Ungleichheite heute (26)
Die Treiber der Vermögensungleichheit
Warum besitzen 10 % der Bevölkerung mehr als die Hälfte des Vermögens?

Die Vermögen in Deutschland sind ungleich über die Bürger verteilt und konzentrieren sich am oberen Ende der Vermögensverteilung. Doch was sind im Allgemeinen die Treiber ungleich verteilter Vermögen? Was beeinflusst die Höhe des individuellen Nettovermögens? Persönliches Vermögen entsteht entweder durch die Akkumulation von Ersparnissen oder durch intergenerationale Übertragungen, also durch Schenkungen (inter-vivo Transfers) oder Erbschaften.

Somit sind zwei Schritte notwendig, um zu ergründen, was für eine ungleiche Verteilung von Vermögen sorgt. Erstens müssen die Determinanten beleuchtet werden, die einerseits den Akkumulations- und andererseits den Vererbungsprozess beeinflussen. In einem weiteren Schritt muss untersucht werden, von welcher relativen Bedeutung diese beiden Prozesse sind und inwieweit sie sich auf die interpersonelle Verteilung der Vermögen auswirken. Welche Treiber wirken ungleichheitsvermindernd und welche verstärkend? Auch wenn oftmals ein kausaler Zusammenhang aufgrund einer zu geringen Datenbasis nur mit Vorsicht getroffen werden kann, ist die Beantwortung dieser Fragen unerlässlich, um eine valide Diagnose und somit eine adäquate Wirtschaftspolitik gewährleisten zu können.

Die Rolle von Erbschaften und Schenkungen

Persönliches Vermögen kann grundlegend auf zwei verschiedenen Wegen erzielt werden. Entweder durch die Akkumulation eigener Ersparnisse oder durch den Erwerb einer Schenkung oder Erbschaft. Doch welche Rolle nehmen Erbschaften und Schenkungen ein? Inwieweit kann Vermögensungleichheit durch intergenerationale Übertragungen erklärt werden? Oder wirken Erbschaften überhaupt ungleichheitsverschärfend? Diese Fragen werden schon seit langem kontrovers diskutiert und sind insbesondere vor dem Hintergrund zunehmend alternder Gesellschaften von immenser Bedeutung.

Einen ersten Anhaltspunkt sollte zunächst ein Blick auf den Anteil der Erbschaften und Schenkungen sowohl am gesamten Privatvermögen als auch am Nationaleinkommen liefern. Je größer dieser Anteil ausfällt, desto größer ist die Relevanz des Erbschaftskanals. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Bedeutung von Erbschaften sehr groß. Der so genannte Erbschaftsfluss (inheritance flow), d.h. der jährliche Strom von Erbschaften und Schenkungen gemessen in Relation zum Nationaleinkommen, betrug damals fast 20 % (Abbildung 1). Der Anteil von Erbschaften und Schenkungen am gesamten privaten Vermögen lag bei rund 60 %. Infolge des Ausbruchs des ersten und zweiten Weltkriegs sowie infolge der Währungsreform 1948 kam es zu einer enormen Entwertung und Vernichtung von Kapital. Folglich ging die Bedeutung übertragenen Vermögens (mit einem Erbschaftsfluss von rund 5 % und einem Anteil am gesamten privaten Vermögen von circa 20 %) bis in die 1970er Jahre zurück. Die Rolle eigener Ersparnisse zur Vermögensakkumulation trat erst anschließend wieder stärker in den Vordergrund. Nach Jahren wirtschaftlicher Prosperität und damit zusammenhängend besseren Möglichkeiten zur Kapitalakkumulation hatten die Bundesbürger im Durchschnitt wieder mehr zu vererben. Der Erbschaftsfluss sowie der Anteil der Erbschaften am gesamten Privatvermögen stiegen wieder auf Werte von 10 % beziehungsweise 50 % an. Somit lässt sich für beide Indikatoren ein U-förmiger Verlauf festhalten.

