Griechenland (3)
Poker um Griechenlands Schulden

Die griechische Regierung und die Troika, die allerdings offiziell nicht mehr so genannt wird, treffen sich – entgegen allen vorherigen Bekundungen der griechischen Seite – seit Freitag zum „Meinungsaustausch“! Auf diese Weise soll das Treffen der Euro-Gruppe (Finanzminister der Eurozone) am heutigen Montag vorbereitet werden, bei dem eine (abschließende) Einigung über den weiteren Umgang mit den griechischen Schulden und dem aktuellen Hilfspaket erzielt werden soll. So wird der 16. Februar als letzte Gelegenheit angesehen, das Ende Februar auslaufende Hilfsprogramm zu verlängern, da neue Vereinbarungen in einigen Mitgliedsländern der Währungsunion – so auch in Deutschland – anschließend noch durch das nationale Parlament bestätigt werden müssen. Die Zeit drängt also.

Vor diesem Hintergrund werden sich (ab) heute die beteiligten „Spieler“ gegenübersitzen. Griechenland hat dabei auf den ersten Blick die deutlich schlechteren Karten. Grund dafür ist der Finanzierungsbedarf des Landes, der sich für das Jahr 2015 auf etwas über 20 Mrd. Euro beläuft. Dieser Wert setzt sich zusammen aus:

  1. Tilgungszahlungen in Höhe von ca. 15,5 Mrd. Euro für Staatsanleihen und Kredite[1] sowie in Höhe von etwa 4 Mrd. Euro für kurzfristige (3 bis 6 Monate laufende) T-Bills,
  2. Zinszahlungen[2] in Höhe von etwa 4,5 Mrd. Euro, abzüglich eines
  3. Primärüberschusses in Höhe von 2 bis 3 Mrd. Euro.

Der Primärüberschuss ergibt sich aus der Quote von 1 bis 1,5 Prozent, die die neue griechische Regierung für „vertretbar“ hält, bezogen auf ein nominales BIP von etwa 200 Mrd. Euro. Die Differenz zur ursprünglich für 2015 anvisierten Primärüberschussquote in Höhe von 4,1 Prozent soll für die Umsetzung von Wahlversprechen eingesetzt werden. Dies bedeutet aber zugleich auch eine Mindereinnahme von mindestens 5 Mrd. Euro für das laufende Jahr.

Die griechische Finanzierungsvorstellung für die fehlenden rund 20 Mrd. Euro sieht dabei wie folgt aus:

  1. Die Europäische Zentralbank (EZB) zahlt den Bewertungsgewinn bei griechischen Staatsanleihen in ihrem Bestand von etwa 2 Mrd. Euro an Griechenland aus. Dieser Wunsch ist bei einer grundsätzlichen Einigung sicherlich unproblematisch, da eine solche Rückerstattung bereits im letzten Jahr erfolgte – allerdings in Abhängigkeit von der Erfüllung der zu diesem Zeitpunkt geltenden Auflagen.
  2. Der Rest, also etwa 18 Mrd. Euro, soll dann über die Ausgabe von kurzfristigen T-Bills am Markt finanziert werden.

Gegenwärtig werden griechische T-Bills jedoch nur noch von griechischen Banken gekauft, die für eine fortgesetzte Refinanzierung dieser Geschäfte selbst wiederum Notfallkredite von der Griechischen Zentralbank benötigen würden. Diese Kredite, die der Genehmigung durch die EZB bedürfen, wurden zwar jüngst auf einen Rahmen von 65 Mrd. Euro aufgestockt, sollen jedoch eigentlich nur dazu dienen, illiquide aber grundsätzlich solvente Banken kurzfristig zu stützen. Die zusätzlichen Emergency-Liquidity-Assistance-Kredite werden gegenwärtig allerdings nahezu ausschließlich benötigt, um den unsicherheitsbedingten Abzug von Einlagen bei den griechischen Banken zu kompensieren. Um darüber hinaus auch den Finanzierungsbedarf des Staates über diese Quelle zu gewährleisten, bedürfte es demnach nochmals einer deutlichen Aufstockung der ELA-Kredite. Im Gegensatz dazu könnte die EZB – mit Unterstützung der nun unter ihrem Dach angesiedelten Bankenaufsicht – den griechischen Banken aber auch verbieten, ELA-Kredite für die Finanzierung des Staates (über T-Bills) einzusetzen. Dadurch würde der Druck auf die griechische Regierung deutlich erhöht. Würde die EZB darüber hinaus die ELA-Kredite – mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit im EZB Rat – komplett stoppen, stünden die griechischen Banken innerhalb kürzester Zeit vor dem Aus und müssten aus anderer Quelle gerettet oder abgewickelt werden.

