“Economists’ predictions should always be taken as gospel“ (Arnold Kling)
Griechenland und die „Troika“ haben sich hoffnungslos verkämpft. Das mitunter bizarre Gerangel ums Geld geht weiter. Nun soll ein Referendum den Weg weisen. Die Positionen der Spieler sind klar. Die Regierung Tsipras fordert „Geld ohne Reformen“. Mit der verhassten Politik der Austerität solle endlich Schluss sein. Strukturreformen seien Folterwerkzeuge einer neoliberalen Politik. Ein großer Schuldenschnitt sei unabdingbar, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Und Griechenland wolle weiter in der EWU bleiben. Das sieht die Troika ganz anders. Ihre Philosophie ist „Geld gegen Reformen“. Eine rigorose Sparpolitik sei unabdingbar, um die seit langem defizitären Haushalte zu konsolidieren. International wettbewerbsfähig werde Griechenland nur, wenn es Güter- und Faktormärkte wirklich öffne und den (Sozial-)Staat grundlegend reformiere. Ein weiterer offizieller Schuldenschnitt komme gegenwärtig nicht in Frage, zumindest nicht für den IWF und die EZB. Es ist offensichtlich, dass beide Verhandlungsseiten vor einer „mission impossible“ stehen. Sie können unmöglich alle ihre Ziele erreichen. Aus diesen Dilemmata wird das griechische Referendum die beiden Kontrahenten nicht herausführen.
Der griechische Saustall
Die wirtschaftliche Lage in Griechenland ist verheerend. Das Land befindet sich seit 2008 im wirtschaftlichen Niedergang. Die Arbeitslosigkeit ist weiter skandalös hoch. Über ein Viertel der Arbeitsfähigen sind ohne Arbeit, viele schon seit langem. Von dieser Seuche sind vor allem junge Arbeitnehmer betroffen. Die Hälfte der Jugendlichen ist ohne Arbeit. Hier wächst eine Generation ohne Zukunft heran. Das ist persönlich, ökonomisch und politisch fatal. Auch die Armut erreicht immer neue Rekordhöhen. Und der wirtschaftliche Abschwung geht weiter. Er schien seit 2011 einen Boden gefunden zu haben. Seit allerdings Syriza im Januar 2015 die Wahl gewonnen hat, geht es wieder abwärts. Die Einnahmen des Staates brechen ein, die Ausgaben halten nicht Schritt, die staatlichen Haushalte laufen wieder aus dem Ruder. Die zaghaften Primärüberschüsse in 2013 und 2014 schmelzen wie Schnee in der Sonne. Der Staat kann den Schuldendienst nicht mehr leisten. Erstmalig hat ein Industrieland seine Kredite vom IWF nicht bedienen können. Die fälligen Rückzahlungen in Milliardenhöhe an die EZB noch im Juli wird Griechenland ebenfalls nicht leisten können. Das Land steht ohne weitere externe finanzielle Hilfe vor der Pleite.
Die Wahrheit ist: Griechenland lebt noch immer über seine Verhältnisse. Das ist der Grund seiner wirtschaftlichen Misere. Seine Bürger konsumieren mehr als sie produzieren. Der private und staatliche Konsum gemessen am Nationaleinkommen liegt seit 2005 über 100 %, aktuell bei über 113,7 %. Von der verhassten Politik der Austerität ist wenig zu sehen. Der staatliche Haushalt ist weiter defizitär, trotz eines temporären Primärüberschusses. Auch in der Leistungsbilanz klaffen weiter Löcher, obwohl sie kleiner geworden sind. Noch immer ist die griechische Wirtschaft international nicht wettbewerbsfähig. Sie hat auf dem Weg zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit in der EWU, bei der seine Schulden langfristig tragfähig wären, allenfalls ein Drittel des Weges zurückgelegt (hier). Geändert hat sich nur die Struktur der Gläubiger. Bis 2008 waren es private ausländische Kreditgeber, seither sind es vor allem staatliche. Die Euro-Gruppe (ESM), die EZB (Target 2, SMP, ELA) und der IWF (Programm) stopfen nun die finanziellen Löcher in Griechenland. Dabei finanzierten sie aber nicht nur griechischen Konsum, sie paukten auch ausländische Banken heraus und leisteten Beihilfe zur Kapitalflucht aus Griechenland.
