„Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ (Ludwig Erhard)
Auch Politologen können irren. Vom Ende der Geschichte kann keine Rede sein. Die 90er Jahre des marktlichen Aufbruchs scheinen Lichtjahre entfernt. Der Markt ist in der Defensive, der Staat beherrscht die Szene. Diskretionäre staatliche Eingriffe sind wieder en vogue, regelgebundene marktliche Lösungen gelten als gestrig. Das Herzstück der Marktwirtschaft, der Preismechanismus, ist heftigen Angriffen ausgesetzt. Preisinterventionen sind wieder an der Tagesordnung. Den jüngsten Vorstoß hat Cem Özdemir, der neue Landwirtschaftsminister, wie vor ihm schon Robert Habeck, der neue Wirtschafts- und Klimaminister, gestartet. Er verlangt, „Ramschpreise“ für Lebensmittel zu verbieten. Die Diskussion um Mindestpreise in der Landwirtschaft erlebt eine Renaissance. Noch weiter zurück, bis in die Nachkriegszeit, gehen Forderungen nach Höchstpreisen im Kampf gegen die Inflation in hoch entwickelten Volkswirtschaften. Der gegenwärtig starke Anstieg des allgemeinen Preisniveaus soll nach Ansicht einiger Ökonomen mit Preiskontrollen bekämpft werden. Beides, Höchstpreise im Kampf gegen Inflation und Mindestpreise zur Einkommenssicherung, ist ausgemachter ökonomischer Unsinn.
Verbot von „Ramschpreisen“
Die Bauern sind seit Jahren auf den Barrikaden. Öffentlichkeitswirksam fordern sie höhere Preise für ihre Produkte. Vielen laufen die Kosten der Produktion den Erträgen davon. Immer neue umweltpolitische Verordnungen und steigende Auflagen für das Tierwohl trieben die Kosten. Dumpingpreise weiterverarbeitender Betriebe, wie Molkereien und Schlachthöfe, aber auch der Handel, der seine Verhandlungsmacht gnadenlos ausnutze, schmälerten die Erträge. Ein auskömmlicher Verdienst vieler Landwirte sei unter diesen Bedingungen nicht möglich. Kein Wunder, dass das massenhafte Höfesterben unvermindert weiterginge. Die Landwirte fordern vieles, auch Mindestpreise für Lebensmittel, um den Einkommensverfall zu stoppen. Sie wissen die (Landwirtschafts)Politik zumindest verbal auf ihrer Seite. Der neue Bundesagrarminister Cem Özdemir ist keine Ausnahme. Kaum im Amt, wollte er prüfen, „Ramschpreise“ zu verbieten und unlautere Handelspraktiken zu unterbinden. Mit Mindestpreisen für Lebensmittel sollen die Einkommen der Landwirte stabilisiert, die Tierhaltung verbessert und das Klima geschützt werden.
Der Agrarsektor ist in einem heftigen Strukturwandel. Viele bäuerliche Betriebe werden ihn nicht überleben. Angebotsüberhänge dominieren den Agrarmarkt. Es existiert ein Druck auf die Preise für Agrarprodukte. Die Politik ist ein Haupttreiber dieser Entwicklung. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt. Fast die Hälfte der Einkommen der Landwirte stammt aus staatlichen Transfers, nicht aus Markteinkommen. Ein dichtes Netz staatlicher Subventionen behindert den Strukturwandel. Die Marktbereinigung wird verzögert, Zombie-Unternehmen bevölkern den Agrarsektor, Angebotsüberhänge dominieren. Das ist die eigentliche Ursache für den Druck auf die Preise. Der Vorwurf der Marktmacht zwischenverarbeitender Betriebe und des Handels ist eine Nebelkerze. Trotzdem muss das Kartellamt mit Missbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle für faire Handelspraktiken im Agrarsektor sorgen. Richtig ist allerdings, dass die Gesellschaft mehr Tierwohl wünscht. Tierwohl ist ein öffentliches Gut. Auf privaten Märkten wird es zu wenig angeboten. Der Staat muss den Landwirten helfen, die Tierhaltung zu verbessern.
