„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ (Chinesisches Sprichwort)
Die Globalisierung steht in der Kritik, wieder einmal. Gegner machen sie für fast alle Übel dieser Welt verantwortlich. Das Sündenregister sei lang: Wachsende Armut, steigende Arbeitslosigkeit, stagnierender Wohlstand, massive Ungleichheit, plutokratische Demokratien und unfähige Politiker. Das alles und noch viel mehr gehe auf das Konto weltweit offener Güter- und Faktormärkte. Der Traum vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) scheint ausgeträumt. Tatsächlich droht der Globalisierung politisches Ungemach. Vielleicht hatte Mark Twain doch recht als er anmerkte, Geschichte wiederhole sich zwar nicht, aber sie reime sich. Populistische Tendenzen ruinierten schon die 1. Globalisierung im letzten Jahrhundert. Sie legten die Saat für Intervention und Protektionismus. Die beiden Weltkriege zerstörten nicht nur offene Märkte. Auch heute haben populistische Parteien überall wieder Oberwasser. Sie agitieren von links und rechts gegen offene Märkte und die Wutbürger bekunden Sympathie. Die Doha-Runde tritt seit Jahren auf der Stelle. Der Kampf gegen TTIP ist ein Massenphänomen. Die Ur-Angst vor dem Fremden der Fremden gebiert Initiativen gegen Zuwanderung. Droht ein Ende der 2. Globalisierung?
Strukturelle Verlierer
Eines muss man den Gegnern offener Märkte lassen. Sie haben es geschafft, die Globalisierung zum Sündenbock für Fehlentwicklungen zu stilisieren. Vieles was wirtschaftlich schiefläuft, wird offenen Märkten angelastet. Das erstaunt. Schließlich ist sich die zerstrittene Zunft der Ökonomen seit langem über eines einig: Weltweit offene Märkte stellen alle beteiligten Länder besser. Weltweiter Handel und internationale Migration erhöhen den Wohlstand aller Nationen. Tatsächlich hat es die Globalisierung geschafft, die externe Konvergenz zu beschleunigen (hier). Die weltweite Ungleichheit des Wohlstandes ist gesunken. Es gibt aber auch ein Unbehagen an der Globalisierung. Offene Märkte produzieren in den Ländern nicht nur Gewinner. Der durch die Globalisierung beschleunigte strukturelle Wandel schafft auch Verlierer. Und noch etwas provoziert Kritik. Weltweit offene Märkte erhöhen die Ungleichheit in den Ländern. Die Einkommen verteilen sich ungleicher. Externe Konvergenz und interne Divergenz sind zwei Seiten derselben Medaille. Schließlich beschneidet die Globalisierung die nationale Souveränität. Das gilt nicht nur ökonomisch, es trifft auch für politische Entscheidungen zu. Einige Kritiker vermuten ein „race-to-the-bottom“ bei Sozial- und Umweltstandards. Andere spekulieren, dass die Demokratie ausgehöhlt wird.
Die Globalisierung ist ein wirksames Medikament gegen wirtschaftliche Stagnation. Sie ist aber nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Der Prozess der schöpferischen Zerstörung des strukturellen Wandels erhöht die Anforderungen an nationale Arbeitsmärkte. Die Ungleichheit der Einkommen erfordert effizientere Instrumente des Nationalstaates, Armut zu verringern und Chancengleichheit zu erhöhen. Weltweit offenere Märkte kleben an die nationalen Sozial- und Umweltstandards sichtbare Preisschilder. Sie zeigen an, höhere Standards sind nicht umsonst. Die realen „Welten des Kapitalismus“ zeigen aber, nationale Souveränität ist weiter möglich. Diese Risiken und Nebenwirkungen können allerdings nicht erklären, weshalb populistische Umtriebe zugenommen haben. Der Prozess der De-Industrialisierung läuft schon lange. Viele Länder haben das Schlimmste schon hinter sich. Deutschland ist eine Ausnahme (hier). Auch die Welle wachsender (Markt-)Ungleichheit hat ihren Scheitelpunkt überschritten. In kontinentalen und nordischen Ländern hat staatliche Umverteilung der Ungleichheit von Anfang an die Spitze genommen. Schließlich zeigen neuere empirische Untersuchungen (hier), dass weltweit offene (Güter-)Märkte bei sozialen Standards ein „race-to-the-top“ ausgelöst haben. Der akut wachsende Populismus kann kaum durch diese Risiken und Nebenwirkungen der Globalisierung erklärt werden.