Die Treiber dieses Prozesses lassen sich an einer einfachen Gleichung festmachen. Der Erbschaftsfluss gleicht dem Produkt aus 1.) dem Verhältnis von (vererbbaren) privaten Kapital zu dem Nationaleinkommen (Capital-Income-Ratio), 2.) der Mortalitätsrate und 3.) dem Verhältnis zwischen dem durchschnittlichen Vermögen der Erblasser zu ihrem Todeszeitpunkt zu dem durchschnittlichen Vermögen der lebenden Individuen. Für den Anteil des vererbten Vermögens am gesamten privaten Vermögen verkürzt sich diese Gleichung zu dem Produkt der beiden letztgenannten Faktoren.

Somit gibt es drei Faktoren die den bisherigen Verlauf erklären können. Je größer ceteris paribus der Anteil des Vermögens am Nationaleinkommen, je höher die Mortalitätsrate oder je höher das durchschnittliche Vermögen der Erblasser ist, desto höher fällt auch der Erbschaftsfluss und somit die Bedeutung des Erbschaftskanals aus. Die Entwicklung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich somit erklären. Die erste Komponente, das Verhältnis zwischen privatem Kapital und Nationaleinkommen, betrug um 1900 noch über 600 % und sank nach den Weltkriegen auf Werte von unter 200 %. Anschließend stieg das Verhältnis jedoch wieder an und liegt derzeit bei rund 400 %. Die Mortalitätsrate als die zweite Komponente sank in diesem Zeitraum (in Frankreich beispielsweise von 2,2 auf 1,2 %). Dies ist vor allem auf eine steigende Lebenserwartung zurückzuführen. Es ist jedoch abzusehen, dass dieser Wert aufgrund der demographischen Entwicklung wieder ansteigen wird. Unter Annahme einer gleichen Lebenserwartung wird dieser Wert beispielsweise umso größer, je größer die Kohorten zum Todeszeitpunkt sind. Angesichts der Größe der Baby-Boomer Generationen und der heutzutage abnehmenden Fertilitätsrate ist davon auszugehen, dass die Mortalitätsrate in naher Zukunft wieder ansteigen wird.

Der dritte Kanal vervollständigt das gezeigte Bild des Erbschaftsflusses. Im Allgemeinen folgt das individuelle Vermögen über den Lebenszyklus hinweg einem umgekehrten U-Verlauf (Modiglianis Lebenszyklustheorie). Es steigt also im Erwerbsalter an und wird in der Ruhestandsphase zunehmend abgebaut. Aus verschiedenen Gründen, wie bspw. Altruismus, Paternalismus als auch aus Gründen der persönlichen Vorsorge gegen sonstige Einkommensausfälle, verbraucht ein Individuum jedoch nicht sein komplettes Vermögen bis zum Todeszeitpunkt. Außer zu Zeiten der beiden Weltkriege war der Wert des durchschnittlichen Vermögens der Erblasser zum Todeszeitpunkt stets höher als der Wert des durchschnittlichen Vermögens der Lebenden. Insbesondere seit 1960 stieg dieses Verhältnis unter Berücksichtigung von Vorabübertragungen auf Werte von über 2 an (Abbildung 1). Folglich ergibt sich auch für diesen Faktor ein U-förmiger Verlauf.

Festzuhalten bleibt somit, dass die Zerlegung des Erbschaftsflusses in die genannten drei Komponenten einen besseren Aufschluss über dessen U-förmigen Verlauf im 20. Jahrhundert gibt. Andererseits lässt sie auch – so wie Thomas Piketty es bereits versucht hat, eine Aussage über die Bedeutung von Erbschaften in der Zukunft zu. Insbesondere ein vorhersehbarer Anstieg der Mortalitätsrate sowie ein weiterer Anstieg der Capital-Income-Ratio sind für ihn die Treiber, die zu einer zunehmenden Bedeutung von Erbschaften in Zukunft führen sollen.

Erbschaft
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Doch wie hängt die Entwicklung des Anteils übertragener Vermögen an dem Gesamtvermögen mit der beobachtbaren Entwicklung der Vermögensungleichheit zusammen? Sind Erbschaften und Schenkungen der Grund für die hohe Konzentration der Vermögen am oberen Ende der Verteilung oder wirken sie sich ungleichheitsvermindernd aus?

