Der Euro ist noch lange nicht über den Berg.
Ist Deutschland schuld?

“Economists exert a minor and scarcely detectable influence on the societies in which they live.“ (George Stigler)

Der Schlamassel in der Europäischen Währungsunion hält an. Noch ist der Euro nicht über den Berg. Die drei Krisenherde, die sich gegenseitig anstecken, glimmen weiter: Eine Reihe von Ländern in der EWU ist nach wie vor wenig wettbewerbsfähig, die Verschuldung ist fast überall weiter zu hoch, viele Banken sind noch immer unterkapitalisiert. Getrieben wird die Dreifach-Krise in der Eurozone von multiplem „moral hazard“ der Politiker, Wähler und Banker (hier). Sie nahm ihren Ausgang in der Peripherie, in den PIIGS. Das (deutsche) Zentrum und die EZB retteten die EWU vor dem Kollaps. Diese Deutung der Euro-Krise verliert aber an Bedeutung. Sie wird immer seltener in Politik und Medien vertreten. Viel öfter wird versucht, die Geschichte der Krise umzuschreiben. Nun ist die Peripherie das Opfer, vor allem Deutschland ist der Täter. „Deutschland-Bashing“ ist mittlerweile europaweit in Mode. Auch amerikanische Ökonomen, wie Alan Blinder und Paul Krugman, beteiligen sich an der Hexenjagd auf ein „irrlichterndes“ Deutschland.

Die Anklage

Die Anklage gegen Deutschland stützt sich im Wesentlichen auf drei Punkte: Es sei zu wettbewerbsfähig, zu wenig inflationär und viel zu sparsam. Nicht nur der Peripherie in der EWU sind die deutschen Überschüsse in der Leistungsbilanz ein Dorn im Auge (hier). Auch die USA missbilligen sie. Die Überschüsse bringe Deutschland mehr Einkommen und Beschäftigung, schade aber Ländern mit Defiziten in der Leistungsbilanz. Das gelte in der EWU vor allem für die Länder der Peripherie. Deren Wachstum leide, die hohe Arbeitslosigkeit steige weiter, die Spannungen in der EWU nähmen zu. Diese „Vampir-Ökonomie“ beruhe auf einer für alle schädlichen Politik des „beggar my neighbour“. Seit langem stiegen in Deutschland die Löhne langsamer als die Produktivität der Arbeit. Damit verschaffe sich Deutschland unerlaubte preisliche Wettbewerbsvorteile in Europa und der Welt. Zu den Leidtragenden zähle die Peripherie der Eurozone. Die EWU ließe sich nur retten, wenn Deutschland „teurer und schlechter“ werde.

Als weiterer Anklagepunkt gegen Deutschland wird vorgetragen, dass es nicht bereit sei, eine höhere Inflationsrate zu akzeptieren. Wer in der EWU seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit verloren hat, kann sie nur mit einer internen Abwertung wieder erlangen. Das Instrument der externen Abwertung steht nicht mehr zur Verfügung. Nach unten zu wenig flexible Nominallöhne blockieren allerdings diesen Mechanismus. Außer Irland hat es die Peripherie der Eurozone nicht geschafft, nachhaltig diesen Weg zu gehen. Deutschland könne helfen, wenn es eine signifikant höhere Inflationsrate als die weniger wettbewerbsfähigen Mitgliedsländer akzeptierte. Löhne, die stärker als die Produktivität stiegen, wären hilfreich. Eine große Hilfe wäre es auch, wenn Deutschland bereit wäre, eine Inflationsrate in der EWU oberhalb von 2 % zu akzeptieren. Das würde den Druck auf politisch nur schwer durchsetzbare weniger stark steigende oder sogar sinkende Nominallöhne in der europäischen Peripherie und anderswo verringern.

Schließlich wird Deutschland angeklagt, viel zu sparsam zu sein. Deutschland spare seit langem weit mehr als es im Inland investiere. Ein deutscher Exportüberschuss von Kapital und anhaltende Defizite in der Leistungsbilanz der Peripherie seien deshalb unausweichlich. Damit öffne Deutschland der „Vampir-Ökonomie“ aber Tür und Tor. Es sauge Anderen wichtige Arbeitsplätze ab. Höhere Löhne und mehr private und öffentliche Investitionen seien deshalb deutsche Pflicht. Die kaufkräftige Nachfrage in Deutschland stiege an. Über höhere Importe würde den Partnern in der EWU geholfen. Damit der Anklage aber nicht genug. Deutschland betreibe auch eine Politik der fortgesetzten Austerität. Es verletze zwar (gottseidank) die 60 % Schuldenstandsgrenze des Vertrags von Maastricht, halte aber (leider) die Defizitgrenze von 3 % ein. Eine „schwarze Null“ im Staatshaushalt sei kontraproduktiv. Der deutsche Staat gebe zu wenig aus. Er sei keine Lokomotive in der EWU. Damit schade Deutschland den Anderen und der EWU.