Grottenschlechte Politik
Die Wähler begehren auf, vor allem in Europa, aber auch in den USA. Es sind nicht mehr nur die unteren Einkommensschichten, die sich politisch von den traditionellen Parteien abwenden. Wutbürger suchen in Scharen eine neue politische Heimat. Dazu zählen immer öfter auch Wähler aus der Mittelschicht. Tektonische Verwerfungen krempeln die politische Landschaft um. Eine wachsende Zahl von Wählern entscheidet sich für Populisten am äußerst linken und rechten Rand des Parteienspektrums. Diese Parteien sind mehr als Eintagsfliegen. Trotz ihrer ideologischen Unterschiede eint sie eines: Sie pflegen ihre abgrundtiefe Abneigung gegen offene Märkte. Ein Grund für dieses Misstrauen in die Märkte ist die wachsende Angst vor der Zukunft. Getrieben wird sie von einem seit längerem rückläufigen wirtschaftlichen Wachstum. Breite Schichten der Bevölkerung bangen um die eigene bessere Zukunft und die ihrer Kinder. Ursache ist allerdings nicht die Globalisierung. Der wichtigste Treiber des Wachstums, die Produktivität, lahmt seit längerem (hier). Die Rate des technischen Fortschritts schwächt sich ab. Das ist die „neue Normalität“. Die Gründe liegen noch weitgehend im Dunkeln. Weltweit offene Märkte sind allerdings nicht die Bösewichte, ganz im Gegenteil. Mehr Wettbewerb macht der Innovation eher Beine.
Eine breite Mehrheit der Bevölkerung ist der Meinung, dass es die Märkte nicht können und die Politik es richten muss. Sie sollte, gestützt auf die Expertise von Experten, das wirtschaftliche Wachstum wieder auf Vordermann bringen. Diese Erwartung erhielt mit der Finanz- und Euro-Krise einen schweren Dämpfer. Die Finanzkrise hat das Vertrauen in Experten des ökonomischen Mainstreams erschüttert. Der Chicago-Ökonom Luigi Zingales hat es auf den Punkt gebracht (hier). Die Wissenschaft habe in der Vergangenheit viel zu oft die gesamte Finanzbranche verteidigt. Über die schädlichen Praktiken sei häufig hinweggesehen worden. Die Euro-Krise hat aber auch die Glaubwürdigkeit politischer Institutionen beschädigt. Regeln gelten in der EU nichts. Es gilt das gebrochene Wort. Die Politik hat die vereinbarten Regeln der EWU souverän außer Kraft gesetzt. Verschuldungsregeln werden missachtet, eine Haftungsgemeinschaft wurde installiert. Eine enthemmte EZB beschreitet den Weg der monetären Staatsfinanzierung. Auch in der Flüchtlingskrise waren die vereinbarten Regeln von Dublin und Schengen das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben wurden (hier). Die Politik war nicht in der Lage, tragfähige Lösungen zu finden. Lasten wurden in die Türkei „outgesourced“, Solidarität ist in der EU ein Fremdwort. So zerstört man das Vertrauen in die Politik. Populistische Parteien gewinnen, weil gesellschaftliche Eliten an Vertrauen verloren haben. Mit Globalisierung hat das wenig zu tun.
