„Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.“ (Gottfried Keller, 1819 – 1890)
Auf Ministerrunden in Brüssel ist Verlass. Wenn es darauf ankommt, einigt man sich. Notfalls auch zu später Stunde. Das war letzte Woche im Schuldenstreit nicht anders. Die Euro-Gruppe stellte in Aussicht, die finanzielle Hilfe für Griechenland über den 28. Februar 2015 hinaus zu verlängern, zunächst bis Ende Juni 2015, wenn Griechenland bis zum 23. Februar eine Liste zustimmungsfähiger Reformmaßnahmen (hier) vorlegt. Auf was man sich sonst geeinigt hat (hier), ist allerdings weniger klar. Es sind die für die EU typischen Formelkompromisse. Kein Wunder, dass beide Seiten tags darauf den Sieg für sich reklamierten. Die einen interpretierten die Übereinkunft als ein „Weiter so“ in der Euro-Rettungspolitik. Es gelte auch künftig „Geld gegen Reformen“. Die anderen verkündeten, sie hätten das Joch der Retter endgültig abgeschüttelt. Das kaputt Sparen, marktliberale Reformen und die lückenlose Überwachung durch die Troika gehörten der Vergangenheit an. Dieses scheinbare Patt hat Paul Krugman zur spöttischen Bemerkung veranlasst: “I do find myself remembering an old joke, which slightly modified works for this situation: what do you get if you cross a godfather with a group of finance minister? Someone who makes you an offer you can’t understand.“
Die Vereinbarung
Die Vereinbarung der Geldgeber mit Griechenland hat drei Schwerpunkte. 1) Die Euro-Gruppe stellt in Aussicht, die bisherige Kreditvereinbarung um bis zu vier Monaten zu verlängern. Griechenland sichert zu, dass die Bedingungen der bisherigen Vereinbarungen weiter gelten. Es darf aber bestehende Spielräume der Flexibilität nutzen. Nachdem die Griechen eine Liste mit schwammigen Reformmaßnahmen (hier) vorgelegt haben, die Troika („Institutionen“) sie auf die Schnelle gebilligt hat und die Finanzminister zugestimmt haben, kann nun verlängert werden. Geld fließt aber frühestens Ende April, wenn klar ist, dass das bisherige Programm auch umgesetzt wurde. Die Zahlung umfasst die letzte Tranche des alten Kredites (1,8 Mrd. Euro) sowie Zinsgewinne der EZB mit griechischen Staatsanleihen (1,9 Mrd. Euro). Die 11 Mrd. Euro, über die der griechische Bankenrettungsfonds verfügen kann, fließen an den ESM. Sie können während der verlängerten Laufzeit des Programms nur für die Bankenrettung, nicht aber in den Staatshaushalt eingesetzt werden.
2) Griechenland verpflichtet sich nachdrücklich, umfassende und tiefgreifende strukturelle Reformen durchzuführen. Das sei notwendig, um Wachstum und Beschäftigung nachhaltig zu verbessern, finanzielle Stabilität zu erreichen und soziale Fairness zu verwirklichen. Griechenland erklärt sich explizit bereit, nachhaltig gegen Korruption und Steuervermeidung vorzugehen und den öffentlichen Sektor effizienter zu gestalten. Die griechische Regierung verpflichtet sich auch, keine der Reformen der Vorgängerregierung zurückzunehmen und einseitige Maßnahmen zu ergreifen, die „Politik und Strukturreformen“ verändern. Das gilt für alle Maßnahmen, die Geld kosten, den wirtschaftlichen Aufschwung behindern und die finanzielle Stabilität gefährden. Allerdings kann die griechische Regierung einzelne Maßnahmen ändern. Das ist aber auch weiter nur möglich, wenn die „Institutionen“ zustimmen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Troika, die jetzt nicht mehr so heißen darf und von Brüssel aus agiert, ist deshalb unerlässlich.