Beginnen möchte ich mit einem kurzen Gedankenexperiment, um skizzenhaft aufzuzeigen, inwiefern sich die Fertilitätsrate, die Familiengröße und -zusammenstellung sowie die Art, wie Vermögen vererbt wird, auf die Vermögensungleichheit auswirken (Abbildung 2). Nehmen wir an, eine Gesellschaft besteht aus einem Millionärsehepaar und 99 weiteren, die kein Vermögen haben. In dieser Gesellschaft gibt es also eine extrem hohe Vermögensungleichheit. Das eine Ehepaar in Generation I vererbt exakt eine Million Euro und alle Ehepaare dieser Generation als auch die der folgenden bringen stets zwei Kinder zur Welt. Werden weitere Möglichkeiten zur Kapitalakkumulation vernachlässigt, stellt man unter der Annahme, dass vererbtes Vermögen jeweils zu gleichen Teilen auf die Kinder übertragen wird, fest, dass die Nachfahren in der fünften Generation jeweils einen vererbten Betrag von 62500 Euro erwarten können. Profitiert hingegen immer nur das ältere Kind von der Erbschaft in vollem Maße, dann würde lediglich einer der 16 Nachfahren in der fünften Generation eine Erbschaft in Höhe von einer Million erhalten.

Wie dabei deutlich wird, spielt die Art und Weise, wie Erbschaften von statten gehen eine erhebliche Rolle, ob Erbschaften ungleichheitsvermindernd oder –verschärfend wirken. Ebenso spielt die Geburtenrate vermögender Menschen hinein. Geht man beispielsweise davon aus, dass an jeweils drei statt nur zwei Kinder vererbt wird, verringert sich die erwartete Erbschaft in der fünften Generation auf rund 12350 Euro, wenn die Erbschaften jeweils zu gleichen Teilen vererbt werden. Eine hohe Geburtenrate Vermögender – unter der Annahme, dass alle Kinder stets denselben Betrag vererbt bekommen, hat somit eine ungleichheitsverringernde Wirkung. Ebenso von Bedeutung ist die Wahl des Ehepartners. In der obigen Analyse wurde davon ausgegangen, dass die Ehegatten jeweils kein Vermögen mit in die Ehe einbringen. Dies ist natürlich äußerst unrealistisch. Vielmehr ist empirisch zu beobachten, dass sich vermögende Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen vermögenden Ehepartner suchen. Je stärker der Effekt des statushomogenen Heiratsverhaltens („assortative mating“) zu Tage tritt, desto ungleicher wirken Erbschaften auf die Vermögensverteilung. In obigem Gedankenexperiment wird dies deutlich, wenn man annimmt, dass es anfangs zu jeweils gleichen Teilen zwei Klassen gibt, Vermögende und Nichtvermögende (zuvor hatte nur eine Familie Vermögen). Würden sich Individuen ihren Ehepartner per Zufallsprinzip aussuchen, dann würden sich die Vermögen der Nachfahren dieser fiktiven Gesellschaft nach einigen Generationen angleichen. Würde man jedoch davon ausgehen, dass Vermögende immer nur Vermögende heiraten, hätte dies zur Folge, dass die Vermögensungleichheit persistent über die Generationen hinweg erhalten bleibt.

Im Hinblick auf die Frage, wie sich Erbschaften auf die Vermögensungleichheit und deren Persistenz auswirken, lässt sich konstatieren, dass dies von dem Erbsystem, dem Geburtenverhalten sowie von dem Heiratsverhalten Vermögender beeinflusst wird. Hinzu kommen das Vererbungsmotiv, das Sparverhalten und die Akkumulations- bzw. Vermögensgewinnungsmöglichkeiten der jeweiligen Erben. Verbrauchen sie ihr Vermögen bis zum Todeszeitpunkt und können somit nicht vererben oder sparen sie einen erheblichen Teil des vererbten (und neu erworbenen) Vermögens an und vererben es wiederum an ihre Erben?

