„Es gibt eben keine andere Wahl als die: entweder von isolierten Eingriffen in das Spiel des Marktes abzusehen oder aber die gesamte Leitung der Produktion und der Verteilung an die Obrigkeit zu übertragen.“ (Ludwig von Mises)
Vor 25 Jahren kollabierten die osteuropäischen Planwirtschaften. Der liberale Weg für Demokratie und Marktwirtschaft schien frei. Die Markt- hatte die Planwirtschaft besiegt. Karl Marx schien mausetot. Francis Fukuyama philosophierte schon über das Ende der Geschichte. Das war offensichtlich voreilig. Vor 5 Jahren offenbarte die Finanzkrise die Achillesfersen der Marktwirtschaft: Ein instabiler Finanzsektor und ungleich verteilte Einkommen und Vermögen. Die Reparatur des finanziellen Sektors hält die Welt seither in Atem. Ein Ende ist nicht in Sicht. Dazu kommt ein wachsendes Unbehagen über die ungelöste Verteilungsfrage. Allerdings sorgen nicht nur sehr ungleich verteilte Einkommen für Aufregung. Auch die Macht und der Einfluss immer stärker konzentrierter Vermögen sorgen für Diskussionen. Thomas Piketty hat mit seinem dicken Wälzer „Kapital im 21. Jahrhundert“ einen Nerv getroffen. Demnach war Karl Marx nur scheintot. Wenn wir so weiter machen, so seine These, ist das Ende des Kapitalismus nur eine Frage der Zeit.
Zerstört Ungleichheit den Kapitalismus?
Die wirtschaftliche Effizienz spricht weltweit ohne „Wenn und Aber“ für marktwirtschaftliche Ordnungen. Es gibt kein besseres System, die Allokation der Ressourcen zu organisieren. Eine Achillesferse ist allerdings die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen. Seit mehreren Jahrzehnten wächst in den reichen Ländern die Ungleichheit. Glaubt man Thomas Piketty, wird sich diese Entwicklung künftig noch verstärken. Die wachsende Ungleichheit sei drauf und dran, die marktwirtschaftliche Ordnung zu zerstören. Schuld daran sind die „Kapitalisten“, die „obszön“ hohe Einkommen erzielen und in Dagobert Duck’scher Manier dabei sind, Kapital anzuhäufen. Geld und Kapital verleihen Macht und Einfluss. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass die ober(st)en Einkommensschichten versuchen, die Politik in ihrem Sinne – „pro business“, nicht „pro market“ – zu beeinflussen. Das tut allerdings der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht gut. Es schürt die gallische Angst vor dynastischen Entwicklungen.
Tatsächlich ist die Verteilungsfrage komplexer. Weltweit konvergieren die Einkommen. Globalisierung und technischer Fortschritt sind wichtige Treiber. Ärmere Länder holen spürbar auf. Die weltweite Verteilung der Einkommen wird gleichmäßiger. Angus Deaton hat diese Entwicklung jüngst eindrucksvoll empirisch analysiert und ebenfalls in ein dickes Buch gegossen. Innerhalb der Länder entwickeln sich allerdings die Einkommen auseinander. Das gilt für die Verteilung der Einkommen vor und nach Umverteilung. Der Prozess ungleicher verteilter Einkommen ist in den USA seit Mitte der 80er Jahre in Gang. In Europa setzte er fast ein Jahrzehnt später ein. Der Schwerpunkt der verteilungspolitischen Diskussion hat sich mit der Zeit verschoben. Ursprünglich konzentrierte sich die Politik auf den Anstieg der Armut. Danach galt die Sorge der Mittelschicht, die gegenüber „oben“ und „unten“ verlor. Seit der Finanzkrise dreht sich (fast) alles nur noch um die oberen 1 % der Einkommensempfänger. Die Ungleichheit unter den 99 % geht beinahe unter.
Seit sich die politische Diskussion auf die höchsten Einkommen konzentriert, geraten auch die Einkommen aus Vermögen wieder in den Blick. Sie stehen bei vielen im Verdacht, ein wichtiger Treiber der explodierenden Einkommen ganz oben zu sein. Das trifft allerdings (bisher) nicht zu. Vor der Finanzkrise wurden die obersten Einkommensschichten reicher, weil „Topstars“, „Wallstreet“ und „Mainstreet“ kräftig verdienten. Die Globalisierung hat das Phänomen verstärkt, dass der „Gewinner alles bekommt“. Die hohen Einkommen (obere 1 %) werden aber vor allem aus Arbeit erzielt. Nach wie vor haben Kapitaleinkommen ein geringes Gewicht. Allerdings wachsen sie schneller als andere Arten von Einkommen. Thomas Piketty glaubt, dass auch künftig die Einkommen aus Kapital schneller wachsen als die aus Arbeit. Das täte der Marktwirtschaft nicht gut. Die Vermögen würden sich noch stärker bei den Reichen konzentrieren, deren Einkommen würden explodieren. Ihre Macht und ihr politischer Einfluss nähmen weiter zu. Letztlich würden die Kapitalisten den Kapitalismus zerstören.