3) Es wurde in Brüssel auch vereinbart, dass ein weiterer Schuldenschnitt nicht in Frage kommt: „Die griechische Regierung bekräftigt ihre unzweideutige Verpflichtung, ihre finanzielle Verbindlichkeiten gegenüber allen Gläubigern vollständig und rechtzeitig zu erfüllen.“ Das war offensichtlich der Euro-Gruppe – wohl auch Deutschland – besonders wichtig. In einem anderen wichtigen Punkt, kam die Euro-Gruppe allerdings Griechenland entgegen. Das Sparprogramm wurde gelockert, zumindest für 2015. Der für dieses Jahr vorgesehene Primärüberschuss von 3 % wird flexibler ausgestaltet. Es sollen die besonderen wirtschaftlichen Umstände in Griechenland durch den politischen Wechsel berücksichtigt werden. Wie das genau zu geschehen hat, muss in Verhandlungen Griechenlands mit den drei Institutionen vereinbart werden. Über die Zeit danach, ist nichts fixiert. Ob auch 2016 das Sparprogramm flexibler gehandhabt werden soll, ist unklar. Wenn das nicht der Fall ist, würde der vereinbarte Primärüberschuss von 4,5 % gelten.
Die Interpretationen
Auf den ersten (und auch den zweiten) Blick hat Griechenland in den Verhandlungen mit den internationalen Kreditgebern den Kürzeren gezogen. Die Euro-Gruppe, der IWF und die EU-Kommission haben darauf bestanden, dass die gescheiterte Rettungspolitik so weiter geht wie bisher. An dem Grundsatz „Geld gegen Reformen“ haben sie grundsätzlich festgehalten. Die Hilfsprogramme (MFAFA) mit den Reformauflagen bleiben in Kraft. Bei den Strukturreformen zeigen sich die Kreditgeber etwas flexibler. Allerdings stehen alle künftigen griechischen Reformvorschläge unter einem Vorbehalt der Genehmigung durch die „Institutionen“. Bei den Zielen des Primärüberschusses kamen die Kreditgeber der Regierung Tsipras etwas entgegen, zumindest für das Jahr 2015. Die Höhe bleibt allerdings Verhandlungssache. Über einen Schuldenschnitt wurde erst gar nicht verhandelt. Alles in allem scheint es einen klaren Verlierer der Vereinbarung von Brüssel zu geben: Die griechische Regierung. Sie konnte wenig von ihren vollmundig vorgetragenen Forderungen durchsetzen.
Es erstaunt deshalb, dass Alexis Tsipras am Tag nach den Verhandlungen im griechischen Fernsehen von einem historischen Sieg sprach. Die Troika sei endgültig Geschichte, die Hilfsprogramme würden nicht fortgesetzt, die Sparpolitik hätte ein Ende, eigene Maßnahmen für Reformen würden auf den Weg gebracht: „Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg (…), die wahren Schwierigkeiten liegen noch vor uns.“ Nichts davon ist wahr. Die Troika lebt unter anderem Namen weiter, die MFAFA (Strukturreformen) gibt es immer noch, an der Sparpolitik (Primärüberschuss) führt auch weiter kein Weg vorbei, für eigene Reformen (Thessaloniki-Programm) fehlt das Geld. Dieser Auftritt ist den eigenen Wählern geschuldet, die er für dumm verkauft. Es ist schwer vorstellbar, wie Syriza den Spagat von vollmundigen Wahlversprechen und bitterer Realität schaffen will. Nichts von dem, was sie ihren Wählern versprochen hat, wird sie einhalten können. Aus dieser Zwickmühle kommt sie nicht unbeschadet heraus.
Der halbstarke, listige Giannis Varoufakis sieht aber einen Lichtblick. Bei den Strukturreformen habe die Vereinbarung eine „konstruktive Mehrdeutigkeit“. In der Tat wird Griechenland die Möglichkeit eingeräumt, Reformen, die durch Programme (MFAFA) vorgegeben sind, durch äquivalente eigene zu ersetzen. Das soll möglich sein, wenn sie „nichts kosten“, den wirtschaftlichen Aufschwung nicht gefährden, nicht für finanzielle Instabilität sorgen und die „Institutionen“ zustimmen. Die griechische Regierung sieht eine Chance, eigene Reformvorstellungen zu verwirklichen. Ein Blick auf das Wahlprogramm von Syriza zeigt allerdings, dass es dort nur so von marktwidrigen Vorstellungen wimmelt. Höhere Mindestlöhne, weniger Privatisierungen, mehr staatliche Beschäftigung, höhere Renten sind nur einige Beispiele aus dem Horrorkatalog der Regierung Tsipras. Damit lässt sich die griechische Wettbewerbsfähigkeit nicht erhöhen und wirtschaftliches Wachstum erzeugen. Der Kampf mit den „Institutionen“ wird also weiter gehen.
