun ist es (fast) vollbracht – vorbehaltlich der Zustimmung einiger nationaler Parlamente – darunter der Deutsche Bundestag – wird das bereits einmal verlängerte Hilfsprogramm für Griechenland nochmals um weitere vier Monate bis Ende Juni 2015 verlängert. Und wie so häufig im politischen Poker feiern sich hinterher alle Beteiligten als Sieger, die ihre Interessen (weitgehend) durchgesetzt haben. Griechenland hat aus seiner Sicht „eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht den Krieg“ und aus Sicht der Eurozone hat man ein „sehr positives Ergebnis“ erzielt, mit dem auch Wolfgang Schäuble nach eigenen Aussagen gut leben kann.
Die konkreten Ergebnisse der Verhandlungen sehen dabei wie folgt aus:
- Das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland wird bis Ende Juni 2015 verlängert. In diesem Rahmen erhält Griechenland die noch ausstehenden 1,8 Mrd. Euro sowie die Bewertungsgewinne der EZB in Höhe von 1,9 Mrd. Euro aus den in ihrem Bestand befindlichen griechischen Staatsanleihen. In der Übereinkunft findet sich keine Aussage über den noch ausstehenden Restbetrag von Seiten des IWF in Höhe von 3,6 Mrd. Euro. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass auch dieser ausbezahlt wird. Nicht für allgemeine Haushaltszwecke zur Verfügung gestellt werden hingegen (zunächst) die 10,9 Mrd. Euro aus dem griechischen Bankenrettungsfonds. Dieses Geld fließt an die EFSF und kann dort nur von der EZB bzw. dem Single Supervisory Mechanism (SSM) im Rahmen der Bankenunion zur Rettung griechischer Banken abgerufen werden.
- Im Gegenzug verpflichtet sich die griechische Regierung:
- Das aktuelle Programm erfolgreich abzuschließen. Dazu hat die griechische Regierung ein Reformpaket vorgelegt, das auf den Vereinbarungen vom 27. November 2012 basiert. Dabei wurden von Seiten der Gläubiger Zugeständnisse bei der Höhe des Primärüberschusses gemacht. Die angestrebte Primärüberschussquote für das laufende Jahr beträgt nun 1,5 Prozent. Bei den konkreten Maßnahmen des Reformpakets konnten vereinbarungsgemäß (budgetneutrale) Änderungen von Seiten Griechenlands vorgenommen werden.
- Bereits umgesetzte Reformmaßnahmen nur in Absprache mit den „Institutionen“ (der früheren Troika) zurückzunehmen.
- Keine Maßnahmen zu ergreifen, die die griechische Wirtschaft destabilisieren.
- Überfällige Reformen durchzuführen, die Korruption und Steuerhinterziehung bekämpfen und die Effizienz des öffentlichen Sektors erhöhen.
- Die Forderungen aller Gläubiger vollständig und fristgerecht zu erfüllen.
Die vereinbarten Maßnahmen sollen dabei die Wachstums- und Beschäftigungsaussichten dauerhaft verbessern, Stabilität sicherstellen, den Finanzsektor widerstandsfähig machen und die soziale Fairness steigern.
- Wenn die zuvor genannten Vereinbarungen eingehalten werden, verpflichten sich die Institutionen auch weiterhin, Griechenland adäquat zu unterstützen, bis das Land den kompletten Zugang zu den privaten Kapitalmärkten zurückerlangt hat.
Sowohl die vorgelegte (vorläufige) Maßnahmenliste als auch deren endgültige Prüfung im April, die den „erfolgreichen“ Abschluss des aktuellen Programms dokumentieren soll, basieren dabei in erster Linie auf der „Steilvorlage“ der Institutionen und verweisen auf erhöhte Einnahmen, die von der erfolgreichen Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung erwartet werden. Eine solche Absichtserklärung abzugeben ist der griechischen Regierung sicherlich nicht schwergefallen, da es sich hierbei um die Umsetzung ureigenster Syriza-Wahlversprechen handelt. Doch selbst wenn bis zum April entsprechende Gesetze verabschiedet wären, ist bis dahin wohl kaum abzusehen, ob und in welchem Umfang die Steuereinnahmen steigen werden. Daher wird es äußerst schwer fallen, die (Saldo-)Wirkung des gesamten neuen Maßnahmenkatalogs auf das Primärbudget abzuschätzen – ganz abgesehen von einer konkreten Kontrolle während der nächsten Monate.
Unabhängig vom Primärsaldo stehen dem aus Abbildung 1 ersichtlichen Finanzierungsbedarf für Zins- und Tilgungszahlungen von März bis Juni 2015 in Höhe von 6,2 Mrd. Euro (ohne T-Bills) mit der neuen Vereinbarung zusätzliche Kredite in Höhe von 7,3 Mrd. Euro gegenüber. Geht man davon aus, dass die Zinszahlungen für das zweite Griechenland-Rettungspaket 2015 etwa 800 Mio. Euro niedriger ausfallen als in der unten aufgeführten Abbildung angenommen, dann ließe sich wohl darüber hinaus – falls notwendig – auch der Schuldendienst für den Februar noch aus diesem Topf finanzieren. Somit scheint die Zahlungsfähigkeit Griechenlands bis Ende Juni auf den ersten Blick gesichert.
