„It is not enough to succeed; others must fail.“(Iris Murdoch)
Die Zeit der (um-)verteilungspolitischen Ruhe scheint vorbei. Der Kampf gegen ungleich verteilte Einkommen hat politisch wieder Konjunktur. In den USA rangiert das Thema ganz oben auf der politischen Agenda. Für Barack Obama ist es das wichtigste Problem. Die politische Renaissance des Kampfes gegen die Ungleichheit erstaunt. Vor 50 Jahren hat Lyndon B. Johnson der Armut den Kampf angesagt. Passiert ist in den USA nicht viel. Politisch bewegt hat sich auch in den 80er und 90er Jahre nur wenig als die Ungleichheit spürbar anstieg. Erst mit der Finanzkrise trat die Verteilungsfrage politisch aus dem Schatten. Auslöser waren die explodierenden Einkommen am oberen Ende der Verteilung. In den USA ist die Angst groß, dass die Ungleichheit den Mythos des „amerikanischen Traums“ zerstört. Die Angst nimmt zu, dass ungleicher verteilte Einkommen die soziale Mobilität verringern. Kein Wunder, dass in den USA der Kampf gegen die soziale Immobilität nun politische Priorität hat. Eine gleichmäßigere (Um-)Verteilung der Einkommen ist für viele der wichtigste politische Hebel.
Soziale Mobilität: Was ist das?
Heute verteilen sich die Einkommen in den reichen Ländern ungleicher als gestern und vorgestern. Seit Anfang des neuen Jahrtausends geht die Ungleichheit in den USA allerdings wieder leicht zurück. Trotz gewachsener Ungleichheit sind die realen Einkommen seit Mitte der 90er Jahre auf allen Ebenen gestiegen, allerdings unterschiedlich stark. Getrieben wird die „neue“ Ungleichheit von stark steigenden Einkommen in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung. Geradezu explodiert sind sie in den obersten Einkommensschichten. Die Zuwachsraten in der „Mittelschicht“ waren zumeist spürbar geringer. Auch am unteren Ende der Verteilung entwickelten sich die Einkommen positiv, wenn auch deutlich weniger stark. Abgesehen von den 80er Jahren wuchsen die Einkommen mit den Perzentilen. Stärker ungleich verteilte Einkommen stoßen nicht auf Gegenliebe der Individuen, deren Einkommen relativ langsamer steigen. Die Aussicht sozial aufzusteigen, besänftigt allerdings die „relativen“ Verlierer. Die soziale (Aufstiegs-)Mobilität ist der Kitt, der ungleiche Gesellschaften zusammenhält. Sie ist ein Indikator für die Chancengleichheit, nicht perfekt aber auch nicht schlecht.
Die „Verlierer“ sind bereit, ungleich verteilte Einkommen zu akzeptieren, wenn die soziale Mobilität in Takt ist. Die individuelle Aussicht, im Laufe des eigenen Lebens sozial aufzusteigen, ist ein erster Schritt in diese Richtung. In einer durchlässigen Gesellschaft ist diese intra-generative Mobilität hoch. Die Ärmeren haben eine realistische Chance, im Laufe ihres Lebens auch Karriere zu machen. Wo einer aufsteigt, muss aber ein anderer absteigen. Andererseits müssen die Reicheren damit rechnen, dass ihnen Ärmere den Rang ablaufen. Die intra-generative Mobilität ist zu großen Teilen vom Lebenszyklus getrieben. Bis zum Alter von 50 steigen die Einkommen, danach stagnieren sie oder sinken sogar. Im Laufe des Lebens erfahren viele Individuen eine distributive Berg- und Talfahrt, vom „Tellerwäscher zum Millionär und zurück“. Die Akzeptanz ungleich verteilter Einkommen wird verstärkt, wenn die Chancen gut sind, dass es den eigenen Kindern künftig besser als der Väter- bzw. Müttergeneration gehen wird. Es ist vor allem diese inter-generative Mobilität, die in demokratischen Ordnungen mit dazu beiträgt, dass sich trotz ungleich verteilter Einkommen die inter-personellen umverteilungspolitischen Aktivitäten in Grenzen halten.