Die Welt des Thomas Piketty
Die distributive Welt des Thomas Piketty spielt auf vier Ebenen: 1) Die Erträge aus Kapital (r) wachsen auch künftig schneller als das Sozialprodukt (g). Er sieht für diese Entwicklung vor allem zwei Gründe: Zum einen wächst die Bevölkerung in reichen Ländern der Welt noch langsamer als bisher. Damit fällt ein wichtiger Treiber des wirtschaftlichen Wachstums aus. Zum anderen sind die „tiefhängenden Früchte“ der Innovation (Tyler Cowen) weitgehend abgeerntet. Alle wichtigen Innovationen sind schon getätigt (Robert Gordon). Damit dümpelt das Wachstum der Arbeitsproduktivität, der zweite wichtige Wachstumstreiber, künftig weiter vor sich hin. Beide Entwicklungen lassen das Sozialprodukt noch langsamer wachsen. Demgegenüber geht Piketty von der Annahme aus, dass die Erträge aus Kapital auch künftig relativ stabil sein werden. Er verweist auf die Vergangenheit. Es ist in der Tat erstaunlich, dass sich die Kapitalerträge (brutto) über lange Zeit hinweg kaum verändert haben. Das sei auch in Zukunft wahrscheinlich.
2) Die schon heute ungleich verteilten Vermögen werden künftig noch ungleicher verteilt sein. Schon bisher sind die Vermögen stark konzentriert. Wachsen die Einkommen aus Kapital künftig weiter viel schneller als die Einkommen aus Arbeit, wird sich die Ungleichheit verstärken. Der Bestand an Kapital gemessen am Sozialprodukt wird Werte annehmen, wie sie im 19. Jahrhundert gang und gäbe waren. Das Problem entsteht nach der Meinung von Thomas Piketty, weil sich wachsende Vermögen noch stärker als bisher konzentrieren. Schon heute sind die Vermögen großteils in den Händen der ober(st)en Einkommensschichten. Getrieben wird diese Entwicklung von der hohen Sparquote dieser Gruppe. Wachsen die Einkommen aus Kapital stärker als die aus Arbeit, schlagen sich die höheren Zuwächse ganz oben nieder. Das lässt auch die Verteilung der Einkommen nicht unberührt. Die ungleich verteilten Einkommen werden noch ungleicher, weil stärker wachsende Kapitaleinkommen einen wachsenden Teil der Einkommen ausmachen.
3) Der Einfluss der Reichen auf die Politik nimmt weiter zu. Die Stimmen der Wähler sind nicht gleichviel wert. Es wird die Vermutung geäußert, dass die Macht des Geldes den oberen Einkommensschichten mehr Einfluss auf politische Entscheidungen einräumt. Sehr reiche Einkommensempfänger mit extrem hohen Einkommen beeinflussen die Politik in ihrem Sinne. Die Spielarten des „crony capitalism“ sind vielfältig. Finanzielle Vergünstigungen – Steuerschlupflöcher, Subventionen – sind das eine, politische Marktzutrittsbarrieren für neue Konkurrenten sind das andere. Das ist weder gut für die Marktwirtschaft noch für die Demokratie. Die Allokation der Ressourcen wird verzerrt, das wirtschaftliche Wachstum lahmt, die Verteilung von Einkommen und Vermögen wird ungleicher, die soziale Mobilität wird eingebremst. Eine stärkere Konzentration von Vermögen trägt mit dazu bei, dass die Kapitalisten nicht nur den Kapitalismus zerstören. Sie beschädigen auch den Markenkern der Demokratie („one man one vote“).