Internationale Mobilität
Auch wenn grottenschlechte Politik die populistische Bewegung treibt, sind offene Märkte noch nicht aus dem Schneider. Eine zentrale Rolle spielen international mobile Faktoren. Mobiles Kapital und mobile Arbeit haben schon immer Widerstand bei breiten Schichten der Bevölkerung ausgelöst. Die vielen Finanzkrisen wurden zwar meist durch reale Fehlentwicklungen aufs Gleis gesetzt. International mobiles Kapital zündete aber oft den Funken, der die Krise gezündet hat. Es ist Ökonomen nicht unbekannt, dass mobiles Kapital finanzielle Instabilitäten verstärken kann. Davon zeugt das altbekannte währungspolitische Trilemma (hier). Die Finanzkrise hat die Abneigung in der Bevölkerung gegen internationale Kapitalströme weiter verstärkt. Gegenwärtig steht allerdings vor allem die international mobile Arbeit im Zentrum der Kritik populistischer Parteien. Große Migrationsströme nach Europa haben in den letzten Jahren das Fass zum Überlaufen gebracht. In vielen Einwanderungsländern geht die Angst um, dass die massenhafte Zuwanderung den Interessen der Einheimischen schadet. Die Inländer sind nicht nur in Sorge um ihre Arbeitsplätze. Sie fürchten auch, dass sie finanziell belastet werden, wenn Migranten in ihre demographisch gebeutelten, unterfinanzierten Systeme der Sozialen Sicherung einwandern.
Das ökonomische Urteil über Migration ist eindeutig: Es erhöht den Wohlstand aller beteiligten Länder. Aber wie bei internationalem Handel gibt es auch in diesem Falle in den Ländern nicht nur Gewinner. Einige verlieren auch, zumindest in der kurzen Frist. Einwanderer konkurrieren wegen fehlender Sprachkenntnisse und nationaler Qualifikationen eher mit den bereits im Land lebenden Migranten. Lohn- und Beschäftigungseffekte fallen für Einheimische marginal aus. Das gilt selbst meist dann, wenn Migranten eine Beschäftigung finden (hier). Es trifft umso mehr zu, wenn ausländische Arbeitnehmer in den Sozialstaat zuwandern. Der eigentliche Auftrieb für populistische Parteien kommt aber nicht aus diesen ökonomischen Effekten der Zuwanderung. Migration stößt in der Bevölkerung oft auch deshalb auf Widerstand, weil nicht nur Produktionsfaktoren einwandern, sondern fremde Menschen ins Land kommen. Mit ihnen wächst die Vielfalt an Kulturen, Traditionen und Verhalten. Es ist aus der soziologischen Forschung bekannt, dass das gegenseitige Vertrauen (Sozialkapital) in einer Gesellschaft abnimmt, wenn die ethnische und kulturelle Diversität ansteigt und zeitgleich ein Austausch zwischen den einzelnen Gruppen faktisch nicht existiert. Die Einheimischen befürchten den Verlust einer vermeintlichen bzw. gefühlten nationalen Identität. Das gilt weltweit. Feindseligkeiten gedeihen. Die Zuwanderer werden zu Sündenböcken für alle möglichen gesellschaftlichen und politischen Fehlentwicklungen. Der Widerstand gegen Zuwanderung nimmt zu. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität ist der Humus, auf dem populistische Parteien gedeihen.