Eine höhere soziale Mobilität scheint grundsätzlich besser als ein geringere. Die realistische Chance auf der Einkommensleiter aufzusteigen, schafft positive Anreize zu individuell höherer Leistung. Das gilt auch für die ständige Angst aller auf einer höheren Einkommensstufe sozial abzusteigen. Eine hohe soziale Mobilität ist nicht nur der Motor eines wachsenden Wohlstandes. Sie trägt auch mit dazu bei, dass individuelle Aufholprozesse möglich werden. Der Prozess der „regression to the mean“ wird in Gang gehalten. Die inter-personelle Ungleichheit wird im Zaum gehalten. Eine hohe soziale Mobilität erhöht schließlich auch die Toleranz für Ungleichheit in einer Gesellschaft. Sie hält in einer Demokratie die ständige Forderung der distributiv Benachteiligten nach inter-personeller Umverteilung in Grenzen. Und diese Gruppe hat eine Mehrheit. Die Gefahr eines effizienzverschlingenden Steuer-Transfer-System wird minimiert. Somit sprechen allokative, distributive und polit-ökonomische Argumente für eine hohe soziale Mobilität.
Die „Great Gatsby“-Kurve
Es gibt eine lange Liste von Faktoren, die die soziale Mobilität treiben. Einer der prominenteste Treiber ist die Einkommensungleichheit. Der kanadische Ökonom Miles Corak hat als einer der Ersten festgestellt, dass in Ländern mit sehr ungleich verteilten Einkommen die Individuen inter-generativ nicht sehr mobil sind. Offensichtlich sind Einkommensungleichheit und inter-generative soziale Mobilität stark korreliert. Vor allem die Politik in den USA hat dieser Befund erschreckt. Tatsächlich ist die amerikanische soziale Mobilität im internationalen Vergleich relativ gering. Der Mythos vom „amerikanischen Traum“ löst sich in Luft auf. In anderen vor allem (nord-)europäischen Ländern, wie etwa Dänemark, Finnland oder Schweden, ist nicht nur die Verteilung der Einkommen gleichmäßiger. Auch die inter-generative soziale Mobilität ist spürbar höher. Populär wurde dieser Zusammenhang durch den Princeton-Ökonom Alan B. Krueger. Er hat die Korrelation der beiden Größen „Great Gatsby Kurve“ genannt.
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Es spricht einiges dafür, dass Ausmaß der Einkommensungleichheit und Grad der inter-generativen Mobilität korreliert sind. Damit ist aber das letzte Wort über die Kausalität noch lange nicht gesprochen. Es ist denkbar, dass mit immer ungleicher verteilten Einkommen die Möglichkeiten weniger reicher Eltern sinken, in das Humankapital ihrer Kinder zu investieren. Die soziale Mobilität wird negativ beeinflusst. Möglich ist allerdings auch, dass die inter-generative Mobilität in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung hinter der in der oberen herhinkt. In diesem Fall ist die Kausalität der beiden relevanten Größen umgekehrt. Denkbar ist schließlich auch, dass beide Größen – ungleich verteilte Einkommen und soziale Mobilität – von dritten Faktoren beeinflusst werden. Vor allem für die nordischen Staaten wird immer wieder die begründete Vermutung geäußert, dass verstärkte staatliche Investitionen in das Humankapital nicht nur die Einkommen gleichmäßiger verteilen, sondern auch die inter-generative soziale Mobilität beschleunigen.