Die Folgen
Nach Brüssel ist vor Brüssel. Mit der Vereinbarung ist nichts gelöst. Alle Probleme sind unverändert virulent. Griechenland ist auf „Wiedervorlage“ (Werner Mussler), spätestens Anfang Juli braucht es einen neues Rettungspaket (Beitrag Smeets). Die Rettungspolitik der Euro-Gruppe ist gescheitert. Sparauflagen und Strukturreformen zeigten zwar erste Erfolge bei Wachstum und Beschäftigung. Die griechische Wirtschaft konnten sie bisher aber nicht stabilisieren. Es war die EZB, die mit ihrer „monetären Fiskalpolitik“ bisher verhinderte, dass Griechenland ins Chaos stürzte. Die alte Troika hat für teures Geld nur Zeit gekauft, die nicht ausreichend genutzt wurde, das Land auf Vordermann zu bringen. Das alte Problem ist: Mit der Hilfe der Geldgeber verlangsamt sich der Reformprozess der Kreditnehmer. Seit den Wahlen in Griechenland besteht die Gefahr, dass die anti-marktwirtschaftliche Regierung Tsipras noch mehr Zeit verschwendet. Die (europäischen) Geldgeber wiederholen den Fehler, den die Politik gemacht hat, als sie den Euro einführte. Sie wollte möglichst viele Länder dabei haben. Nun will sie aus politischen Gründen einen „Grexit“ auf Teufel komm raus verhindern.
Griechenland kommt wirtschaftlich nur auf die Beine, wenn es aus voller Überzeugung bereit ist, das eigene Haus in Ordnung zu bringen. Nur dann ist mehr Wachstum und Beschäftigung möglich. Was es dazu braucht, liegt auf der Hand: Eine solide Haushaltspolitik und mehr Wettbewerb auf Produkt- und Faktormärkten. Ökonomische Vernunft und politische Durchsetzbarkeit sind aber zwei Paar Schuhe. Die Erfahrung zeigt, sozialdemokratische Regierungen tun sich mit marktliberalen Reformen leichter als konservative. Rot-Grün unter Gerhard Schröder war ein solches Beispiel. Mit der Agenda 2010 hat er gegen viele Widerstände für mehr Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten gesorgt. Eine solche Entwicklung ist allerdings in Griechenland nicht zu erwarten. Syriza, die größte Regierungspartei, ist kein Hort des Neoliberalismus. Dort geben neo-marxistische Spinner den Ton an, die auch künftig lieber auf Kosten der Anderen leben wollen. Es steht nicht zu erwarten, dass von dieser Regierung positive Reformimpulse ausgehen, im Gegenteil.
Die Zeichen stehen also nicht gut für den griechischen Patienten. Er will die Medikamente der Mediziner der „Institutionen“ partout nicht mehr nehmen. Griechenland ist erst der Anfang, künftige Patienten in der EWU werden sich auch so verhalten. Noch mehr Gläubigerhass wird sich in den Schuldnerländern breit machen In den Gläubigerländern wird der Unmut der Steuerzahler weiter wachsen. Extreme Parteien an den politischen Rändern, die versprechen, die Prinzipien der europäischen Integration „Markt, Wettbewerb und Subsidiarität“ durch „Staat, Kartelle und Zentralisierung“ zu ersetzen, werden noch mehr Zulauf erhalten. Es ist allerhöchste Zeit, die gescheiterte europäische Rettungspolitik zu überdenken. Als ernsthafte Alternative bleibt für Griechenland allerdings nur der „Grexit“. Es muss aber immer wieder darauf hingewiesen werden, dass diese Medizin nur anschlägt, wenn die Griechen schmerzhafte marktliche Reformen ohne „wenn und aber“ akzeptieren. Sie werden auch durch eine Abwertung der eigenen Währung wirtschaftlich auf keinen grünen Zweig kommen, wenn sie sich den Strukturreformen verweigern und weiter über ihre Verhältnisse leben.