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Mindestpreise sind eine Schnapsidee. Das gilt auch für Lebensmittel. Die Angebotsüberhänge auf den Agrarmärkten bleiben erhalten. Landwirte erzielen nur ein höheres Einkommen, wenn der Staat die Überschüsse aus dem Markt herauskauft. Eine effiziente Agrarpolitik sieht allerdings anders aus. Die Wohlfahrtsverluste für die gesamte Volkswirtschaft sind erheblich (hier). Konsumenten und Steuerzahler sind die Dummen. Aber auch die Landwirte selber leiden. Sie bleiben in einer narkotisierenden Subventionsfalle gefangen. Der notwendige Strukturwandel wird behindert. Der Weg aus der Agrarmisere führt nur über mehr Markt im Agrarsektor. Die irrlichternde staatliche Politik muss ein Ende haben. Aus „administrierten“ Bauern müssen wieder landwirtschaftliche Unternehmer werden. Subventionen müssen abgebaut, Regulierungen zurückgeschnitten werden. Für eines sollte der Staat allerdings sorgen. Gemeinwirtschaftliche Leistungen der Landwirtschaft, wie etwa die Pflege der Kulturlandschaft, der Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen und die Förderung naturnaher, umwelt- und tierfreundlicher Produktionsformen, sollten finanziell abgegolten werden.
Einführung von Preiskontrollen
Viele Landwirte leiden unter niedrigen Preisen für ihre Produkte, die gesamte Volkswirtschaft ächzt unter einem zu hohen allgemeinen Preisniveau. Inflation ist immer und überall ein Nachfrageüberhang-Phänomen. Die Ursachen liegen auf der Angebots- und/oder Nachfrageseite. Gegenwärtig ist es eine Mischung aus beidem. Auf der Angebotsseite hat Corona die Lieferketten (temporär) gestört. Ein Arbeitskräftemangel, vor allem in den USA, stärkt (anhaltend) die Macht der Gewerkschaften und erhöht die Lohnkosten. Vor allem in Europa lässt der Kampf gegen den Klimawandel die Energiepreise (dauerhaft) steigen. Eine (andauernde) De-Globalisierung könnte die Monopolmacht der Unternehmen stärken und höhere Gewinnaufschläge produzieren. Auf der Nachfrageseite ist schon seit längerem ein stark expansiver staatlicher Prozess in Gang. Er wird zum einen von überbordender staatlicher Verschuldung befeuert. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die fortschreitende Alterung der Gesellschaften wird diesen Prozess noch länger am Laufen halten. Eine hyperexpansive Geldpolitik der Notenbanken hat zum anderen seit der Finanzkrise immer neue Kaufkraft zur Verfügung gestellt. Erst jetzt scheint sich allerdings dieser expansive Impuls in inflationäre Entwicklungen zu übersetzen.
Wer Inflation wirksam bekämpfen will, muss die Nachfrageüberhänge abbauen. Das kann auf zwei Wegen geschehen. Zum einen kann die (staatliche) Nachfrage verringert werden. Die Geldpolitik muss restriktiver ausfallen, die Fiskalpolitik zurückgefahren werden. Das ist nicht einfach. Vor allem in der EU behindert das Problem der fiskalischen Dominanz eine Politik des teureren Geldes. Die instabile EWU könnte ins Wanken geraten. Die EZB sitzt in der Falle. Auch eine restriktivere Fiskalpolitik macht Probleme. Sie verlangt eine Priorisierung staatlicher Ausgaben. Verteilungskämpfe (inter- und intra-generativ) sind unvermeidlich. Staatliche Verschuldung verschleiert sie. Inflation ist ein weniger wählerstimmenschädliches Instrument die Schulden tragbar zu machen. Zum anderen kann das gesamtwirtschaftliche Angebot erhöht werden. Notwendig sind Strukturreformen. Mehr Wettbewerb auf Güter- und Faktormärkten ist die allgemeine Leitlinie. Eigentumsrechte müssen gestärkt, Vertragsfreiheiten ausgebaut und Marktzugänge erleichtert werden. Der Staat muss auf die Bereiche beschränkt werden, auf denen er gegenüber dem Markt komparative Vorteile hat. Das sind nicht so viele.
