Griechenland (11)
Briefe in die griechische Vergangenheit
Giannis Varoufakis: Abgezockt oder unfähig?

„Das Dumme am Sozialismus ist, dass einem das Geld der anderen ausgeht“ (Margaret Thatcher)

Die griechische Links-Rechts-Regierung mischt die europäische Politik auf. Einerseits betreibt sie eine verbale Kanonenbootpolitik. Vor allem Deutschland ist das erklärte Ziel. Es trifft aber auch schon mal mit Spanien und Portugal die beiden anderen südlichen Programmländer. Wüste Drohungen und üble Beschimpfungen sind an der Tagesordnung. Daran beteiligen sich die meisten Kabinettsmitglieder, Alexis Tsipras vorneweg. In Athen regieren Politganoven (FAZ). Sie lassen alle Regeln des (niedrigen) politischen Anstandes vermissen. Andererseits versucht der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis die europäischen Politiker „literarisch“ einzuseifen. Briefe an Jereon Dijsselbloem (hier; hier), den Vorsitzenden der Euro-Gruppe, sind seine Spezialität. Konkret sind sie selten, meist enthalten sie vage Absichten, oft langatmige Erklärungen, kaum Zahlen und Fakten mit Substanz. Sie lesen sich wie Briefe in die griechische Vergangenheit.

Das enfant terrible

Giannis Varoufakis passt nicht in das gängige Raster eines Politikers. Er pfeift auf die üblichen Regeln des Politikbetriebs in Brüssel, in Stil, Sprache und Inhalt. Das ist erstaunlich, weil Griechenland finanziell mit dem Rücken zur Wand steht. Es braucht die verhasste Troika, um aus der Schuldenmisere herauszukommen. Und die fordert von Griechenland konkrete Vorschläge zum Abbau der Schulden und zur Umsetzung von Reformen, die empirisch belastbar sind. Daran mangelt es aber. Der erste Brief an die Euro-Gruppe, mit der Griechenland darüber verhandelte, ob das Hilfsprogramm verlängert werden könnte, blieb eher vage. Kein Wunder, dass beide Parteien sich danach als Sieger feierten. In dem zweiten Brief an Jereon Dijsselbloem, in dem konkrete Vorschläge unterbreitet werden sollten, führte der griechische Finanzminister nur einige wenige Punkte aus. Die waren eher allgemein gehalten und enthielten bizarre Vorschläge, wie etwa den temporären Einsatz von Hobby-Steuerfandern.

Was hinter der griechischen Scharade steckt, ist unschwer zu erraten. Die Tsipras-Regierung will von der nach wie vor gültigen Vereinbarung „Geld gegen Reformen“ der Vorgängerregierung mit der verhassten Troika, die jetzt „die Institutionen“ heißt, nichts mehr wissen. Der rotzig auftretende Giannis Varoufakis hat allerdings mit seinen wahren Absichten nie hinterm Berg gehalten. Er forderte von Anfang an als Finanzminister dreierlei: Ein saftiger Schuldenschnitt am Ende einer Schuldenkonferenz, ein Stopp der „ungerechten“ Politik der Austerität und ein Ende der „neoliberalen“ Reformen der „verbrecherischen“ Troika. Also: „Geld ohne Reformen“. So soll der Weg für eine bessere, neo-marxistische Wirtschaftspolitik in Griechenland endlich freigemacht werden. Die ersten schmerzhaften Erfahrungen mit dem harten Politikgeschäft in Brüssel haben ihn allerdings veranlasst, diese Absichten hinter „creative ambiguity“ zu verstecken.

Die Dilemmata

Mit der kürzlich vereinbarten möglichen Verlängerung der Hilfsprogramme für Griechenland bis Ende Juni 2015 fängt das Spiel zwischen Troika („Institutionen“) und Griechenland erst richtig an. Beide Parteien stecken in einem Dilemma. Die Euro-Gruppe hat kein Interesse an einer griechischen Pleite. Hohe Abschreibungen auf griechische Staatspapiere würden die Regierungen der Gläubigerländer endgültig als Lügner entlarven. Milliardenschwere Kredite und Garantien würden kassenwirksam. Auch das Eigenkapital der EZB und ihre Gewinnausschüttungen an die nationalen Regierungen würden drastisch schrumpfen. Sind die Gläubigerländer der Euro-Gruppe und die EZB gegenüber Griechenland aber zu kompromissbereit, laufen sie Gefahr, dass die griechische Bereitschaft zu Reformen noch weiter nachlässt. Und sie müssen damit rechnen, dass das griechische Beispiel bei anderen wirtschaftlich Fußkranken der EWU schnell Schule macht. Der Euro könnte endgültig auf die schiefe Bahn geraten, so die verbreitete Angst.