Vermögensübertragung
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Wie sieht es empirisch aus? Welcher prozentuale Anteil der sehr Vermögenden hat seinen Status durch eine Erbschaft erlangt, welcher Teil hat dies durch seine eigene Leistung erbracht? Wirken Erbschaften ungleichheitsverschärfend? Gerade der Befund, dass vor allem Bildung sowie die Einkommens- und Vermögenshöhe die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine Erbschaft zu erhalten, legt nahe, zu erwarten, dass Übertragungen die Ungleichheit erhöhen. Dieser Schluss mag jedoch voreilig sein. Hierzu gibt es zahlreiche Studien, die mit teils konträren Ergebnissen aufwarten. Einen ersten Aufschluss gibt ein Blick auf die Statistiken der Superreichen, also Leute mit einem Vermögen von 30 Millionen US-Dollar und mehr. 2013 gab es auf der Erde rund zweihunderttausend Superreiche. Von diesen erreichten 18 % ihren Status infolge einer Erbschaft. Weitere 16 % haben diesen Status aus eigener Anstrengung („Self-Made“) und durch eine nennenswerte Erbschaft erhalten. Die restlichen 65 % sind ausschließlich „Self-Made“ reich geworden. Bei Frauen unterscheiden sich die Zahlen von denen der Männer. So sind 70 % der Männer, aber nur 33 % der Frauen „Self-Made“. Bei rund einem Drittel der Superreichen ist also die heutige Vermögensposition ganz oder zumindest zu einem Teil auf eine Erbschaft zurückzuführen. Dies lässt jedoch auch den Schluss zu, dass intergenerationale Übertragungen nicht in vollem Umfang für die hohe Vermögenskonzentration verantwortlich sein können.

Edward Wolff und Maury Gittleman ermittelten, dass in den USA in dem Zeitraum zwischen 1989 und 2007 rund 21 % aller Haushalte eine Erbschaft oder Schenkung erhalten haben und dass diese für rund 23 % des gesamten privaten Vermögens sorgten. Im Euroraum hingegen erhielten durchschnittlich rund 28 % aller Haushalte eine Übertragung. Für das oberste 1 Prozent in den USA beobachteten Wolff und Gittleman einen durchschnittlichen Anteil intergenerationaler Übertragungen von 14,7 % an deren Gesamtvermögen im Jahr 2007. Interessanterweise kommen sie zu dem – zu Pikettys These, dass der steigende Einfluss von Erbschaften zu einer steigenden Vermögenskonzentration führe, konträr stehenden Schluss, dass die Bedeutung vererbten Vermögens für das oberste 1 Prozent gesunken ist, da dieser Anteil 1992 noch bei 27 % lag. Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie zeigen, dass Erbschaften und Schenkungen in dem betrachteten Zeitraum ungleichheitsverringernd wirkten, da der prozentuale Anteil intergenerationaler Übertragungen in den untersten Dezilen aufgrund eines geringeren Gesamtvermögens größer ausfiel und somit der prozentuale Vermögenszuwachs höher ist. Top-Vermögende erhielten im Durchschnitt zwar höhere Übertragungen, diese machten jedoch einen kleineren Teil ihres Gesamtvermögens aus. Die absolute Ungleichheit wird durch intergenerationale Übertragungen zwar erhöht, die relative sinkt hingegen. Auch andere Autoren weisen auf diesen Fakt hin und ergänzen, dass intergenerationale Übertragungen Individuen mit geringem Vermögen oftmals erst in die Gelegenheit bringen zu sparen und somit Vermögen akkumulieren zu können.

Demgegenüber steht eine Vielzahl von Beiträgen, insbesondere auf Simulationsstudien basierend, die einen ungleichheitsverstärkenden Effekt bescheinigen. Beispielsweise kam James B. Davies in einer Studie zu dem Schluss, dass Erbschaften die Vermögensungleichheit verschärfen. In seinem Basismodell betrug der Vermögensanteil des Top-Dezils 46 % und der des Top-Perzentils 9 %. Unter Berücksichtigung von Erbschaften stiegen diese Werte auf 62 % respektive 21 %.