Kampf ökonomischer Kulturen
Bei der Frage nach der sinnvollen Therapie der griechischen Krankheit prallen ökonomische Welten aufeinander. Die Troika akzeptiert zumindest prinzipiell das kleine währungspolitische Einmaleins einer Währungsunion. Auf asymmetrische Schocks sind länderspezifische Anpassungen über die relativen Preise erste Wahl. Dabei kommt flexiblen Arbeitskosten besondere Bedeutung zu. Wettbewerblichere Arbeits- und Gütermärkte (Löhne) und ein effizienterer (Sozial-)Staat (Steuern/Abgaben) sind ein „Muss“, soll eine Währungsunion funktionieren. Wettbewerb härtet die Budgetrestriktion der Tarifpartner und stärkt die Anpassung über flexible relative Preise. Strukturreformen und Austerität sind Daueraufgaben in einer Währungsunion und deshalb „alternativlos“. Tatsächlich schwächt die Rettungspolitik der Troika aber diesen lebenswichtigen Mechanismus der Anpassung, weil sie die „No Bail Out-Klausel“ außer Kraft setzt. Damit weicht sie die Budgetrestriktion auf und produziert „moral hazard“. Der Anreiz der Länder zu Reformen geht zurück. Will sie diesen unerwünschten Effekt einigermaßen in Grenzen halten, muss sie möglichst kompromisslos auf der Regel „Geld gegen Reformen“ beharren. In Griechenland hat die Rettungspolitik der Troika offensichtlich versagt.
Den griechischen Regierungen sind marktliche Überlegungen eher fremd. Nicht erst Alexis Tsipras wollte die Lasten der Anpassung an ökonomische Veränderungen sozialisieren. Alle Regierungen hatten wenig Lust, den Gürtel enger zu schnallen. Geringere Lohnsteigerungen, weniger staatliche Beschäftigung, weniger „crony capitalism“ stießen auf erbitterten Widerstand korrupter politischer Parteien und egoistischer Interessengruppen. Die Lasten sollten nicht getragen, sie sollten auf Andere abgewälzt werden. Zuerst über eine steigende staatliche Verschuldung, die künftigen Generationen auf die Füße fällt. Nachdem diese Politik wegen fehlender privater Finanziers an Grenzen stieß, sollten die Anderen in der EWU zur Kasse gebeten werden. Aus Angst vor einem Kollaps der EWU war die Troika bereit, diesen Weg zu finanzieren. Offiziell galt zwar „Geld gegen Reformen“. So genau schaute allerdings die Troika nicht hin. Es genügte, wenn Griechenland versprach, Strukturreformen durchzuführen und den Haushalt zu sanieren. Tatsächlich wurde mehr versprochen als gehalten. Die Regierung Tsipras führte die sozialistische Idee, griechische Lasten über die Troika in der EWU zu vergemeinschaften, mit unerbittlicher Härte weiter. Für sie gilt: „Geld ohne Reformen“.
Hütchenspieler in Athen
Tatsächlich ist der Kampf der Griechen um laschere Reformauflagen eher ein Nebenkriegsschauplatz. Der professorale Hofnarr, der Finanzminister Giannis Varoufakis, durfte in diesem Akt die europäische Bühne in Brüssel bespielen. Das hat er nun fast ein halbes Jahr unter großem öffentlichem Aufsehen mithilfe der Medien getan. Der Regierung Tsipras ging es aber von Anfang an um mehr. Sie will einen weiteren kräftigen Schuldenschnitt für die nicht tragfähige Schuldenlast. Dazu nutzt sie die existentielle Krise der EWU im Jahre 2012. Obwohl die Troika darauf hinweist, dass die Ansteckungsgefahren geringer sind, sitzt ihr der Schreck noch immer in den Knochen. Das politische Projekt des Euro soll auf keinen Fall gefährdet werden, koste es was es wolle. Auf das „whatever it takes“ der EZB will sie sich nicht verlassen. Die griechische Regierung nutzte geschickt die Angst der Troika vor dem möglichen Lehman-Effekt eines Grexit. Das letzte, großzügige Angebot der Troika vor dem Scheitern der Gespräche zeigt, dass sie dem Ziel „Geld ohne harte Reformen“ schon sehr nahe gekommen ist. Beim Hauptziel der griechischen Extremisten-Regierung, einem kräftigen Schuldenschnitt, beißt sie allerdings bei der Troika weiter auf fiskalischen Granit.
Dabei ist allen klar, dass ein kräftiger Schuldenschnitt unabdingbar ist, wenn die griechische Schuldenlast wieder tragfähig werden soll. In diesem Sinne hat sich auch der IWF jüngst in einer Studie geäußert. Das beeindruckt allerdings die Euro-Gruppe offiziell nicht. Der IWF hat gut reden. Seine Regeln verbieten grundsätzlich einen Schuldenschnitt. Das gilt auch für die EZB. Er wäre monetäre Staatsfinanzierung. Und die ist in der EWU verboten. Das heißt bei den ständigen Vertragsbrüchen allerdings nicht mehr viel. Ein offizieller Schuldenschnitt müsste von den Ländern der Euro-Gruppe geschultert werden. Kein Wunder, dass dort der Widerstand groß ist. Sie fürchten die Rache der Wähler in ihren Ländern, wenn endgültig finanzwirksam wird, wer die Zeche zu zahlen hat. Der heftigste Widerstand kommt allerdings aus dem „Osten“. Die neuen Mitglieder der EWU sehen partout nicht ein, weshalb sie den griechischen Schlendrian finanzieren sollen, obwohl ihre Wohlstandsniveaus unter dem in Griechenland liegen. Die Regierung Tsipras will aber von ihrem Hauptziel, einem Schuldenschnitt, nicht lassen. Deshalb hat sie ihre Strategie geändert. Nun versucht sie es mit der Brechstange eines Referendums.