Aber auch die griechische Regierung steckt in einem nur schwer lösbaren Dilemma. Sie hat den Wahlkampf zu einer emotionalen Abstimmung über die Rettungspolitik der verhassten Troika gemacht. Hinter ihre vollmundigen Wahlversprechen (Geld ohne Reformen, drastischer Schuldenschnitt und neue Wirtschaftspolitik) kann die Regierung Tsipras nur schwer zurück, will sie das Gesicht bei ihren vielen Wählern nicht verlieren. Der Hinweis einiger Regierungsmitglieder an die Euro-Gruppe, dass sie (noch) nicht an ihren Sitzen kleben, ist bei ihrem ideologischen Eifer wenig glaubwürdig. Die Gretchenfrage ist allerdings, wie es tatsächlich um die Glaubwürdigkeit ihrer verbalen Kanonenbootpolitik steht. Eine Pleite Griechenlands löst in der EWU kaum noch einen „Lehman-Effekt“ mehr aus. ESM und Bankenunion würden wohl das Schlimmste verhindern können. Als monetärer Libero könnte notfalls die EZB mit ihrer unbegrenzten Feuerkraft die Kastanien aus dem Feuer holen.

Die „Euro-Gewissheit“

So gesehen sind die Geschütze der griechischen Regierung nicht mehr als rheinische Konfettikanonen. Die europäische Politik tun allerdings gegenwärtig alles, die griechischen Kanonen scharf zu machen. Die deutsche Bundeskanzlerin hat ebenso wie der luxemburgische EU-Kommissionspräsident jüngst mehrfach bekräftigt, dass ein Grexit unter gar keinen Umständen in Frage komme. Gilt das Juncker’sche Lügentheorem („Wenn es ernst wird, muss man lügen.“) dieses Mal ausnahmsweise nicht, macht die Euro-Gruppe in den Verhandlungen gerade den fiskalischen Odysseus. Sie bindet sich an den währungspolitischen Mast der EWU und verschafft der griechischen Regierung die „Gewissheit“ (Wolf Schäfer), dass sie in dem Pokerspiel mit der Euro-Gruppe und der EZB nicht verlieren kann. Die Forderung der griechischen Extremisten-Regierung „Geld ohne Reformen“ geht auf, die Schulden werden abermals gekürzt, Griechenland macht sich auf zu neuen neo-marxistischen Ufern.

Aber auch wenn sich die Euro-Gruppe währungspolitisch nicht wirklich glaubwürdig die Hände binden würde, können die griechischen Hütchenspieler einen Schuldenschnitt erzwingen. Er wäre allerdings kostspielig. Sie könnten den argentinischen Weg wählen, die Pleite erklären und den Schuldendienst einstellen. Vom internationalen Kapitalmarkt wären sie dann abgeschnitten. Auf ausländische Hilfe könnten sie nicht mehr hoffen. Die neoliberalen „Folterwerkzeuge“ der Troika müssten sie trotzdem einsetzen, wenn sie wirtschaftlich nicht endgültig Schiffbruch erleiden wollen. Ein Leben über die Verhältnisse wäre dann allerdings nicht mehr möglich. Griechenland könnte sich entscheiden, trotzdem weiter in der EWU (und der EU) zu bleiben. Ohne die Hilfe einer sich abwertenden Währung käme es aber wirtschaftlich kaum auf einen grünen Zweig. Eine Parallelwährung wäre eine theoretische Möglichkeit. Faktisch bedeutete der argentinische Weg aber den Verlust des Euro.

