Griechenland (2)
Sie kamen, sahen und verloren
Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

„Was immer die Deutschen sagen, sie werden zahlen“ (Giannis Varoufakis, griechischer Finanzminister)

„Die Strategie von Giannis Varoufakis scheint zu sein, sich eine Pistole an den Kopf zu halten – und dann Lösegeld dafür zu verlangen, dass er nicht abdrückt.“ (Anatole Kaletsky, britischer Ökonom)

Der erste Auftritt des neuen griechischen Finanzministers auf dem internationalen Parkett war bühnenreif. Giannis Varoufakis teilte dem sichtlich verdutzten Jereon Dijsselbloem, dem Chef der Eurogruppe, auf einer Pressekonferenz am 30. Januar 2015 in Athen mit, dass die Troika in Griechenland ab sofort nichts mehr verloren habe. Die neue griechische Extremisten-Regierung akzeptiere die von der Vorgänger-Regierung getroffenen Vereinbarungen mit der EU, der EZB und dem IWF nicht weiter. Der Deal „Geld gegen Reformen“ gelte ab sofort nicht mehr. Die in Griechenland verhasste Politik der Austerität und der Strukturreformen komme nicht weiter in Frage. Er forderte nichts weniger als einen satten Schuldenschnitt. Schließlich habe man dies alles den griechischen Wählern versprochen. Und man sei gewillt, die Wahlversprechen einzuhalten. Europa habe die Wahl: „Geld oder Grexit.“

Griechische Kamikaze-Politik

Die griechische Regierung geht offensichtlich aufs Ganze. Ihre Forderungen sind eindeutig: Abkehr von der Sparpolitik, Ende der Strukturreformen und weitgehender Erlass der aufgelaufenen staatlichen Schulden. Auch die ersten Taten zeugen von wilder Entschlossenheit: Wiedereinstellung von 10.000 entlassenen Staatsdienern, Stopp weiterer Privatisierungen, Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes. Klarer kann die Abkehr von der bisherigen Rettungspolitik nicht sein. Auch auf den mit der Troika vereinbarten Überschuss beim Primärsaldo von 4,5 % des BIP pfeift die Regierung Tsipras. Ihrer Meinung reichen 1,5 % aus, um die (hoch subventionierten) Zinsen auf die griechische Staatsschuld zu begleichen. An eine Rückzahlung der Schulden wird nicht im Ernst gedacht. Staatspapiere sollen in ewig laufende Anleihen umgewandelt werden.

Diese Politik der griechischen Regierung ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Das Kalkül „Fremdes Geld ohne eigene Reformen“ dürfte nicht aufgehen. Nicht nur das in Athen verhasste Deutschland ist einer der Hauptgläubiger. Auch Frankreich und Italien haben erhebliche Beträge im Feuer. Ganz zu schweigen von den vielen kleineren europäischen Gläubigern, die wirtschaftlich selbst nicht auf Rosen gebettet sind. Noch etwas ist anders als zu Beginn der Euro-Krise. Die erfolgreicheren Programmländer Irland, Portugal und Spanien kämen sich blöd vor, wenn das unverschämte griechische Verhalten von Erfolg gekrönt wäre. Schließlich ist das Erpressungspotential der Griechen erheblich geschrumpft. Griechenland war – trotz gegenteiliger Behauptungen – zwar nie wirklich systemrelevant, heute kann es aber noch weniger Schaden anrichten als früher. Ein Grexit schreckt die Anderen nicht mehr, zumindest tun sie so.

Das griechische Spiel des „Alles oder Nichts“ ist tolldreist. Nur wenn die Regierung Tsipras die Partner in der EWU, den IWF und die EZB in die Knie zwingt, kann sie die vollmundigen Wahlversprechen mit dem Geld der Anderen finanzieren. Das rotzige Verhalten von Giannis Varoufakis wäre tatsächlich erfolgreich. Frechheit hätte wieder einmal gesiegt. Die ersten politischen Reaktionen in Rom, Paris und Berlin zeigen allerdings (noch) etwas anderes. In Stein gemeiselt sind sie aber nicht. Auch die EZB sendet eindeutige Warnsignale, wenn sie verkündet, griechische Staatspapiere nicht mehr als werthaltige Sicherheit zu akzeptieren. Wolfgang Schäuble hat den griechischen Finanzminister auf das zurückgestutzt was er ist: Ein griechischer Politiker, der auf die finanzielle Hilfe der anderen europäischen Staaten dringender denn je angewiesen ist. Diese Realität lassen sich auch mit der Spieltheorie nicht aus der Welt schaffen.