4) Der Kapitalismus ist nur zu retten, wenn man verhindert, dass die Kapitalisten riesige Vermögen anhäufen können. Thomas Piketty geht nicht ganz so weit, wie Karl Marx, der das Privateigentum abschaffen wollte. Er setzt auf das Instrument einer hohen progressiven Einkommen- und einer weltweiten Vermögensteuer. Eine progressive Einkommensteuer mit „optimalen“ Steuersätzen zwischen 73 und 80 % soll verhindern, dass die Top-Einkommensbezieher in den Unternehmen weiter ungerechtfertigte Renten abschöpfen. Damit würde für Topverdiener der Weg steiniger, über extrem hohe Einkommen riesige Vermögen zu akkumulieren. Mit einer progressiven Vermögensteuer von bis zu 10 % pro Jahr sollen große Vermögen abgeschöpft werden. Um Umgehungsmöglichkeiten zu minimieren, soll die Steuer auf Vermögen weltweit erhoben werden. Die Verteilung von Einkommen und Vermögen würde gleichmäßiger, Macht und Einfluss auf die Politik würden geringer ausfallen, der „Kapitalismus“ würde effizienter und gerechter.
Wie begründet ist die gallische Angst?
Die vier Elemente der pikettey’schen Welt sind nicht in Stein gemeißelt. Vielfältige Kräfte der Kritik nagen an ihnen. 1) Die Lücke zwischen dem Wachstum der Erträge aus Kapital und dem der Arbeit wird sich nicht weiter öffnen. Es ist spekulativ anzunehmen, das Wachstum des Sozialproduktes werde sinken, die Kapitalrendite aber weiter hoch bleiben. Der Einwand gilt für das Wachstum des Sozialproduktes. Bei einer wachsenden Weltbevölkerung wird die Immigration in reiche Länder steigen. Der Rückgang der Fertilität dort wird teilweise kompensiert. Auch der weitverbreitete Pessimismus, dass die Rate des technischen Fortschritts weiter sinken wird, ist reine Spekulation. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das Potential bahnbrechender Erfindungen bei offenen Märkten systematisch unterschätzt wird. Aber selbst wenn sich eine größere Lücke zwischen (r) und (g)Â auftun sollte, muss damit gerechnet werden, dass die Rendite des Kapitals sinken wird. Das Gesetz abnehmender Grenzerträge lässt sich nicht außer Kraft setzen.
2) Es wirken vielfältige Kräfte, die mit dazu beitragen, die Konzentration des Kapitals zu verwässern. Die Vermögen verteilen sich seit den 80er Jahre in den reichen Ländern ungleicher, wenn auch unterschiedlich stark. Der Grad der Ungleichheit nähert sich wieder Zeiten an, wie sie vor den beiden Weltkriegen geherrscht haben. Es ist allerdings empirisch umstritten, ob die Vermögen der obersten 1 % der Vermögensbesitzer in der jüngeren Zeit tatsächlich überall stärker gewachsen sind. Viel wichtiger ist aber, dass Kräfte wirken, die der Konzentration der Vermögen entgegenwirken. Die Zahl der Kinder und deren Nachkommen verwässern das Vermögen ebenso, wie Scheidungen, schlechte Vermögensverwaltung, Steuern, Schenkungen, Verschwendung und vieles andere mehr. Viel entscheidender ist allerdings die „Vermögensmobilität“. Die Erfahrung zeigt, dass es schwer ist, sich länger an der Spitze der Verteilung zu halten. Das „Buddenbrooks-Syndrom“ schlägt zu. Die oberen 1 % können zwar einen immer größeren Teil des Vermögens eines Landes anhäufen. Es sind aber immer öfter andere, die es besitzen.
3) Die Gefahr des „crony capitalism“ existiert, sie wird künftig aber eher kleiner. Es ist unbestritten, große Vermögen versuchen, Einfluss auf die Politik zu gewinnen. Das können Unternehmen oder Personen sein. Dabei sind große Unternehmen gegenüber kleineren im Vorteil. Ob auch Individuen mit großem Vermögen über entsprechenden Einfluss verfügen, ist in gefestigten Demokratien umstritten. Oligarchische Verhältnisse, wie in Argentinien, Russland oder der Ukraine, sind allerdings auch künftig unwahrscheinlich. Dafür spricht auch, dass die Bedeutung ererbten „alten“ Vermögens – entgegen der u-förmigen Langfristprognose von Thomas Piketty – weiter auf dem Rückzug ist. In den USA ist der Anteil des vererbten Vermögens am gesamten Nettovermögen in den beiden letzten Dekaden um über ein Drittel gesunken. Das durch eigene Anstrengungen geschaffene Vermögen gewinnt an Gewicht. Technischer Fortschritt und Globalisierung begünstigen unternehmerische Aktivitäten. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass „neues“ Kapital geschaffen wird. „Vetternwirtschaft“ wird weniger wahrscheinlich.