Die Reformen

Sollte sich die Regierung Tsipras entschließen, aus der EWU (und der EU) auszutreten (Uwe Vollmer), bleibt es ihr nicht erspart, den steinigen Weg einer von Grund auf neuen Organisation des Staates, struktureller Reformen und einer sparsamen Haushaltspolitik zu gehen. Sie wird im Prinzip also das tun müssen, was die verhasste Troika im Hilfsprogramm heute von ihr verlangt. Auch eine Abwertung ist keine kostenlose Wunderwaffe. Sie hilft nur, wenn die griechische Bevölkerung weiter bereit ist, reale Einkommensverluste zu akzeptieren. Nur dann werden griechische Produkte international wieder wettbewerbsfähig. Fehlt allerdings diese Bereitschaft, wird eine verheerende Inflation das Land endgültig in den Abgrund stürzen („Venezuela in der Ägäis“). Auch eine linke Regierung kann ökonomische Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft setzen. Je schneller sie das versteht und in adäquates Regierungshandeln umsetzt, desto besser für die griechische Bevölkerung. Politisch überleben würde die Regierung Tsipras einen solchen Kurswechsel allerdings nicht.

Es scheint nicht so, als ob Tsipras und Konsorten die Zeichen der Zeit erkannt hätten. Sie wollen den Sack voll Schulden, den ihr viele Vorgänger hinterlassen haben, auf Teufel komm raus loswerden. Mit marktkonformen Reformen hat es die griechische Regierung dagegen nicht eilig. Wenn schon Reformen, dann will sie den (Sozial-)Staat noch weiter ausbauen. Privatisierungen werden gestoppt. Mehr Staat und weniger Markt stehen vorne auf der Agenda. Die Deutschen sollen die Zeche zahlen und die griechischen Schulden tilgen. Dabei ist ihr offensichtlich jedes Mittel recht. Sie spielt die Karte der unrühmlichen deutschen Vergangenheit. Mit den Reparationszahlungen, die sie von Deutschland fordert, wäre sie die Schulden mit einem Schlag los. Die griechische Regierung droht damit, deutsches Vermögen in Griechenland zu beschlagnahmen. Die Wiege der Demokratie verhält sich wie eine Bananenrepublik. Es ist unklar, ob sie damit durchkommt. Wenn nicht, legen die spieltheoretischen Überflieger in der Regierung Tsipras eine Bruchlandung hin. Dann rückt allerdings der Grexit näher. Und das ist auch gut so.

Fazit

Der Geburtsfehler der EWU, die zu große wirtschaftliche Heterogenität zu vieler Mitglieder, wird auch in dieser Griechenland-Krise nicht geheilt werden. Es war ein ökonomisch und politisch kostspieliger Fehler, dass in Maastricht und danach die politische Unvernunft den ökonomischen Sachverstand überfahren hat. „Es ist noch nie gelungen, mit schlechter Ökonomie gute Politik zu machen.“ (Alfred Schüller). Auch beim gegenwärtigen Poker um Griechenland wird die grottenschlechte Politik noch einmal die Oberhand über die ökonomische Vernunft behalten. Der Murks der fiskalischen und monetären Rettungspolitik wird weiter gehen. Eine konvergente wirtschaftliche Entwicklung in Europa wird sie nicht auslösen, ganz im Gegenteil. Der Norden wird weiter wachsen, der Süden allenfalls stagnieren. Das geht weder ökonomisch noch politisch gut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das ökonomische Gesetz gegen die politische Macht durchsetzt. Die EWU in der gegenwärtigen Form hat ihre Zukunft hinter sich. Sie wird sich redimensionieren.

 

Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:

Wolf Schäfer: Mit „Gewissheit“ im Euro. Das strategische Spiel der Griechen

Norbert Berthold: Immer Ärger mit Griechenland. Ein Pyrrhus-Sieg der “Institutionen“?

Dieter Smeets: Nach der Rettung ist vor der Rettung. Griechenland und kein (Rettungs-)Ende!

Roland Vaubel: Schäubles Scherbenhaufen

Norbert Berthold: Trojanisches Pferd. Der Brief des Giannis Varoufakis

Uwe Vollmer: Scheidung auf griechisch. Wie realistisch ist der “Grexit“?

Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer

Dieter Smeets: Poker um Griechenland

Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.