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Welchen Weg die Politik auch immer wählt, er ist vor allem für Arbeitnehmer steinig und für die Politiker wählerstimmenschädlich. Da kommt ein Vorschlag gerade recht, der inflationäre Entwicklungen schnell und ohne größere Kosten zu stoppen verspricht. Preiskontrollen sollen die Inflation bändigen. Mit einer maßgeschneiderten Kontrolle sorgfältig ausgewählter Preise soll die Inflationsdynamik gebrochen werden (hier). Der Vorschlag nimmt eine Anleihe an dem (temporären) Lohn- und Preisstopp unter Richard Nixon zu Anfang der 70er Jahre. Tatsächlich war er aber ein einziger Fehlschlag. Die Preise erhöhten sich sprunghaft, nachdem der staatliche Preisstopp aufgehoben wurde (hier). Das überrascht nicht. Die Ursache der Inflation, die Nachfrageüberhänge auf den Gütermärkten, wurde nicht angegangen. Sie bestanden in Zeiten der Preiskontrollen nicht nur weiter fort, sie wurden noch größer. Die Unternehmen schränken ihr Angebot ein (Punkt A‘). Die Inflation wird nur zurückgestaut. Nach Aufhebung der Preiskontrollen steigt sie stärker als zuvor (Punkt C). Als Nebenwirkungen muss das geringere Güterangebot rationiert werden. Es bilden sich florierende Schwarzmärkte. Die Korruption gedeiht prächtig.
Fazit
Der Preismechanismus ist das Herzstück der Marktwirtschaft. Eine relativ effiziente Allokation ist ein großer Vorteil, eine eher ungerechte Verteilung ein möglicher Nachteil. Die Lehren daraus sind nicht nur, allokative Verzerrungen ursachenadäquat anzugehen, sondern auch Allokation und Verteilung so gut es geht voneinander zu trennen. Umverteilung sollte nicht mit der Gießkanne über die Preise, sie sollte über gezielte Transfers erfolgen. Mindest- und Höchstpreise sind ineffiziente Instrumente, um Einkommensziele zu erreichen und Inflation zu bekämpfen. Weltweit negative Erfahrungen bestätigen diese These. Dennoch setzt die Politik immer wieder auf Preisinterventionen. Vielleicht liegt es daran, dass sie „schnelle“ sichtbare Erfolge erzielen kann. Die Wirkungslosigkeit zeigt sich erst später. Das gilt für die fragile aufgestaute Inflation bei Preiskontrollen und Interventionsspiralen preisfixierter Agrarpolitik. Es kann aber auch daran liegen, dass die „Erfolge“ für die breite Masse der Wähler scheinbar „kostenlos“ sind. Bei Preiskontrollen seien es nur „gierige“ Unternehmer, die belastet werden. Bei Mindestpreisen für Agrarprodukte werden die Kosten der Intervention über (kreditfinanzierte) Staatshaushalte verschleiert. Das dicke Ende für die Steuerzahler kommt erst später.
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Sie könnten den Arbeitsmarkt mit dazu zählen, wo ein Teil der Preise nicht durch Angebot und Nachfrage ermittelt wird. Das ist zum einen der Mindestlohn, aber auch an der Spitze dürfte der massive Einkommensanstieg per Amigo-Geschäfte zustande kommen.
Am Immobilienmarkt ist es der Staat oder die Nachbarn, die den Neubau behindern. Schaut man sich den öffentlichen Bau an, dürften die Preisexplosionen nach Abschluss des Vertrages auch mit einem kaputten Markt zu tun haben, siehe auch Rüstungsgüter.
Meine Vermutung ist, dass ein marktlicher Markt eher unnormal ist und sicher nicht von alleine entsteht.
Es kann doch sein, dass der Lebensmittelhandel gegenüber den Landwirten eine monopsonistische Stellung hat. Dann müsste man auch für mehr Markt im Einzelhandel plädieren.
Norbert Berthold
Einverstanden. Nichts anderes sage ich auch im Beitrag: „Trotzdem muss das Kartellamt mit Missbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle für faire Handelspraktiken im Agrarsektor sorgen.“