4) Eine progressive Vermögenssteuer einzuführen, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wer große Vermögen progressiv besteuern will, steht vor einem grundlegenden Problem: Er muss unterscheiden, was „gutes“ und was „schlechtes“ Vermögen ist. Thomas Piketty geht wie viele andere von der Vorstellung aus, dass ererbtes Vermögen leistungslos und damit „schlecht“ sei. Für ihn ist die Loreal-Erbin Liliane Bettencourt das abschreckende Beispiel. Macht und Einfluss solchen Vermögens lägen wie Mehltau auf der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. „Gutes“ Vermögen entstehe dagegen, wenn es selbst geschaffen werde, vorzugsweise durch innovative unternehmerische Aktivitäten. Der Microsoft-Gründer Bill Gates oder die Apple-Legende Steven Jobs sind Beispiele dafür. Ihr Erfolg beruhte nicht auf ererbtem „altem“ Vermögen, er entstand quasi aus dem „virtuellen“ Nichts. Von diesem „neuen“ Vermögen profitieren nicht nur Einzelne, es schafft Wohlstand für alle. Und es hat den weiteren Vorteil, dass es die Mobilität von Vermögen beschleunigt. Das ist nicht nur effizienter, es ist auch gerechter.
Kapitalismus ohne Kapitalisten?
Die steile These von Thomas Piketty, dass der Kapitalismus sich selbst zerstöre, ist wenig überzeugend. Dennoch sind sehr ungleich verteilte Einkommen und Vermögen riskant für die Marktwirtschaft. Das gilt vor allem dann, wenn die soziale Mobilität gering ist, die Einkommens- und Vermögenspositionen also intra- und inter-generativ zementiert sind. Die Remedur, die Thomas Piketty empfiehlt, um die Verteilungsfrage zu lösen, ist allerdings nicht zu empfehlen. Er setzt auf eine marxistische Strategie auf Rädern. Die „Kapitalisten“ sollen zwar nicht sofort, sondern sukzessive enteignet werden. Hohe Einkommen und Vermögen sollen progressiv besteuert werden. Mit dieser Strategie würgt er den Motor des wirtschaftlichen Wohlstandes ab: Das private Unternehmertum. Er unterliegt dem Irrtum vieler Sozialisten. Für sie ist das Sozialprodukt gegeben, es muss nur noch umverteilt werden. Tatsächlich muss es aber erst geschaffen werden. Nimmt man den wirtschaftlichen Akteuren durch exzessive Umverteilung über das Steuer-Transfer-System wichtige Anreize, werden die Güter gar nicht produziert.
Ein staatlich veranstalteter Kapitalismus mit privaten Kapitalisten als Hofnarren schrumpft die ökonomische Basis staatlicher Umverteilung. Das müsste Thomas Piketty seit dem steuerpolitischen Desaster des sozialistischen französischen Präsidenten Francois Hollande eigentlich wissen. Der Staat tritt immer öfter an die Stelle des Marktes. Im Staatskapitalismus mit domestizierten Kapitalisten ist „crony capitalism“ besonders ausgeprägt. Tatsächlich leiden aber schon heute viele Länder unter dem Gift der „Vetternwirtschaft“. Ein exzessives Steuer-Transfer-System ist allerdings kein adäquates Gegenmittel. Die von Thomas Piketty beschriebene Gefahr monopolistischer Renten für Top-Manager und sehr ungleich verteilter Vermögen lassen sich wirksamer mit dem Mittel des marktlichen Wettbewerbs bekämpfen. Die zweifellos vorhandene inhärente Tendenz der Kapitalisten zu marktwidrigen Treiben lässt sich am besten mit einer möglichst umfassenden weltweiten Öffnung der Güter- und Faktormärkte begrenzen.
Dabei gilt: Der Wettbewerb ist das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte (Franz Böhm). Wer exzessive Einkommens- und Vermögenspositionen schleifen will, sollte dieses Instrument nutzen. Ein intensiver Wettbewerb auf Güter- und Faktormärkten macht den Weg für mehr soziale Mobilität frei. Verkrustete Strukturen werden aufgebrochen. Die distributive Achillesferse marktwirtschaftlicher Ordnungen wird besser geschützt. Das wichtigste Instrument im Kampf gegen ungleich verteilte Einkommen und Vermögen sind allerdings effiziente Investitionen in Humankapital. Das sieht auch Thomas Piketty so. Die Einkommen der Arbeitnehmer lassen sich überdies steigern, wenn sie neben dem Arbeits- auch ein Kapitaleinkommen erhalten. Mitarbeiterbeteiligungen markieren den richtigen Weg. Dabei sind Ertrags- und Gewinnbeteiligungen den Investivlöhnen überlegen. Stärker kapitalfundierte Systeme der Alterssicherung sind eine weitere Möglichkeit, Arbeitnehmer an steigenden Erträgen aus Kapital zu beteiligen.