Die Umsetzung des obigen Maßnahmenpakets wäre das Wunschergebnis aus griechischer Sicht, könnte aber auch auf die Gläubiger der Eurozone einen fatalen Charme ausüben. Das gesamte notwendige Finanzierungsvolumen würde nämlich in diesem Fall von der EZB bereitgestellt. Kein nationales Parlament muss seine Zustimmung für weitere Griechenlandhilfen erteilen und kein(e) Politiker(in) muss vor die Wähler treten und zugeben, dass die vermeintliche Rettung Griechenlands erhebliche (Abschreibungs-)Kosten verursacht hat. Dies würde aber auch bedeuten, dass die EZB noch offensichtlicher als bisher den griechischen Staat finanzierte und damit ihr rechtliches Mandat in eklatanter Weise überschritte.[3]

Sollten sich die Vertreter der griechischen Regierung – insbesondere also Ministerpräsident Tsipras und Finanzminister Varoufakis – mit dieser Lösung durchsetzen, würde man ein nahezu unbegrenztes und unkonditioniertes Kreditversprechen gegenüber Griechenland abgeben. Daran ändert sich grundsätzlich auch dann nichts, wenn man diese Regelung (zunächst) als „Brückenprogramm“ für 3 oder 6 Monate „verkauft“. Denn danach hat sich die Finanzierungssituation Griechenlands sicherlich nicht grundlegend gewandelt. Auch zusätzliche Steuereinnahmen – sei es aufgrund von neuen Steuerquellen oder eines hohen Wirtschaftswachstums – werden innerhalb dieses Zeithorizonts kaum zustande kommen oder absehbar sein. Man hätte nur wieder Zeit „gekauft“, ohne diese allerdings wirklich zu nutzen. Daher wird es im Anschluss erneute Begehrlichkeiten in Richtung ELA-Kredite geben, um weiter zu wirtschaften wie zuvor.

Auch ein – von griechischer Seite vehement geforderter – Schuldenschnitt oder eine Umschuldung (was in der Sache keinen Unterschied macht) zu Lasten der öffentlichen Gläubiger würde diese Finanzierungslücke nicht annähernd schließen. Da die bilateralen Kredite des ersten Griechenland-Rettungspakets erst ab 2020 und die EFSF-Kredite des zweiten Griechenland-Rettungspakets ab 2023 getilgt werden müssen, bringt dies keine (kurzfristige) Entlastung. Hinzu kommt, dass die Zinsen für die Kredite des zweiten Rettungspakets für die ersten 10 Jahre gestundet werden. Daher zahlt Griechenland 2015 maximal 0,55 Prozent Zinsen (siehe Endnote 2) auf den Kreditbetrag von 53 Mrd. Euro, was etwa 0,3 Mrd. Euro entspricht. Der Erlass oder Aufschub dieses Betrags würde Griechenland aber nur marginal helfen. Das Hauptproblem Griechenlands sind nicht die längerfristig fälligen Tilgungszahlungen sowie die bereits sehr niedrigen Zinsen, sondern die in diesem Jahr fälligen Tilgungen beim Internationalen Währungsfonds und der EZB. Bis Juni belaufen sich diese Zahlungen auf knapp 5 Mrd. Euro und bis September kommen noch einmal rund 9 Mrd. Euro hinzu. Daher will man sich die Umschuldung von Seiten der Euro-Länder wohl eher als ein Zugeständnis für einen späteren Zeitpunkt aufheben, um tatsächlich erbrachte Sparleistungen zu „belohnen“. Grundsätzlich ließe sich aber über diesen Punkt wahrscheinlich Einigung erzielen, wenn es nur kein offener Schuldenschnitt ist, den man auch als solchen von politischer Seite eingestehen müsste. Aber einer weiteren Verlängerung der Laufzeiten von jetzt 30 auf 40 oder gar 50 Jahre, einem späteren Einstieg in die Tilgung sowie dem Verzicht auf den verbliebenen Zinsaufschlag von 0,5 Prozentpunkten würde man wohl zustimmen können – auch wenn man damit faktisch, gemessen am Gegenwartswert, auf einen Teil der Forderungen verzichten würde. Einen erheblichen Teil dieses Verzichts von Seiten der öffentlichen Gläubiger hat man jedoch längst vollzogen, indem man die ursprünglichen Laufzeiten jetzt bereits deutlich ausgeweitet und die zunächst vereinbarten Zinssätze (drei bzw. vier Prozentpunkte Aufschlag auf den 3-Monats EURIBOR) immer weiter reduziert hat.