22 Antworten auf „Griechenland (11)
Briefe in die griechische Vergangenheit
Giannis Varoufakis: Abgezockt oder unfähig?

  1. „Die Privatisierungspläne für Griechenland stehen den ideologischen Grundsätzen der Linkspartei von Tsipras diametral entgegen. Seine Partei Syriza will den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft erweitern und damit mehr Platz für die eigene Klientel schaffen. Eigentlich sollte Griechenland bis 2020 weitere 18 Milliarden Euro an Privatisierungserlösen erzielen – rund 10 Prozent des derzeitigen Bruttoinlandsprodukts (BIP).“

    Griechenland stoppt Privatisierungsprogramm, in: FAZ v. 13. März 2015

  2. Hier in diesem Blog werden so herrlich wütende Artikel über die Eurokrise geschrieben. Allein, es wird nichts helfen.

    Es ist der einheitliche Wille der deutschen Politik – das gilt für alle im BT vertretene Parteien – a) den Euro zu erhalten und b) alle Staaten im Euro zu halten.

    Jede deutsche Regierung – wie immer sie parteipolitisch zusammengesetzt sein mag, die auch nur andeutet, sie verweigere weitere Hilfszahlungen und die sich gleichzeitig massiv gegen die aktuelle Geldpolitik der EZB stemmte, was dann zur Zahlungsunfähigkeit der Krisenländer führte, käme unter massivsten Druck der anderen Schuldnerländer; besonders von Frankreich, Italien. Deutschland ist gefangen im Euro! Diesen Sachverhalt gilt es zu begreifen und zu akzeptieren.

    Die vielen Aufsätze der letzten Monate, ja Jahre, stimmen mich immer wieder melancholisch bis trübsinnig, weil sie – bei aller Kürze – sehr klug, kenntnisreich und durchdacht sind, aber nichts bewirken. Als ökonomische Berater schwingen die Konsorten Fratzscher und Bohfinger das große Wort.

    Auch meine kleine AfD wird daran nichts ändern können. Sie hat bei der Europawahl ca. 7 % bekommen. In Hamburg hat es nur zu 6 % gereicht. Die Deutschen wollen ganz offensichtlich mit den anderen Europäern in den Abgrund stürzen. Gestern hörte ich im ZDF – 13.3.2015 -, daß die AfD, wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl, nur auf 6 % käme; sie hat seit der letzten Umfrage sogar 1 % verloren! Die CDU unter Merkel und Schäuble erreicht dagegen 43 %.

    Solange die Deutschen die negativen Auswirkungen der „Rettungsaktionen“ nicht zu spüren bekommen, solange Negatives für die großen Massen in Erfahrungsferne gehalten wird – u.a. eben auch durch die exorbitanten Geldschöpfungen der EZB ex nihilo -, solange wählt man CDU.

    Seit fünf Jahren retten wir Griechenland und den Euro. Die Hälfte seiner Lebenszeit existiert und überlebt der Euro im Rettungsmodus mit gigantischen Rettungsschirmen und Geldschöpfungen der EZB ex nihilo.
    Rekordarbeitslosigkeiten in den südlichen Krisenländern, soziale Katastrophen, ganze Jugendgenerationen werden dem Projekt „Eurorettung“ geopfert, Firmenpleiten, die Schuldenstände der Krisenländer sind heute höher als bei Ausbruch der Krise. Streitereien und Entzweiungen der Länder untereinander, Beleidigungen und Erpressungen etc. Und das Wahlvolk wehrt sich nicht.

    Was ist das für eine kranke Währung! Weg mit ihr!

    Live aus der Düsseldorfer UB
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

  3. „Angesichts der Finanznot hat Griechenlands Finanzminister Giannis Varoufakis am Freitagabend auf einer Konferenz erstmals in Aussicht gestellt, die Regierung werde Wahlversprechen aufschieben, um leichter einen Kompromiss mit den Kreditgebern zu finden und um die Geldsorgen zu verkleinern.“

    Die Angst vor dem „Graccident“, in: FAZ v. 14. März 2015

  4. Es reicht nicht, mit wissenschaftlichen Theorien, mit überzeugenden Argumenten gegen diesen falschen Euro anzuschreiben; es reicht auch nicht, sich zu echauffieren, Dampf abzulassen, so wie etwa Rainer Hank in der FAZ am 15.3.2015 „Europa der Heuchler“:
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/bringt-der-euro-frieden-von-dieser-sicht-sind-wir-geheilt-kommentar-13483578.html

    Die gesamte europäische politische Nomenklatura von Merkel, Schäuble, über Hollande, Juncker, Dijsselbloem, Draghi wollen den Euro retten und alle Staaten im Euro halten.