Fazit
Die Kapitalisten zerstören den Kapitalismus. Das ist die Kernthese von Thomas Piketty in „Kapital im 21. Jahrhundert“. Um den Kapitalismus zu retten, will er die Kapitalisten stärker zur Ader lassen. Progressive Einkommen- und Vermögensteuern sollen deren Spielraum drastisch einengen. Der Markt soll zurückgedrängt werden, der Staat eine stärkere Rolle spielen. Diese Strategie zerstört den Kapitalismus endgültig. Die anreizverträglichste Form, ökonomische und politische Macht zu begrenzen, ist ein intensiver Wettbewerb, also mehr und nicht weniger Markt. Weniger Ungleichheit erfordert aber noch mehr. Wer alle stärker an den höheren Erträgen aus Kapital beteiligen will, muss sie zu Kapitalisten machen. Aus Arbeitnehmern werden (Human)Kapitalisten, wenn sie in Humankapital investieren. Mit Ertrags- und Gewinnbeteiligungen in den Unternehmen haben sie an den Erträgen aus Kapital teil. Das gilt auch für stärker kapitalfundierte Systeme der Alterssicherung. Verteilungspolitische Ziele erreicht man nicht gegen, sondern nur mit dem Markt. Das sollten auch sozialistische französische Ökonomen wissen.
Literatur:
Tylor Cowen (2010): The Great Stagnation: How America Ate All The Low-Hanging Fruit of Modern History, Got Sick, and Will (Eventually) Feel Better. Dutton Books, Penguin Group
Angus Deaton (2013): The Great Escape: Health, Wealth, and the Origins of Inequality. Princeton University Press
Thomas Piketty (2014): Capital in the Twenty-First Century. Harvard University Press
Raghuram Rajan und Luigi Zingales (2003): Saving Capitalism from the Capitalists. Unleashing the Power of Financial Markets to Create Wealth and Spread Opportunity. Princeton University Press
Beiträge der Serie “Ungleichheit heute“:
Marcus Fraaß: Wie ungleich ist die Vermögensverteilung in Deutschland? Noch ungleicher als die Einkommensverteilung
Norbert Berthold: Staatliche Umverteilung und soziale Mobilität. Eine verteilungspolitische Fata Morgana?
Norbert Berthold: Die “Great Gatsby“-Kurve. Mehr als politische Progaganda?
Norbert Berthold: Des Läba isch koin Schlotzer. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist grober Unfug.
Klaus Gründler: Bildung hilft, die Ungleichheit zu reduzieren
Mustafa Coban: Kombilöhne versus Working Poor. Der Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit
Norbert Berthold: Geldpolitik und Ungleichheit. Machen Notenbanken die Welt ungleicher?
Rainer Hank: Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun?
Klaus Gründler: Ungleichheit und Krisen
Norbert Berthold: “Reichtum ist distributive Umweltverschmutzung“. Höhere Steuern oder mehr Wettbewerb?
Klaus Gründler: Ungleichheit und Wachstum
Norbert Berthold: Der amerikanische Traum – Bremst Ungleichheit die soziale Mobilität?
Norbert Berthold: Der Staat pflügt die Verteilung um
Norbert Berthold: Die Ungleichheit wird männlicher
Norbert Berthold: Krieg der Modelle. Technologie oder Institutionen?
Michael Grömling: Einkommensverteilung – Vorsicht vor der Konjunktur!
Norbert Berthold: Die deutsche “Mitte“ ist stabil. Wie lange noch?
Eric Thode: Die Mittelschicht schrumpft – Wo liegt der Handlungsbedarf?
Norbert Berthold: Geringe Stundenlöhne, kurze Arbeitszeiten. Treiben Frauen die Ungleichheit?
Norbert Berthold: Deutschland wird ungleicher. Was sagt die Lohnverteilung?
Simon Hurst: Der Staat strapaziert die Schweizer Mittelschicht
Norbert Berthold: Einkommensungleichheit in OECD-Ländern. Wo stehen wir?