Aus einer von der EZB veröffentlichten Studie, in dem intergenerationale Übertragungen danach differenziert werden, ob der Erbe dadurch seinen Hauptwohnsitz erlangt hat, geht hervor, dass Übertragungen, die nicht den Hauptwohnsitz einschließen, im Durchschnitt 11 % des gesamten Nettovermögens der Haushalte der Eurozone ausmachten. In Deutschland liegt dieser Anteil etwas höher bei 16 %. Fast 50 % des gesamten Privatvermögens sind im EWU-Durchschnitt auf den Wert des Erstwohnsitzes zurückzuführen. Der Anteil, der hierbei auf eine Erbschaft zurückzuführen ist, variiert jedoch erheblich über die Länder hinweg. In Deutschland macht der Erstwohnsitz rund 38 % des durchschnittlichen Vermögens aus, wobei 7 Prozentpunkte aus einer Erbschaft stammen (Abbildung 3).

Nachdem Erbschaften im Anschluss an die zwei Weltkriege immens an Bedeutung für die Vermögensbildung verloren hatten, scheinen sie spätestens seit den 1970er Jahren wieder auf dem Vormarsch zu sein. Ungeachtet deren quantitativer Bedeutung für den Vermögensbildungsprozess, scheint eine abschließende Beurteilung, wie sich Erbschaften insgesamt auf die Vermögensungleichheit auswirken, aufgrund einer Vielzahl konträrer Ergebnisse nicht möglich zu sein. Wie jedoch gezeigt wurde, gibt es verschiedene Stellschrauben, die die ungleichheitsbeeinflussende Wirkung beeinflussen und erklären können.

Hauptwohnsitz
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Der Akkumulationsprozess

Der zweite Kanal beschreibt die Möglichkeiten, den Vermögensaufbau durch das eigene Verhalten und die eigenen Fähigkeiten zu beeinflussen. Die Möglichkeiten Ersparnisse zu akkumulieren und somit Vermögen neu zu bilden werden grundlegend von drei Faktoren bestimmt, die wiederum von einer Vielzahl weiterer Determinanten tangiert werden: 1.) die persönliche Ausstattung mit Vermögen zu einem bestimmten Lebenszeitpunkt, 2.) das persönliche Spar- bzw. Verschuldungsverhalten und 3.) die Rendite auf das bestehende Vermögen.

Die Ausstattung mit Vermögen, die ein Individuum zu einem gegebenen Zeitpunkt seines Lebens hat, hängt eng damit zusammen, welche Möglichkeiten diesem Individuum insbesondere durch die Einkommens- und Vermögensposition seiner Eltern zu Gute kamen. So können wohlhabendere Eltern frühzeitig in die Erziehung und Bildung ihres Zöglings investieren und somit den Grundstein für einen erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben legen. Wie zuvor beschrieben, beeinflusst zudem die Höhe der erhaltenen Übertragungen die persönliche Vermögensausstattung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Je vermögender die Eltern sind und je kleiner die Familie ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von einer relativ großzügigen Schenkung oder Erbschaft zu profitieren.

Wieviel Vermögen eine Person bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aus eigener Kraft akkumulieren kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Zuerst ist hier der Einfluss der beruflichen Stellung zu nennen. Erhält eine Person ein hohes Arbeitseinkommen oder ein Einkommen aus Unternehmertätigkeit, kann diese im Normalfall auch vermehrt Ersparnisse bilden. Ist eine Person hingegen arbeitssuchend und auf staatliche Transfers angewiesen, wird es kaum Möglichkeiten haben, etwas von ihrem Einkommen zu sparen. Selbst bei Unterstellung einer über alle Einkommensklassen gleichen Sparquote, würden die absoluten Sparbeträge proportional zur Einkommenshöhe ausfallen. Empirisch ist jedoch zu beobachten, dass die Sparquote mit der Einkommenshöhe ansteigt (Abbildung 4). Somit sind die Ersparnisse am oberen Ende der Einkommensverteilung nicht nur absolut höher, sondern auch relativ. Von vorrangiger Bedeutung für die Vermögensungleichheit ist, wie ungleich die Einkommen verteilt sind. Je höher der Anteil der oberen Einkommensgruppen am Nationaleinkommen ist, desto stärker müsste sich diese Ungleichheit in Anbetracht der empirischen Sparquoten auch in einer höheren Vermögensungleichheit niederschlagen (unter Vernachlässigung intergenerationaler Übertragungen). Angesichts eines Anteils der Top-10 % Einkommensbezieher von über einem Drittel und der Top-1 % von über 10 % an den Gesamteinkommen verwundert es bei den beobachtbaren Sparquoten von durchschnittlich über 17 % nicht, dass die Vermögen extrem ungleich verteilt sind (Abbildung 4).