    Zu erzwingen ist eine grundsätzliche Änderung der Euro-Rettungsaktionen, der Europolitik nur, wenn auf der politischen Ebene den Eurokraten und Euroideologen der Wählerwind eiskalt ins Gesicht bläst. Wenn die AfD z.B. bei Landtagswahlen und bei Umfragen zweistellig würde; wenn sie gar die 20% Grenze überspringen würde.

    Ich verzweifel über folgenden Sachverhalt:
    Seit Ausbruch der Krise, seit etwa 5 Jahren also, beschweren sich hunderte, ja sogar tausende von Lesern der deutschen Zeitungen und Magazine in eurokritischen Kommentaren über die falsche Euro-Politik der deutschen und europäischen politischen Nomenklatura. Sie verschaffen ihrem Unmut, ja sogar ihrer Wut Luft in eindeutigen Kommentaren.
    Bei Welt.de, FAZ.net, Wiwo.de, Handelsblatt.de, Cicero.de usw. kann man sie zu jeder Stunde lesen. Selbst auf der Webseite der eurotreuen Zeit überwiegen die ablehnenden Leserkommentare.
    Dennoch krebst die AfD bei nur 6 bis 7 % bei Wählerumfragen herum. Während gleichzeitig die Beliebtheit von Merkel und Schäuble steigt!
    Es ist zum Verzweifeln.

    Live aus Hamburg
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

  5. Sehr geehrter Herr Berthold,
    bei allem Respekt bin ich ernsthaft enttäuscht über das Niveau ihrer Beiträge. Irgendwie fühle ich mich an die Bush-Ära erinnert: Auf der einen Seite befindet sich die verkommene, böse Syriza-Regierung, die Sie mit (Pl)Attitüden wie „Extremisten-Regierung“, „Politganoven“, „neo-marxistisch“, „rotzig“ usw beschreiben. Auf der guten Seite befindet sich die EU, die in ihrem Weltbild anscheinend die Rolle des weißen Ritters einnimmt. Dauernd fordern Sie Reformen und Austerität, was Sie von Beitrag zu Beitrag wiederholen ohne jemals richtig konkret zu werden. Würden Sie es vorziehen, wenn statt Syriza wieder die Nea Dimokratia oder die Pasok an die Macht kommen würde? Genau diese beiden Parteien haben doch das Land durch eine Mischung aus Korruption, Vetternwirtschaft und Politikversagen an den Abgrund gefahren. Sollten Sie sich nicht lieber freuen, dass statt der Syriza nicht noch extremere Kräfte an die Macht gekommen sind, angesichts der dramatisch hohen Arbeitslosenquoten? (Man erinnere sich daran, welche Kräfte in Deutschland an die Macht kamen, als das Land das letzte mal unter ähnlich hohen Arbeitslosenquoten litt.)

    –>“mehr Staat und weniger Markt“
    Ist bezogen auf Griechenland in bestimmten Bereichen tatsächlich angebracht. Oder finden Sie es richtig, dass Fernsehsender keine Gebühren für Rundfunklizenzen zahlen müssen? Auch die grassierende Steuerhinterziehung ist ein riesiges Problem, die durch „mehr Staat“ bekämpft werden müsste. Wozu hat „weniger Staat“ in Griechenland geführt: Eine kleine, milliardenschwere Oberschicht von Oligarchen kontrolliert de-facto das Land, ohne Steuern zu zahlen.

    –>“Stop der Privatisierungen“
    Ob es richtig ist, alle Privatisierungsprojekte einzustellen sei dahingestellt und lässt sich meines Erachtens nur von Einzelfall zu Einzelfall beurteilen. Angesichts der Tatsache, dass der Verantwortliche für die Privatisierungsprojekte der Vorgängerregierung in einem Privatjet eines griechischen Oligarchen in den Urlaub flog, ist es überaus angebracht vorerst alle Projekte und Abläufe zu stoppen und gründlich zu überprüfen. Russische Verhältnisse sollten vermieden werden!