Norbert Berthold: Ungleichheit, soziale Mobilität und Humankapital
- Pakt für Industrie
Korporatismus oder Angebotspolitik? - 27. Oktober 2024 - De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik - 12. September 2024 - Ordnungspolitischer Unfug (13)
So was kommt von sowas
Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen - 17. August 2024
„The bottom line is that inherited wealth is not an economic threat. Those who have earned extraordinary incomes naturally want to share their good fortune with their descendants. Those of us not lucky enough to be born into one of these families benefit as well, as their accumulation of capital raises our productivity, wages and living standards.“ in: Gregory Mankiw, How Inherited Wealth Helps the Economy, New York Times vom 21. Juni 2014
„Piketty’s “r > g“ device, for all its amazing rhetorical power, does not take us very far. Our task of explaining and predicting inequality movements is not made any easier by the requirement that we must first predict both a “rate of return“ and the growth rate of the economy. The formula r – g takes us no further than we were transported fifty years ago by the concept of total factor productivity as a “source“ of growth. It will be another “measure of our ignorance.“, in: Lindert Peter H., Making the Most of Capital in the 21st Century. NBER Working Paper No. 20232. June 2014
Sehr geehrter Herr Prof. Berthold,
ich habe mich schon als einer ihrer Studenten gefragt, warum sie eine Theorie lehren, die politisch und sozial nicht durchführbar ist und nicht vom Status Quo, sondern von einer Traumwelt ausgeht. Diese Lehre ist veraltet und Studenten heute fordern zurecht eine Reform der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre.
Die Lösung des demografischen Problems durch Zuwanderung ist verlockend; bis sich afrikanische Flüchtlinge jedoch in der deutschen Gesellschaft und auf dem deutschen Arbeitsmarkt integriert haben, dürften einige Jahrzehnte vergehen.
Ebenso vergessen Sie, welch andere Anreize Unternehmer haben, in Deutschland zu leben. Nicht alle werden durch die progressivere Steuerpolitik ihren Wohnsitz wechseln. Faktoren wie Statussymbole und unternehmerisches Ansehen funktionieren in Einheitsgesellschaften nicht.
Ebenso ist es geradezu romantisch, auf eine Problemlösung durch sich weiter öffnende der Güter- und Faktormärkte zu hoffen. Afrika wird durch die Subventionspolitik der EU und der USA seit Jahren vom Welthandel mit Agrarprodukten ausgeschlossen.
Sie vergessen, dass wir mit multinationalen Unternehmen Player an den Märkten haben, die diese Märkte beeinflussen können. Ihre Theorie funktioniert in der Theorie, nicht aber in der Praxis. Der Kapitalismus hat die von Ihnen propagierten Lösungsmöglichkeiten bereits zerstört. Erzählen sie einmal einem Griechen, er solle in sein Humankapital investieren.
Wir brauchen mehr alternative Wirtschaftsmodelle UND eine neue Vermögens- und Steuerpolitik, wenn möglich international, was ebenfalls schwer umsetzbar ist!
Sehr geehrter Herr Weber,
wie sollte Ihrer Meinung nach die herrschende Betriebs- und Volkswirtschaftslehre konkret reformiert werden? Wie sehen die von Ihnen geforderten alternativen Wirtschaftsmodelle konkret aus? Wie ist eine neue Vermögens- und Steuerpolitik Ihrer Meinung nach auszugestalten?
Sehr geehrter Herr Prof. Berthold,
wir müssen den Menschen mehr in den Mittelpunkt der Ökonomie stellen und ihn aktiv am Entscheidungsprozess in Politik und Wirtschaft beteiligen.
Dieser Vorwurf richtet sich nicht nur an die Ökonomie, sondern ebenso an die unkritischen öffentlich-rechtlich finanzierten Medien, die ihrem BIldungsauftrag nicht mehr nachkommen und an die Politik, die Entscheidungsprozesse bewusst nicht kommuniziert und ihre Politik dann als „alternativlos“ darstellt. Er richtet sich jedoch auch an die Menschen in der Gesellschaft, die sich von Konsum und Ablenkung blenden lassen und im absoluten Überfluss den Blick für grundlegende Gesellschaftsfragen verlieren und sich von Entscheidungsprozessen ausklinken.
Der Mensch ist kein rational handelnder Homo Oeconomicus und denkt nicht nur an sich selbst, sondern zieht seinen Nutzen durchaus auch aus dem Wohlergehen seiner Mitmenschen und der Gesellschaft. Für das Leben in einer Gesellschaft gibt es moralische Grundsätze, die im Wirtschaftsstudium ebenso vermittelt werden sollten. Eine verpflichtende Philosophievorlesung könnte das Interesse für eine Auseinandersetzung mit diesem Thema wecken.