Als Alternative zu diesem Szenario könnte Griechenland das jetzige Hilfsprogramm verlängern und danach einem neuen Programm zustimmen, um (ebenfalls) in den Genuss zusätzlicher Kredite zu kommen. Setzt sich Griechenland mit der verminderten Primärüberschussquote von 1 bis 1,5 Prozent durch, bedeutet das nicht nur für dieses sondern auch für die folgenden Jahre einen zunehmenden Kreditbedarf. Unter der Voraussetzung, dass man die nationalen Parlamente noch einmal überzeugen kann, einem dritten Rettungspaket für Griechenland zuzustimmen, sollte dies (neue) Auflagen nach sich ziehen, die es dann auch vor Ort zu kontrollieren gilt. Ob das durch eine Institution geschieht, die Troika oder Tifkat[4] (The institution formerly known as troika) heißt, ist dabei vollkommen unerheblich. Nicht vermittelbar wäre aber wohl eine Kontrolle durch die OECD, die selbst keine Kredite an Griechenland vergeben hat. Natürlich steht es Griechenland frei, sich von selbst gewählten Institutionen in wirtschaftlichen Fragen beraten zu lassen. Es wird aber (hoffentlich) nicht durchsetzbar sein, dass sich der Schuldner einen Kontrolleur seiner Wahl aussucht, der selbst überhaupt keine Kredite an den Schuldner vergeben hat. Je weicher die Auflagen und je lockerer die vereinbarten Kontrollen eingeschätzt werden, desto eher wird sich die griechische Regierung zu deren Einhaltung bereit erklären. Der Abschluss eines neuen Hilfsprogramms hätte zudem den Vorteil, dass die griechischen Banken sich wieder „normal“ über griechische Staatsanleihen als Sicherheiten bei der EZB refinanzieren könnten. Zugleich wäre auf diese Weise der Weg frei für einen Ankauf griechischer Staatsanleihen im Rahmen des neuen – 1140 Mrd. Euro umfassenden – EZB-Programms. Damit sollten auch die letzten Finanzierungsprobleme Griechenlands (selbst längerfristig) gelöst sein.

Daneben „droht“ die neue griechische Regierung unverhohlen damit, sich nach alternativen Kreditgebern umzuschauen. Im Gespräch sind dabei etwa Russland und China. Aus ökonomischer Sicht wäre es unproblematisch, wenn andere „Anbieter“ als die Euro-Länder das Kreditrisiko übernehmen würden. Es ist allerdings zu vermuten, dass angesichts der aktuellen geopolitischen Konflikte eine solche „Lösung“ aus politischen Gesichtspunkten nicht gewünscht wird. Mit einem solchen Drohpotenzial auf griechischer Seite sind die Euro-Länder möglicherweise bereit, (weitergehende) Zugeständnisse bei den Auflagen für neue Kredite vorzunehmen.

Sollte es hingegen zu keiner Einigung zwischen Griechenland und den restlichen Euro-Ländern kommen und auch keine alternativen Finanzierungsquellen zur Verfügung stehen, werden die Staatspleite und damit der GREXIT wohl nicht zu vermeiden sein. Dies würde wiederum Griechenland – aber auch nur Griechenland[5] – in ein unübersehbares Chaos stürzen. Das würde insbesondere ausgelöst durch die Einführung einer eigenen (Parallel-)Währung, die eine deutliche Abwertung gegenüber dem Euro erfahren würde, eine Finanzierung des Staatshaushalts über die Kreditvergabe der nationalen Zentralbank mit anschließender (Hyper-)Inflation sowie Kapitalverkehrskontrollen, um das (noch verbliebene) Kapital zwangsweise im Land zu halten. Somit hat auch Griechenland eine Menge zu verlieren, wenn es zu hoch pokert.

Schon bald wird man also sehen, wie dieses „Spiel“ aus- oder weitergeht. Um es mit den Worten Angela Merkel’s zu sagen: „Kompromisse geht man ein, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen“. Welche Vor- und Nachteile man dabei allerdings berücksichtigt und wie man sie bewertet, darüber kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein.


[1] Dieser sowie die im Folgenden angegebenen Zahlenwerte entstammen: Ohne Verfasser: Die Troika lässt sich nicht abschaffen. FAZ vom 10. Februar 2015, S. 17, sowie Hellenic Republic Public Debt Bulletin, No. 75, September 2014. Online abrufbar unter: http://www.pdma.gr/attachments/article/37/Bulletin_75.pdf

[2] Entgegen der Angabe in der FAZ vom 10. Februar 2015, wonach 2015 Zinsen für das 1. Griechenland-Rettungspaket in Höhe von 1,1 Mrd. Euro anfallen werden, wird hier davon ausgegangen, dass sich diese Zinsen nur auf 0,3 Mrd. Euro belaufen werden. Dieser Betrag ergibt sich aus einem Prozentsatz von 0,55 Prozent (Aufschlag  von 0,5 Prozentpunkten auf den 3-Monats EURIBOR in Höhe von gegenwärtig etwa 0,05 Prozent) bezogen auf den Kreditbetrag von 53 Mrd. Euro.

[3] Vgl. auch Jost, T. und F. Seitz: EZB muss nationale Geldpolitik in Athen stoppen. Börsen-Zeitung, 11. Februar 2015, S. 7.

[4] Vgl. Höltschi, R.: Von der Troika zur Tifkat. Neue Zürcher Zeitung, 14. 2. 2015. Online abrufbar unter: http://www.nzz.ch/meinung/reflexe/von-der-troika-zur-tifkat-1.18482926

[5] Der geringe Anstieg der Renditen für Staatsanleihen in den anderen Euro-(Krisen-)Ländern – im Verhältnis zu Griechenland – deutet auf geringe Ansteckungsgefahren hin.

 

Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:

Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.

 

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