Die Verteidigung

Deutschland hat aus der persistent hohen Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung gelernt. Mit der „Agenda 2010“ wurden richtige Schritte zur strukturellen Reform der Arbeitsmärkte eingeleitet. Wichtiger war aber eine dezentralere, betriebsnähere Lohn- und Tarifpolitik, betriebliche Bündnisse für Arbeit. Beide Aktivitäten verbesserten die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Deutschland hat die Logik der EWU schneller verstanden als andere. Asymmetrische Schocks erfordern flexible relative Preise auf den Arbeitsmärkten (hier). Nur mit einer Strategie des „besser oder billiger“ kann man europaweit überleben. Die ökonomischen Gesetze des Wettbewerbs gelten aber auch weltweit. Deutsche Unternehmen überleben auf den Weltmärkten nur, wenn ihre Produkte besser oder billiger sind. Das ist keine merkantilistische „beggar my neighbour-Politik“. Sie folgt der Logik internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Wer sie schneller umsetzt, wird mit einem höheren Wohlstand belohnt. Die Überschüsse in der Leistungsbilanz wachsen allerdings nicht in den Himmel. Sie sind nur ein temporäres Phänomen.

Austerität 4
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Tatsächlich erwachsen die Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz kaum noch aus dem Handel mit den EWU-Ländern. Sie entstehen vor allem aus den wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Rest der Welt. Aber auch in einer Währungsunion sind „Ungleichgewichte“ in der Leistungsbilanz nicht in Stein gemeißelt, sie sind allenfalls temporär. Allerdings muss man die Marktkräfte auch wirken lassen. In Deutschland entfalten sie sich. Die Output-Lücke ist verschwunden, die Löhne wachsen seit einiger Zeit schneller als anderswo in der EWU. Über kurz oder lang werden auch die Güterpreise noch stärker steigen als im Rest der Eurozone. Es ist unbestritten: Deutschland wertet intern auf. In der Peripherie werden die Marktkräfte allerdings ausgebremst. Dort drückt zwar noch eine (kleine) Output-Lücke (hier) auf die Güterpreise und hilft den Ländern, wettbewerbsfähiger zu werden. Sie werten intern ab. Mit einer super-expansiven Geldpolitik versucht die EZB allerdings, diesen Kanal zu blockieren. Sie begründet ihre Politik mit der Angst vor europaweiter Deflation. Tatsächlich bürdet sie Deutschland damit eine noch größere Last der Anpassung auf.

Austerität 3
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Der Vorwurf an Deutschland, eine Politik der fortgesetzten Austerität zu betreiben, ist unbegründet. Die Staatsausgaben sind in Deutschland im Trend der letzten Jahrzehnte nicht gesunken, sie sind ständig weiter gestiegen. Sie haben mit der Entwicklung des Sozialproduktes weitgehend Schritt gehalten. Die Staatsquote hat sich seit Ausbruch der Eurokrise kaum verändert, von Austerität also keine Spur. Auch die Forderung, Deutschland solle sich stärker verschulden und mehr investieren, um den Anderen zu helfen, führt in die Irre. Mehr schuldenfinanzierte staatliche (Konsum-)Ausgaben schaden Deutschland und helfen der EWU nicht auf die Sprünge. Die möglichen positiven Effekte sind wegen geringer intra- und inter-regionaler Multiplikatoren vernachlässigbar (hier). Auch von einer gravierenden „Investitionslücke“ in Deutschland kann keine Rede sein (hier). Das gilt für private und öffentliche Investitionen. Die gegenwärtige „Investitionsmanie“ ist ohne ökonomische Substanz. Hier wird nur wieder einmal viel Geld verbrannt werden.

