Griechenland (5)
Scheidung auf griechisch
Wie realistisch ist der „Grexit“?

Seit Amtsantritt der neuen griechischen Regierung unter Alexis Tsipras wachsen Spekulationen, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheiden und es zu einem „Grexit“ kommen könnte. Solche Befürchtungen wurden genährt durch die jüngsten Äußerungen von Finanzminister Yanis Varoufakis, der mit dem Austritt seines Landes aus der Gemeinschaftswährung drohte, sofern die Sparvorgaben beibehalten oder die Hilfsprogramme eingestellt würden. Offensichtlich betrachtet Athen den Grexit als eine realisierbare und für Dritte glaubwürdige Option, die die europäischen Partner in Angst versetzen muss und sie zwingt, Griechenland signifikante Zugeständnisse einzuräumen.

Ist der Grexit rechtlich möglich?

Weil die Währungsunion als `Schicksalsgemeinschaft´ konzipiert ist, wird der Austritt eines Landes aus der EWU im europäischen Vertragswerk nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch gibt es legale Wege, wie ein Blick in juristische Kommentare zeigt (zum Folgenden siehe Athannassiou 2009). Klar ist, dass kein Land gegen seinen Willen weder aus der Europäischen Union (EU) noch aus der Europäischen Währungsunion (EWU) ausgeschlossen werden darf. Solch ein `Rausschmiss´ erfordert Einstimmigkeit, die naturgemäß nicht vorliegen wird. Ebenso unumstritten ist auch, dass eine einvernehmliche Trennung möglich wäre, bei der alle Mitgliedsstaaten dem Austritt eines Landes (oder Landesteils) aus der Europäischen Union zustimmen; der Austritt Grönlands aus der EU im Jahre 1985 kann hier als Beispiel genannt werden.

Spannender ist die Frage, inwieweit eine einseitige Sezession eines Mitgliedslandes aus der EU erlaubt ist und ob es denkbar ist, dass Griechenland gegen den Willen der übrigen Mitgliedsstaaten die Währungsunion verlässt, aber weiter Mitglied in der Europäischen Union bleibt. Die erste Teilfrage wird verneint, weil weder die Römischen Verträge noch deren Folgeverträge einen Austritt aus der Gemeinschaft erwähnen. Allerdings enthält Artikel 50 des Vertrags von Lissabon erstmals eine ausdrückliche Austritt-Klausel, die es einem Mitgliedsland gestattet, die EU einvernehmlich zu verlassen oder – nach Einhaltung einer zweijährigen Karenzzeit – den einseitigen Austritt zu erklären, ohne dafür die Zustimmung der übrigen Mitgliedsstaaten einholen zu müssen. Diese Exit-Option bezieht sich allerdings nur auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, mit der dann zugleich auch die Mitgliedschaft in der Währungsunion erlischt; umgekehrt erlaubt es Artikel 50 des Lissabon-Vertrags einem Land nicht, einseitig allein die Europäische Währungsunion zu verlassen, aber weiterhin Mitglied in der Europäischen Union zu bleiben. Insofern wäre auch der Grexit nur bei gleichzeitigem Austritt Griechenlands aus der EU möglich.

Was bedeutete der Bruch von Gemeinschaftsrecht?

Natürlich könnte Griechenland unter Bruch des Gemeinschaftsrechts die Währungsunion verlassen und die Drachme im Alleingang wieder einführen; die übrigen Mitgliedsländer hätten auch in diesem Fall keine rechtliche Handhabe, Griechenland als „Vergeltung“ zwangsweise aus der EU auszuschließen. Allerdings könnten sie in Reaktion auf eine einseitige „Drachmisierung“ Griechenlands eine Reihe von spürbaren Sanktionen verhängen. Beispielsweise erlaubt Artikel 7 EU-Vertrag es dem Europäischen Rat, bei Gefahr einer `schwerwiegenden Verletzung´ der in Artikel 2 EU-V genannten Werte durch einen Mitgliedstaat, dessen Stimmrechte im Europäischen Rat zu suspendieren. Darüber hinaus können die übrigen Mitgliedsländer einen indirekten Ausschluss eines rechtsbrechenden Landes herbeiführen und vermehrt das Instrument der „verstärkten Zusammenarbeit“ nutzen, das eine Kooperation einer Teilmenge der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erlaubt (Athannassiou 2009).

Damit sind die Möglichkeiten der EU eher beschränkt, ein rechtbrechendes Mitgliedsland zu marginalisieren; dennoch bliebe dessen internationale Isolierung vermutlich nicht ohne Folgen, und es bleibt Spekulation, ob eine griechische Regierung dies tatsächlich riskieren würde.