Tatsächlich hat die Diskussion um die Kausalität der „Great Gatsby“-Kurve eine Schlagseite. Auch Alan B. Krueger, der ehemalige Vorsitzende des CEA und ökonomische Einflüsterer von Barack Obama, suggeriert immer wieder eine eindeutige Kausalität. Der starke Anstieg der amerikanischen Einkommensungleichheit zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre führe generationenverzögert zu einem weiteren Rückgang der sowieso schon niedrigen sozialen Mobilität in den USA. Die Sprossen der Einkommensleiter lägen immer weiter auseinander. Vor allem in den unteren, aber auch in den mittleren Einkommensgruppen werde damit der Aufstieg auf höher liegende Sprossen erschwert. Diese These passt allerdings nicht zu den empirischen Fakten. Die Einkommensverteilung wurde deshalb ungleicher, weil die Einkommen ganz oben explodierten. Um im Bild zu bleiben: Vor allem die obersten Sprossen liegen nun weiter auseinander. Das hat aber wenig Einfluss auf die soziale (Aufstiegs-)Mobilität in den unteren und mittleren Einkommensschichten. Der Anteil der oberen 1 % hat in den USA keinen Einfluss auf die inter-generative Mobilität.
Mehr als politische Propaganda?
An Kritik an der „Great Gatsby“-Kurve herrscht kein Mangel. Es ist grundsätzlich richtig, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen weniger in ihre Kinder investieren können. Das gilt nicht nur für die vorschulischen, sondern auch für die schulischen und universitären Elemente der Bildung und Ausbildung. Oft sind in ärmeren Familien die finanziellen Mittel nicht vorhanden, um kognitive und nicht-kognitive Fähigkeiten der Kinder zu fördern. Darunter können die Chancen des sozialen Aufstiegs leiden. Allerdings sind die elterlichen Einkommen nicht der einzige Treiber der sozialen Mobilität. Ob Kinder auf- oder absteigen hängt auch von genetischen Faktoren, vom Verhalten der Eltern, dem Einfluss des sozialen Umfelds, der Güte der Schulen und vielem anderen mehr ab. Ein wichtiger Einfluss scheint der Familienstruktur zuzukommen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass stabile Familien, in denen nicht alleinerziehende Mütter die Hauptlast der Erziehung schultern müssen, einen dominierenden Einfluss auf die soziale Mobilität haben.
Die Korrelation ungleich verteilter Einkommen und inter-generativer Mobilität gerät für reiche Länder ins Wanken, wenn man die nordischen Länder näher unter die Lupe nimmt. Die vier skandinavischen Länder – Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden – zeichnen sich durch gleichmäßiger verteilte Einkommen und mehr Chancengleichheit aus. Es ist allerdings fraglich, ob die geringe Einkommensungleichheit eine wesentliche Ursache der hohen inter-generativen Mobilität ist. Diese Länder haben in der Vergangenheit große Anstrengungen unternommen, in das Humankapital nachwachsender Generation zu investieren. Das gilt vor allem für den vorschulischen sowie primären und sekundären schulischen Bereich. Es trifft aber auch für die berufliche und universitäre Ausbildung zu. Die verstärkten Investitionen in Humankapital haben die Verteilung der Einkommen eingeebnet und die soziale Mobilität erhöht. Die „Great Gatsby- Kurve“ der reichen Länder ohne die nordischen verläuft flacher.
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Eine solidere empirische Basis hat eine Analyse einer Gruppe von Harvard- und Berkeley-Ökonomen. Das Ergebnis ist für viele überraschend. Die soziale Mobilität in den USA ist niedriger als in ähnlich entwickelten Ländern. Sie bestätigen damit im Wesentlichen die Ergebnisse von Miles Corak. Trotz steigender Einkommensungleichheit hat sich die soziale Mobilität der Kinder, die in den 50er Jahren geboren wurden gegenüber denen, die in den 70er Jahren auf die Welt kamen, allerdings nicht weiter verringert. Aber es gibt regionale Unterschiede. So ist etwa in Salt Lake City die Mobilität ähnlich hoch wie in Dänemark, während Atlanta eine soziale Mobilität aufweist, die so niedrig ist wie in keinem anderen entwickelten Land. Höchst interessant sind auch die Ergebnisse zu den Treibern der sozialen Mobilität. Wo die räumliche Segregation geringer ist, die Einkommen gleichmäßiger verteilt sind, die Grundschulen eine bessere Qualität haben, das Sozialkapital höher ist und die Familien stabiler sind, ist auch die inter-generative Mobilität höher.
