“Politicians use research findings the way a drunk uses a lamppost: for support, not for illumination.“ (Jared Bernstein)
Politiker lassen sich nicht mit normalen Maßstäben messen. Der Wortbruch gehört zum Tagesgeschäft. Politiker handeln nach dem Adenauer’schen Prinzip: Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern. Gesten noch markierte die Regierung Tsipras rote Linien in den Verhandlungen mit der Euro-Gruppe. Eine war, mit der traditionellen Rettungspolitik radikal zu brechen. Die Troika sollte wie ein Hund vom griechischen Hof gejagt werden. Heute ist in dem Brief des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis an die Euro-Gruppe eine enge Zusammenarbeit mit der Troika, die nun unter „die Institutionen“ firmiert, kein Problem mehr. Sie gilt allerdings nur für die beantragte sechsmonatige Phase der Verlängerung.
Noch einfallsreicher agiert die griechische Regierung bei der verlangten Korrektur der verhassten Sparpolitik. Sie will weiter Primärüberschüsse erwirtschaften. Allerdings äußert sie sich nicht, wie hoch sie ausfallen sollten. Die Verträge sehen 4,5 % ab dem Jahr 2016 vor. Giannis Varoufakis hat mehrfach verlauten lassen, dass 1,5 % des BIP völlig ausreichen. Bei einer Belastung durch die Zinszahlungen in Höhe von 4,3 % bedeutet dies, jährliche staatliche Haushaltsdefizite von 2,8 %. Damit würden die griechischen Staatsschulden weiter wachsen. Die staatlichen Haushalte würden nicht konsolidiert. Allerdings könnten die Sparanstrengungen vermindert werden. Ein zentrales Wahlversprechen wäre leichter erfüllbar.
In dem Brief an die Euro-Gruppe verspricht der griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis, dass griechische Alleingänge unterbleiben, die den staatlichen Haushalt ins Defizit treiben. Die staatlichen Aktivitäten der Regierung müssen voll gegenfinanziert sein. Maßnahmen sollen unterbleiben, die Haushaltsziele, wirtschaftliche Erholung und Finanzstabilität untergraben. Das hört sich gut an. Damit ist aber eine defizitfinanzierte Ausgabenpolitik weiter möglich. Die staatsgläubigen nachfragefixierten neo-marxistischen Keynesianer der Tsipras-Regierung glauben nämlich, dass deficit spending die Wirtschaft stabilisiert. Auf Pump finanzierte ausgabenintensive Wahlgeschenke würden sich selbst finanzieren, die verhassten Sparprogramme könnten dezimiert werden.
Trickreich sind auch die Forderungen, die an die EZB gestellt werden. Sie soll wieder griechische Staatspapiere als Sicherheiten akzeptieren. Das wäre nach den Regeln der EZB möglich, wenn alle Bedingungen der Hilfsprogramme der Troika erfüllt sind. Die Regierung Tsipras will aber nicht alle vereinbarten Reformen erfüllen, nach Aussage von Varoufakis allenfalls 70 %. Kein Wunder, dass sie nicht beantragt hat, das Memorandum zu verlängern, in dem die Forderungen der Gläubiger formuliert sind. Brächte man die Euro-Gruppe dazu, die Abstriche bei Reformen zu akzeptieren, wäre auch die EZB unter Druck, griechische Staatspapiere wieder als Pfänder zu akzeptieren. Die ab März geplante hyper-expansive monetäre Fiskalpolitik der EZB in Höhe von 1,14 Billionen Euro gälte auch für Griechenland.