    –> „Forderung nach Reparationszahlungen“
    Griechenland verhält sich hier wie eine Bananrepublik? Ist es so verwunderlich, dass ein Staat, der kurz vor der Pleite steht, versucht ausstehende Schulden einzutreiben? Interessant zu diesem Thema ist folgender Artikel:

    http://www.stern.de/politik/deutschland/reparationszahlungen-an-griechenland-haben-die-deutschen-nun-gezahlt-oder-nicht-2180344.html

    Abschließend würde ich mich sehr freuen, wenn Sie in einem Ihrer nächsten Beiträge statt Attitüden, Ideologie und Verunglimpfungen mehr konkrete Reformvorschläge einbauen könnten.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Dr. Solo

  6. @ Dr. Han Solo
    1) Meine Position zur Austerität und Strukturreformen habe ich in meinem Blog-Beitrag „Austerität und Strukturreformen. Wirtschaftspolitisches Teufelszeug oder bittere Medizin?“ vom 13. Mai 2013 etwas ausführlicher dargestellt.

    2) Ein Grundproblem in Griechenland, das Syriza geerbt hat, ist in der Tat das Krebsgeschwür des „crony capitalism“. Ich werde mich gelegentlich mal ausführlicher in einem Blog-Beitrag damit beschäftigen, dann wieder mit Niveau.

  7. Sehr geehrter Herr Berthold,
    ihren Beitrag zu Austerität und Strukturreformen hatte ich vor wenigen Monaten gelesen, jetzt eben nochmal. Ich finde ihn sehr treffend formuliert und bin in dieser Hinsicht komplett Ihrer Meinung. Nicht nur Griechenland, auch allen anderen Industriestaaten würde eine solche Politik der Austerität und Strukturreformen langfristig zugute kommen. Stattdessen denken und planen im Prinzip alle Politiker nur bis nur nächsten Wahl. Infolgedessen verschulden Sie ihrer Länder auf Kosten der nächsten Generationen.

    Meine Kritik ist nur auf ihre Haltung gegenüber der Politik der Syriza bezogen. Natürlich sind einige derer Vorschläge (z.B. provisorische Steuerfahnder) nicht das Gelbe vom Ei. Aber angesichts der katastrophalen Haushaltslage, die sie von ihren Vorgängern übernommen haben, dem Spektrum, dem ihre Wähler entstammen und der Stimmung im Land finde ich ihre Reformvorschläge bei Weitem nicht „extremistisch“.
    Mich würde interessieren, welche konkreten Reformvorschläge Sie vorschlagen würden, bezogen auf die aktuelle Haushaltslage, die Stimmung im Land und die Verhandlungen mit den Gläubigern.

    Einem Beitrag von Ihnen zum Thema „crony capitalism“ sehe ich mit Interesse entgegen. Besonders in Griechenland ist das ja eine sehr schwierige Situation, wo die meisten Oligarchen doch einen sehr hohen Anteil ihres Vermögens in mobile Anlagegüter investiert haben. Wie soll man als Politiker ein solches System entkrusten angesichts einer solchen Drohkulisse? Eine schwierige Aufgabe!

    Mit freundlichen Grüßen,
    Dr. Solo

  8. @ Han Solo
    In der heillos verfahrenen Situation bleibt wohl nur noch ein Ausweg: Der „Grexit“. Damit ist noch keines der riesigen realen Probleme in Griechenland gelöst. (Auf einige Schwierigkeiten habe ich in verchiedenen Blog-Beiträgen hingewiesen.) Die griechischen Wähler haben es dann allerdings selbst in der Hand zu entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen, um aus dem Schlamassel herauskommen. Wem sie die immensen Kosten der unvermeidlichen Anpassung an die jahrzehntelange Misswirtschaft aufbürden, liegt dann bei ihnen.

  9. Der „Grexit“ als Ausweg – sicherlich eine schnelle, „gerechte“ Lösung, die Griechen müssten selbst schauen wie sie aus ihrem Schlamassel herauskommen. Aber was für ein Signal für die Zukunft der Gemeinschaftswährung? Was passiert dann, wenn wenn andere, größere Euro-Mitgliedsstaaten in eine ähnliche Situation kommen, weil sie aufgrund von Misswirtschaft und/oder der Verweigerung von Strukturreformen an den Rand der Staatspleite gelangen? (Italien, Frankreich)
    Ich hoffe, dass EU und Tsipras trotz der verfahrenen Lage noch zu vernünftigen Kompromissen übereinkommen werden – inklusive Strukturreformen.

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