Pfadabhängige soziale Mobilität
Solide empirische Untersuchungen zur inter-generativen Mobilität sind rar. Das verwundert nicht. Solche Studien erfordern lückenlose Daten über Generationen hinweg. Meist liegen diese aber nur für wenige Generationen vor. Bisherige Analysen berücksichtigen meist nur 2 – 3 Generationen. Einen verlässlichen Hinweis auf die langfristige Entwicklung der inter-generativen Mobilität geben sie nicht. Dazu braucht man Daten sehr vieler Generationen. Die liegen wohl erst in der ferneren Zukunft vor. Solange wollte Gregory Clark, ein Wirtschaftshistoriker von der kalifornischen Universität in Davis, nicht warten. Er untersuchte, wie sich der soziale Status von Familien über viele Jahrhunderte hinweg entwickelte. Da Familien der Oberschicht oft seltene und ausgefallene Namen führen, hatte er die Idee, die Nachnamen als Indikatoren zu verwenden. Er konnte zeigen, dass in Berufen mit hohem sozialem Prestige – Ärzte, Anwälte, Professoren, Parlamentarier – die Oberschicht schon vor vielen Generationen überproportional vertreten war. Das hat sich bis heute nicht geändert. Von einer hohen sozialen Mobilität zeugt das nicht.
Die neuen Studien zur inter-generativen Mobilität messen den wirtschaftlichen Erfolg meist nur am Einkommen und Vermögen. Das ist bei Gregory Clark anders. Er orientiert sich an einem breiteren sozialen Status. Der umfasst nicht nur monetäre Größen. Beruf, Bildung und Lebenserwartung geben ebenfalls Hinweise auf die soziale Stellung. Er untersucht einige wenige Länder, wie etwa u.a. Großbritannien, die USA, Schweden oder China, deren institutioneller Wandel über die Jahrhunderte völlig unterschiedlich verlief. Trotz schwieriger Datenlage kann Gregory Clark auf Daten zugreifen, die oft viele Jahrhunderte zurückreichen. Das wird am deutlichsten an den Namenslisten der Studenten von Oxford und Cambridge, die lückenlos bis ins Mittelalter vorliegen. Das Ergebnis ist spektakulär: Die inter-generative Immobilität ist durch die Bank sehr hoch. Während die neueren Studien des wissenschaftlichen Mainstream zu Werten zwischen 0,15 und 0,65 kommen, liefert seine Untersuchung nur Werte zwischen 0,7 und 0,9.
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Diese Ergebnisse sind ein Schlag ins Kontor aller, die an den „amerikanischen Traum“ glauben. Der individuelle soziale Erfolg ist „erblich“ und wird durch die Umwelt kaum beeinflusst: „Nature predominates over nurture.“ Wo man auf der sozialen Leiter landet, wird durch den Zufall der Geburt bestimmt. In einer leistungsorientierten Gesellschaft gilt allerdings das eherne Gesetz der „Bewegung zum Durchschnitt“. Soziale Mobilität nach oben und unten ist programmiert. Das „Buddenbrook-Syndrom“ legt Zeugnis davon ab. Tatsächlich wird aber die Mobilität zwischen Generationen durch das Heiratsverhalten gebremst. Das „assortative mating“ – Heirat in der gleichen sozialen Schicht – hält die inter-generative Mobilität niedrig. Eine geringe soziale Mobilität ist nicht per se schlecht. Gelingt es etwa pfiffigen Eltern, ihren Kindern die eigenen raren Fähigkeiten weiter zu geben, ist eine geringe soziale Mobilität ökonomisch effizient. In diesem Punkt treffen sich der Nobelpreisträger Garry S. Becker und Gregory Clark.