Staatsschulden
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Wie glaubwürdig ist die griechische Grexit-Drohung?

Die Ankündigung des griechischen Finanzministers, die Eurozone zu verlassen, ist nur glaubwürdig, wenn Griechenland sich durch den Grexit im Vergleich zum Status quo nicht verschlechtern würde. Gegeben, dass kein Europarecht gebrochen wird, bedeutet der Grexit zugleich den Austritt aus der EU, mit den damit verbundenen umfangreichen Konsequenzen, wie der Verzicht auf Beihilfezahlungen aus Brüssel. Griechenland ist innerhalb der EU Nettotransferempfänger und erhielt beispielsweise im Jahre 2012 Zahlungen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro, die nach dem Grexit wegfielen. Darauf wird auch Herr Tsipras nur ungerne verzichten wollen.

Sollte Griechenland diesen Preis nicht zahlen wollen und in der EU verbleiben, müsste es mit den europäischen Partnern eine einvernehmliche Trennung herbeizuführen versuchen. Ein Weg hierbei wäre möglicherweise, dass die Mitgliedsländer einstimmig den Ausstieg Griechenlands aus der EU (und damit auch aus der EWU) beschließen und zugleich festlegen, dass Griechenland (nach Ablauf einer logischen Sekunde) sofort wieder in die EU, aber nicht in die EWU eintritt. Solch eine kooperative Lösung kommt aber nur zustande, wenn sich dadurch beide Seiten besserstellen können.

Dafür stehen die Chancen für Griechenland nicht schlecht, denn mit dem Übergang zur Drachme entfallen auch die Europäischen Sparauflagen. Diese sehen derzeit vor, dass Griechenland ohne Berücksichtigung der Zinsausgaben einen Primärüberschuss im Staatshaushalt in Höhe von 1,5% des BIP in 2014 (bzw. von 3,0% in 2015 und von 4,5 % in 2016) erzielen muss, um die öffentliche Schuldenlast nachhaltig zu reduzieren. Diese Vorgabe ist der Dorn im Auge der neuen griechischen Regierung, die versprochen hat, die mit der Troika vereinbarten Ausgabenkürzungen wieder zurückzunehmen. Diese Verpflichtung entfiele nach dem Austritt aus der Währungsunion.

Exposure
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Allerdings entfallen auch die Hilfsprogramme der europäischen Partner für Griechenland. Zudem wird sich die neue Drachme nach dem Austritt gegenüber dem Euro stark abwerten, wodurch griechische Produkte zwar an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, zugleich aber auch der Wert der griechischen Staatsverschuldung (die ja in Euro nominiert ist) in der neuen Drachme dramatisch zunähme. Um den erhöhten Schuldendienst in Inlandswährung leisten zu können, müsste Athen deshalb weiterhin einen Primärüberschuss erwirtschaften und Ausgabenkürzungen vornehmen, die den im Sparprogramm vorgegebenen Werten möglicherweise sehr nahe kommen. Damit sinkt die Attraktivität der Grexit-Option für Athen – es sei denn, die griechische Regierung verbindet den Austritt aus dem Euro-Währungsgebiet mit einem weiteren Schuldenschnitt. Dem würde Europa allerdings nur zustimmen, wenn die Kosten überschaubar blieben. Das ist aber nicht zu erwarten.

Was kostete der Grexit die Eurozone?

Die griechischen Staatsschulden betragen derzeit etwa 320 Mrd. Euro, nachdem sie infolge des ersten Schuldenschnitts zwischenzeitlich (von etwa 350 Mrd. Euro Ende 2011) auf unter 300 Mrd. Euro abgesunken waren (Abbildung 1). Davon halten private Gläubiger etwa 65 Mrd. Euro, wobei sich allerdings nur noch ein sehr kleiner Betrag im Besitz von europäischen Banken außerhalb Griechenlands befindet. Deshalb sind die Gefahren für die Finanzmarktstabilität in Europa eher gering, falls es zu einem weiteren Schuldenschnitt kommt. Dies verdeutlicht Tabelle 1, die das „Exposure“ großer europäischer Geschäftsbanken (ohne griechische Banken) gegenüber Griechenland in Euro zeigt. Es beträgt für alle Banken zusammen lediglich knapp 2 Mrd. Euro und ist – mit der Ausnahme niederländischer, zypriotischer und französischer Banken – zumeist vernachlässigbar gering. Insofern erscheint die Prognose von Finanzministers Varoufakis unbegründet, der Euro sei ein Kartenhaus, das ohne die griechische Karte in sich zusammenfällt.