Ein weiterer Faktor, der die Sparneigung und Akkumulationsfähigkeit beeinflusst, ist die Haushaltsgröße und die Arbeitsmarktpartizipation der anderen Haushaltsmitglieder. Erzielt eine Person zwar ein hohes Einkommen, reicht dieses aber gerade dafür aus, den eigenen Haushalt zu versorgen, kann diese Person auch keine Ersparnisse und somit kein Vermögen bilden.

Topeinkommen
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Eng damit verbunden ist die Frage, welche Rendite ein Individuum auf sein Vermögen erhält. Wie hoch letztendlich die Kapitalerträge ausfallen, hängt in entschiedenem Maße davon ab, wieviel Vermögen eine Person bereits angehäuft hat und welche Rendite dieses Vermögen abwirft. Eine bereits vermögende Person kann ihre Kapitalanlagen besser diversifizieren und somit auch in riskantere Anlagen, die gegebenenfalls eine Überrendite abwerfen, exponiert sein. Dies geht ebenfalls aus den Vermögensdaten der Eurozone hervor. Während Vermögende zu einem erheblichen Teil auch in riskante Finanzanlagen investieren, spart ein Großteil der Bevölkerung ihr Vermögen an, um sich ein Eigenheim oder ein Auto zu leisten. An dieser Stelle wird deutlich, dass Vermögen oftmals gar keine Rendite im eigentlichen Sinne abwirft. Vielmehr geht es bei Verbrauchsgegenständen und vielen immateriellen Vermögensgegenständen um das Einsparen von Opportunitätskosten und das Erlangen gewisser Freiheiten. Durch ein Eigenheim erspart man sich beispielsweise die Zahlung einer Mietwohnung, auch wenn sicherlich noch Kosten der Unterhaltung anfallen. Somit sind in diesem Fall die Wertveränderung der Immobilie und die Einsparung der Mietzahlung und damit verbunden gegebenenfalls eine höhere persönliche Ersparnis die einzigen Vermögenseffekte, die auftreten. Ob man durch ein Auto Geld spart sei dahingestellt; auf jeden Fall erlangt man die Freiheit, nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein.

Ein weiterer Punkt ist die Wirkung des Zinseszins. Insofern Zinserträge nicht liquidiert werden, werfen diese in den darauffolgenden Perioden wiederum einen Zinsertrag ab. Wenn man das Vermögen „für sich arbeiten“ lassen kann und es nicht verbrauchen muss, perpetuiert sich die Vermögenssteigerung exponentiell. Interessanterweise lässt sich wiederum beobachten, dass selbst im obersten Dezil der Einkommensverteilung Arbeitseinkommen – und nicht Kapitaleinkommen – den größten Anteil ausmachen. Erst bei dem Top-0,1 Prozent überwiegt der Kapitaleinkommensanteil den der Arbeitseinkommen (Abbildung 4).