Das griechische Referendum
Mit dem Referendum setzt die griechische Regierung alles auf eine Karte, um einen Schuldenschnitt zu erreichen. Sie hofft auf ein „Nein“. Damit will sie den Druck auf die Troika erhöhen. Da das letzte Angebot der Gläubiger und die Vorstellungen der Regierung Tsipras wohl nicht mehr weit auseinanderlagen, wird faktisch um einen Schuldenschnitt gepokert. Die griechischen Wähler könnten aber den Zockern aus Athen mit einem „Ja“ einen Strich durch die Rechnung machen. Dann wären sie gezwungen, weiter nach der „Pfeife der Troika“ zu tanzen. Ein drittes Hilfspaket würde mit den Institutionen geschnürt, die dann wieder „Troika“ heißen könnte. Von den Wahlkampfzielen würde Syriza nur eines erreichen: Griechenland bliebe in der EWU. Das würde zwar mehrheitlich den Vorstellungen der Griechen entsprechen. Alle anderen Wahlversprechen – weg mit der Politik der Austerität, Verzicht auf umfassende Strukturreformen und ein kräftiger Schuldenschnitt – müsste sie aber brechen. Noch schlimmer: Sie müsste eine „neoliberale“ Politik umsetzen, die ihr vehement gegen den Strich geht. Das wäre das Ende der Regierung Tsipras. Sie hätte sich mit der „Alles oder Nichts-Strategie“ verzockt.
Aber auch wenn die Griechen mit „Nein“ stimmen, wird das Kalkül der griechischen Regierung nicht aufgehen. Vordergründig hätte Alexis Tsipras zwar sein „mission impossible-Problem“ gelöst. Die verhassten Reformauflagen sind weg, ein Schuldenschnitt wird verwirklicht und Griechenland bleibt der Euro erhalten. Die Anderen können es nicht aus der EWU werfen. Damit fangen die Probleme allerdings erst an (hier). Die EZB wird den Stecker ziehen und Griechenland von der Versorgung mit Euros abschneiden. Die Banken werden reihenweise zusammenbrechen, die  Wirtschaft wird kollabieren, die Arbeitslosigkeit explodieren, die Bevölkerung massenhaft verarmen. Der griechische Staat wird relativ bald weder Löhne und Gehälter noch Renten in Euro bezahlen können. Er wird eine Ersatzwährung – staatliche Schuldscheine (IOUs) – einführen müssen. Das ist aber allenfalls eine Notlösung. Ein Grexit ist nur eine Frage der Zeit. Nur mit einer eigenen Währung, die sich stark abwertet, ließen sich die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen eindämmen. Den wirtschaftlichen Kollaps und den Austritt aus dem Euro wird die Regierung Tsipras politisch nicht überleben. Die Hütchenspieler aus Athen müssten den Hut nehmen. Wie man es auch dreht und wendet, Alexis Tsipras ist der Verlierer des Referendums.
Fazit
Es ist damit zu rechnen, dass die griechischen Wähler mit „Ja“ stimmen werden. Die Daumenschrauben, die ihnen die EZB mit den Kapitalverkehrskontrollen angelegt hat, werden Wirkung zeigen. Griechenland bleibt in der EWU. Die kurze Ära Tsipras und seiner hochkarätigen Mitspieler ist Geschichte. Sie haben sich verzockt. Griechenland wird für das „Ja“ von der Troika belohnt werden. Ein drittes, großzügiges Hilfspaket wird auf den Weg gebracht werden. Die Euro-Gruppe wird – Regeln hin, Regeln her – für eine Zwischenfinanzierung sorgen. Das neue Hilfspaket wird auf dem letzten generösen Angebot der Troika aufbauen. Es wird zu einem Kuhhandel mit einer neuen griechischen Regierung kommen. Ein Schuldenschnitt wird nicht sofort stattfinden. Dazu ist es erst notwendig, den IWF und die EZB aus der Schusslinie zu bringen. Man wird sich in der Euro-Gruppe darauf verständigen, die Kredite beider Institutionen auf den ESM zu übertragen. Nach einer gewissen Anstandsfrist wird es zum Schuldenschnitt kommen. Die griechische Krankheit („moral hazard“) wird sich weiter in der Eurozone ausbreiten. Der griechische Sündenfall ist der Anfang vom Ende der EWU. Dietmar Barbier, der große Journalist der FAZ, hatte Recht als er über die EWU urteilte: „Was ökonomisch unsinnig ist, kann politisch nicht sinnvoll sein.“
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