Soziale Marktwirtschaft
Eine Welt abgeschotteter Märkte ist unfrei, arm und feindselig. Weltweit offenere Märkte sind unerlässlich, protektionistische Tendenzen schädlich. Die Politik sollte alles tun, den ins Stocken geratenen Prozess der Globalisierung wieder in Gang zu bringen. Multilaterale Lösungen sind regionalen und mega-regionalen Vereinbarungen vorzuziehen. Ein Abschluss der Doha-Runde wäre eindeutig der beste Schritt auf dem Weg zu weltweit offeneren Märkten. Mega-Regionals, wie TTP, TTIP oder CETA, sind ein zweischneidiges Schwert. Freihandelsabkommen zwischen reichen Ländern oder Ländergruppen bringen den Beteiligten zweifellos Vorteile. Sie behindern aber den Abschluss multilateraler Abkommen. Diese sind aber notwendig, damit auch weniger entwickelte Länder in den Genuss offener Märkte kommen. Ärmere Länder stärker in die internationale Arbeitsteilung einzubinden, wäre aber dringend notwendig. Ein höherer Wohlstand, mehr Freiheit und nachhaltiger Frieden würde ihnen gut tun. Aber auch die reichen Länder würden profitieren. Nicht nur Handelsgewinne würden zu Buche schlagen. Auch die Fluchtursachen könnten verringert werden. Die punktuell massenhafte Einwanderung in reiche Länder würde entschärft. Populistischen Parteien würde ein wichtiges Thema entzogen.
Es kann aber nicht nur darum gehen, effiziente Regeln für weltweit offene Märkte zu vereinbaren. Man muss sie auch einhalten. Das gilt nicht nur weltweit, es trifft auch für regionale Integrationsräume, wie die EU zu. Nur wenn sich die Politik in der EU wieder regeltreu verhält, lässt sich populistischen Parteien das Wasser abgraben. Viel Hoffnung habe ich allerdings bei der miserablen Qualität der europäischen Politik nicht. Und noch etwas ist unerlässlich. Den Verlierern im Prozess der Globalisierung muss wirksam geholfen werden. Dabei geht es zunächst einmal darum, Menschen in akuten Notlagen materiell zu unterstützen. Ein anreizkompatibler Kampf gegen Armut ist unerlässlich (hier). Viel wichtiger ist allerdings, die Menschen in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen. Das ist am ehesten möglich, wenn es gelingt, die soziale Mobilität zu erhöhen. Verstärkte Investitionen in Humankapital sind das „A und O“. Dazu ist dreierlei notwendig: Stabile Familien, bessere Schulen und flexiblere Arbeitsmärkte (hier). Es scheint als hätten die nordischen Länder diese Aufgabe besser gelöst als andere. Sie kombinieren mehr wirtschaftliche Freiheit (offenere Güter- und Faktormärkte) mit einem Sozialstaat, der weniger direkt als vielmehr indirekt über Investitionen in Humankapital umverteilt. Das ist effizienter und gerechter. Vielleicht ist das die moderne Form der sozialen Marktwirtschaft.
Fazit
Um weltweit offene Märkte ist es nicht gut bestellt. Der Prozess der Globalisierung stockt seit einiger Zeit. Die Feinde offener Märkte haben Oberwasser. Risiken werden überbetont, Chancen kleingeredet. Populistische Parteien auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums haben mächtig Zulauf. Das alles tut weder der Ökonomie noch der Demokratie gut. Interventionismus und Protektionismus sind wieder hoffähig. Internationaler Handel wird behindert, mobiles Kapital steuerlich diskriminiert, Arbeit an Ländergrenzen aufgehalten. Die Politik stellt sich dämlich an, vor allem in der EU. Dort gelten Vereinbarungen wenig. Regeln werden ohne viel Federlesens gebrochen. Die eigentlichen Probleme werden nicht gelöst. Sie werden als „Schwarzer Peter“ weiter gegeben und an runden Tischen auf die lange Bank geschoben. Das alles zerstört das Vertrauen in traditionelle Parteien. Noch ist aber die 2. Globalisierung nicht Geschichte. Sie fängt zuhause an. Wettbewerbliche Güter- und Dienstleistungsmärkte, flexiblere Arbeitsmärkte und funktionierende Kapitalmärkte wären das Gebot der Stunde. Umfassende Strukturreformen und solide Haushalte wären die Mittel. Davon ist allerdings nirgends viel zu sehen, vor allem in Europa nicht. Das sind keine guten Aussichten für Europa und die Globalisierung.
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Eine Antwort auf „Populisten und Globalisierung
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