Wie sich der beschriebene Akkumulationsprozess auf die Vermögensungleichheit auswirkt, hängt davon ab, in welche Vermögensgegenstände die Individuen investieren. Studien belegen, dass sich Vermögen wie eine eigene Immobilie, Anleihen, Spareinlagen oder Fahrzeuge ungleichheitsverringernd auswirken, da diese einen überproportional hohen Anteil am individuellen Vermögen der Personen in den unteren und mittleren Vermögensdezilen ausmachen. Besonders bei Hauseigentum als größten privaten Vermögensposten wird die Ungleichheit immens durch den durchschnittlichen Wert der Immobilien beeinflusst. Ländervergleichende Studien zeigen, dass die Vermögensungleichheit in Ländern, in denen es eine höhere Hauseigentümerquote gibt, geringer ist. Bestes Beispiel hierfür sind Österreich und Deutschland bei denen die Hauseigentümerquote unter 50 % liegt und die Vermögenungleichheit innerhalb der Eurozone am größten ist. Für Deutschland werden nicht nur die geringe Eigentumsquote, sondern die im internationalen Vergleich als moderat zu bewertenden Immobilienpreise für die hohe Ungleichheit verantwortlich gemacht. Während in urbanen Regionen zwar mittlerweile ein Immobilienpreisanstieg erkennbar ist, verlieren insbesondere in der Peripherie die Immobilien zum Teil stetig an Wert. Riskante Finanzaktiva hingegen wirken sich ungleichheitsverstärkend aus, da diese nur von bereits vermögenden Personen erworben werden und die Erträge somit der obersten Vermögensschicht überproportional zugutekommen.

Fazit

Ob man reich wird oder nicht hängt von vielen Faktoren ab. Entscheidend dabei ist, wie groß die eigenen Möglichkeiten zur Kapitalakkumulation sind und ob man im Leben eine großzügige Erbschaft zu erwarten hat. Insofern man keine Erbschaft in Aussicht hat, hängen die Möglichkeiten, ein eigenes Vermögen aufzubauen, entscheidend von der individuellen Einkommenshöhe und deren Treibern ab. Getreu dem Motto „die erste Million ist die schwerste“, begünstigen ein hohes Einkommen und Vermögen einen weiteren Vermögensaufbau.

Inwieweit diese Prozesse auf die Vermögensungleichheit wirken, hängt von der Art der gehaltenen Vermögensgegenstände sowie ihrer Verteilung auf die Bürger einerseits und ihrer Rendite andererseits ab. Hauseigentum und sichere Anlagen gelten als ungleichheitsverringernd, riskantere Aktiva hingegen als ungleichheitsverschärfend. Insbesondere die ungleiche Verteilung der (Arbeits-)Einkommen sowie die Wirkung des Zinseszins ermöglichen eine hohe Konzentration des Vermögens am oberen Ende der Verteilung. Der Einfluss von Erbschaften und Schenkungen wird kontrovers diskutiert. Ob sie ungleichheitsverringernd oder –verstärkend wirken, hängt davon ab, wie der Vererbungsprozess von statten geht und welche Vermögensgegenstände vererbt werden.
Ungeklärt bleibt vorerst noch, welche Personengruppen persistent bessere Möglichkeiten der Vermögenserzielung haben und somit wahrscheinlicher im oberen Teil der Vermögensverteilung zu finden sind.

Literatur

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Beiträge der Serie “Ungleichheit heute“:

Thomas Apolte: Lohngefälle und Bildung in der offenen Gesellschaft

Norbert Berthold: Wie ungleich ist die Welt? Mythen, Fakten und Politik

Norbert Berthold: Rettet den Kapitalismus vor den Kapitalisten. Thomas Piketty auf den Spuren von Karl Marx.

Marcus Fraaß: Wie ungleich ist die Vermögensverteilung in Deutschland? Noch ungleicher als die Einkommensverteilung

Norbert Berthold: Staatliche Umverteilung und soziale Mobilität. Eine verteilungspolitische Fata Morgana?

Norbert Berthold: Die “Great Gatsby“-Kurve. Mehr als politische Progaganda?

Norbert Berthold: Des Läba isch koin Schlotzer. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist grober Unfug.

Klaus Gründler: Bildung hilft, die Ungleichheit zu reduzieren

Mustafa Coban: Kombilöhne versus Working Poor. Der Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit

Norbert Berthold: Geldpolitik und Ungleichheit. Machen Notenbanken die Welt ungleicher?

Rainer Hank: Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun?

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