Eine Patentlösung für ein alternatives Wirtschaftsmodell habe ich auch nicht; ich halte jedoch die Ideen von David Graeber, Tim Jackson und Christian Felber für interessant. Leider fehlt mir aus beruflichen Gründen die Zeit, diese Ideen alle auszuführen. Der Interessierte Leser findet die Ansätze jedoch schnell im Netz. Ein Modell mit mehr Markt, wie sie es favorisieren, gibt es darunter auch. Hier ein schneller Überblick:
http://www.brandeins.de/archiv/2014/alternativen/giacomo-corneo-boerse-plus-sozialismus.html
Bei der Ausgestaltung der Vermögens- und Steuerpolitik halte ich eine gerechte Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen für notwendig. Eine Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von 25% und die Besteuerung von Arbeitseinkommen von bis zu 45% in Deutschland ist nicht fair und führt zu mehr Ungleichheit. In diesem Punkt muss man Piketty recht geben.
Auch erschliesst sich mir nicht, warum man durch Geburt dazu verdammt sein soll, ein Leben in Reichtum zu führen. Die Erbschaftssteuer muss reformiert und die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden. Warum soll eine Person, deren Großeltern beispielsweise nach dem Krieg in München günstig ein Haus erworben haben heute fast steuerfrei von den Mieteinnahmen leben können?
Ihre Argumente 1-4 gegen die „Gallische Angst“ sind schwach.
Zu Argument 1 habe ich mich bereits in meinem letzten Beitrag geäußert.
„Die Zahl der Kinder und deren Nachkommen verwässern das Vermögen ebenso, wie Scheidungen, schlechte Vermögensverwaltung, Steuern, Schenkungen, Verschwendung und vieles andere mehr. Viel entscheidender ist allerdings die „Vermögensmobilität“. Die Erfahrung zeigt, dass es schwer ist, sich länger an der Spitze der Verteilung zu halten. Das „Buddenbrooks-Syndrom“ schlägt zu.“
Zu diesem Argument hätte ich gerne Zahlen, sollte es sich nicht um Boris Becker oder Lothar Matthäus handeln.
„Ob auch Individuen mit großem Vermögen über entsprechenden Einfluss verfügen, ist in gefestigten Demokratien umstritten. Oligarchische Verhältnisse, wie in Argentinien, Russland oder der Ukraine, sind allerdings auch künftig unwahrscheinlich. Dafür spricht auch, dass die Bedeutung ererbten „alten“ Vermögens – entgegen der u-förmigen Langfristprognose von Thomas Piketty – weiter auf dem Rückzug ist.“
Hier möchte ich an die großzügige Parteispende der Familie Quandt und deren Zusammenhang erinnern. Es gibt weitere Beispiele. Warum ist ererbtes Vermögen auf dem Rückzug? Erlauben die Finanzmärkte ggf. Möglichkeiten, das Vermögen geschickt zu verstecken?
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bmw-quandt-familie-spendet-an-cdu-kritik-von-parteienrechtlern-a-927959.html
Zu Argument 4 habe ich mich bereits oben geäußert.
Ich freue mich über die von Piketty angestoßene Diskussion. Sie sollte als Chance verstanden werden! Der neoliberale Deregulierungswahn produziert Verlierer. Warum muss jemand verlieren, wenn alle gewinnen können?
Sehr geehrter Herr Weber,
zunächst eine grundsätzliche Bemerkung zu Ihrer Kritik an meinen kritischen Anmerkungen zu Thomas Piketty: Ihre Argumentation ist allein von Gerechtigkeitsüberlegungen getrieben. Was gerecht oder ungerecht ist, ist aber eine philosophische, keine ökonomische Frage. Kein Wunder, dass persönliche Werturteile den Weg dieser Diskussion pflastern. Für mich interessanter und ertragreicher ist die Frage, wie sich Ungleichheit auf die ökonomische Effizienz auswirkt. Das gilt sowohl für die Einkommens- als auch die Vermögensungleichheit. Dazu haben Sie in Ihren beiden Kommentaren kein Wort verloren.