Schließlich hat die Regierung Tsipras ihr Vorhaben noch lange nicht aufgegeben, künftig einen weiteren Schuldenschnitt herbeizuführen. Sie will mit der Troika („den Institutionen“) über die Erleichterungen verhandeln, die ihnen von der Euro-Gruppe schon im Jahre 2012 in Aussicht gestellt wurden. Darüber sind die Euro-Länder offensichtlich bereit zu verhandeln. Auch die EU-Kommission steht dem positiv gegenüber, obwohl sie kein Verhandlungsmandat hat. Ein erhellender offener Schuldenschnitt kommt allerdings für die Politik wohl eher nicht in Frage. Einen verdeckten über noch niedrigere Zinsen und noch längere Laufzeiten können sich inzwischen wohl die meisten Gläubigerländer und auch die immer wieder ungefragt dazwischenquatschende EU-Kommission vorstellen. Das bringt allerdings Griechenland gegenwärtig keine wirkliche Entlastung.
Mit dem Brief des griechischen Finanzministers hat Griechenland den Ball wieder ins Spielfeld der Euro-Gruppe zurückgespielt. Und schon sind einige Mitgliedsländer, wie etwa Italien und auch Frankreich, offensichtlich bereit, auf das camouflierende griechische Angebot („Geld ohne Reformen“) einzugehen. Wolfgang Schäuble hat allerdings das listenreiche griechische Spiel durchschaut. Er hat die griechischen Forderungen ohne viel Federlesens sofort brüsk abgelehnt. Die Griechen haben prompt darauf reagiert. Sie wollen wieder „hardball“ spielen und haben verlauten lassen: Vogel friss oder stirb. Es wird interessant sein zu beobachten, wie Deutschland auf die neue Situation reagiert. Die GroKo ist gespalten, Sigmar Gabriel tanzt aus der Reihe. Auch in der Euro-Gruppe steht Griechenland wohl nicht mehr allein.
Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:
Uwe Vollmer: Scheidung auf griechisch. Wie realistisch ist der „Grexit“?
Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer
Dieter Smeets: Poker um Griechenland
Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?
Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.
„Giannis Varoufakis hat mehrfach verlauten lassen, dass 1,5 % des BIP völlig ausreichen. Bei einer Belastung durch die Zinszahlungen in Höhe von 4,3 % bedeutet dies, jährliche staatliche Haushaltsdefizite von 2,8 %.“
Primärüberschuss bedeutet, dass die Schulden schon bezahlt sind. Somit ergibt sich ein Haushaltsüberschuss von 1,5%. Außerdem liegt die Zinslast, meines Wissens, bei nur 2,X%.
@Felixxx
Nein, der Primärüberschuss des Staates umfasst KEINE Zinszahlungen. Im Prinzip ergibt sich die Frage, wie stünden der Staat da, wenn er keine Schulden hätte / Zinsen zahlen müsste. Was wäre denn sonst ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen Primärsaldo und des allgemeinen Saldos / Neuverschuldung?
Checken Sie mal bspw. die Daten des IMF zu diesem Thema. Die Aussagen von Herrn Berthold sind meines Wissens nach richtig.
Sie haben vollkommen recht Herr Oso. Ich nehme den peinlichen Zwischenruf zurück.
Die Troika kehrt nach Athen zurück
Die Eurogruppe will nach Informationen der Sonntagszeitung in ihrer Sitzung am kommenden Montag beschließen, dass die sogenannten Institutionen – die vormalige Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission – noch in der neuen Woche nach Athen zurückkehren, um die Bücher der griechischen Regierung zu prüfen. Ein solcher Schritt sei unumgänglich, um festzustellen, wie liquide die Regierung noch sei, hieß es von europäischen Diplomaten.
Das EZB-Direktoriumsmitglied Benoît CÅ“uré sagte: „Wir stehen bereit, unsere Fachleute nach Athen zu senden, um die Zahlen und Probleme sofort anzuschauen. Wir wünschen uns, dass die griechische Regierung diesem Plan am Montag zustimmt.“ Für den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras wäre ein solcher Beschluss ein neuer Tiefschlag; er hatte sich immer gegen eine Rückkehr der Troika gewehrt.
Lisa Nienhaus und Thomas Gutschker, EZB will Tsipras nicht noch mehr Geld verschaffen, in: FAZ vom 7. März 2015