Wirtschaftspolitische Folgerungen
Der empirische Befund ist verwirrend. Wie hoch die inter-generative Mobilität ist, bleibt weiter unklar. In der eher kurzen Frist von 2 – 3 Generationen scheint sie höher, streut aber zwischen ähnlich entwickelten Ländern beträchtlich. Über Jahrhunderte hinweg ist sie über alle Länder hinweg vernachlässigbar gering, trotz erheblicher länderspezifischer institutioneller Unterschiede. Der Einfluss ungleich verteilter Einkommen auf die inter-generative Mobilität ist begrenzt. Die unklare Diagnose begünstigt konträre Vorschläge zur Therapie. Die einen fordern noch mehr (Sozial-)Staat, um die soziale Mobilität zu fördern. Verstärkte umverteilungspolitische Aktivitäten, mehr staatliche Investitionen in Humankapital, verstärkte Regulierungen am Arbeitsmarkt stehen auf deren Agenda. Die anderen setzen auf weniger (Sozial-)Staat, weil er die soziale Mobilität zerstöre. Weniger staatliche Umverteilung, stabilere Familien, weniger regulierende Eingriffe des Staates und mehr Institutionen der Zivilgesellschaft sind die Ansatzpunkte.
Die wirtschaftspolitische Strategie, mehr soziale Mobilität über den Umweg der staatlichen Umverteilung zu initiieren, ist wenig erfolgversprechend. Dazu ist das empirische Fundament der „Great Gatsby-Kurve“ zu brüchig und die Umverteilung allokativ zu kostspielig. Die wirtschaftspolitische Antwort liegt auf der Hand, wenn die inter-generative Mobilität pfadabhängig ist. Dann ist der individuelle Erfolg „erblich“. Wirtschaftspolitisch lässt sich die soziale Mobilität kaum noch beeinflussen. Mehr Heirat zwischen sozialen Schichten würde sie zwar erhöhen. Staatlich verordnen lässt sich das – Gott sei Dank – aber hierzulande nicht. Damit bleiben in einer solchen Welt drei sinnvolle Strategien. Die erste muss lauten: „Wachsen statt umverteilen“. Eine effiziente Wachstumspolitik muss dafür sorgen, dass mit der Flut alle Boote steigen, die „kleinen“, „mittleren“ und die „großen“. Die zweite muss heißen: „Kampf der sozialen Segregation“. Wer „Ghettoisierung“ vermeidet, produziert positive externe Effekte der Bildung und verbreitet Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Die dritte Strategie muss sein: „Armut anreizkompatibel bekämpfen“. Die Nachteile niedriger sozialer Schichten müssen begrenzt werden. Ein effizienter Einsatz individueller Fähigkeiten hat Priorität, für Notfälle muss der Staat ein Existenzminimum garantieren.
Tatsächlich ist die inter-generative Mobilität wohl weniger pfadabhängig als Gregory Clark uns glauben machen will. Es ist nicht nur der familiale Hintergrund, es sind auch die soziale Umwelt und das individuelle Verhalten, die mit darüber bestimmen, wie erfolgreich wir sind. Eine höhere inter-generative Mobilität ist damit besser als eine geringere. Es ist aber wegen der ungesicherten „Great Gatsby“-Kurve nicht sinnvoll, eine höhere soziale Mobilität über den Umweg staatlicher Umverteilung anzustreben. Das Problem mangelnder inter-generativer Mobilität sollte direkter angegangen werden. Drei Ansatzpunkte sind möglich: 1) Mehr Investitionen in Humankapital. Die Ansatzpunkte sind (frühe) Bildung, bessere Schulen und (berufliche und universitäre) Ausbildung. Hier sind Familien, Staat und Unternehmen gefordert. 2) Durchlässigere Arbeitsmärkte. Erst flexible Arbeitsmärkte vermitteln marktverwertbares Humankapital. Das ist eine Aufgabe von Tarifpartnern und (deregulierendem) Staat. 3) Stabilere Familienstrukturen. Die einen fordern die Renaissance von Werten und Normen (Charles Murray). Andere wollen mehr staatliche Hilfen für alleinerziehende Mütter (Paul Krugman).