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Über die „offiziellen“ Vereinbarungen hinaus bringt die Verlängerung des aktuellen Hilfspakets Griechenland aber weitere dringend notwendige Vorteile. Neben dem aus Abbildung 1 zu entnehmenden Schuldendienst, der Staatsanleihen und Hilfskredite betrifft, muss die griechische Regierung in den Monaten März bis Juni kurzlaufende T-Bills in Höhe von 9,1 Mrd. Euro (Stand: Anfang Januar 2015) tilgen. Da keine entsprechend hohen Primärüberschüsse zur Verfügung stehen, wird man versuchen, neue T-Bills an griechische Banken auszugeben. Sie sind gegenwärtig die einzigen Nachfrager für diese Titel. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die EZB entweder die ELA-Notkredite nochmals deutlich erhöht oder aber wieder griechische Staatsanleihen von den griechischen Banken bei deren Refinanzierung als Sicherheiten akzeptiert – was jedoch wiederum eine Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms voraussetzt. Erfolgt die Tilgung der nun fälligen Titel aber in der Tat durch neu ausgegebene T-Bills, erhöht dies auch die in der zweiten Jahreshälfte 2015 anfallenden Tilgungszahlungen!
Durch die oben erläuterte Vereinbarung ist Griechenland zwar zunächst wieder einmal dem Staatsbankrott entgangen, aber die nächsten Probleme sind bereits absehbar. In der zweiten Hälfte des Jahres werden – aus jetziger Sicht – erneut Zins- und Tilgungszahlungen in Höhe von mindestens 12,5 Mrd. Euro fällig, für deren Zahlung erneut keine entsprechenden Primärüberschüsse zur Verfügung stehen werden. Diese Situation wird sich unabhängig von allen guten Vorsätzen der griechischen Regierung einstellen, weil angekündigte oder sogar ergriffene Maßnahmen kaum in dieser kurzen Frist wirken können. Wenn man sich die Fälligkeitstermine für den Schuldendienst dieses Jahres in Abbildung 1 anschaut verwundert es nicht, dass Griechenland das Hilfsprogramm um sechs Monate, also bis Ende August, verlängern wollte. Die Zusage entsprechender Hilfsleistungen, die die Zahlungsfähigkeit bis zu diesem Termin garantiert hätten, hätte die Finanzierungsprobleme Griechenlands zunächst einmal deutlich reduziert. Der verbliebene Schuldendienst für dieses Jahr und auch für die folgenden Jahre (siehe Abbildung 2) – mit Ausnahme von 2019 – wäre dann eventuell aus eigener Kraft zu stemmen gewesen; ohne öffentliche Hilfskredite und die damit verbundenen Auflagen.
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Nun ist aber klar, dass Griechenland auf jeden Fall ab Juli 2015 ein neues Rettungspaket benötigen wird. Eine Situation, die man aus griechischer Sicht eigentlich vermeiden wollte, da auf diese Weise die Verschuldung noch weiter ansteigt und immer weniger tragfähig wird. Geht man einmal davon aus, dass die jetzige Vereinbarung sowie das für das zweite Halbjahr 2015 notwendige dritte Rettungspaket insgesamt mindestens 20 Mrd. Euro umfassen werden, so hätte dies – für sich genommen – einen Anstieg der Schuldenstandsquote um etwa 10 Prozentpunkte von jetzt etwa 175 Prozent auf 185 Prozent zur Folge.
Doch selbst wenn man die betroffenen nationalen Parlamente immer und immer wieder von der Sinnhaftigkeit neuer Kredite an Griechenland überzeugen könnte, stellt sich die Frage, wie man die Auflagen, die mit dem alten und neuen Rettungspaket verknüpft sind bzw. sein werden, nach 2015 noch durchsetzen kann. Will man die Zahlungsfähigkeit Griechenlands in der zweiten Hälfte des Jahres gewährleisten, müssen entsprechende Kredite bereits im Juli bereitgestellt werden. Bis Ende dieses Jahres wird es wohl – wegen des ständig drohenden Staatsbankrotts – nicht dazu kommen, dass Griechenland, wie Ministerpräsident Tsipras es formulierte, „die Sparmaßnahmen, das Rettungsprogramm und die Troika“ hinter sich lässt. Nachdem die Kredite ausgezahlt wurden – wer wollte daran zweifeln – wird es aber zunehmend schwieriger, Einfluss darauf auszuüben, wie etwa mögliche zusätzliche Steuereinnahmen in der Zukunft verwendet werden. Was bliebe, wäre wohl in erster Linie der Druck der EZB, über entsprechende Sonderregelungen das griechische Bankensystem am Leben zu erhalten. Wie die aktuelle Situation gezeigt hat, war die EZB aber bisher nicht bereit, dieses Drohpotenzial auch wirklich auszuspielen. Man hat es der Politik überlassen, über den Verbleib eines Mitgliedslandes in der Eurozone zu entscheiden. Es steht vielmehr zu befürchten, dass sich die EZB durch ihre Staatsanleihenkäufe sogar aktiv an der Finanzierung Griechenlands beteiligen wird.
Man stellt also (erneut) umfangreiche Kredite zur Verfügung und baut im Gegenzug auf das Prinzip Hoffnung. Und beim nächsten Zahlungsengpass wird es ein neues Rettungspaket geben – nur um den Zahlungsausfall immer weiter hinauszuschieben oder um ihn letztlich doch durch eine erneute Umschuldung irgendwann zu verhindern.
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12 Antworten auf „Griechenland (8)
Nach der Rettung ist vor der Rettung
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