Des Pudels Kern

Man kann über vieles streiten, nicht aber über die Ursachen der anhaltenden griechischen Malaise, wirtschaftlich und politisch. Das Land hat unter den Augen der anderen Mitglieder der EWU und der EZB lange schamlos über seine Verhältnisse gelebt. Die staatliche Verschuldung sprengte alle fiskalischen Maastrichter Grenzen der EWU. Der staatliche (Sozial-)Konsum war übermäßig, staatliche Investitionen wurden in den Sand gesetzt. Dazu kommt eine griechische Wettbewerbsfähigkeit, die seit langem mangelhaft ist. Löhne und Tarife enteilten der Produktivität im Sauseschritt. Wachsende Defizite in der Leistungsbilanz waren unvermeidlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die internationalen privaten Kapitalgeber die Zwillings-Defizite im Staatshaushalt und der Leistungsbilanz nicht mehr zu erschwinglichen Konditionen finanzieren würden. So kam es auch.

Sollen die finanziellen Hilfen der staatlichen Kapitalgeber nicht in einem schwarzen Loch verschwinden, muss Griechenland die selbstverschuldeten Ursachen des wirtschaftlichen und politischen Schlamassels in den Griff bekommen. Es muss sein eigenes Haus wieder in Ordnung bringen. Da helfen nur eine nachhaltig strikte Sparpolitik, die das Haushaltsdefizit verringert, und rigorose Strukturreformen, die mit dazu beitragen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wer eine (Wunder-)Heilung ohne Schmerzen verspricht, betreibt Dummenfang. Das eigentliche Problem der Rettungspolitik besteht darin, dass die griechische Politik und deren Wähler in den geforderten Reformen ein Diktat ausländischer Kapitalgeber sehen. Tatsächlich hilft aber eine rigorose Politik der „guten“ Austerität und der Strukturreformen beiden, Schuldnern und Gläubigern.

Das sieht die griechische Regierung ganz anders. Ihr geht die ganze Philosophie der Rettungspolitik gegen den Strich. Die Vorstellung, dass finanzielle Hilfe der Andren eine Hilfe zur Selbsthilfe sein sollte, ist ihr zutiefst zuwider. Sie will Leistungen der Anderen möglichst ohne eigene Gegenleistung. Es ist wahr, die Strategie „Geld gegen Reformen“ der „Retter“ des Euro ist gescheitert, zumindest in Griechenland. Der Grund liegt auf der Hand: Fiskalische und monetäre Hilfen der Staaten und der EZB haben das Reformtempo verschleppt. Griechenland hat die Zeit, die andere für es gekauft haben, nicht genutzt, es hat sie verschwendet. Das Phänomen ist nicht neu. In der Entwicklungspolitik weiß man seit langem, dass externe finanzielle Hilfe die begünstigten Länder oft schädigt, weil sie schlechtes Regierungshandeln fördert (Angus Deaton). Internationale finanzielle Hilfe produziert viel zu oft „moral hazard“ der Regierungen.

Politischer Kuhhandel?

Die Art der von der griechischen Regierung attackierten Rettungspolitik der EWU-Länder könnte ihr allerdings noch in die Karten spielen. Wären die griechischen Staatspapiere heute noch vorwiegend in privater Hand, würden die Kapitalmärkte die Blütenträume der „Handlung mit beschränkter Haftung“ der Regierung in Athen schnell platzen lassen. Die Vorstellung eines umfänglichen Schuldenschnitts, wie ihn die Regierung Tsipras fordert, wäre relativ schnell vom Tisch. Ansonsten wäre man von den internationalen Kapitalmärkten abrupt abgeschnitten und auf sich alleine angewiesen. Es wäre nicht mehr möglich, auf Kosten der Anderen zu leben. Eine Politik der glaubwürdigen Austerität und nachhaltige struktureller Reformen wären selbstverständlich. Der Handlungsspielraum der griechischen Regierung wäre relativ bescheiden.