Austerität 2
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Das Urteil

Die mediterrane Klage gegen deutsches Fehlverhalten ist in großen Teilen unbegründet. Es spricht nichts dafür, dass Deutschland durch sein Verhalten den anderen Mitgliedern in der Währungsunion schadet. Die EWU kann nur funktionieren, wenn die Mitglieder ständig danach streben, wettbewerbsfähiger zu werden. Strukturreformen sind in einer Währungsunion damit eine Daueraufgabe. Das gilt vor allem für die Arbeitsmärkte. Daran mangelt es allen, vor allem aber den mediterranen Ländern. Auch wenn die Krisenländer seit Ausbruch der Krise teilweise erhebliche Anstrengungen unternommen haben, nach wie vor sind vor allem sklerotisierte Arbeitsmärkte ihre Achillesferse. Es ist ihnen nicht gelungen, die wichtigsten Elemente der Strategie der „Flexicurity“ zu installieren (hier). Noch immer segmentiert ein strenger Kündigungsschutz die Arbeitsmärkte, noch immer steht das Konzept von „fördern und fordern“ auf tönernen Füßen, noch immer ist die Lohn- und Tarifpolitik zu wenig betriebsnah.

Das Urteil über die deutsche Fiskalpolitik fällt allerdings zwiespältig aus. Mit der Schuldenbremse für Bund und Länder und einer Politik der „schwarzen Null“ ist sie auf dem richtigen Weg. Eine solide Haushaltspolitik ist die Basis für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Die historische Erfahrung zeigt, Währungsunionen scheitern wegen unsolider, monetär finanzierter staatlicher Haushalte. Ein fester deutscher fiskalischer Anker stabilisiert die EWU. Schelte verdient allerdings die „sozialpolitische Großzügigkeit“ der Großen Koalition (hier). Mit der Rente mit 63 und der Mütterrente belastet sie künftige Generationen. Mindestlöhne und Mietpreisbremse zerstören den marktlichen Preismechanismus, den Kern der Marktwirtschaft. Die Anreize, in Deutschland zu investieren, gehen weiter zurück. Das wirtschaftliche Wachstum leidet. Damit tut Deutschland weder sich noch den Anderen in der EWU einen Gefallen. Otmar Issing hat recht: Deutschland sollte nicht gescholten werden, weil es „zu wenig“ ausgibt, es sollte aber kritisiert werden, weil es leichtfertig die Dividende vergangener Reformen verprasst (hier).

Es ist nicht von der Hand zu weisen, Deutschland hat eine stärkere Präferenz für Preisniveaustabilität als Andere. Und das ist auch gut so. Die Inflationsmentalität in der EWU ist sehr heterogen, sie hat einen signifikanten mediterranen Bias. Wie die Erfahrung zeigt, gelingt es aber eigentlich nie, reale Anpassungsprobleme weg zu inflationieren. Eine mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit lässt sich so nicht wieder herstellen. Geht man diesen Weg der Inflation, drohen weitere allokative Verzerrungen. Notwendig ist eine geringere reale Absorption. Das geht nur über die Strategie „besser oder billiger“. Eine höhere Inflationsrate ist aber auch distributiv unerfreulich. Die Inflationssteuer ist die ungerechteste aller Steuern. Sie ist ein Dieb der kleinen Leute. Die Deutschen werden diesen inflationären Weg nicht gutheißen. Schleust die EZB die Inflationsrate auf den Zielwert von 2 % hoch, muss das allgemeine Preisniveau in Deutschland um mehr als 2 % steigen. Das ist dann ein Lackmustest für die Deutschen, wie sie es mit dem Euro halten.

Fazit

Deutschland ist noch immer Zahlmeister der Europäischen Union. Es ist aber auch immer öfter der Watschenmann der Fußkranken in Europa. Die Anklage lautet: Deutschland destabilisiere mit seiner Wirtschaftspolitik die Eurozone. Es müsse weniger wettbewerbsfähig werden, viel mehr staatlich ausgeben und seine Angst vor Inflation ablegen. Deutschland taugt aber nicht zum Sündenbock. In Europa gibt es kein „keynesianisches“ Moment mehr, die ökonomische Malaise ist „(neo)klassisch“. Das ist nicht die Stunde konzertierter europäischer Nachfragepolitik, es ist allerhöchste Zeit für bessere nationale Angebotsbedingungen zu sorgen. Schuldenfinanzierte staatliche Nachfrage und eine hyper-expansive Geldpolitik haben es noch nie geschafft, nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Sie entfachen allenfalls ein Strohfeuer, verhindern notwendige (Struktur)Reformen und verwüsten das Geldwesen nachhaltig. Umfassende Strukturreformen, eine solide Haushaltspolitik und eine glaubwürdige Politik der Preisniveaustabilität sind die Zutaten einer sinnvollen Politik. Deutschland sollte dabei nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen.

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