Fazit
Die Rettungspolitik der „Institutionen“ in Griechenland ist gescheitert, ökonomisch und politisch. Externe finanzielle Hilfen verschleppten den Prozess der internen Reformen. Kein Wunder, dass die Gläubiger versuchen, den Druck auf die Griechen zu erhöhen. Die ökonomischen Erfolge sind allerdings eher bescheiden. Der politische Widerstand nimmt zu. Das Ventil des Hasses gegen die Gläubiger stärkt die politischen Extreme. Syriza ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Front National, die Lega Nord und Podemos werden die politische Landschaft weiter verändern. Es droht ein politischer Flächenbrand in Europa. Ein stärkerer Druck der Gläubiger kann ihn nicht löschen. Er verstärkt den Widerstand der Schuldner noch. Der Flächenbrand lässt sich aber auch nicht durch eine linke Politik „Geld ohne Reformen“ eindämmen. Dagegen steht der Widerstand der Steuerzahler in den Geberländern einer solchen Transferunion. Die einzige Möglichkeit, eine Spaltung Europas zu verhindern, besteht darin, den Geburtsfehler der EWU zu korrigieren: Zu viele und zu heterogene Mitglieder. Das macht es notwendig, die EWU zu redimensionieren. Sie muss sich gesundschrumpfen. Griechenland sollte den Anfang machen und aus der EWU ausscheiden.
Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:
Dieter Smeets: Nach der Rettung ist vor der Rettung. Griechenland und kein (Rettungs-)Ende!
Roland Vaubel: Schäubles Scherbenhaufen
Norbert Berthold: Trojanisches Pferd. Der Brief des Giannis Varoufakis
Uwe Vollmer: Scheidung auf griechisch. Wie realistisch ist der “Grexit“?
Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer
Dieter Smeets: Poker um Griechenland
Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?
Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.
- Pakt für Industrie
Korporatismus oder Angebotspolitik? - 27. Oktober 2024 - De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik - 12. September 2024 - Ordnungspolitischer Unfug (13)
So was kommt von sowas
Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen - 17. August 2024
Es gibt kein anderes Land in der Europäischen Union, dass in seiner Geschichte so oft pleite war wie Griechenland. Ich wundere immer noch wie ein so kaputtes Land es in die EU geschaft hat. Angeblich waren viele Bilanzzahlen gefälscht und keiner der anderen Staaten konnte es aufdecken. Ich weiß nicht ob das wirklich die Wahrheit ist, dass die Probleme der Griechen keiner kannte! Auch auf die Gefahr hin, dass andere Staaten den Griechen folgen würden, müssen die Griechen raus aus der EU. Griechenland immer wieder Finanzspritzen zu geben, ist doch eine Einbahnstraße! Gruß Aderius
„Varoufakis verspricht darin (in dem Brief an die Euro-Gruppe, NB), er verfolge eine „Reformagenda in Übereinstimmung mit der programmatischen Erklärung von Ministerpräsident Tsipras vor dem (griechischen) Parlament“. Das ist so, als behaupte jemand, er betreibe Friedenspolitik in Übereinstimmung mit der Ideologie der Roten Khmer oder gewöhne sich das Trinken nach der Harald-Juhnke-Methode ab. Tsipras’ Rede und die Reformzusagen sind unvereinbar.“
Michael Martens, Syriza im Zwiespalt. Risse in Athen, in: FAZ v. 26. Februar 2015
„Unfortunately, this is not what many Greeks (or Spaniards) believe. A large plurality of them voted for Syriza, which wants to reallocate resources to wage increases and subsidies and does not even mention exports in its growth strategy. They would be wise to remember that having Stiglitz as a cheerleader and Podemos as advisers did not save Venezuela from its current hyper-inflationary catastrophe.“
Ricardo Hausmann, Austerity is not Greece’s Problem, in: Project Syndicate, March 3, 2015
Meine Prognose scheint sich zu bestätigen, dass Syriza „nichts von dem, was sie ihren Wählern versprochen hat, wird .. einhalten können.“
„Realitätssinn haben die meisten Minister im Kabinett Tsipras in den vergangenen Wochen freilich durchaus schon bewiesen, indem sie ein Wahlversprechen nach dem anderen de facto aufgegeben oder aufgeschoben haben.“
Michael Martens, Griechenland: Schwer angeschlagen, in: FAZ vom 6. März 2015
Denise Peikert (FAZ), Das sind die sieben Reform-Versprechen aus Athen
Griechenlands Finanzminister hat eine elfseitige Liste mit Reformen nach Brüssel geschickt. Unter anderem will er die öffentlichen Ausgaben deckeln, Lizenzen für Glücksspiele verkaufen und die Steuerschulden der Griechen mit Rabatten eintreiben. Ein Überblick.