Das ist anders, seit sich die toxischen griechischen Staatspapiere vorwiegend in den Händen des ESM und der EZB befinden. Auf politischen Märkten ist ein Kuhhandel leichter möglich als auf ökonomischen. Für die Politik in Europa ist der Euro nach wie vor alternativlos. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der EWU soll deshalb unter allen Umständen vermieden werden. Hier könnte noch was laufen, was einen weiteren Schuldenschnitt, dieses Mal der im ESM gehaltenen griechischen Staatspapiere angeht. Dagegen spricht allerdings, dass in den staatlichen Haushalten der Gläubigerstaaten offenkundig würde, dass die Rettungsaktionen viel Geld gekostet haben. Auch die deutsche schwarze Null, auf die Wolfgang Schäuble so stolz ist, wäre Makulatur. Und noch etwas spricht dagegen: Der Wunsch anderer hochverschuldeter Länder nach einem Schuldenschnitt.

Auch die EZB ist nicht daran interessiert, dass Griechenland aus der EWU ausscheidet. Ein solcher Schritt wäre möglicherweise auch für sie existenzbedrohend, wenn weitere Mitgliedsländer folgen würden. Ein Austritt Griechenlands ohne „Lehman-Moment“ wäre sicher ein solcher Fall. Die EZB ist in einem Dilemma. Klopft sie den Griechen nicht energisch auf die Finger, wird sie noch mehr zum fiskalischen Ausputzer in der EWU. Die Abhängigkeit von der Politik nimmt weiter zu. Zieht sie den monetären Stecker und finanziert den griechischen Schlendrian nicht weiter, treibt sie Griechenland aus dem Euro, wenn es sich nicht doch noch eines Besseren besinnt. Die Ankündigungen, keine griechischen Staatspapiere mehr zu kaufen, weil die Auflagen der Troika nicht mehr kontrolliert werden können, gleichzeitig aber die Notfallkreditlinie für Banken (ELA) auf 65 Mrd. Euro zu erhöhen, zeigen das Dilemma.

Schuldenschnitt und Grexit?

An einem möglichen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland scheiden sich die Geister. Hans-Werner Sinn, Kenneth Rogoff und Bernd Lucke fordern ihn. Jens Weidmann, Mario Draghi und Wolfgang Schäuble lehnen ihn ab. Alexis Tsipras beharrt auf ihn, Matteo Renzi sympathisiert mit ihm und Jean-Claude Junker schließt ihn nicht aus. Trotz des Widerstands der unbelehrbaren „Nordlichter“ und der erfolgreichen Programmländer der EWU gegen einen Schuldenschnitt beharrt die griechische Regierung weiter darauf. Sie spricht nun aber euphemistisch von einer Umstrukturierung der Staatsschulden. Tatsächlich arbeitet sie daran, einen Schuldenschnitt zu organisieren. Geht es nach der EU-Kommission, soll er aber verdeckt erfolgen. Noch geringere Zinsen, noch längere Laufzeiten und weitere Aufschübe bei der Schuldentilgung sind die Mittel.

Ein Schuldenschnitt, wie ihn die Regierung Tsipras anstrebt, hilft nicht wirklich. Olaf Sievert hat es in einem Beitrag in diesem Blog so ausgedrückt: „Griechenlands Problem sind nicht in erster Linie seine hohen Schulden, sondern die fortbestehenden Gründe, die zu seinen hohen Schulden geführt haben.“ Selbst bei einem radikalen Schuldenschnitt werden die Schulden nicht tragfähig, wenn Griechenland nicht weiter grundlegend strukturell reformiert. Noch einmal Olaf Sievert: „… weil eine nachhaltige Sicherung von Griechenlands Zukunft ja niemals von fremder Hilfe, sondern allein von der selbst zu schaffenden Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft erwartet werden kann.“ An dieser Bereitschaft der Griechen mangelt es. Die neue Regierung setzt auf staatliche Daseinsfürsorge und nicht auf „neoliberale“ Marktwirtschaft (Thomas Mayer).