Eine zweite Bemerkung will ich zu Ihrer Kritik an meinen Argumenten zur „Gallischen Angst“ machen. 1) Mit meiner These: „Die Lücke zwischen dem Wachstum der Erträge aus Kapital und dem der Arbeit wird sich nicht weiter öffnen“ haben Sie sich – entgegen Ihrer vollmundigen Aussage – weder im ersten noch im zweiten Kommentar beschäftigt. 2) Zu meiner 2. These: „Es wirken vielfältige Kräfte, die mit dazu beitragen, die Konzentration des Kapitals zu verwässern“ habe ich in Links auf empirische Untersuchungen verwiesen. Sie müssen Sie nur aufrufen und lesen. Eine zusätzliche interessante empirische Untersuchung für die USA stammt von Thomas A. Hirschl und Mark R. Rank zur Einkommensmobilität. 3) Das gilt auch für meine 3. These: „Die Gefahr des „crony capitalism“ existiert, sie wird künftig aber eher kleiner“ zur Frage von ererbtem „alten“ und durch eigene, oft unternehmerische Anstrengungen erworbenem „neuen“ Vermögen. Manchmal hilft es erst zu lesen, bevor man kritisiert. 4) Auch bei der Frage, wie die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften aussehen sollte, bleibt Ihre Ansicht einäugig auf die Gerechtigkeit fixiert. Fragen der ökonomischen Effizienz spielen in Ihrer Welt offenkundig keine Rolle. Alles in allem, Herr Weber: Cheap talk.
Eine dritte Bemerkung ist wieder grundsätzlicher Natur. Ökonomische Macht ist ein Problem, das sich noch verstärkt, wenn sie in politische Macht transformiert wird. Die Ordoliberalen um Walter Eucken und Franz Böhm waren der Meinung, dass ökonomischer Wettbewerb das „genialste Entmachtungsinstrument“ sei. Sowohl der Zutritt zu als auch der Austritt aus ökonomischen (und politischen) Märkten müssen leichter möglich sein. Das ist aber ohne „neoliberale“ Deregulierung nicht möglich. Wenn Sie sich gegen die Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht aussprechen, müssen Sie für mehr und nicht für weniger Wettbewerb auf den ökonomischen und politischen Märkten sein. Ich bin es uneingeschränkt.
Scott Sumner kritisiert in seinem Blog „The Money Illusion“ einige Passagen des Buches von Thomas Piketty. Hier ist sein vorläufiges Fazit:
„All that in 40 pages. And this is pretty much how things go throughout the entire book. In later posts I’ll pick up after page 331. Just remember if you read the book that the information is not reliable. Instead there is a constant left wing bias in facts, interpretation, evidence cited, etc. When he discusses outside sources like Kuznets he does not accurately convey their opinions. The book has lots of good research, but it is not something that can be completely trusted. Credulous readers are likely to get a very biased view of the US economy.“
„Piketty is not quite a Marxist, though he fervently adopts, simplistically, Marx’s delineation between capital and labor. Marx, to his credit, had an economic theory. Piketty, in contrast, presents a political theory ““ or, more accurately, less a theory than a political hunch.“ George L. Priest, in: Piketty’s Political Hunch
„Thus, the fundamental problem facing American capitalism is not the high rate of return on capital relative to economic growth that Piketty highlights, but the radical deviation from the just rewards of the marketplace that have crept into our society and increasingly drives talented students out of innovation and into finance.“
aus: Eric Posner und Glen Weyl: Thomas Piketty Is Wrong: America Will Never Look Like a Jane Austen Novel, in: New Republic vom 31. Juli 2014
„More deeply, Piketty’s “structural“ thinking characterizes the left, and characterizes too the economic thinking of physical and biological scientists when they venture into economic issues. It is why the magazine Scientific American half a century ago loved input – output analysis (which was the love also of my own youth) and regularly publishes fixed – coefficient arguments about the environment by physical and biological scientists. The non – economic scientists declare: “We have such – and – such a structure in existence, which is to say the accounting magnitudes presently existing, for example the presently known reserves of oil. “Then, ignoring that the search for new reserves is in fact an economic activity, they calculate the result of rising “demand“ (that is, quantity demanded, not distinguished from the whole demand curve), assuming no substitutions, no along – the – demand curve reaction to price, no supply reaction to price, no second or third act, no seen and unseen, such as an entrepreneurial response to greater scarcity. In the mid -nineteenth century it was Marx’s scientific procedure, too, and Piketty follows it.“
aus: Deirdre Nansen McCloskey, Measured, Unmeasured, Mismeasured, and Unjustified Pessimism. A Review Essay of Thomas Piketty, forthcoming: Erasmus Journal of Philosophy and Economics