Viel größer ist allerdings das Griechenland-Exposure der Mitgliedsländer der Eurozone und der Europäischen Zentralbank, die bei einem Schuldenschnitt beträchtliche Beträge verlieren könnten. Die Mitgliedsländer der Eurozone halten Forderungen an Griechenland im Wert von 195 Mrd. Euro, wovon der größte Teil (nämlich 142 Mrd. Euro) über die EFSF ausgereicht wird. Deren Kreditvergabekapazität ist damit bereits zu einem Drittel ausgeschöpft. Zwar beträgt die durchschnittliche Laufzeit dieser Kredite mehr als 30 Jahre; die Zinszahlungen sind für die kommenden zehn Jahre ausgesetzt, wobei allerdings Zinsen auf die gestundeten Zinszahlungen anfallen werden. Dennoch dürfte bei einem Schuldenschnitt die Kreditwürdigkeit der EFSF (und ihrer Nachfolgerin ESM) sinken und werden sich deren Refinanzierungskosten erhöhen. Zudem müssten die Finanzminister der Signatarstaaten des ESM-Vertrags ihrer Wählern nicht nur erklären, warum sie beträchtliche Haftungsrisiken eingegangen sind, sondern auch, warum sie dem Schuldenschnitt zustimmen und einwilligen, dass diese Risiken sich jetzt realisieren.

Wertpapierbestände
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Hinzu kommen die möglichen Verluste des Eurosystems, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzen. Die EZB hält erstens etwa 10% der ausstehenden griechischen Staatsschulden, die seit 2010 im Rahmen des Wertpapierankaufprogramms erworben wurden. Damit ist der Anteil griechischer Anleihen im Wertpapierportfolio des Eurosystems zwar noch moderat und wesentlich geringer als der Bestand an italienischen oder spanischen Staatsanleihen (Tabelle 2). Zusätzlich müssen aber Notkredite berücksichtigt werden, die im Rahmen der „Emergency Liquidity Assistance“ von der Bank of Greece an griechische Geschäftsbanken vergebenen werden und deren Volumen derzeit auf maximal 65 Mrd. Euro begrenzt ist. Die Haftung hierfür liegt zwar allein bei der griechischen Notenbank, deren Rücklagen aber nur wenige Milliarden Euro betragen, sodass letztlich das Eurosystem einspringen muss. Schließlich halten die Nationalen Zentralbanken im Rahmen des Target-Systems beträchtliche Forderungen gegenüber der Bank of Greece, die im Dezember 2014 knapp 50 Mrd. Euro betrugen.

Verlässt Griechenland die Währungsunion, wäre das Eurosystem gezwungen, auf einen wesentlichen Teil dieser Forderungen zu verzichten, die zusammen mehr als 100 Mrd. Euro ausmachen und sein Grundkapital erheblich überschreiten, das mit den in der Vergangenheit gebildeten Rücklagen Ende 2014 lediglich ca. 95 Mrd. Euro umfasste. Zwar wird die Verlusttragfähigkeit des Eurosystems durch den sog. „Ausgleichsposten für Neubewertungen“ erhöht, der bislang nicht realisierte Gewinne aus der Haltung von Gold und Devisenreserven enthält und derzeit 330 Mrd. Euro beträgt. Dennoch sind bei einem Grexit beträchtliche Wertberichtigungen vorzunehmen, die die Unabhängigkeit des Eurosystems gefährden, sollten Kapitalerhöhungen durch die Mitgliedsländer erforderlich werden. Deshalb wird auch die EZB kaum bereit sein, einem Grexit zuzustimmen, der ihren Handlungsspielraum nachhaltig beeinträchtigt.

Fazit

Damit erscheint aus Sicht der vorstehenden Überlegungen die Ankündigung von Finanzminister Varoufakis, einseitig einen Grexit herbeizuführen, als kaum glaubwürdig, weil der einseitige Austritt Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung dem Land mehr schadete als nützt. Auch dürften die europäischen Finanzmärkte nicht, wie von Herrn Varoufakis behauptet, ohne die griechische Karte wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Auch bei einer kooperativen Lösung wird der Grexit kaum realisiert werden, weil es dann zu einem erneuten Schuldenschnitt käme, den keine Seite politisch tragen will. Deshalb: Griechenland wird wohl im Euroraum verbleiben – und Europa wird weiter zahlen.

Literatur

Athanassiou, P. (2009): Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU. Some Reflections, European Central Bank, Legal Working Paper Series No. 10 Frankfurt/Main.

 

Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:

Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer

Dieter Smeets: Poker um Griechenland

Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.

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