Fazit
Die inter-generative Mobilität gerät immer stärker ins Blickfeld der Verteilungspolitik. Lange Zeit hat sich die Politik damit beruhigt, dass sich zwar die Einkommen ungleicher verteilten, der „amerikanische Traum“ aber weiter geträumt werden durfte. Die gefühlte hohe soziale Mobilität kompensierte die steigende Ungleichheit. Mit der „Great Gatsby“-Kurve wankte dieser Traum; mit der These, dass Erfolg erblich ist, schien er endgültig zu Ende. Die Politik geriet in Zugzwang. Sie musste etwas tun, um die inter-generative Mobilität wieder auf Trab zu bringen. Tatsächlich ist die „Great Gatsby“-Kurve noch nicht viel mehr als politische Propaganda. Der Zusammenhang von ungleicher verteilten Einkommen und wachsender sozialer Immobilität ist brüchig. Wer mehr inter-generative Mobilität will, sollte nicht den effizienzverschlingenden Umweg über die staatliche Umverteilung wählen. Er sollte das Problem direkt angehen. Bessere (Grund-)Schulen, mehr familiale Stabilität und flexiblere Arbeitsmärkte werfen eine doppelte Dividende ab: Mehr soziale Mobilität und weniger Einkommensungleichheit.
Literatur:
Clark, Gregory (2014), The Son Also Rises. Surnames and the History of Social Mobility. Princeton and Oxford
Beiträge der Serie “Ungleichheit heute“:
Norbert Berthold: Des Läba isch koin Schlotzer. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist grober Unfug.
Klaus Gründler: Bildung hilft, die Ungleichheit zu reduzieren
Mustafa Coban: Kombilöhne versus Working Poor. Der Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit
Norbert Berthold: Geldpolitik und Ungleichheit. Machen Notenbanken die Welt ungleicher?
Rainer Hank: Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun?
Klaus Gründler: Ungleichheit und Krisen
Norbert Berthold: „Reichtum ist distributive Umweltverschmutzung“. Höhere Steuern oder mehr Wettbewerb?
Klaus Gründler: Ungleichheit und Wachstum
Norbert Berthold: Der amerikanische Traum – Bremst Ungleichheit die soziale Mobilität?
Norbert Berthold: Der Staat pflügt die Verteilung um
Norbert Berthold: Die Ungleichheit wird männlicher
Norbert Berthold: Krieg der Modelle. Technologie oder Institutionen?
Michael Grömling: Einkommensverteilung – Vorsicht vor der Konjunktur!
Norbert Berthold: Die deutsche “Mitte“ ist stabil. Wie lange noch?
Eric Thode: Die Mittelschicht schrumpft – Wo liegt der Handlungsbedarf?
Norbert Berthold: Geringe Stundenlöhne, kurze Arbeitszeiten. Treiben Frauen die Ungleichheit?
Norbert Berthold: Deutschland wird ungleicher. Was sagt die Lohnverteilung?
Simon Hurst: Der Staat strapaziert die Schweizer Mittelschicht
Norbert Berthold: Einkommensungleichheit in OECD-Ländern. Wo stehen wir?
Norbert Berthold: Ungleichheit, soziale Mobilität und Humankapital
- Pakt für Industrie
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Die „Great Gatsby“-Kurve
Mehr als politische Propaganda?“