Es gibt auch Ökonomen, die glauben, ein Schuldenschnitt könne helfen, wenn Griechenland aus der EWU austrete. Die Rückkehr zur Drachme führe zur Abwertung, erhöhe die Exporte und verringere die Importe. Das tue der wirtschaftlichen Entwicklung in Griechenland gut. Dieses Ergebnis tritt aber nur ein, wenn die Griechen bereit sind, realen Verzicht zu üben. Nur dann erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit. Sie müssen die inflationsgetriebenen realen Einbußen bei den Löhnen hinnehmen, die eine Abwertung mit sich bringt. Tun sie es nicht und verlangen einen Kaufkraftausgleich, bringt die Abwertung keine Besserung, nur die Inflation steigt. Ein Schuldenschnitt und eine eigene Währung helfen Griechenland nicht, wenn die Bereitschaft zu strukturellen Reformen fehlt. Ein Austritt kann allerdings für die Anderen von Vorteil sein, weil sie das griechische „Fass ohne Boden“ los sind.

Fazit

Fiskalische und monetäre Hilfen allein können Griechenland nicht retten. Mehr als eine Hilfe der „Retter“ zur Selbsthilfe ist unmöglich. Griechenland muss sich in erster Linie selbst helfen. Der Weg über noch mehr staatliche Daseinsfürsorge und ein weiteres Leben auf Pump ist ein lebensgefährlicher Holzweg. Eine anhaltend sparsame Haushaltspolitik und umfassende Strukturreformen sind alternativlos. Das setzt allerdings voraus, dass in Griechenland die Bereitschaft zu Reformen auch weiter vorhanden ist. Die Griechen müssen bereit sein, den Irrweg des schuldenfinanzieren „crony capitalism“ ein für alle Mal zu verlassen. Sind sie es nicht, ist der Ausstieg aus der EWU unausweichlich. Dann sind sie zwar ihre massiven Probleme noch immer nicht los. Sie müssen aber selbst schauen, wie sie aus dem Schlamassel heraus kommen. Ausländische Sündenböcke haben sie dann allerdings keine mehr. Die Regierung Tsipras wird nicht so dumm sein, diesen Weg zu gehen und den Euro aufzugeben.

20 Antworten auf „Griechenland (2)
Sie kamen, sahen und verloren
Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

  1. „Im Pokerturnier mit Deutschland und Europa ist Griechenland letztlich wieder genau da, wo es angefangen hat. Die neue Regierung hat ihre besten Karten zu früh hergezeigt und besitzt nicht genügend Glaubwürdigkeit, um einen Bluff versuchen zu können.“

    Anatole Kaletsky, Griechenland hat sich verzockt, in: Project Syndicate vom 9. Februar 2015

  2. „Einen Umtausch griechischer Staatsanleihen in solche Wachstumsobligationen könnten beide Parteien als Fortschritt verbuchen. Der griechische Finanzminister könnte verkünden, dass die Troika nun endlich auch an einem Wachstum Griechenlands interessiert sei. Und die Troika muss Griechenland keinen Schuldenerlass zugestehen, zeigt sich aber gleichzeitig kompromissbereit. Der Internationale Währungsfonds unterstützt schon seit langem die Idee von Anleihen, die an das Wachstum gekoppelt sind.“

    Anne-Barbara Luft, BIP-Anleihen sind anfällig für Manipulation, in: NZZ v. 13. Februar 2015

  3. „Ohne weitere Unterstützung der europäischen Partner droht dem hoch verschuldeten Land die Pleite und die Rückkehr zur Drachme. Der ehemalige Botschafter Deutschlands in Griechenland, Wolfgang Schultheiß, warnt vor diesem Schritt. Egal ob beim Abschied aus dem Euro-Raum oder bei Beibehaltung des Euro müsse das Land „grundlegende Reformen vornehmen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen“; im Falle eines „Grexit“ sei der Druck nur „erbarmungsloser, da er mitleidslosen wirtschaftlichen Gesetzen folgt“, so Schultheiß.“

    Tim Rahmann, Wenig Verständnis für Griechenland, in: WiWo v. 13. Februar 2015

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